Die Liebe der Seekuh (Italien 6)

1.
Letztlich bin ich doch noch nach Punto Maria del Leuca gekommen.
Enttäuschung pur. An der Kirche und dem Leuchtturm vorbei. Ist das die einzige hässliche Kirche in Italien? Und der Leutturm passt besser nach Gotland als nach Apulien. Dann die Palmen-Eukalyptus-Oleander-Promenade entlang. Sie stehen stehen still da, zernepft und habtacht wie preußische Feldwebel. Beim Holzkreuz für den Woityla-Papst-Besuch liegt ein verdorrtes Lorbeergebinde mit polnischer Inschrift. Polnische Papst-Touristen. Ansonsten glänzt die Riviera mit verrammelten Pizzarien und Eissalons, die Strandvillen blind und abweisend mit den zugeschlagenen Fensterläden, Boote umgedreht, kieloben am Bauch und in Zeltplanen gewickelt wie Polizeileichen.
Nur wenige Spaziergänger unterwegs, einige mit Hunden, diese scheinen mir alle dreibeinig, vielleicht ziehen sie ein Bein ein wegen der Kälte. Ein dunkler Männerhaufen vor einem Café, ein anderer vor einem Tabacchi an der heute nicht sonnenbeschienenen Häuserfront.

Auf einer Bank sitzt die alte Engländerin vom Vortag und liest in einem Buch – Apulien-Dumont auf Englisch mit bunten Sommerfotos. Sie hat also trotz meiner mangelhaften Auskunft das Meer gefunden. Ich grüße sie, aber sie erkennt mich offensichtlich nicht wieder. Das höfliche, den Briten angeborene Lächeln klebt in ihrem viktorianischen Porzellangesicht. Eine Teekanne mit Schnabeltasse. Wahrscheinlich muss man von den britischen Inseln kommen, um es am Punto lauschig zu finden. Sie kann nichts dafür, ich sehe wirklich sehr anders aus als gestern bei meinem ersten Spaziergang über die Piazza San Rocco. Ich bin fest in meinen violetten Daunenmantel eingemummelt, habe mich mit gleichfarbiger Wollmütze, großem Schal und festem Schuhwerk kälte- und windresistent zu machen versucht. Die komplette Winterausrüstung aus Wien! Nie hätte ich gedacht, dass ich meine Reisegarderobe hier im Süden brauchen würde. Die abgebrochene Sturmwanderung von gestern war mir eine Warnung.

Ich gehe aus dem Ort hinaus zum äußersten Absatz des Stiefels. Von wegen Stiefelabsatz – ich hab ihn eigentlich immer eher als Stöckelschuhspitzel angesehen oder einen Handschuhfinger, in den man hineinschlüpfen muss. So eng ist mit jetzt auch zumute. Gegenüber soll Korfu liegen, das traumhafte Kerkyra mit dem Achilleon. Nicht einmal hundert Kilometer entfernt. Noch viel früher, als ich noch Sisi-Fan war – nicht wegen Romy, sondern weil ich Axel Cäsar Conte-Corti verschlungen habe – bin ich ins Achilleon gepilgert und der Kaiserin bis heute dankbar, dass sie mich mit ihrer großen Liebe, mit Heinrich Heine, angesteckt hat. Genau hier soll sich die Adria mit dem Ionischen Meer vermählen. Wenn man das Tyrrhenische dazunimmt, könnte man von einer Ménage-à-trois reden.

Meine Vermieterin hat mir erzählt, dass die Meere im Sommer einen scharfen Kamm bilden und sich kilometerlang nicht mischen. Was für eine Ehe! Die Liebe der Stachelschweine und der Warane. So eine wie ein Stückchen weiter südlich zwischen Skylla und Charybdis? Nichts davon ist heute mit freiem Auge zu sehen. Das Meer ist einheitlich grau-grün-weißlich wie meine Waschmaschine im letzten Schleudergang, es tobt, brodelt, kocht, braust und zischt, obwohl kein Wind zu spüren ist. Der feuchte Hauch kommt vom Wasserdampf der aufsteigenden Gischt. Die späten Ausläufer des Sturmes der letzten Tage lecken unerbittlich an dem Sand, braun-gelbe Bläschen und Schaumkrönchen an den auslaufenden Enden wie flüssige Babyscheiße. So wie sie aussehen, könnten sie auch riechen. An den Dämmen der Wellenbrecher steigt das Wasser in hohen Fontänen auf, die Bojen drumherum tanzen wie verrückt auf und ab, tauchen unter, einmal rot, einmal blau oben.

Am Ortsrand ziehen sich links von mir flache Sandstände hin, zu denen im Sommer die Menschenmassen strömen. Rechts ins Landesinnere hineingestapelt, abgeschnürt von einer Schnellstraße, häufen sich die geballten Hässlichkeiten des Massentourismus: Die Küstenlinie ist zubetoniert mit Hotels, Pensionen und Appartmenthäusern, mit ihren kleinen, angeklebten Balkonen räudigen Reptilien ähnlich, dazwischen röcheln bröckelnde Ferienvillen aus dem 19. Jahrhundert ihrem Untergang entgegen, eingezwängt zwischen Asphaltwüsten mit Parkplätzen, Supermärkten, Sportparcours, Mac Donalds, FFC und Pizzahuts. Hütten, genau, Barackenlager. Wo habe ich zum letzten Mal so viel Grindigkeit an einem Ort gesehen? Budva in Montenegro mit seinen realsozialistischen Bettenburgen fällt mir ein, die die Schmetterlingsbucht verschandeln. Keine Spur von den sanften Hügeln mit den berühmten Weintrauben und Oliven, Feigen- und Mandelhainen, alles bis weit hinauf von Anti-Architektur verkrätzt.

Die Menschen bauen sich ihr eigenes Krebsgeschwür in die Landschaft.
Mag sein, dass es hier schön aussieht, wenn alles blüht, es warm, grün und bunt ist, wenn Menschen flanieren und sich vielfältig vergnügen. Am Strand brav und faul die brutzelnden Körper dicht an dicht unter färbigen Fransenschirmen und sich wälzen in der trüben Flut, in den Hotels übersichtlich in Pferche geschlichtet, in Appartmentsiedlungen wie in aufgestapelten Schuhkartons, die eigentlich schon längst entsorgt werden müssten. Alles zeigt den Charme eines zerplatzten Mars-Asteroiden. Ist das das nach außen gestülpte Abbild der Mafia und des Berlusconismus?
Wie können die Menschen sich selbst eine solche Hölle ins Paradies hineinbauen? Vielleicht sollte man überhaupt nur im Winter kommen, um sich von der dummen Krankheit Reisesehnsucht heilen zu lassen. Mit Wehmut denke ich an die Gemütlichkeit der Weltreise durch mein Zimmer. Gibt es ein Wort, das alle diese Eindrücke zusammenfasst? Suche und finde es: Lieblosigkeit und Geldgier. Warum – diese Frage kommt erst später, und ich fürchte, die Antwort wird mir versagt bleiben.

Weiter nach Süden, geht der flache Sandstrand allmählich über in steiniges Gelände, anfangs nur Steinbrocken ins Wasser gestreut, dann immer höhere Felsen und ein kleiner Fjord am Ende der Bucht. An der Kante setze ich mich auf einen Stein und schaue hinaus auf das Meer. Finis terrae. Ob man das sehen kann, wann und wie, darüber war nichts zu lesen, ob sie verschiedene Farben haben, verschiedene Wellen und Wirbel, Strömungen und Energien zwischen zwei Vulkanen, ob Ebbe und Flut andere Rhythmen haben? So viele Fragen, vielleicht sollte ich wieder einmal die Odyssee lesen. Keine Ahnung, und die bekomme ich an diesem Tag nicht mehr, denn alles vor mir zerfließt in einem ununterscheidbaren Gischtvorhang ohne Horizont, ein Gefühl wie auf einem sturmumtosten Schiffsbug.
Nicht verwunderlich, ganz natürlich, wie es der geografischen Form und Exponiertheit des Stiefelabsatzes entspricht. Aber warum ich davon etwas so stark spüre, ohne jemals esoterische Mond- oder Sonnenanbeterin gewesen zu sein. Irgendetwas versucht mich zu zerreissen, zerrt an mir. Das kommt nicht von innen, es ist eine äußere Macht, und ich boxe mit meinen Ellbogen um mich wie gegen eine Wattemauer.

Wie ich so da sitze, auf einem flachen Stein und gegen einen Felsen gelehnt, fällt mir auf, dass es nicht einmal nach Meer riecht. Keine der bekannten Würzemischungen aus Jod, Salz und Botanik, Algen und Erde, Fisch und Moder, als sei die Luft geruchsdicht eingeschweißt in Tiefkühlplastiksackerltütenzellophanfoliendosen im untersten Fach. Keine Geruchsspur von Zitronenmelisse, Passionsblume, Baldrian, Mohn, Hopfen, Thymian, Lorbeer, Oregano, Arnika, Wermuth, Klee, Anis, Strohblume oder Kaktus.
So wie das Rauschen des Meeres alle anderen Geräusche geschluckt hat. Sogar das hysterische Geschrei der unvermeidlichen Möwen. Löschtaste. Stummfilm.
Warum mir gerade jetzt Manchester by the Sea einfällt, weiß ich nicht. Zwei Gesichter wenden sich voneinander ab und bleiben eingefroren stehen. Kommen Onkel und Neffe zusammen? Großartiger Film, hat mir sehr gut gefallen, aber ratlos gelassen. Trostlosigkeit? Nein, eher Melancholie. Ein kleiner Lebensausschnitt von wenigen Personen mit wenig Handlung an der Oberfläche, aber großer Tiefe.

2.
Sitze nur und schaue. By the way, by the sea: Ich war hier schon einmal, dieser Sandstreifen, der Buchtabschluss mit der Wand, dieses kreisrunde Loch in dem einzeln stehenden Stockzahn, Emmentalerwand, weiß und rosa vom Tuff, dem typischen Apulien-Gestein. Darauf habe ich schon einmal geschaut, vor wie vielen Jahren? Oder war‘s in Sizilien, auf den Äußeren Hybriden, in Island, am Baikalsee oder bei Wladiwostok? Das hat man nun vom Vielreisen und Vielschauen. Ich kriege die Zeiten und Bilder nicht mehr zusammen. Oder doch? Wie funktioniert Erinnern? Es ist der Süden, definitiv. Es ist warm, wir sitzen nackt am Strand, hier muss es eine Süßwasserquelle geben, das Segelboot ankert weiter draußen vor der Bucht, die „Joy of Freedom“ schaukelt leicht, das kleine Schlauchboot lässt vor uns in der Dünung seine Ruder schleifen. Wir haben Frischwasser getankt und zwischen den Steinen ein Lagerfeuer gemacht. Die Rotweinflasche geht im Kreis – drei Männer und ich.

Da ist es wieder, ich rechne zurück, es kann nur der Sommer von 1984 gewesen sein, meine letzten Schulferien, mein letzter langer Sommer als Lehrerin und Obermaat auf der Joy. Aber es ist anfangs noch ein zerschnipselter Stummfilm, schwarz-weiß, in Fetzen, ein unterbrochene Diaschau mit Schwarzstellen dazwischen, als klemmte der Wagen. Jetzt kommt nichts mehr, der alte Diaapparat bettelt darum, sich im technischen Museum für immer ausrasten zu dürfen. Dafür beginnen Bilder aus der Schwärze aufzuflackern und zu laufen, erst stockend, verklemmt, überlagert, sie stolpern und überholen einander, dann werden sie länger, klarer und zusammenhängend. Einzelne Figuren tauchen auf. Der dicke Christof sitzt im mageren Schatten einer alten Tamariske – oder einer Pinie? – und zeichnet, nein, er aquarelliert, deutlich ist der Pinsel zu sehen, das Brettchen, der Farbkasten und das Wasserglas neben ihm. Die Felsen mit ihren Löchern, weiß-gelblich, an manchen Stellen rosa, pastellig, Tuff wie fast alles alte Gemäuer in Apulien.

Ich habe ein sehr schönes Bild von ihm, der Hafen von Otranto, Theo hat er eines mit dessen afrikanischer Stadtlandschaft geschenkt. Roberts Gestalt taucht auf, wie er robinsonartig auf seinen langen Beinen herumspringt und unter den Pinien/Tamarisken Holz sammelt. Theo ist der gute Freitag, stumm, immer lächelnd und in jeder Lage hilfsbereit. Es sind bewegliche, bewegte und bewegende Bilder, dazu kommen langsam die alten Geräusche und Gerüche herauf, Gespräche und Gefühle. Sägende Zikaden bringen die Luft zum Vibrieren, hysterisches Möwengeschrei. Von diesem Punto Maria del Leuca werden wir nach Korfu und Ithaka hinüberstechen.

3.
Wir sind in Dubrovnik aus verschiedenen Richtungen zusammengetroffen, die jugoslawische Küste hinuntergesegelt, dann steil hinaus auf die Adria hinausgekreuzt, um dem kommunistischen Musterland Albanien auszuweichen. Dessen Soldaten lieben es, vom Land aus auf kapitalistische, imperialistische, ausbeuterische, faschistische und kriegstreiberische Segler zu schießen. Ob als Freizeitvergnügen, Zielscheibenübungen oder auf Befehl, wer weiß das schon. Jedes Jahr gibt es Tote und Verletzte bei dieser besonderen Art von Völkerfreundschaft.

Ziemlich genau in der Mitte der Adria setzt eine vollständige Flaute ein, und als Theo den Motor anwerfen will, streikt dieser. Theo hat Übung im Basteln. Seine „Joy of Freedom“ ist eine britische Rennsportyacht Baujahr 1913, der Volvo jüngeren Datums. Der Halb-Amerikaner Theo spricht sie persönlich mit She an und nennt sie liebevoll My fair Lady oder respektvoll Her Majesty Joy. Der Volvo wird in Einzelteile zerlegt, geschmiert und wieder zusammengesetzt. Zweimal ohne Erfolg, währenddessen die Seglerneulinge an Bord fast verschmachten. Heiß, windstill, das Meer luluwarm und so voller Quallen, dass wir uns durch Schwimmen nicht abkühlen können. Robert und ich holen am Seil Eimer um Eimer herauf, die wir aber erst von den Quallen befreien müssen, bevor wir uns das Wasser übergießen können.

Der Maler Christof ist gegen alle Unbilden gefeit; in seinem Kugelkörper ruhend wie Buddha, hockt er unter einem Sonnensegel am Heck, zeichnet einen Block voll und malt Aquarelle, fifty shades of sea, blau, türkis, grün, grau, weiß untertags, vergoldet, burgunderrot, violett und schwarz bei Sonnenuntergang. Der Maler erklärt uns, dass Wasser und Himmel von allem am schwersten zu malen seien. Ich ergänze – und Kleinkinder. Theo, der Altphilologe, zitiert Homer und beruhigt damit den nervig-nervösen Robert.

Sie diskutieren über Homers Beobachtung, dass das Meer manchmal die Rotweinfarbe von reifem Weizen annimmt. Ja, es ist wahr, wir werden es später einmal erleben. Schlussfolgerung – Homer, oder wer immer der Autor war – muss viel vom Meer und von der Seefahrt verstanden haben, vielleicht selbst Matrose oder Kapitän gewesen sein und doch kein Blinder. Ich koche uns ein feines Essen und produziere zumindest viel zukünftiges Fischfutter. Das macht alle zufrieden und hoffnungsvoll. Zwanzig oder sowas Stunden schaukeln wir sacht inmitten der Adria, auf der Joy of Freedom, in einer Nussschale von einer Yacht. Ich intoniere, nur innerlich: Wir lagen vor Madagaskar/ und hatten die Pest an Bord … Nicht laut, weil ich schon weiß, dass das ein Nazi-Lied war. Als irgendwann der Volvo geruht anzuspringen, steuert Theo das gegenüberliegende Brindisi an.

Bevor er vor Erschöpfung fast vom Steuerruder fällt, springen Robert und Christof – beide das erste Mal auf einer Yacht – ein und steuern die Joy unter Theos Anleitungen in den Hafen von Brindisi. Er ist ein guter Lehrer. Sie kämpfen heldenhaft, angeseilt an die Reling, Theo bedient den Sextanten. Mitternacht ist weit vorbei, wir nehmen nur Wasser und Proviant auf und segeln weiter Richtung Otranto. Das ist die alleinige Entscheidung des Kapitäns, die Landratten wären lieber in einem Hotelbett von Brindisi gelegen. Ich habe schon zwei Jahre unter Theo Borderfahrung und weiß, dass man dem Skipper absolut vertrauen und sich seinem Urteil widerspruchslos unterzuordnen hat. Diesmal führt uns dieses Gesetz aber um ein Haar ins Verderben. Oder Gottes Vorsehung.

Knapp hinter Brindisi bricht ein Sturm los, wie es ihn in der Adria mitten im Sommer selten gibt. Selbst der erfahrene Kapitän gesteht ein, dass er das noch nie erlebt hat. Die Joy of Freedom tut das, was sie gelernt hat, im letzten Friedenssommer von Brighton, sie wirft sich mit sieben Knoten in die Fluten, schneidet in die Wellenberge und -täler, der Bug senkrecht über uns und in rasender Fahrt hinunter in den Schlund. Mahlstrom, oje, das ist nicht gut ausgegangen. Das Glück dabei ist, dass Robert und Christof in der letzten Nacht Erfahrung gesammelt haben und sich als gehorsam und gelehrig erweisen. In Lebensgefahr soll ja so mancher Faule rührig werden. Die Gefahr geht nicht so sehr vom Sturm und seinen Wellen aus, sondern von den zahlreichen Sandbänken, die vor der flachen Küste zwischen Brindisi und Otranto lauern. Auch auf größere Schiffe als unsere Nussschale. Untiefen nennt man das mit diesem schönen, euphemistischen Wort. Ich sehe mich in der Kajüte liegen und zu Poseidon, Neptun und allen Meeresgöttern beten, dass sie mich sterben lassen oder zumindest den Walfisch vorbeischicken.

Kurz nach Sonnenaufgang laufen wir in den Hafen Otranto ein und werden reichlich belohnt für die nächtliche Höllenfahrt. Ein natürliches Rund einer senkrecht aufragenden Felsenbucht aus eierschalenfarbenem Tuff, ein Kratersee, mit einer schmalen Einfahrt wie ein Flaschenhals, auf dem tintenblauen Meer schaukeln weiße Segelboote, darüber flocken Scharen von Möwen, die kubischen Häuser in Weiß und Türkis sitzen auf dem Rand oben wie eine Krone. Der Maler Christof wird fast verrückt vor Freude, eine solche Schönheit haben seine verwöhnten Augen noch nie gesehen. Ob Otranto in das Oeuvre des Dichters eingegangen ist, ist mir nicht bekannt.

Der Kapitän legt vor der Hafenwerkstätte an und will den braven Volvo überprüfen lassen. Christof bleibt an Bord und malt, Robert und ich wandern durch die Stadt. Ich kann ihn damit verblüffen, dass er ausnahmsweise nicht weiß, wer hier seine vielfältigen, stürmischen Karrieren als „Herzog von Otranto“ beenden musste, geächtet und verbannt. Ätsch, ein Punkt für mich in unserem ewigen Literaturwettstreit. (Das politische Chamäleon Joseph Fouchet in Stefan Zweigs Biografie-Roman.) In einem Keramikatelier kaufe ich eine Schüssel, fast so groß wie das Hafenbecken von Otranto. Später motzt Theo über diese übermäßige Beladung der Joy. Er weiß ja nicht, dass ich sie ihm schenken will. Es soll das erste Erinnerungsstück für unseren gemeinsamen Haushalt werden. Ich habe sie noch immer, seither vielfach benützt für große Mengen von Nudeln, Salaten und Suppen, aber bis heute ohne jede Erinnerungsverknüpfung zu dem denkwürdigen Sommer 1984. Verdrängung kann man auch sagen.
Vielleicht musste ich gerade dazu im Februar 2018 dorthin fahren, zurückkehren. Die Erkenntnis – nichts ist ganz vergangen und alles kann zurückkommen. In der einen oder anderen Form.

Weiter, weiter, wieder über die Adria nach Südosten kreuzen, diesmal unter frischem Wind und ohne Pannen, auf Korfu zu, der glücklichen Insel der Nausikaa und Heimat der Phäaken. In Homers Zeiten war sie unter dem Namen Scheria - der Schild oder Drepanon, die Sichel, bekannt, der albanischen Küste zugekehrt mit dem 914 Meter hohen Pandokrator als Buckel des Schildes: „Dunkel erschien ihm das Land, wie ein Schild im Nebel des Meeres …“
So zitiert Theo die Beschreibung der Insel, wie sie Odysseus von seinem Floß aus zuerst erblickt.

Da ist Theo, der Latein- und Griechischlehrer, ganz in seinem Element. Odysseus befindet sich nach Überquerung des Ionischen Meeres etwas nördlich der Insel, als er zum ersten Mal nach dem letzten Schiffbruch wieder Land sichtet. Die Gewässer nördlich von Korfu, die wir gerade friedlich gequert haben, sind höchst tückisch; sie liegen in der Mündung der Adria, und wenn die Bora weht, wälzen sich eine hochgehende See und eine gewaltige Dünung und werfen sich gegen die Insel. Genau unter diesen Umständen wird das Floß des O. zertrümmert und er selber weggeschwemmt, um zuerst auf einer der vielen Klippen zu landen, die die Nordwestküste der Insel umsäumen. Er lässt sich in der starken Strömung nach Süden treiben und kommt nach neunzehn Kilometern zu einer seichten Bucht, in die ein Flüsschen mündet. Auch heute heißt es noch Ormos Eumones. Erschöpft kriecht O. in ein Oliven- und Feigengebüsch und schläft auf dem schönen Strand ein.

Am nächsten Tag wecken ihn Frauenstimmen und Gelächter. Nausikaa und ihre Freundinnen sind gekommen, um zu baden und Kleider zu waschen. Diese breiten sie dann zum Trocknen auf dem Kieselstrand aus und vergnügen sich nach getaner Arbeit mit Ballspiel. O. hat nach seinem letzten Kentern nicht einmal einen Lendenschutz mehr, so schmiert er sich mit dem Flussschlamm den Körper ein, vor das Geschlecht hält er sich ein Feigenblatt. Die Mädchen sind natürlich auch nackt und lachen sich krumm, wie er so vor ihnen steht. Sie haben keine Angst, sondern geleiten den Fremden zwölf Kilometer weiter ins Landesinnere zum Königspalast. Wir gleiten gerade an der Mündung des Flüsschens vorbei, und diese Szene könnte heute noch genauso stattfinden. Theo triumphiert, alles ist da, wie es beschrieben wird, …. und die Odyssee hat doch recht!

Der Fluss, die Bucht, der Strand, die Oliven, die Weinstöcke, die Wasserbecken, wo man Mühlen betreibt, Kanäle in die Pflanzungen leitet und Wäsche wäscht – heute genauso wie damals. Die bezaubernde Nausikaa bringt den Schiffbrüchigen in den Palast ihres Vaters Alkinoos, der ihn freundlich begrüßt, bewirtet, badet und einkleidet. Er hätte ihn gern seiner Tochter zum Mann gegeben, der Held will aber nur eines, nach Hause in sein geliebtes Ithaka!

Im Palast erzählt ihm O. von seinen zehn Jahre dauernden Irrfahrten. Alkinoos hat Einsehen. Nach einer Erholungsnacht gibt ihm der freundliche Alkinoos ein Schiff mit 52 Ruderern, das ihn nach Hause bringen soll.
Mit der Stadt der Phäaken verhält es sich genauso, wie Nasikaa sie dem Odysseus schildert: „An jeglicher Seite ist ein trefflicher Hafen, und die Einfahrt ist schmal.“ Sie liegt etwa zwölf Kilometer entfernt, an der Ostküste Korfus. Dort findet man die zwei natürlichen Häfen beiderseits von Garitsa, der modernen Vorstadt von Korfu. Der eine eignet sich für die Sommermonate, der andere ist das ganze Jahr durch seine günstige Lage geschützt. Korfu ist fruchtbar wie keine andere der Ionischen Inseln, und an der Beschreibung der üppigen Schönheit Scherias ist nichts, was sich nicht auch von dem heutigen Korfu sagen ließe.

Wir kommen an den Mini-Inseln Paxos und Anti-Paxos (heute Paxi) vorbei, zwei grauen Buckeln, auf denen sich die knorrigen Olivenbäume wie Ringkämpfer an den kargen Boden klammern. Wir nähern uns dem weißen Steilufer am äußersten Vorgebirge von Leukas, und dann tut sich die schmale Durchfahrt zwischen Ithaka und Kephallenia vor uns auf. Wir halten nach Backbord, um den Hafen am Ostufer zu erreichen. Von der zerklüfteten Insel her kommt der Duft von Tannen und feuchtem Gras.

„Als nun östlich der Stern mit funkelndem Schimmer emporstieg, welcher das kommende Licht der Morgenröte verkündet“, setzen die Phäaken ihr Schiff in der Bucht des Phorkys ans Ufer.

So wie wir. Maler und Schriftsteller laufen, unterschiedlich tölpelhaft, hinter Theo über die Odysseus-Insel und sind beeindruckt von seinem Homer-Wissen. Durch stachelige Maccia zuerst, unter uralten Olivenbäumen durch, auf einem schmalen Pfad, Fuß für Fuß vorsichtig voreinander. Achtung, Schlangen! Achtung, Ruinen! Hier ist das Haus des treuen Freundes, „des göttlichen Sauhirten Eumaios“, der als einziger Odysseus erkennt und den Homer als einzige Person mit Du anredet – oh du göttlicher Sauhirt! Sein Hund Argos soll ihn auch erkannt haben. Das ist am wenigsten wahrscheinlich, das gibt sogar Theo zu, dass der so alt geworden ist. Zehn Jahre Krieg, zehn Jahre Irrfahrten. Steil bergauf geht es in der Hitze, wir setzen über Mäuerchen, durch Weingärten und unter Obstbäumen durch. Die Asphaltpflanzen aus der Leopoldstadt schwitzen, stöhnen und fluchen, ich mit meinen Genen von Bergziegen und Gämsen nehme es sportlicher.

Auf der höchsten Kuppe stehen noch Mauern: Das ist die Kemenate der treuen Penelope, ein freistehender halber Steinbogen – die Festhalle der Freier, wo sie gefeiert und die Königin bedrängt haben, Grundmauern der Vorratskammern, hier der Stall, wo der Heimkehrer die besiegten Freier den Schweinen zum Fraß vorwirft. Viel Phantasie, Theos Begeisterung und sein Detailwissen machen die alten Geschichten lebendig und sichtbar. Manchmal weitet sich der Steig zu einem Eselspfad in breiten, niedrigen Stufen. Theo redet, zeigt und erklärt –alles in der Gegenwartsform. Die Odyssee ist für ihn keine Erfindung, keine Ausgeburt eines Dichter- oder Chronistenhirns, keine Sagen- oder Fabelsammlung und auch keine Fälschung. Für ihn sind es Fakten. Nicht nur die Ereignisse und Ortsangaben, sondern bis in die Details von Wetter, Seefahrt, Schiffbau, Waffen, Kleidung und Essen und Botanik. Theo ist die Strecken nachgesegelt, hat Zeitangaben nachgemessen und mit den Wetter- und Strömungsbedingungen überprüft.

Ich falle fast von einem Mäuerchen, als ich einer großen Smaragdeidechse nachklettere, sicher ist sie das Einzige, was sein Aussehen seither nicht geändert hat. Theo demonstriert immer mehr Beweise für seine Überzeugung, dass alles so war wie in der Odyssee beschrieben, man sie ernst und wörtlich nehmen müsse. Er habe ihre Orte über zwanzig Jahre lang abgesegelt mit dem Vorteil vor anderen Forschern, dass er des Altgriechischen mächtig ist und die Sprache Homers nicht nur liest, sondern auch versteht. Ich höre Theo wiederholen: Ich glaube an die Magie der Orte.

Den beiden Künstlern erschüttert er ihr bisheriges Weltbild. Gern gemacht! Theo ist in seinem Element, freundlich wie immer und froh, dass er neue Adepten gefunden hat, noch dazu so einfühlsame, produktive und prominente. Ich persönlich mag Theos Erzählungen über die Person Odysseus am liebsten. Er spricht von ihm wie von einem Zeitgenossen, einem Menschen aus Fleisch und Blut mit allen seinen Vorzügen und Mängeln, einem Freund, einem ganz normalen, modernen Menschen.
Er spricht von ihm als einem gerissenen Kerl, von einem griechischen Pantagruel gewissermaßen, schlauen Drückeberger, nicht als einem Helden. In einer romantischen Bucht erzählt er uns die Szene, wie König O., Herrscher über Ithaka, in der Maskerade eines schwachsinnigen Bauern den Sandstrand pflügt und mit Salz düngt, um sich der Einberufung in den Krieg zu entziehen. Die Häscher aber erkennen ihn an seinem Hinken, denn nichts anderes heißt Odysseus, der Humpler.

Dazu kam er, weil er in seiner Jugend auf dem Abhang des Parnass von einem wilden Eber angefallen wurde. Die Narbe am Oberschenkel, Eunaios wird ihn unter anderem daran erkennen. Außerdem war er kurz- und o-beinig, rothaarig, wahrscheinlich auch rotgesichtig und sommersprossig, mit einer lustigen Knollennase wie Clown Enrico oder die Clinis und einem krummen Spitzbart. Also das Gegenteil des klassischen blonden griechischen Helden mit edlen Gesichtszügen. Zu dem haben ihn erst die deutschen Griechensucher und Altphilologen gemacht.

Odysseus hat damals absolut keinen Bock auf Troja; den Kriegsgrund, eine jugendliche Idiotie des Paris, sieht er auch nicht ein. Ihm geht es gerade so prächtig, er hat ein kleines, aber feines Königreich geerbt, eine hübsche, junge Frau, Penelope, die er liebt, das Söhnchen und Thronfolger Telemach ist auch schon da. Mit seinen Kumpels geht er gern jagen, fischen und feiern. Aber Agamemnon und die kriegslüsternen Spartaner schicken Häscher, die ihn mehr oder weniger kidnappen und auf den Kriegszug gegen Troja entführen. Auch vom Herumreisen hat er die Schnauze voll, von all den Poliphems, Sirenen, Kirkes, Kalypsos und Nausikaas. Er wird ein Held wider Willen, genauso war es mit seiner Seefahrerkarriere.
Theo hat nicht nur uns mit seinem Odysseus-Bild angesteckt, ich kann mir vorstellen, auch seine Schüler.

Die Künstlerseelen wälzen sich in Entzücken, dass man die Geschichte auch so lesen kann und geraten in der Folge über ihre Lieblingshelden der Ilias in Streit. Hektor, nein Achill!
Als die Dichter- und Maler-Philosophen in Patras von Bord gehen, sind sie voll Dank und versichern Theo, dass sie von nun an anders schreiben, malen, lesen, denken, schauen und leben würden, müssen. Kein Stein soll auf dem anderen bleiben, wie auf Ithaka im einstigen Königspalast.

Anders leben müssen, das wird auch mein Schicksal, als ich am Ende des langen Lehrer-Sommers nach Wien zurückkehre. Theo war für mich nicht mehr erreichbar, dann ein Anruf von Robert. Theo hat entdeckt, dass er sich in Christof verliebt hat, gemerkt, also schwul ist. Christof ist bi, hast du das nicht gewusst? Nein, gar nichts, und auch nichts gemerkt, nichts gesehen oder gefühlt. Von Blitz und Donner zerschmettert liege ich da in Trümmern wie die Burg von Ithaka und alle anderen Ruinen des Mittelmeeres zusammen. Wo habe ich bisher gelebt? Wenn ich nichts weiß, das weiß ich mit absoluter Sicherheit: Ich habe damals zum ersten Mal das Wort schwul gehört.

Von Menschen, die schwul leben, nicht weil sie es sich ausgesucht haben, sondern es sind. Zuerst war ich sehr verletzt über die abrupte Abwendung, Ablehnung und Theos Rückzug, verwirrt über ein für mich neues Menschenbild. Gerade hatten wir uns noch darüber gestritten, ob wir ein Kind machen sollten. Ich war in Scheidung, er wollte stante pede heiraten und noch mindestens zwei Kinder, ein Haus bauen, ein zweites, größeres, kindersicheres Boot und einen Caravan kaufen. Ich hatte schon eine Tochter und wollte kein Kind mehr. Für mich war das Kapitel Kinderkriegen abgeschlossen. Dieser Segeltörn sollte die Versöhnungs- und Probefahrt werden. Und dann das? So ein Scherbenhaufen, Ithaka nix dagegen.

Eine schwierige Zeit für mich, welche Gefühle da miteinander kämpften. Aber dann auch von mir absolute Funkstille. Ob es etwas zwischen Theo und Christof gegeben hat, weiß ich nicht. Vorstellen mag ich mir das nicht … Nur eine kurze Konfusion? Nicht lange danach, kommt mir zu Ohren, dass Theo eine sehr viel jüngere Frau geheiratet und mit zwei Kindern ein Musterfamilienleben geführt hat, bis ihn ein früher Krebs von allem wegriss. Jaja, Joy of Freedom.

Der Videofilm ist zu Ende. Die Schwarzblende rattert und bleibt dann stehen. Punto. Mir ist kalt geworden, ich bin steif, klopfe mich ab und schüttle die klammen Glieder. Es dämmert, auf dem Meer liegt schon ein silbriger Streifen von einem Halbmond. Gerade als ich mich umwende, um zum Dorf zurückzukehren, sehe ich aus dem letzten Augenwinkel eine leichte Bewegung im Wasser. Ein kleiner Wirbel zwischen zwei Steinen in Ufernähe und aufsteigende Bläschen. Sie blubbern, das heißt Luft, also etwas, das atmet. Zuerst ist es nicht mehr als ein dunkler Schatten wie etwa von einem unter der Oberfläche liegenden Holz. Aber das war vorher nicht da, habe es vorher nicht gesehen, obwohl ich während des Flashback ständig ins Wasser gestarrt habe, wie auf eine Filmleinwand.

Als ich nähertrete, sehe ich zwei große, geradestehende Augen zwischen einer Knollennase, die jetzt aus dem Wasser ragt, schnüffelt. Nein, eher ein etwas breit geratener Rüssel mit Borsten darauf . Das Ding ist halslos, walzenförmig und hat gleich hinter dem Kopf zwei gabelförmige Flossen. Das Ende kann ich nicht erkennen, sehe aber, dass sich etwa drei Meter vom Ufer entfernt das Wasser in Wirbeln dreht. Eine Robbe? In der Adria? Nie gehört, nie gesehen. Das Tier schnaubt und wirbelt mit der Schnauze Sand auf.

Da fällt mir wieder ein, wie uns Theo zwischen Paxi und Antipaxi uns auf eine Höhle aufmerksam machte, von der die Sage geht, dass dort die letzten Seekühe des Mittelmeeres leben sollen. Von den Fischern werden die pflanzenfressenden Säugetiere Seejungfrauen oder Sirenia genannt; noch nie hat sie jemand gesehen, aber die Legende hält sich seit Odysseus hartnäckig in dieser Gegend. Bevor sie ganz ins Meer wandert, war sie im frühen Eozän vor sechzig Millionen Jahren die näheste Verwandte des Elefanten. In der griechischen Mythologie kommen sie in Form der Neiden und Tritonen vor. Die Babylonier kannten die Fischmenschen als Dugongs und bildeten sie ab als einen Gott Oannes und zwei Göttinnen Atagatis und Derketo. Auch Jules Verne ist ihnen auf seiner Reise 20 000 Meilen unter dem Meer begegnet. In der Karibik heißen sie Manati, und 1492 hat Christoph Kolumbus in seinem Logbuch vermerkt, dass die Sirenen im Golf von Mexico weniger schön sind als bei Horaz. Schön ist sie wirklich nicht, aber obwohl es schon dämmert, kann ich wahrnehmen, dass dieses Tier mit seinen frontal stehenden Augen, der Knautschnase, dem Stoppelbart und brustständigen Zitzen menschlich aussieht. Eine große, runde, Schwimmerin. Nicht besonders schön, aber freundlich und absolut friedlich. Als man sie noch nicht zoologisch einordnen konnte, wurde sie von der Wissenschaft so genannt, wie sie aussieht: Pflanzenfressende Borkenrüsslerin.

Ich bin sicher, dass meine Erinnerung an Theo sie hergelockt hat. 34 Jahre habe ich nicht mehr an ihn gedacht. Ich hoffe, dass er in den seligen Gefielden am schönsten Strand der Welt gelandet ist. Bei Rudyard Kipling trifft der Held Kotik auf eine Herde von Seekühen, die ihn an den schönsten Strand der Welt führen. Denn entgegen ihrem Aussehen sind sie Ästheten.
Jetzt macht sie mit ihrem massigen Körper eine elegante Rolle auf den Rücken und scheint, bevor sie abtaucht, mit der Schwanzflosse zu winken. Lächelt sie nicht dabei und zwinkert mir zu? Sie wirkt witzig und gutmütig, gentle giants nennt man sie in Florida, wo man mit ihnen tauchen kann.

Schade, zu einer anderen Jahreszeit wäre ich gern mit ihr mitgeschwommen. Wie soll ich den Besuch der Seekuh verstehen? Ich nehme es persönlich, sie selbst spricht ja nicht zu mir. Aber Bedeutung hat ihr Auftauchen sicher. Sie wollte mir sagen, dass Theo, der Homer-Kenner und Mittelmeer-Segler, mit seiner Überzeugung, dass alle Geschichten über Odysseus wahr sind, Recht hat. Er ist schließlich der einzige Mensch, der je eine Seekuh gesehen hat, zwischen Paxi und Anti-Paxi. Weil ich hier an ihn gedacht habe, ist sie herübergeschwommen. Ihre Art von in memoriam.

Genauso gut kann es viel banaler sein; die Seekuh ist nur auf eines aus, auf das Violett meiner Kleidung. Ihre Lieblingsspeise, die violetten Wasserhyazinthen, hat sie zum Fressen gern.
Ich habe sie Kalina genannt. Ihr Schatten riecht nach Zimt.

Wien, 9. - 12. 3.18

Veronika Seyr
www.veronikaseyr.at
http://veronikaseyr.blogspot.co.at/

www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 18127

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