Ahoi.

Also das mit der Martina war sowieso die ärgste Geschichte. Acht Jahre war ich mit ihr zusammen, alle Höhen und Tiefen. Dann verlässt sie mich mit all ihren Sachen von heute auf morgen. Sie hätte endlich eine Wohnung gefunden und den Auszug schon ganz lange im Sinn gehabt, jetzt wäre die passende Gelegenheit und der ideale Tag. Sprach’s, packte ihre Sachen in ihren hellblauen VW-Käfer und fuhr davon. Bei mir natürlich Katzenjammer.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Martina bereits einen anderen. Einer ihrer Kollegen hatte es ihr angetan, der war allerdings verheiratet und der Prozess des Entscheidens gestaltete sich langwieriger als erwartet. Ich hatte auch meine Gespielinnen, doch Martina war mir noch wichtig und ihr ging’s anscheinend ähnlich mit mir. Nach einem Jahr trafen wir uns immer noch zum wöchentlichen Gedankenaustausch.

Dann kam mir die Idee mit dem gemeinsamen Segeltörn. Frauen, die bei solchen Plänen nicht Reißaus nehmen, sind rar gesät. Martina wollte ihrem neuen Freund gegenüber wohl so was wie ein deutliches Statement abgeben, was sie von seiner Zögerlichkeit hielt, und so geschah’s eines schönen Sommertages, dass meine Ex und ich in Poreč gemeinsam eine weißglänzende chice 14m-Yacht bestiegen und bei allerbestem Wind Richtung Rovinj ablegten.

In der Vergangenheit über Jahre ein eingespieltes Gespann beim Binnensegeln am Attersee, erwies sich das Teamwork mit Martina auf der Adria als tückisch. Bei nahezu perfekten Windbedingungen konnte ich mein Bedürfnis nach Abenteuer in Schräglage voll ausleben, so manch gewagte Wende ließ das Adrenalin nur so in meine Adern sprudeln. Die Abende mit Martina sollten die Reise krönen, mit einem Glas Rotwein kuschelig an Deck den Sonnenuntergang genießen, ja, so stellte ich mir das vor.

Am ersten Abend hatte ich mir noch nicht viel dabei gedacht, aber alle weiteren verliefen völlig ähnlich! Ich gebe ja zu, das Segeln selbst war schon recht aufregend, da ich ziemlich an meine Grenzen als Skipper ging. Okay, auch an die der Yacht. Und ja, ganz besonders an die meiner Segelpartnerin. Meine Manöver, wilden Halsen und extreme Schräglagen hatten ihr so zugesetzt, dass sie sich abends nach dem Essen aufs Sofa setzte, dabei aber (sitzend!) augenblicklich in komatösen Tiefschlaf fiel, aus dem sie erst am nächsten Morgen wieder erwachte. Mir blieb einzig, sie in eine bequeme Schlafposition zu bringen und freundschaftlich zuzudecken. Sonnenuntergang und Wein waren somit mir allein vorbehalten, der Romantikfaktor demgemäß bescheiden.

„Klar zum Wenden. Nimm die Fockschot von der Winsch.“

Mit der erwarteten Gefühlsdichte an Bord war es also nicht weit her. Aber das war noch nicht alles. Die Stimmung wurde von Tag zu Tag angespannter. Martina verweigerte, bei stürmischem Seegang aus der Kajüte an Deck zu kommen, wo doch jede Landratte weiß, dass genau dort das Schlingern am größten ist und vom Magen am schlechtesten toleriert wird. Um auf eine plötzliche Schlagseite des Bootes optimal zu reagieren, hätte sie außerdem im Luv an der Reling sitzen müssen. Bei ziemlich starken Wellen und extremer Krängung des Bootes saß diese Frau also eines Tages unter Deck und aß ein halbes Kilo Kirschen, um sich abzulenken, die Kerne spuckte sie in den Plastiksack zurück, der die Früchte vorher beinhaltet hatte. Davon hatte ich natürlich keine Ahnung, denn ich kämpfte währenddessen mit den wild gewordenen Elementen. Gar nicht so leicht für eine einzelne Person, eine Halse bei Starkwind durchzuführen, aber die Freude, das Bootsheck durch den Wind gehen zu lassen, übertraf die Ängste. Wir entfernten uns rasch vom Land.

So einen Sturm wollte ich nutzen, die Geschwindigkeit reizte mich, das gebe ich zu. Als Martina plötzlich den Kopf bei der Kajütentür hinausstreckte, war sie schon ganz grünlich-weiß im Gesicht. „Mir ist schlecht“, schrie sie mir durch die Gischt entgegen. „Komm an Deck, hier ist es besser!“, war meine Antwort, die ihren schreckensgeweiteten Augen entgegenschlug. Sie hatte meine Worte aber wegen des tosenden Windes offensichtlich nicht verstanden, denn sie zog sich wieder zurück. Gerade als ich entschied, klein beizugeben und die Segel zu reffen, die ärgsten Böen vorüberziehen zu lassen und damit die Situation zu entspannen, legte der Wind sich von selbst. Es wurde rasch ruhiger, ja, die Uhrzeit passte, die abendliche Flaute ging erfolgreich gegen den Sturm in Opposition.

Martina hatte sich unten in der Kabine inzwischen mehrfach in den Plastiksack mit den Kirschkernen übergeben und kam nun schwankend aber sichtlich befreit an Deck und lehnte sich erschöpft an die Backbord-Reling.

Der Wind war mittlerweile völlig abgeflaut. Zurück an Land würde uns also nur mehr der Motor bringen, den ich daraufhin startete. Eigentlich stümperhaft, denn ein guter Skipper sollte vor der Flaute mit Windkraft einfahren. Wir tuckerten also langsam vorwärts und ich konnte mich meiner blassen Partnerin widmen. Diese verknotete gerade den Plastiksack mit der roten Masse und schleuderte ihn kurz entschlossen ins Meer. Wohlgemerkt zielgenau vor den Bug platziert und wirklich mit Verve. Wir steuerten direkt darauf zu, setzten darüber hinweg, der Motor geriet ins Stottern und erstarb schließlich mit einem unangenehmen Röcheln.

Ich musste schlucken und hielt kurz die Luft an. Wir waren bei völliger Windstille und ohne Motor nahe gefährlicher Untiefen mit zerklüfteten, spitzen, teilweise aus dem Wasser ragenden Klippen unterwegs. Wobei „unterwegs“ jedenfalls übertrieben war, denn wir trieben unterdessen langsam dahin, ohne Einfluss auf unsere Fahrtrichtung nehmen zu können.

Ich entschied mich, zu tauchen und nach dem Motor zu sehen, das Meer war spiegelglatt, ich ging keine Gefahr ein. Meine Ahnung wurde prompt bestätigt, der weiße Plastiksack hatte sich mitsamt seiner unappetitlichen Füllung um den Schiffspropeller gewunden und den Motor abgewürgt. Erst nach eineinhalb Stunden gelang es mir, mit einem Stanley-Messer das Plastik von der Schraube zu schneiden und diese wieder freizulegen. Mit einer tiefen Schnittwunde an der linken Hand kletterte ich erschöpft aus dem Wasser.

Der Motor ließ sich nicht wieder starten.

Es wurde bereits dämmrig, die Yacht war den Felsen gefährlich nahe gekommen und ich ernsthaft kurz davor, über Funk ein „Mayday“ abzusetzen, als es schließlich nach vielen Fehlversuchen doch noch gelang, die Maschine wieder flott zu kriegen.

Unsere Fahrt abzubrechen stand zwar im Raum, wir waren aber beide so erleichtert, uns selbst aus dieser prekären Situation befreit zu haben, dass wir den Rest der Fahrt doch noch in halbwegs gelöster Stimmung absolvierten. Allerdings erwies diese sich als die letzte unserer gemeinsamen Reisen.

Michaela Swoboda

www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 13001

 

 

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