Schlagwort-Archiv: spazierensehen

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Pfauenfeder

Du gingst vor mir
ich sah nur hinter dir

die beiden Pfauenfedern
an deinen Ohrringen

Du gingst vor mir
ich sah nur hinter dir

die grüne Hose
aus weichem Cordsamt

Du gingst vor mir
ich sah nur hinter dir

die Bewegung deiner Füße
in den Stiefeln aus Leder

Du gingst vor mir
ich sah nur hinter dir

Ich hätte dich gern angesprochen
und gesagt
dass du mir gefällst

Ich ging hinter dir
du gingst vor mir

Ich hoffe dich erreichen meine Worte
auf die ein
oder andere Weise

Michael Bauer

www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 23137

Rollkoffer

Ich sitze bei der Klagenfurt-mobil-Bushaltestelle der Linien 10 und 20 auf dem Heiligengeistplatz. Früher hieß es Stadtwerke-Bushaltestelle, aber es ist ja alles das Gleiche. Ich warte auf keinen Bus, sondern mache Rast mit einem Typhoon-Tropic-Energydrink vom Müller und einer langen Camel-1915-Zigarette. Ich bin zu Fuß unterwegs. Ich habe wohl ein Auto, kein gutes, aber eines, das fährt. Ich bin nicht auf den Bus angewiesen.

Jetzt macht es Ratatata. Eine Frau zieht ihren Rollkoffer über einen kleinen Teil von Pflastersteinen. Kurz darauf noch einmal Ratatata, wieder eine Frau. Sie rollt ihren Rollkoffer über eine Gehsteigbegrenzung. Und noch einmal Ratatata, wieder eine Frau, das Geräusch rührt vom Rollen über grobkörnigen Asphalt her.

Da wünsche ich mir doch geradezu, dass wir nun in der Antarktis wären, mit Kufenkoffern statt Rollkoffern, bis auf ein unauffälliges Dschsch lautlos. Dafür allerdings wäre es hier jetzt außerordentlich kalt.

Das Lokal Zur Stauderin auf dem Klagenfurter Heiligengeistplatz in der Nacht des 5. März 2022

Das Lokal Zur Stauderin auf dem Klagenfurter Heiligengeistplatz in der Nacht des 5. März 2022

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 24006

Wonnemonat Mai!

Wenn die linden Mailüftchen wehen
Ist es um viele geschehen
Sie strömen hinaus in Wald und Flur
Um zu genießen, die auferstandene Natur
Klare Bächlein fein
Zartes Grün so frisch und rein
Die Augen wandern entzückt umher
Um aufzunehmen der Sinnesfreuden mehr
Die Vöglein zwitschern vergnügt und flattern euphorisch vom Baum zum Strauch
Sie genießen die Wärme, wie wir Menschen auch
Bienchen schweben summend von Blüte zu Blüte
Dankbar der Natur für ihre Güte
Frühlingsduft erfüllt die Luft - sie strömt in alle Lungen
Sie ist ein Labsal für die Alten und die Jungen
Alle Seelen sind erfüllt von Glück
Der holde Lenz – er ist zurück!

Mai

Mai

Wilfried Ledolter
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 23103

Spruchkarten

Mein Mann hat einen Termin in Linz und ich werde ihn begleiten. Ein Paarkurzausflug sozusagen, in die Landeshauptstadt. Ich muss bedauerlicherweise zugeben, dass ich Linz nicht sehr gut kenne, deshalb planen wir unseren Ausflug so, dass mir mein Mann noch vor seinem Termin den Hauptplatz, die „Landstraße“ (Fußgängerzone) und Umgebung in groben Zügen zeigen kann, damit frau sich nicht verläuft. Nicht lachen! Das könnte bei mir durchaus möglich sein, ich bin eine geographische Wildsau. Mein Handy lade ich im Auto auch noch gleich voll auf, damit ich wenigstens jemanden anrufen kann, wenn ich mich verirrt habe. Oder Google Maps mir weiterhelfen kann. Als ich mit meinen Töchtern voriges Jahr in Prag war, hat sich unsere Jüngere meist um die Orientierung via App gekümmert und wir haben problemlos überall hingefunden – wenn ich an meine Jugend denke, saßen wir bei unseren Urlauben und Ausflügen immer mitten unter riesengroßen Stadtplänen und dicken Reiseführern. Ich hab immer ans Ziel gefunden und auch wieder heim. Muss auch mal gesagt werden.

Natürlich brauche ich all das in einer kleinen Stadt wie Linz nicht. Ganz sicher nicht, versichert mir mein Mann. Er muss es wissen, immerhin ist er in der Landeshauptstadt fünf Jahre in die HTL gegangen und sein Weg vom Internat in die Schule und zurück bzw. zum Bahnhof führte hauptsächlich über die Landstraße und deren Seitengassen.

So marschieren wir eingehakt los und schlendern über den Hauptplatz, vorbei an der Pestsäule und rein in die Landstraße. Der Wind weht uns um die Ohren, es ist März und die Sonne steht zwar am Himmel, aber hat noch zu wenig wärmende Kraft. Vor etlichen Kaffeehäusern sind schon die Schanigärten aufgebaut mit Decken auf den Stühlen, aufgespannten Sonnenschirmen und Eiskarten auf den Tischen. Die Menschen mit Daunenjacke, Haube und Schal und die sommerlich anmutenden Kaffeehäuser, ein eigenartiger Kontrast.

Langsam schlendern wir entlang der Geschäfte über die Fußgängerzone, wie ein altes Ehepaar. In diesem Fall ist das keine Floskel, es ist Tatsache. Ich liebäugle mit einigen Schuh-, Kleider- und Schmuckgeschäften, denen ich insgeheim verspreche, ihnen einen Besuch abzustatten, sobald mein Mann in seinem Termin ist und ich in Ruhe shoppen gehen kann. Immerhin ist morgen „Weltfrauentag“ und wieso soll frau sich nicht selber was schenken? Vor einigen Gebäuden bleibt mein Mann stehen, hauptsächlich vor Gasthäusern, wie mir scheint.

„Hier haben wir nach der Matura noch ein paar Bier getrunken, bevor ich in den Zug gestiegen und heimgefahren bin.“ Nach einigen Metern weiter: „Und hier war unsere Maturafeier! Wahnsinn, das Lokal gibt es noch immer.“ Nach wieder einigen Metern, am Ende der Landstraße, bleibt er vor einem Eckhaus stehen, in dem ein türkischer Einkaufsladen eingemietet ist.
„Hier war früher das Goethekaffee, da waren sehr viele Schulschwänzer anzutreffen.“ „Und du warst dabei?“ „Nein, ich war da nie!“ „Woher weißt du es dann?“ „So was weiß man doch!“
Nicht, dass ich meinem Mann nicht glaube, aber ich weiß zum Beispiel auch, in welchem Kaffeehaus man früher in meiner Heimatstadt Schulschwänzer angetroffen hat, und warum weiß ich das? Eben!

Wir haben noch etwas Zeit und mein Mann möchte nun die Goethestraße runtermarschieren und schauen, ob „seine“ Schule da noch immer zu finden ist. Die war scheinbar früher schon uralt und er kann sich kaum vorstellen, dass da noch immer unterrichtet wird.
„Das ist die HTL für Hoch- und Tiefbau und das Gebäude ist baufällig?“, frage ich ihn. „Nein, baufällig nicht, aber es war vor fünfunddreißig Jahren schon altbacken.“
„Vor wie vielen Jahren?“ Mein Mann kann sehr gut Kopfrechnen, viel besser als ich, aber nun ist er stutzig geworden und bleibt stehen.
„Ohjeee, das war ja schon vor vierundvierzig Jahren!“ Mir scheint, es ist ein wenig Farbe aus seinem Gesicht gewichen. Ja, wir werden eben nicht jünger.

Mittlerweile ist mir angenehm warm von unserem Fußmarsch, meine Füße schmerzen und der Wind pfeift uns noch immer um die Ohren. Daheim liegen unsere Pulsmessuhren, verstaubt in einem Schrank und nicht aufgeladen, weil wir sie so selten tragen. Heute hätte mir meine Uhr sicher einen Pokal aufs Display gemalt, so viele Schritte sind wir schon gelaufen.
„Jetzt sind wir hier, schau mal, das gelbe große Gebäude da unten!“ Ich bin schwer beeindruckt, es ist immer noch da. Es ist nicht verloren gegangen und auch nicht abgehauen.
„Sieh mal, das war unser Haupteingang.“ Ehrfurchtsvoll bleibt mein Mann vor der großen Eingangstür stehen, die von zwei stattlichen alten Säulen umrahmt ist. Er blickt die Fensterfront empor und lehnt sich etwas zurück. Ich kann seine Gedanken förmlich lesen. Da hängen halt schon Erinnerungen dran, kann ich verstehen.
„Fünf lange Jahre, unglaublich viele Stunden am Büffeln und Lernen.“ Mein Mann schwelgt in Erinnerungen.

An der Hausmauer hinter einem Strauch steht ein älterer Herr und tippt in sein Handy. Aus dieser kurzen Distanz kann er unserer Unterhaltung sicher folgen. Nach fünf Minuten kommt er an uns vorbei und fragt:
„Kann ich irgendwie behilflich sein?“ Das ist sicher ein Professor oder Ingenieur, bestimmt kein Schüler, für einen Schüler ist er definitiv zu alt.
„Nein, danke, ich bin nur hier vor … vor vierundvierzig Jahren in die Schule gegangen“, entgegnet mein Mann. Erst jetzt bemerke ich den Bart und die Frisur unseres Gegenübers, ein grauer Fünf-Tage-Bart und grau melierte Haare, ähnlich wie bei George Clooney – entfernt ähnlich! Und ähnlich wie bei meinem Mann. Tragen alle älteren Bauingenieure graue George-Clooney-Bärte? Ich muss schmunzeln.

Nachdem wir dann noch den Weg über den Mariendom – mein Mann hat ja nicht nur berufsbedingt ein Faible für Architektur – und in die Seitengasse, wo früher „sein“ Internat untergebracht war, zurückgelegt haben, biegen wir in die Herrenstraße ein. Mir kommt diese Gasse so bekannt vor. Ich grüble und überlege und sehe nebenbei in die Schaufenster der Antiquitätengeschäfte, Kunstgalerien und der noblen Kleidergeschäfte. Vor einem herrlich bunten Sommerkleid, dekoriert mit Hut, bleibe ich stehen und betrachte das Preisschild. Wie Schuppen fällt es mir von den Augen – ja klar, die Herrenstraße ist auch auf dem Spielbrett von Monopoly drauf und jetzt weiß ich auch, wieso. Wenn man sich dort ein Haus oder ein Hotel kauft – bei Monopoly – braucht man schon wirklich dick Scheine.

Nach einem sehr guten österreichischen Mittagessen in der Rathausgasse muss mein Mann zu seinem Termin. Die Frau wird sich selber überlassen, weil sein Termin in der anderen Richtung ist. Aber Hauptplatz, Landstraße, Graben und Herrenstraße (gut, da werde ich wahrscheinlich eher nicht einkaufen gehen), sind jetzt mein Reich! Ganz alleine shoppen gehen hatte ich schon ewig nicht mehr. Das erste Schuhgeschäft erscheint in meinem Blickwinkel. Wenn ich an meine schmerzenden Füße denke, und daran, dass sie sicher angeschwollen sind in meinen Turnschuhen nach dem langen Fußmarsch, verzichte ich auf eine Schuhanprobe. Vermutlich gibt es eh keine italienischen Schönheiten in meiner Größe zu kaufen. Ich habe zwar die Hoffnung noch nicht gänzlich aufgegeben, nachdem ich seit über neunundzwanzig Jahren keine High Heels mehr (ver)trage, dass ich doch noch einmal an ansehnliche Schuhe komme, aber heute muss es nicht unbedingt sein.

Das Kleidergeschäft betrete ich zwar, aber nach anstrengenden, heißen, stickigen zehn Minuten flüchte ich. Eine plötzliche Hitzewallung hatte meinen Körper erfasst und die Verkäuferin hat mit mitleidigen Blicken von mir Maß, ähm, mich unter die Lupe genommen. Wahrscheinlich stand ich auch noch aus Versehen am Kleiderregal mit den kleinen Größen.

Nun ja. Ich schlendere weiter an der frischen Luft und biege in ein Seitengässchen ein. Dekowaren aus dem Orient und schöne Spruchkarten. Der nette Verkäufer lässt mich in Ruhe schmökern und ich sehe wunderschöne filigrane Armbänder. Bei der Anprobe dieser scheitere ich exorbitant. Für welche Frauenarme sind die wohl gemacht? Für Kinder? Um nicht unhöflich zu sein, kaufe ich dem Herrn an der Theke etwas ab. Spruchkarten. Große Liebe: Spruchkarten.

Wieder auf dem Bürgersteig zieht es mich in die Herrenstraße. Kein Mensch weiß, warum, aber ich hab da irgendwas in einem Schaufenster entdeckt, das mich sehr angesprochen hat. Nein, keine Spruchkarten – aber Sprüche! Sprüche in der Schaufensterdeko. Ich habe vergessen, sie zu fotografieren. Und mein Mann ist ja noch in seinem Termin.
Ein wenig stolz bin ich schon auf mich, ich habe auf Anhieb diese Herrenstraße gefunden. Frau hat gut aufgepasst bei der Stadtführung.
Nachdem ich mit meinem Handy die Sprüche im Schaufenster festgehalten habe (ohne die Preise zu beachten), ruft mein Mann an. Wir vereinbaren ein Treffen in einem Kaffeehaus am Hauptplatz. Ich weiß auch gleich, wie ich da jetzt wieder hinkomme und marschiere los. Kurz bevor ich dieses Café erreiche, erspähe ich einen kleinen feinen Buchladen. Gibt es was Schöneres als einen Buchladen? Ich meine nicht die großen Buchläden von großen Handelsketten, nein, ich meine kleine Buchläden, wo der Buchhändler die Leute mit Namen anspricht und ein Schwätzchen mit den Kunden hält.

Schon beim Betreten des Geschäftes überkommt mich ein angenehm wohliges Gefühl. Das ist fast wie Heimkommen, nur anders. Der Duft in solchen Läden ist unbeschreiblich. Ich kann es mir auch nicht verkneifen, über die Buchrücken zu streichen, als würde ich so die Seele des Buches ertasten können. Gelingt natürlich nicht, aber das ist ein wenig zwanghaft bei mir.
Um den netten Buchhändler, der sich gerade an der Theke mit zwei Kundinnen unterhält, nicht zu enttäuschen, kaufe ich was ein.
Spruchkarten. Er verabschiedet sich äußerst freundlich von mir, als hätte ich ein zehnbändiges Lexikon eingekauft, und wenn ich aus Linz wäre, würde er sicher meinen Namen kennen. Denn ich wäre garantiert Stammkunde.

Mit einer kleinen Einkaufstasche voller Spruchkarten laufe ich meinem Mann über den Weg. Glücklich über meine Shoppingtour, die ich alleine bewältigt habe, ohne mich zu verirren, bestellen wir Eiskaffee. Wir sitzen im Wind am Linzer Hauptplatz und ich freue mich, dass ich mich zum Weltfrauentag selbst beschenkt habe.

Wer braucht schon Schuhe?

Manuela Murauer
waldgefluesteronline.com

www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 23083

 

Bausündengedicht #1

Das Dach nach immer gleicher Art
Nicht spitz, nicht stumpf, nur schlau verlogen
hat sich nach einer Seite hart
Bis an die Hecke langgezogen

Fast bis zum Boden

Der Grund für diese bauliche Blamage:
Die Garage!

Dem Auto also gilt der Bau
Nachträglich folgen Mann, Kind, Frau

Man möchte diesen Bauherrn hängen
Doch besser wär's sein Haus zu sprengen!

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 22134

BOOMER

Nun hast du jeden Feind besiegt
Deinen Anteil abgekriegt
Deine Frau sitzt neben dir
Und nippt an ihrem warmen Bier

Die Band da vorne lässt dich kalt
Die Nummern sind auch richtig alt
Grade fast so alt wie du
Und man spielt sie immerzu

Du hast noch zehn bis zwanzig Jahr
Wenn dein Entzug erfolgreich war
Es geht dir langsam an den Kragen
Man sollte jeden Arzt verklagen

So hebst du langsam deinen Krug
"Alles Leben ein Betrug!

Nieder mit dem scheiß System!"
Und ich denk: "Ach, wie bequem!"

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 22095

Was jetzt ist

Anfangs als Frage gestellt
Dann durch den Ort spaziert
Zum Frühstück Sterbehilfe für den Specht
Dann doch Kaffee.
Varianten im Kopf
Debütanten beim Schopf
Gegen die Scheibe der Terrassentür
Geflogen, gestoppt und blutig im
Schnee. Was jetzt ist.

Dann geh ich nun durch den Ort
Da ist ein Hof des Friedens
Unterm Schneehäubchen sind sie
Alle gleich – kalt, oben wie unten.
Varianten im Kopf
Debütanten beim Schopf
Was jetzt ist.

Von tausend Rückwegen gepackt
Spechtbegräbnis im eignen Garten
Dort drüben, dass er seine Unfallstelle
Nicht sehen muss.
Und jetzt der Kinderspielplatz
Neben „Unseren toten Helden“.
Weitergehen heißt es
Und weiter irgendwie heißen
So geht es. Obwohl die Boote
Beim Strandbad ruhend gestellt und
Mit aufgeriss'nen Mäulern durch
Den Winter hungern und gähnen
Was jetzt ist.

Stephan Tikatsch
blindkohlekopie | Gedichte | S.Tikatsch_2019

www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 22021

 

Mein kleines serbisches Tagebuch: Teil 5 – Exit unter dem Seidenbaum

Die Hitzewelle, die uns heimsucht, bis zu 40 Grad Celsius sind angedroht, hat inzwischen sogar die Aufmerksamkeit der Nachrichtensender errungen: Der Sender euronews zeigte Bilder aus verschiedenen Städten am Balkan, aus Sarajewo, Pristina und Belgrad. Überall bot sich das gleiche Szenario, Menschen, die sich gegen die Hitze zu behaupten suchten, Eis schleckten, durch Springbrunnen wateten, sich zufächelten mit allem, was sich auf irgendeine Weise als Fächer benutzen ließ. Die Aufnahmen hätten sie genausogut in Novi Sad drehen können, hier war es nicht anders.

***

Mein Aufenthalt geht langsam zu Ende. Fühlte ich anfangs dieses beständige Unbehagen – eigentlich wollte ich die Reise gar nicht haben –, so mischt sich nun trotzdem das übliche sentimentale Abschiedsweh hinein, das Gefühl, das mich angesichts einer bevorstehenden Abreise zuverlässig beschleicht. Längst hat mich die Stadt wieder in ihren Bann gezogen, was – um ehrlich zu sein – auch zu erwarten war. Dabei bin ich gar nicht so viel herumgekommen dieses Mal, weil man es draußen kaum aushält! Keine stundenlangen Streifzüge durch unbekannte Viertel und Gassen, kein Besuch von alten liebgewonnenen Plätzen. Ich war noch nicht einmal auf der Festung, das war einfach nicht zu packen in dieser Gluthitze. Die fühlt sich an wie Griechenland im Hochsommer, jedoch ohne das Meer. Dafür habe ich viel fotografiert, weitaus mehr als bei früheren Gelegenheiten. Ich bannte die spannenden Gebäude aus den 1930er Jahren auf Bild, die futuristischen Kolosse der Tito-Moderne, die kleinen ebenerdigen Vorstadthäuser mit dem zierlichen, allerdings oft schon arg herabbröckelnden Biedermeierputz, die immer noch ganze Straßenzüge prägen.

***

Zu den Terminen, die noch anstehen, gehört ein Treffen mit der Vojvodine-Wassergesellschaft. Es geht um ein neues Ausstellungsprojekt in Serbien, um die Idee, Skulpturen entlang der Schiffskanäle in der Landschaft aufzustellen, wofür es allerdings die Erlaubnis der Betreiber-Gesellschaft braucht. Eine mögliche  Realisierung ist noch in weiter Ferne, aber wir begeben uns an die genannte Adresse, in ein Hochhaus an der Varadin-Brücke. Was für ein Bau! Man müsste ihn, so wie er ist, unverzüglich unter Denkmalschutz stellen. Nachkriegsmoderne, authentisch Stück für Stück, angefangen im Foyer mit den Bodenfliesen aus Stein, dem großzügigen Treppenhaus, den schweren holzgetäfelten Türen entlang der Korridore, den Beschlägen, Griffen und Klinken. Alles ist auf Hochglanz poliert, gepflegt und konserviert, als wäre die Zeit spurlos am ganzen Gebäude vorbeigegangen.

Wir werden in einen Konferenzraum im vierten Stock gebeten und fühlen uns mit einem Schlag in eine andere Welt versetzt. Was für ein Bild: Der Sitzungssaal ist braun in braun: Holz, Leder, Tapeten und muffige Gardinen. Ein Podest nimmt die Stirnseite ein, daran schließt ein massiver, rundum laufender Konferenztisch. Die Stühle mit der hochaufragenden Lehne sind braun bespannt, dem Podest gegenüber stehen weitere Stuhlreihen, auf der Rückwand hängt eine Landkarte, die genauso alt sein dürfte wie der Raum. Old Yugoslavia, sagt bass erstaunt die junge serbische Kollegin, sie kommt aus einer Generation, die diese Zeit auch nur mehr aus den Filmen kennt. Man erwartet buchstäblich jeden Augenblick den Einzug der Funktionäre, auf dass sie an der Frontseite Platz nehmen und die Tagung irgendeines Zentral-Komitees eröffnen … Stattdessen treffen wir auf eine freundliche Mitarbeiterin und zwei leitenden Angestellte der Wassergesellschaft, es wird ein gutes Gespräch. Aber die Atmosphäre des Raumes hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Später, auf der Straße, werden wir uns darüber ausschütten vor Lachen.

***

Heute ein frischer Wind, das tut gut. Gestern am Nachmittag zog der Himmel zu wie vor dem Regen. Eine ganz eigene Stimmung lag über der Stadt unter dem dunklen bleischweren Himmel. Sogar ein Donnergrollen erhob sich aus der Ferne. Nachts ab und zu ein schwaches Wetterleuchten. Das Gewitter ist indes ausgeblieben. Die Hitze hat ein klein wenig nachgelassen.

Am vorletzten Abend waren wir eingeladen zu einem serbischen Barbecue bei D. So sah ich zum ersten Mal einen Innenhof in einem jener typischen Vorstadthäuser, die vor allem nordöstlich des Zentrums noch sehr häufig sind. Der Hof war geräumig und mit einer Mauer zum Nachbargrundstück abgegrenzt. D.s Nachbarn waren zugegen und mit der Aufstellung ihres neugekauften Pools beschäftigt, während der Gastgeber den Grill anwarf. Es wurde ein gemütlicher Abend. Ein hiesiges Künstlerpaar war eingeladen: Sie erzählte von ihrem Aufenthalt in China, wo sie vor dem Ausbruch der Pandemie Kunst an einer Universität unterrichtet hatte. Aufgetischt wurden Würste, Cevapcici, Koteletts, Gurken und geröstetes Brot. Dazu gab es Bier, Wein und natürlich jede Menge Schnaps, den sie hier Raki nennen. Der ist nicht mit dem türkischen zu verwechseln. Raki bedeutet kein bestimmtes Getränk, sondern ist die Bezeichnung für alles, was sich an Hochprozentigem gerade eignet. Man trinkt ihn vor dem Essen, während des Essens und danach. Die berühmte serbische Gastfreundschaft! Der Gastgeber hat uns angeboten, bei ihm zu übernachten. Wir schafften es, uns von ihm loszueisen. Die Uhr auf dem großen Kirchturm zeigte halb zwei, als ich den Hauptplatz in Richtung meiner Bleibe querte: Für serbische Verhältnisse war das ein angebrochener Abend.

***

Endlich! Ich habe es doch auf die Festung geschafft, unternahm einen rund dreistündigen Spaziergang bei Postkarten-Wetter. Da ich den vorderen Teil der Anlage mittlerweile ganz gut kenne, nahm ich diesmal den rückwärtigen Bereich in Angriff, er wird das Hornwerk genannt. Zwischen den Wällen und Gräben wurde bereits emsig am Aufbau für das berühmte exit-Festival gearbeitet. Von Staunen erfüllt stand ich eine geraume Weile vor einem prachtvollen Mimosen- oder Seidenbaum, der in voller Blüte stand. Was ich da sah, hatte so gar keine Ähnlichkeit mit jenem kümmerlichen kleinen Gewächs zuhause bei mir am Fensterbrett, das zwar den gleichen Namen trägt, aber nur recht bescheiden vor sich hin vegetiert und immer knapp vor dem Verdorren steht. – Ich hatte keine Ahnung! Wusste nichts davon, wie wunderschön solch eine Mimose sein kann.

***

Vormittags war ich am Markt und gegen Abend zum letzten Mal im Supermarkt, wo ich meine sämtlichen Barschaften an Dinaren verschleuderte. Ich hatte noch überraschend viel Geld übrig, mit dem Betrag hätte ich noch mindestens drei „normale Tage“ finanziert. Jetzt heißt es nur noch, das Obst, die Paradeiser und den Schafskäse heil nach Hause bringen. Bald werde ich anfangen zu packen. Ich bin nervös, wie vor jeder Abreise, und dieses Reisefieber ist eine Attitüde, die sich im steigenden Alter nicht mildert, sondern eher zunimmt. Ich werde es langsam angehen. Nach dem ersten Teil will ich mich noch gemütlich für eine Weile auf den Balkon setzten, irgendwann packe ich weiter, ganz wie ich Lust habe. Morgen soll esin aller Frühe losgehen. Ich freue mich auf zuhause.

Ulla Puntschart
https://ulla-puntschart.jimdo.com/

www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 21104

Mein kleines serbisches Tagebuch: Teil 4 – Geschichten vom Montagskind

21. Juni, der längste Tag im Jahr. Hitze und ein leichter Wolkendunst, der keine Abkühlung bringt.

Ich möchte meine Mails checken auf dem Rechner in der Lobby des Hostels, doch das ist ein mühseliges Geschäft. Ich bräuchte einen Moment der Ruhe! Es will nicht sein. Die Gruppe der Jugendlichen vom Wochenende ist abgereist und die nächsten sind schon da, Touristen aus Fernost auf der Durchreise. Ich gebe mir selbst noch Zeit und kehre gegen ein Uhr wieder. Inzwischen ist ein neuer Trubel ausgebrochen und die Chefin des Hostels, eine sehr liebenswerte und immer hilfsbereite Dame, wie ich betonen möchte, hat den Schreibtisch inne, um etwas mit höchster Priorität zu erledigen. Dafür unterhält mich der Typ, der in der Lobby den Aushilfs-Rezeptionisten macht – er ist selbst ein Herbergsgast, jedoch schon seit Monaten im Land, wie er mir gleich erklären wird. Er hat gerade sein Mittagsbier, und wo er sonst immer recht einsilbig und wortkarg ist, sprudelt es auf einmal nur so aus ihm heraus, er redet und redet, während ich darauf warte, dass der Rechner endlich frei wird …

***

Ich habe ein Mail an meinen Mann geschrieben, nachdem ich ihn gestern angerufen, aber am Telefon nicht erwischt habe. Ich möchte einfach nur fragen, wie es zuhause so geht. Wie es steht um D., der musste ins Spital und das ist keine Kleinigkeit. Ich möchte mir nicht ständig den Kopf zerbrechen wegen der Dinge, die während meiner Abwesenheit passieren könnten. Das hilft niemand etwas, nicht meinen Lieben daheim und mir auch nicht. In ein paar Tagen geht es ohnehin wieder auf die Heimreise.

***

Heute ist ein Montag. Habe mir ein T-Shirt zerrissen – und dabei bin ich eh so knapp mit dem G’wand! Wollte ja sparsam sein beim Packen. An Tagen wie diesen passieren seltsame Dinge am laufenden Band. So am Zigarettenkiosk, wo der Kunde vor mir nicht aufhören will, auf die Verkäuferin einzureden, er erzählt ihr etwas, das anscheinend von ungeheurer Wichtigkeit ist, was immer dies sein mag. Sie möchte mich eigentlich schon längst bedienen und den redseligen Senior diskret verabschieden, also winkt sie mich heran, aber ich komme ja nicht nach vorne, weil der Zugang zum Kiosk eben nur auf eine Person zugeschnitten ist. Aus der Distanz funktioniert es nicht, da ich ja auf Englisch mit ihr sprechen muss, um genauer zu erklären, was ich haben will. Dann ist es endlich soweit, ich stehe vor ihr. Nun hebt ein wahres Kreuzverhör an: die Zigarettenmarke, schön und gut. Nun kurz oder lang? Stark, medium oder light? Blau, dunkelblau, hellblau oder weiß? Normalerweise entgehe ich diesen heimtückischen Fragen, indem ich eine leere oder halbleere Schachtel bei mir trage und der Einfachheit halber dasselbe verlange. Nur habe ich heute darauf vergessen, weil eben Montag ist.

Von solcher Natur sind die Dinge, die zuverlässig am ersten Tag der Woche geschehen, nicht erst seit jetzt, sondern ständig, das war immer schon so.

Später wollte ich ein Foto machen. Es ging um das Motiv in einem Schaukasten, in einer der kleinen Fußgängerpassagen, deren von außen verborgenes, jedoch weitverzweigtes Netz im Herzen der Altstadt einen besonderen Reiz auf mich ausübt. In diesem bezaubernden Labyrinth voller winziger Läden, Galerien und bizarrer Winkel bin ich vor einigen Tagen auf ein Sujet gestoßen, das ich unbedingt festhalten wollte. Da hatte ich jedoch die Kamera nicht dabei. Nun aber finde ich den Durchlass nicht mehr, es ist wie verhext! Alle Passageneingänge habe ich schon probiert, der, den ich suchte, war nicht dabei. Ich werde wohl zufällig darüber stolpern müssen.

Solcherart sind meine Montagsgeschichten. Ich möchte nicht sagen, dass größere Pannen oder Katastrophen mit diesem Tag verquickt wären, es geschieht eben nur eine ganze Menge verdrehtes Zeug. Dies wiederum, so meine feste Überzeugung, liegt daran, dass ich ein Montagskind bin. Das Letztere ist eine Tatsache. Ich bin an einem Montag zur Welt gekommen, genau zweieinhalb Stunden nach Mitternacht. Nur knapp habe ich die Gelegenheit zum Sonntagskind verpasst und das zieht sich nun so durch mein ganzes Leben. Die Montage liegen mir einfach nicht! Obwohl, objektiv betrachtet, haben sich auch durchaus gute Dinge ereignet, eine ganze Menge sogar. Meine Matura bestand ich erfolgreich eines Montags, weitere Prüfungen und Abschlüsse an der Universität folgten, ich habe wichtige Termine anstandslos wahr- und Projekte in Angriff genommen, alles an Montagen. Die echten Herausforderungen, so scheint mir, sind nicht berührt vom obligaten Montagskind-Pech. Die Misere ist von einer anderen Natur, sie lauert in den kleinen Alltagsgeschichten. Dinge, die im Grunde genommen recht einfach wären, gestalten sich plötzlich verflixt und vertrackt. So etwa wie das Buch, das in der Bibliothek schon ausgeliehen war, der Bus, der vor der Nase davonfuhr, der Besuch am Amt, der sich als vergeblich erwies, das Telefonat, das ergebnislos verlief. Das sind die Montagsmalheurs, die mich zuverlässig begleiten. Ich habe indes gelernt, sie mit einer gewissen Gelassenheit zu ertragen, denn dienstags sieht die Welt wieder anders aus!

So ist es auch dieses Mal. Mein Mail ist geschrieben, auf die Antwort warte ich noch. Inzwischen geht alles seinen gemächlichen Gang. Ich werde in den folgenden Tagen den amerikanischen Dauergast im Hostel ein Stück besser kennenlernen und wir werden plaudern, unsere Eindrücke austauschen über die Stadt und ihre Eigentümlichkeiten. Fast eine ganze Woche erwartet mich noch, mit viel Freizeit und nur wenigen Terminen, was sich anfühlt wie Urlaub. Ich werde auf dem Weg zum Markt, in den Tiefen der Passagen, schließlich auf den Schaukasten stoßen, nach dem ich so lange vergeblich Ausschau gehalten habe. Und – ach ja, es war der Dienstag, als meine Hose zerriss! Da befand ich mich gerade im Museum und wanderte durch die glücklicherweise fast menschenleeren Ausstellungssäle. Vor einer historischen Landkarte legte ich in Betrachterpose die Arme auf den Rücken, da bemerkte ich die Katastrophe knapp unter dem Hosenboden … Ratsch, fatsch, ein fetter Riss! Nichts mehr zu machen – und wieder ein Kleidungsstück weniger. So viel zu meiner Montagstheorie.

Ulla Puntschart
https://ulla-puntschart.jimdo.com/

www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 21103