Dem Zweifel entfliehen, der Leere, der Traurigkeit

Wenn Müdigkeit sich in mir auszubreiten beginnt, lasse ich sie Besitz von mir ergreifen. Sie kommt mir gerade recht. Ich spüre, wie sie anfängt, meinen Verstand zu lähmen. Alles in meinem Hirn wird unwichtig. Die Augen fallen mir zu und ich gebe mich dem angenehmen Gefühl hin, hinabzusinken in die lautlose Dunkelheit. Während ich das Schweben noch wahrnehme und völlig angstlos genieße, entzieht sich mir jegliche Vorstellung von Ankunft. Nur das Sinken nehme ich wahr, es dauert und dauert und ich gelange nie an den Grund. Daran finde ich mehr und mehr Gefallen. Verschließen will ich die Augen vor den unermüdlich eintretenden Ereignissen. Die Notwendigkeiten schaffen es nicht mehr, meine Sensoren zu erreichen. Wissen will ich nicht, was ich tun soll und muss. Nur schwerelos gleiten möchte ich und nie ankommen.

Es ist Geborgenheit, die mich durch diesen Dämmer trägt und hält und schützt. Dann verliert sich auch die Erinnerung daran und es gibt nichts mehr, was mein Bewusstsein beschäftigt. Lediglich ein wohliges Gewogensein von geheimen Kräften umgibt mich. Sonst ist da nur der Rhythmus des Atems, der im Geheimen die Verbindung zum Leben wahrt. Zeit und Raum verschwinden und ich spüre die Schichten meines kümmerlichen Daseins, die ihre Schalen öffnen vor dem, der ohnehin weiß, was im Innersten wohnt. Mit seinem liebenden Herzen fühlt er hinein und lässt ein leises Lied erklingen, das vom Wunder des Paradieses zu künden weiß, vom Gleichklang der Lebenskräfte, die mich aber taumeln lassen im Sturm und mich zu verwehen drohen im Dickicht, sodass ich mich auflöse in abertausend Fäden, die an den Ästen der Bäume hängen bleiben und ein Spiel der Lüfte werden, völlig substanzlos.

Aufgetrennt ist meine Seele und zerstückelt, und die Enden suchen nach der gewohnten Selbstverständlichkeit, mit der sie dem Lebensfaden verbunden waren. Abzuwickeln schien ihn Zentimeter für Zentimeter eine schicksalhafte Kraft, die sich des Ziels sicher war. Doch plötzlich gelangte er in den Besitz bislang verborgener Kräfte, und neue Türen tun sich auf und lassen die verblüfften Augen Ungeahntes schauen, das mit Macht und Unerbittlichkeit zum Gehen auf den neuen Wegen drängt. Kein Aufschub wird erlaubt, es eilt. Die Zeit ist dicht, kein Millimeter findet sich zwischen den Momenten, angefüllt ist jede Sekunde mit Ungeduld und Drängen. Ein Sehnen zieht die Seele mit sich fort und kündet ihr von ungeschauten Plätzen, die wohl verborgen hinter Zauberwäldern die Quelle der vier Flüsse ahnen lässt. Und in dem atemlosen Hecheln dieser vielfach angehäuften Zeit reißt der letzte Faden jäh entzwei und alles taumelt.

So finde ich mich losgelöst von den gewohnten Banden und baumle in nie gekannter Weise an seidenen Gespinsten, die Achtsamkeit und Mut mir gleichermaßen abverlangen, um nicht zu stürzen in den Höllenschlund. Viele Worte dringen an mein Ohr, sie sprechen Warnungen und drohen, sie beschwören meine Sinne und äußern immer wieder das Zauberwort Vernunft, Vernunft, Vernunft. Verstohlen klopft es an die Schädelwand von innen, auf dass ich öffne Aug und Ohr und Herz. Geheime Mächte sind es aber, die sich gegen dieses Drängen sperren. Vernunft kann nicht der Maßstab sein. Soll denn das Herz zur Marionette werden? Soll es geleitet werden von den Messgeräten, die mit der Macht der Zahlen betören und verführen, und oftmals schon das Unheil überschwappen ließen trotz zweifelsfreier Expertisen?

Die schwerelosen, dem wachen Auge stets verborgnen Seidenfäden sind von den Raupen ahnungsvoll gesponnen. Sehr wohl wissen sie, was an ihnen hängt und was sie bewahren müssen vor der ewigen Verdammnis. So lasse ich mich in jenen Dämmer gleiten und spüre im Innern der Erinnerung, die meine Ahnen mir nicht grundlos weitergaben, dass ich getragen bin, wenn auch ganz zart. Nur trauen kann ich dem Vertrauen, das in mir lebt und mir den schmalen Pfad zu gehen rät. Wer weiß schon um die sorgenvollen Kammern in den entlegnen Winkeln meiner Kreatur, die ähnlich den himmlischen Hallen sich ineinander bauen und verzweigen und endlich doch das Auge schauen lassen in jenes Licht.

So kann ich der lautlosen Dunkelheit vertrauen. Sie fängt mich auf und lässt mich träumen von Plätzen, die kein Wissen jemals sieht. Im zärtlichen Vergessen ruh ich mich aus und schwebe unmerklich leise wieder empor zu jenem Horizont, der mich empfängt und weckt und zärtlich aufnimmt in die neue Zeit. Lang ist sie und anders und doch gleich. (Allein in mir hat sich ein Auge aufgetan, das auf dem mühevollen Gang durch die Windungen des Schneckenhauses die Zeit und alles, was in ihrem Licht erscheint, ganz neu erscheinen lässt.)

Claudia Kellnhofer
www.bitterlemonverwunderung.de

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary| Inventarnummer: 15086

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