Die Sonnenfinsternis vom Mittwoch, 11. August 1999, am Faaker See

Zunächst schien es, alles wäre vergebens gewesen. Das Buchen der Zimmer, die Anreise, der Kauf der Spezialbrillen, das Warten. Dann aber gab es Risse in den Wolken, die, anfangs tief­hängend, als wollten sie bald vom Himmel fallen, sich mehr und mehr darauf besannen, daß hoch oben ihr Platz war. Aus den Rissen wurden blaue Flecken, dann blieb die Sonne längere Zeit sichtbar und wärmte auf. Glaubte man zuerst, es handle sich vielleicht um eine boshafte Täuschung, um das Wecken falscher Hoffnungen, erkannte man bald mit Gewißheit, der Him­mel hatte ein Einsehen. Dabei wäre es in dieser Region gar nicht so wichtig gewesen, handelte es sich doch um eine Randzone der bevorstehenden totalen Sonnenfinsternis. Doch selbst hier wollten sich die Leute die einmalige Gelegenheit nicht entgehen lassen, Zeugen einiger Mi­nuten Verdunkelung zu werden.

Ich hatte anfangs, noch an diesem Morgen, noch am frühen Vormit­tag, gedacht, mich interessiere das nicht, sollen doch die anderen schauen, mit ihren Spezial­bril­len, die sie den Boulevard-Zeitungen entnommen haben. Ich doch nicht. Aber als es auf­klarte, als das tiefhängende, bauchige Grau sich zurückzog und immer mehr dem Blau des Himmels Platz machte, erwachte auch in mir Interesse. In der Nähe, östlich des Faaker Sees, lag der Tabor, ein Aussichtsberg über das Seegebiet, über die Wälder, die Karawanken im Sü­den. Ein Stück fuhr ich mit dem Auto hinauf, ließ es auf einem kleinen Parkplatz stehen und ging eine kurze steile Strecke zu Fuß. Dann erreichte ich die Restauration am höchsten Punkt.

Obwohl es noch einige Zeit bis zu dem seltenen Ereignis dauerte, waren schon viele Leute da und hatten sich die besten Plätze, die mit der besten Aussicht über die Landschaft und mit Blick in die Sonne, besetzt. Doch es war noch genug frei, sodaß ich einen günstigen Platz, vermeinte ich, fand. Es war noch Zeit. Die wollte ich zum Laben nützen. Nach einigen Minuten bekam ich das Gefühl, ich leide an Inkontinenz. Von meinem Gesäß strahlte eine unangenehme kalte Feuchtigkeit aus, die sich nach unten ausbreitete. Offenbar war die Holz­bank vom nächt­lichen Regen noch mit Nässe durchtränkt, und die Leute, die vor mir gekom­men waren, hatten die Sitzpolster in Besitz genommen und diesen Platz gemieden. Deshalb war er frei geblieben. Schlechter Laune warf ich der Kellnerin den untragbaren Zustand vor. Das junge, vergnügte Mädchen besorgte mir altem Grantscherm einen Polster, der meine Feuchte aufnahm und die nasse Kälte von mir fernhielt. Das hätte mich vielleicht aufgeheitert, doch die Tatsache, auf etwas Eßbares etwa eine halbe Stunde warten zu müssen, machte alles zunichte. Dann wurde ein Tisch frei, der schon längere Zeit der Sonne ausgesetzt gewesen war. Ich stürzte hin. Die Bank war trocken und warm. Ein Fortschritt.

Immer mehr Schaulus­tige, meist Touristen, wa­ren inzwischen gekommen, standen zum Teil am Geländer. Unten lag der See, grün durch die Spiegelung der ihn umgebenden Wälder in seinem Wasser. Im Süden erhoben sich die Kara­wanken, ungerührt von den Dingen, die kommen sollten, trotzig, archa­isch, schroff. Es kamen noch einige Leute, die keinen Platz mehr fanden und das be­vorstehende Ereignis im Stehen sehen wollten. Die meisten hatten Spezialbrillen mit, die eine gefahr­lose Sicht in die Sonne gewähren sollten, nur einige wenige begnügten sich damit, das was da kommen sollte, mit freiem Auge, ohne Blick in die Sonne, nur die Auswirkungen auf die Landschaft zu begutachten.

Dann be­gann das Ereignis. Bebrillte Gesichter ringsum. Nach und nach wurde das Tageslicht trüber, nicht so wie während der Dämmerung, wo die Sonne sicht­bar bleibt oder hinter Wolken ver­schwindet und die Lichtbrechung und der Einfallswinkel ihrer Strahlen und ihr langsames An­nähern an den Horizont für die Änderung der Lichtver­hältnisse verantwortlich sind. Jetzt aber schob sich der Mond, selbst für die Strahlen der Sonne undurchdringlich, vor sie, hier zwar nicht vollständig, nur partiell, aber immerhin ge­nug, um eine geheimnisvolle Dämmrigkeit ent­stehen zu lassen, eine fast bedrohlich wirkende Dunkelheit, die die Welt für die Zeit ihrer Dauer scheinbar verstummen und stillstehen ließ. Gewiß, die Schaulustigen ließen ihrer Begei­sterung freien Lauf, reichten ihre Brillen weiter, riefen sich gegenseitig ihre Eindrücke zu. Doch das Leben ringsum, das Getier, die Vögel ver­fielen für die wenigen Minuten der Dunkel­heit in Schweigen, und eine merkliche Abkühlung, noch deutlicher spürbar durch den leichten Wind hier oben auf dem Tabor, ließ fast frösteln und erahnen, was ein Verschwinden der Sonne, und sei es nur teilweise, und sei es nur für einige Minuten, ja Sekunden, nach sich zöge. Die Schatten verschwanden, über allem lag die­ses verdeckte dunkle Licht. Selbst die Segel­boote tief unten auf dem See schienen stillzuste­hen, selbst der Autoverkehr hielt inne, sogar die eiligen Lenker ließen sich das seltene Schau­spiel nicht entgehen.

Daß diese mystische Dunkel­heit, solange sie nicht erklärbar gewesen war, als von den Göttern stammend, als Strafe für menschliche Vergehen, als Androhung des Untergangs der Welt betrachtet und empfunden worden war, erschien angesichts des eigenen Erlebens äußerst verständlich. Unser heutiges Erleben erfolgt dagegen mit dem Hintergrund logischer wissenschaftlicher Begründungen und Erklärungen und beraubt das Ereignis seines Charakters als Wunder. Trotzdem wird nicht nur Nostradamus bemüht, und selbst Wissen­schaftler (ehemalige Wissenschaftler?) verfallen in Spekulation und reden den Menschen nach der Seele.

Dann merkte man, wie die Dunkelheit behutsam schwand, wie die Schatten wieder scharf und konturiert wurden, wie das Licht seine für diese Jah­reszeit gewöhnliche Beschaffenheit annahm, wie es warm, wie es schließlich heiß wurde. Die Segelboote setzten ihre Fahrt im Wind fort, die Badenden strömten ins Wasser, die Autos schlängelten sich unten durch die Orte, die Spezialbrillen wurden als Andenken einge­packt oder in den Abfalleimer geworfen. Die Tiere spürten, die kurzzeitige Änderung in der Natur war vorüber, es war heiß wie zuvor. Jetzt hieß es, lange Jahre, Jahrzehnte zu warten, bis die nächste Finsternis die Men­schen stau­nen lassen würde. Irgendwo auf der Erde aber kann man eine solche Finsternis er­leben, sie ist genau berechnet, zeitlich und örtlich, und die Rei­severanstalter bieten sie im Arrange­ment an. Und der vermeintliche Untergang der Welt kann erwartet und ersehnt wer­den. In einer Zeit rationaler Aufklärung scheint es notwendig, einfache Erklärungen mit Untergangs­visionen zu verbrämen, das macht die Ereignisse zu Wundern, gottgewollt oder vom Teufel inszeniert und den Menschen zur Warnung veranstaltet. Dann wird es finster durch die astro­nomische Stellung des Mondes und der Sonne, frostig und still. Für eine kurze Weile herrscht Schweigen.

Günther Androsch

www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 14005

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