Der Berufsschüler 2: Die Muscheln

Vorwort:
Dieser Text dient ausschließlich zur Unterhaltung und soll nicht aussagen, dass alle Berufsschüler dieser Welt geistig benachteiligte Geschöpfe sind, die von einer Qualle im Schach besiegt werden, weil sie die „Startaufstellung“ der Figuren für zu defensiv halten. Nein, Spaß beiseite. Ich war selbst Berufsschüler und habe die Dinge, die ich hier geschrieben habe, selbst exakt so erlebt. Dennoch soll dieser Text nicht aussagen, dass ausnahmslos alle Berufsschüler auf diesem Niveau agieren. Ich habe einen meiner besten Freunde in der Berufsschule kennengelernt und auch sonst einige liebe, interessante, intelligente Menschen kennenlernen dürfen, worüber ich sehr froh bin. Also wer sich an bisschen bösartigem Sarkasmus und einem knapp an der Grenze des Zumutbaren Maß an Gehässigkeit erfreuen kann, für den ist dieser Text unterhaltsam und alle anderen, die das nicht wollen oder können, sollten spätestens jetzt aufhören zu lesen.

Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Berufsschule…

Mein bester Freund Bertl und ich sitzen also in der Klasse der Berufsschule. Wir sind etwa 16 oder 17 Jahre alt und philosophieren in der Pause so vor uns hin, was alles an Strandurlauben toll ist. Die Mädchen in den Bikinis, Schwimmen, kein Stress und das Allerbeste: Man schläft so unglaublich gut, wenn man einen Strandurlaub macht. Nur woran liegt das eigentlich? An der anderen Örtlichkeit und der Tatsache, dass alle Dinge, die einem im Alltag Sorgen bereiten, einfach nicht da sind, oder dem Wissen, dass man jetzt für die nächsten zwei bis drei Wochen, je nachdem wie lang man sich halt Urlaub genommen hat, auf jeden Fall nichts Mühsames, Anstrengendes oder sonst was Stressiges machen muss?

Die Diskussion entwickelt sich bis hin zu der Theorie, dass es auch daran liegen kann, dass die Sonne aus einem anderen Winkel scheint, und zwar von deutlich höher kommt als in Österreich und die Lichtstrahlen so direkt auf die Augenlider strahlen, dass man automatisch alles viel gelassener sieht, weil man durch das Gewicht der schweren Sonnenstrahlen dazu gezwungen ist, die Augen nur halb offen zu haben, und alleine dadurch schon total entspannt ist. Wir haben also großen Spaß daran, den absoluten Schwachsinn zu reden und erfreuen uns an immer höherer Absurdität der Theorien, und wetteifern, wer es schafft, sich einen noch viel kränkeren, abwegigeren Grund auszudenken.

Ein Klassenkollege, der einen Tisch weiter sitzt, steht auf und kommt mit geschlossenen Augen und einem jetztwerdeichdeneneinmalerklärenwieeswirklichist-Gesichtsausdruck auf uns zu und sagt: „Oida, ihr seid‘s Trottln.“
Kurze Stille. Bertl und ich schauen uns an und wissen aus bereits einem Jahr Berufsschulerfahrung, dass es in dem Moment besser ist, einfach nichts zu sagen und so neutral wie möglich dreinzuschauen, aber ich kann mich nicht halten: „Und wieso?“

Er nickt, sich selbst zustimmend, ohne bis jetzt sonst noch ein Kommentar abgegeben zu haben und meint: „Was sollen Sonnenstrahlen sein, Oida? Siehst du irgendwelche Strahlen, die was durch die Luft fliegen? Nein, oder? Laserstrahlen gibt‘s. Bei Star Wars. Da macht es PIUPIU und dann sieht man die Laserstrahlen, die was so durch die Luft fliegen, aber die Sonne schießt ja nicht auf uns, Oida, aber macht ja ua nix. Ich beschäftige mich ja mit sowas, aber muss ja nicht jeder, Oida. Ich weiß aber voll, warum man im Urlaub immer ua geil schlaft.“

Bertl und ich heben beide synchron fragend und gespannt auf das nun folgende Ergebnis die Augenbrauen und lassen ihn weitersprechen: „Das ist, weil das Meer rauscht, Oida. In der Nacht rauscht immer das Meer und deswegen schläft man voll ua geil, Oida.“
Bertl und ich sind überrascht. Das ist doch eigentlich eine total liebe, herzige und nette Theorie und die trifft bestimmt auch zu, bis zu einem gewissen Grad.
Mit diesem Kollegen zu plaudern war immer irgendwie wie das Drehen an einem Glücksrad. Egal, worum es gerade ging. Man wusste nie, was als nächste Antwort kam und das hatte irgendwie so ein bisschen was wie das Beobachten eines Hirsches im Wald. Man schaut einfach zu und ist total fasziniert, weil man nicht weiß, was als nächstes kommt, also fragt Bertl nach: „Und warum rauscht das Meer?“
Er winkt freudig ab: „Ist eh ua logisch, Oida. Das ist wegen den Muscheln, die was im Meer sind.“
Bertls und meine Augen verengen sich zu nachdenklichen Schlitzen und er fährt entrüstet fort: „Heast ist doch ua oag logisch, Oida, denkt’s doch einmal nach. Wenn ich mir eine Muschl, die was im Meer liegt, mitnehme und dann zu Hause gegen mein Ohrwaschl drück, dann rauscht‘s und im Meer liegen ja ua viele Muscheln und deswegen rautscht‘s so laut.“

Ein Jahr früher hätten wir noch geglaubt, der will uns einfach verarschen und versucht, ihn in eine klärende Diskussion zu verwickeln, aber durch die damit gemachten Erfahrungen, nämlich, mit jemandem, der aufgrund seiner geistigen Kompetenzen eine falsche Ansicht hat, und bei dem jedes Argument und jede Theorie, die diese Ansicht verändern bzw. richtigstellen würde, seine geistigen Kompetenzen überschreitet, eine Diskussion zu beginnen, ist sinnlos, weil sie den Betreffenden nur verletzt und beleidigt und sonst keinen positiven Effekt hat. Wir entscheiden uns dann also für ein ruhiges: „Aja, stimmt. Danke.“

Lukas Lachnit
Kurzgeschichten: fiktiv, enorm, abnorm | Fleischlabel ©2013

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