Nussdorfer Spaziergang

Nussdorf ist Teil des 19. Wiener Gemeindebezirks, mit Weingärten am „Nussberg“.

Abends, nach dem Berufsstress, oder auch an ruhigen Sonntag-Vormittagen geht der Verfasser dieser Zeilen gerne am Nussberg spazieren. Der Weg ist festgelegt, die Zeit genau bemessen:

Vom „Nussdorfer Platzl“ geht es – durch einen „bis auf Widerruf gestatteten“ Durchgang – in die Hackhofergasse. Vor dem Haus Nr. 5 stehen drei Golf-GTI auf dem bisschen Gras herum, einer davon ohne Kennzeichen. Daneben das geschlossene Tor des ehemaligen Heurigen „Stift Schotten“,erbaut 1730, es weckt wehmütige Erinnerungen – wie an eine verlorene Geliebte. Viel zu selten ist man dort eingekehrt! Wie schön war es doch, mit der Frau bei einem Viertel Nussberger und einem saftigen Krautstrudel unter den großen alten Bäumen zu sitzen, ein gutes Wort zu reden, dem aufgehenden Mond zuzublinzeln und das Atmen der Zeit zu hören – eine blaue Stunde, eine Spanne der Schwerelosigkeit zu erleben. Was wird dem schönen alten Gebäude jetzt bevorstehen?

Links um die Ecke steht in der Nussberggasse 2b das „Schloss Dracula“. Als das Kind des Verfassers noch klein war und am Spaziergang teilnahm, war es ein beliebtes Spiel, den Häusern am Weg passende lustige Namen zu geben, und die wunderschöne Jugendstilvilla mit ihrer reichen Gliederung, den schmiedeeisernen Gittern und Laternen war infolge ihrer düsteren Lage hinter hohen Bäumen eben Schloss Dracula. Manchmal brannte ein einsames Licht oben im Dachgeschoß – da war Graf Dracula zu Hause. Seit einiger Zeit ist mehr Leben zu beobachten: Riesige Kristall-Luster brennen im großen Salon, schwere Limousinen fahren vor, an einem Sonntagvormittag drang sogar Klavierspiel aus einem offenen Fenster – eine neue Generation?

Nach der Hofeinfahrt des Schottenstifts in der Nussberggasse beginnt links das „Schiache-Leut-Ghetto“. Auf die Frage des Kindes, warum deren Reihenhäuser so tief unter dem abschüssigen Straßenniveau stünden, war die lustige Antwort, die Bewohner wären so hässlich, dass sie unterirdisch gehen müssten. Anschließend steht auf Nummer 11a-c das „Drei-Doktor-Haus“, ein brillant geplantes Dreifach-Reihenhaus, welches mit sehr wenig Platz in der Breite auskommt, aber vertikal und in die Tiefe des Areals genügend Raum bietet. Vom Beethovengang unten aus gesehen ist es ein stattlicher Besitz. Links wohnt ein praktischer Arzt. Der mittlere Bewohner hat keinen Titel am Türschild stehen, wird aber wohl auch ein Akademiker sein, um sich das schöne Haus leisten zu können, und rechts wohnt und residiert ein Augenarzt Dr. Heilig – welch ein schöner Name für einen Mediziner! Ein Heiliger hatte nichts mit Religion zu tun, sondern war ein Mann, der heilen, Kranke gesund machen konnte.

Gegenüber steht seit kurzem das „Stiegenhaus“, ein Neubau mit überdimensionaler Freitreppe, die aber auf einem winzigen Plateau mit je drei Stufen seitlich vom Hoftor endet – eine Freitreppe ohne freien Platz davor. Die gleichfarbige große Hundehütte daneben passt genau dazu. Neben dem „Drei-Doktor-Haus“ beginnt das „Schöne-Leut-Ghetto“, eine schöne weiße Wohnanlage mit viel braunem Holz, großen Fenstern und Loggien, extrovertiert auf Prestige gebaut. Es müssen hier – so der Verfasser zum Kind – lauter schöne Leute wohnen, die sich da wie in einer Auslage präsentieren. Die ehemalige Körperbehindertenschule vis-à-vis am Hang wird gerade abgerissen, vermutlich zugunsten einer neuen Bonzen-Siedlung an vornehmer Adresse.

Ein paar Schritte weiter steht (ohne Hausnummer) die „Arme-Leut-Villa“, eine große und einst stattliche, jetzt aber sehr verfallen und armselig wirkende Villa mit bis zum ersten Stock feucht abbröckelndem Verputz, die Fenster mit brauner Ölfarbe gestrichen. Die linke Mauer ist mit verwitterten Holzschindeln bedeckt, die Einfahrt vermoost.

Immer gut im Schuss ist hingegen – vor dem Friedhof – das „Milchreindl“, ein zeitlos moderner Bau: nahezu kreisrund, mit viel Glas und einem Flachdach. Die glaslosen Teile sind mit weißen Brettern vertikal verschalt. Souterrain und Erdgeschoß dienen Bürozwecken, der erste Stock ist Wohnung. Fallweise flattert – wie auf einem Bühnenbild – ein rotes Handtuch am Balkon.

An der Ecke Eroicagasse-Dennweg stößt man an das „Bettbrunzerhaus“, so genannt, weil vor einigen Jahren gegenüber ein offener Schacht gemauert wurde, in den lautstark ein Wasserstrahl plätschert. Krankenschwestern und Mütter wissen um die harntreibende Wirkung dieser Geräuschkulisse – und seither müssen, so die Vermutung, Bewohner mit schwacher Blase bei geschlossenem Fenster schlafen.

Das „Schwammerlhaus“ auf Dennweg 11a, das mit seiner gelblichen Farbe und dem dunklen, überstehenden Mansardendach an einen Herrenpilz erinnert, ist bei weitem schöner als die „Hatschek-Villa“ auf Nummer 15, die mit ihrer trostlosen Eternitverkleidung, dem Dach aus schwarzem Welleternit und mit rostigen Blechen eine negative Reklame für den bekannten Eternit-Hersteller macht.

Umso origineller ist das Nachbarhaus, der „Stadel“, dessen breite braune Holzverblendung über dem Eingang an eine Futterluke in einem Heustadel erinnert. Die „Garage“ mit ihrem großen orangefarbenen Blechschiebetor ist das sehr praktisch und raffiniert in den Hang gesetzte Nebenhaus des „Würfels“, der gleich breit wie hoch scheint und kein sichtbares Dach hat.

Das rustikale „Schweizerhäusl“ daneben würde wohl besser in den alpinen Raum über 1000 Meter Höhe passen und ist mit seinen rosigweißen, duftenden Rosenhecken ein Highlight des Dennweges. Das vorletzte Haus links ist die „Steuervilla“, in der – vermutlich wegen der steuerlichen Absetzbarkeit – gleich drei „Gesellschaften mit beschränkter Haftung“ ihre schwarzbesockten Managerzehen gegen den Kamin recken, während sie ihre abendliche Kartoffelsuppe schlürfen.

Der rosenstockbewachsene Bildstock des hl. Severin bildet den Abschluss des Dennweges gegen die Kahlenbergstraße. Rechts gegenüber liegt die „Hollywood-Villa“ in Schönbrunngelb und erinnert mit ihren vielen weißlackierten großen Terassentüren und Fenstern unter dem dunklen Mansardendach an eine nostalgisch-schöne Filmkulisse.

Nun ist der Umkehrpunkt erreicht, und beim Rückweg ist zu bedenken, ob nicht ein braunes „Whisky-Bier“ im Stüberl der Nussdorfer Brauerei ein passender Abschluss wäre. Bier ist ja bekanntlich gut gegen Herzinfarkt – und bei der Gesundheit sollte man besser nicht sparen!

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 25200

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