Die Leiden des jungen EDV-Technikers 1

Er war schon fünf Jahre dabei und hat in der Richtung einiges erlebt, aber hier und da musste er noch innehalten und schlucken, um dem Gesprächspartner nicht die Möglichkeit zu geben, mitzubekommen, was er sich gerade dachte.
Das Telefon läutete und mit einem Seufzer hob er ab: „IT-Abteilung Müller, guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?“ und wurde schon beinahe unterbrochen: „Der geht einfach nicht. Was soll ich jetzt machen?“
Mit ausdruckslosem, aber routiniertem Gesichtsausdruck fragte er nach: „Was genau geht denn nicht Herr… ähm?“
„Na der Bildschirm. Der ist einfach schwarz. SCHWARZ. Wie soll ich so bitte arbeiten?“

Nicht verwundert, aber dennoch leicht verärgert darüber, dass der sympathische, mitdenkende Herr am Telefon den leichten Hinweis, dass er doch bitte vielleicht einmal zuerst seinen Namen nennen sollte, bevor er sein Problem schildert, nicht verstanden hatte, fragte er weiter: „Seit wann funktioniert er denn nicht mehr?“
Ein verärgertes, ungeduldiges Ausatmen war zu hören: „Naja, kaum hab ich ihn abgesteckt, war er schon finster. Ist das schon wieder so ein Sicherheitsschas von Ihnen?“
Die Augen von Herrn Müller weiteten sich ein wenig, dennoch blieb er ruhig: „Welches Kabel haben Sie abgesteckt?“
Ein kräftiges Räuspern war zu hören: „Fragen S‘ nicht so deppat. Kommen S‘ her und schauen Sie sich das an. Ich will, dass das funktioniert. Mich interessieren keine Begründungen, sondern nur das Ergebnis.“
Jetzt musste Herr Müller zum ersten Mal lächeln: „Mein Terminplan ist sehr voll. Moment, ich schau für Sie nach… In vier Tagen hätte ich noch etwas frei. Haben Sie so gegen zwölf Uhr Zeit?“
„Erstens bin ich da auf Mittagspause und außerdem… was heißt da in vier Tagen? Soll ich mir jetzt die nächsten drei Tage Urlaub nehmen, oder wie stellen Sie sich das vor?“
In gleichgültig ruhigem Ton entgegnete Müller: „Haben Sie jetzt Zeit? Ja? Dann bin ich in zehn Minuten bei Ihnen. Wiederhören.“

In der Störungsliste auf seinem Computer las er die vorhandenen Störungen durch und suchte nach der zum Telefonat passenden: Bildschirm funktioniert nicht. Störungstext: Herr Merx Bildschierrm ist schwarz. Er braucht ihm aber tringent und hat schon zweimal um Erledigung urgirt. Hab mich zu ihn hinverbunden und Bildschirm futioniert einbandfrei. Bitte um rasche erledigung. TRINGENND!!!
Kurz vor der Bürotür von Herrn Merx kommt Herrn Müller ein anderer Kollege entgegen: „Halbzeit, höhö. Entschuldig‘n S‘, a private Froge. Ich hab mir für meinen PC zu Hause eine neue Grafikkarte gekauft, aber die passt überhaupt nicht auf den USB-Anschluss drauf. Gibt’s da irgendeinen Adapter? Habt’s ihr sowas zum Ausfassen bei euch in der Abteilung?“ Gekonnt und mit viel Routine entgegnete Müller: „Nein, leider. Solche Adapter sind genauso schwer zu bekommen wie Wirelesslankabel.“
Müllers Gegenüber bekam einen erleichterten Gesichtsausdruck: „Und ich hab schon geglaubt, ich bin zu deppat, um diese Kabel zu finden. Ich wollte mir letztens erst ein Wirelesslankabel kaufen, aber keine Chance, die gibt’s einfach nirgends. Ein Verkäufer war wenigstens so nett und hat mir gesagt, dass es die wahrscheinlich nur bei den echten Profis gibt, aber da kann man halt nichts machen. Wie soll dann ein armer kleiner Hackler wie ich zu so einem Kabel kommen?“
Müller bekam einen mitleidigen Blick. Die Zeit wo er in dieser Situation das Lachen zurückhalten musste, war lange vorbei. „Ja das kenn ich, aber da sitzen wir halt leider alle im selben Boot. Also dann, eine schöne Mittagspause. Wiederschaun.“

Er öffnete die Bürotür und schon plärrte ihm Herr Merx entgegen: „Na endlich. Wenn wir alle so hackeln würden wie bei euch in der Abteilung, könnte das ganze Unternehmen zusperren.“ Den Satz ignorierend sagte Müller: „Na wo ist er denn, der Patient?“ Merx deutete kommentarlos Richtung Bildschirm. „Na dann sagen Sie mir einmal ganz genau, was Sie wann wo ausgesteckt haben.“
Hektisch und mit freudigem, gierigem Blick, ganz gleich die Chance zu haben, Herrn Müller als Trottel dastehen lassen zu können, griff er hinter dem Bildschirm zum Monitorkabel: „DA. Ich hab nur die Diebstahlsicherung ausgesteckt und schon ist er nicht mehr gegangen, der scheiß Bildschirm.“
Müllers Blick blieb gelassen und gleichgültig: „Das ist keine Diebstahlsicherung, sondern das Monitorkabel. Das ist dafür da, dass der Computer von der Grafikkarte die Bildinformationen zum Bildschirm schicken kann.“
Merx war entrüstet: „Geh verkaufen Sie mich doch nicht für blöd. Ich bin vielleicht kein Technikgenie, aber ein bisschen kenne ich mich schon aus. Außerdem, wieso sollte dann das Bildschirmlämpchen aufleuchten, wenn das Monitorkabel abgesteckt ist?“
Müller konnte den kurzen resignierenden Seufzer nicht zurückhalten: „Dafür, lieber Herr Merx, ist das Stromkabel des Bildschirmes verantwortlich. Ein Kabel ist für den Strom und das andere für den Informationstransport vom Computer zum Bildschirm.“
Merx schien, was man anhand seines Blickes erkannte, ein Licht aufzugehen: „Ach erzählen Sie doch keinen Blödsinn. Weil, wenn das angeblich ein Monitorkabel sein soll und keine Diebstahlsicherung, warum gibt es dann bei dem Stecker kleine Schrauben zum Reindrehen und beim Stromkabel nicht? Herr Müller, ich bin ja kein Idiot. Seien Sie einfach ehrlich zu mir und geben Sie zu, dass das eine Diebstahlsicherung ist.“

Langsam aber sicher spürte Müller doch ein wenig Unruhe in seinem Bauch aufkommen: „Weil es aufgrund der technischen Form des Steckers bei dem Monitorkabel deutlich wahrscheinlicher ist, dass der Stecker von selber runtergeht, als beim Stromkabel und deshalb sind beim Monitorkabel Schräubchen dabei und beim Stromkabel nicht.“
Merx winkte ab: „Jaja, jetzt wollen Sie sich retten, indem Sie mit technischen Fachbegriffen um sich werfen. Für Ehrlichkeit haben Sie wohl zu wenig Charakter. Naja, egal. Tun Sie einfach, worum ich Sie gebeten habe und schauen Sie, dass der Bildschirm wieder funktioniert.“
Müller schloss kurz die Augen und entgegnete dann: „Dafür muss nur das Monitorkabel wieder angesteckt werden.“
Merx wurde lauter: „Ich habe Ihnen jetzt schon x-Mal gesagt, dass ich kein Interesse an dieser idiotischen Diebstahlsicherung habe. Ich will, dass mein Monitor funktioniert, ohne dass ich überwacht oder sonst wie kontrolliert werde.“
Müller, jetzt doch schon ein bisschen verzweifelt: „Selbst wenn das Monitorkabel eine Diebstahlsicherung wäre, könnten Sie davon nicht überwacht werden, aber um das Ganze doch ein wenig abzukürzen, bleibt nur folgendes Fazit: Wenn Sie arbeiten wollen, müssen Sie Ihre „Diebstahlsicherung“ wieder in den Monitor stecken.“
Merx trotzig: „Das will ich aber nicht. Ich möchte ohne Diebstahlsicherung ungestört arbeiten können.“
Müller zog die Notbremse: „Dann kann ich Ihnen nur anbieten, dass ich das so schnell wie möglich mit meinem Chef bespreche. Ich rufe Sie dann an, sobald dieses Problem geklärt ist. In einer halben Stunde weiß ich mehr. Wiederschaun.“

Als Müller das Büro seines Chefs betrat, telefonierte dieser gerade: „…ja, leider Gottes ist das notwendig und wurde in den Konzernrichtlinien so niedergeschrieben, nicht einmal ich als Chef der IT-Abteilung komme ohne Diebstahlsicherung zwischen PC und Monitor aus, da sitzen wir alle im selben Boot. Ich hoffe, Sie können trotzdem so bequem und ungestört wie möglich weiterarbeiten. Wiederhören.“
Müller schaute seinem Chef leicht grinsend mit hochgezogenen, fragenden Augenbrauen in die Augen: „Ja, Herr Müller, manche Leute vertragen die Wahrheit nicht, aber wenn er glücklich damit ist, dass ich ihm den selbstgeglaubten Schwachsinn bestätige, und er mich dann in Ruhe lässt, bin’s ich noch mehr.“ Kopfschüttelnd und lachend verließ Müller den Raum.

Am nächsten Tag in der Früh läutete wieder das Telefon und Müller verdrehte die Augen, als er „Michael Merx“ auf dem Display seines Telefons aufblinken sah: „IT-Abteilung Müller, guten Tag. Alles in Ordnung mit Ihrem Bildschirm?“
„Natürlich nicht. Gestern hat alles wieder funktioniert, nachdem ich die Diebstahlsicherung wieder angesteckt hatte und heute in der Früh komme ich ins Büro und der Bildschirm ist schwarz.“
Müller konnte sich nicht beherrschen: „Haben Sie den Bildschirm denn eingeschaltet, Herr Merx?“
Blankes Entsetzen war am anderen Ende der Leitung zu hören: „Na selbstverständlich, oder halten Sie mich für den absolut letzten Vollidioten?“
Müller musste seine gesamten ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen an Selbstbeherrschung aufbieten, um nicht ehrlich zu antworten. „Na dann drehen Sie Ihren Bildschirm bitte einmal ab.“
Nervöses Herumgeruckel war zu hören: „Wenn Sie meinen, Moment …………. JA, jetzt funktioniert er wieder, aber irgendwie ist das doch schon sehr komisch, dass man ein Gerät abdrehen muss, um es einschalten zu können. Liefern Sie ausschließlich defekte Geräte aus, oder wie ist das?“
Mit einem freundlichen Lächeln sprach Müller nun ins Telefon: „Aber nein, wobei Sie bestimmt intelligent und flexibel genug sind, um mit so einer kleinen Umgewöhnung umgehen zu können. Für einen Mann Ihres Formates ist das doch bestimmt eine Kleinigkeit.“ Stolz und angenehm gebauchpinselt sprach Merx: „Ja, da haben Sie natürlich recht. Dann danke ich Ihnen für den kleinen Tipp. Wiederhören.“

Lukas Lachnit
Kurzgeschichten: fiktiv, enorm, abnorm | Fleischlabel ©2011

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 15062

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2 Gedanken zu „Die Leiden des jungen EDV-Technikers 1

  1. Mag. Robert Müller

    Herrlich geschrieben - gut aus dem Leben gegriffen - nur halt vor etlichen Jahren. Und ja, bei manchen (fast allen??) Menschen braucht es sehr viel Geduld und Selbstbeherrschung. Obwohl ich bei solchen Geschichten auch an einen Ausspruch von Karl Heinrich Waggerl denken muss: "Gegen die Dummheit kämpfen die Götter vergebens, weil sie der Bundesgenosseder Halbgötter ist".
    Robert Müller nach 35 Jahren Dienst im Rechenzentrum.

    Antworten
    1. Lukas Lachnit

      Lieber Herr Mag. Müller,

      vielen lieben Dank für Ihre äußerst netten, wertschätzenden Worte.
      Ich bin leider sehr schlecht im Umgang mit Lob, habe aber über die Jahre gelernt, dass man da am besten "danke!" sagt und sich freut.
      Ich sage also "danke!" und freu mich.
      Zu 35 Jahren im Rechenzentrum kann ich nur demütig mein Haupt senken und Ihnen gratulieren.
      Sie müssen Nerven aus stahl haben, die man gerade bei Leuten die nerven wie Drahtseile, braucht. Ich hoffe Sie verzeihen mir den Kalauer.
      Vielen Dank noch einmal für Ihr Kommentar.
      Jetzt hab ich dank Ihnen für den Rest des Tages gefühlt doppelt so viel Energie.

      Liebe Grüße und einen angenehmen Tag.

      Lukas Lachnit

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