Vom Stangl g'haut

Der alte Pauli ist auf Malta in den Armen seiner Geliebten verstorben, im Hotelbett, sagt die Moni, seine Tochter. Dabei hatte er schon auf dem Schiff so eine Ahnung gehabt, wie sein Gspusi später erzählte. „Wird's mich doch jetzt nicht vom Stangl hau'n! Wer zahlt denn dann die Überführung?“ Solche Worte graben sich tief in die Erinnerung ein und bleiben in der Seele hocken und lassen sich nicht abschütteln und später martern sie einen und man wird sie nicht mehr los und es plagt einen das Gewissen. So ging es der Berti, die den Oberforstrat Pauli nach Malta begleitet hat. Sie hat ihn geliebt und war die Freude seines Alters. So sagt man wenigstens und redet sich schön, was eigentlich gar nicht schön ist. Sei's drum. Die beiden fuhren gemeinsam nach Malta, um dort Urlaub zu machen, natürlich heimlich, inkognito, niemand durfte es wissen, denn zuhause wartete die Frau Pauli, und obwohl sie schon seit Jahren getrennt lebten, war sie doch eifersüchtig auf die Berti, die fette!
Prompt trat in der Nacht genau das ein, was nicht hätte eintreten sollen. Den alten Pauli ereilte ein Herzinfarkt. Er krampfte sich im fremden Bett zusammen und ahnte den Tod nahen. Die Berti stand ihm bei, so gut sie konnte. Sie war ihm wirklich nahe, wagte aber keinen Arzt zu rufen, damit die heimliche Reise nicht aufflöge. Lange, immer sollte sie sich deswegen Vorwürfe machen, bis die Vergesslichkeit des Alters sie davon eigentlich erlöste.
Schließlich half kein sanftes Streicheln der starken Stirn, die viele Jahrzehnte große Gedanken beherbergt hatte, und auch kein gutes Zureden mehr. Auch den Druck der Hand erwiderte er nicht mehr. Völlig reglos lag er da und es war vorbei mit dem alten Pauli. Es hatte ihn tatsächlich vom Stangl gehauen! Ausgerechnet auf Malta hat der Herrgott ihn den Lebensatem aushauchen lassen. Im Hotelbett ist er abberufen worden, mitten aus dem Leben, unerwartet, überraschend, plötzlich, grausam für die Berti, die überhaupt nicht mehr wusste, was zu tun sei. Die neben ihm saß und ihm nicht helfen konnte, die aber auch die Schmach und Schande der illegitimen Beziehung, die nun öffentlich werden würde, erwartete und über sich hereinbrechen sah.

Nachdem sie genug geweint hatte über den geliebten Toten und über ihre eigene missliche Lage, fasste sie sich doch ein Herz und tätigte die notwendigen Anrufe. Es wird nun alles rauskommen und alle werden ihr die Schuld geben, aber was hilft's. So ist zunächst die Strafrede der Frau Pauli über sie hereingebrochen, die sie aufs Übelste beschimpfte und ihr jegliche Ehre absprach. Dem Arzt musste sie bei der Totenschau das entwürdigende Geständnis machen - nein, sie sei nicht die Ehefrau.  Auch die Kondolenzworte des Hoteldirektors verlangten nach einer Richtigstellung. Die scheinheilig-überraschten Blicke musste sie ertragen und gut vernehmbares Tuscheln hinter ihrem Rücken. Das war die Vorbereitung auf die Beerdigung, das wusste sie. - Nicht einmal die kurze Freude mit dem Pauli, diesem g‘standenen Mannsbild, war ihr vergönnt gewesen. Jetzt musste sie so bitter dafür bezahlen. Schließlich organisierte sie die Überführung, nahm stumm Abschied, packte überstürzt und nahm das nächste Schiff.

Unterdessen kümmerte sich die Frau Pauli um die Beerdigung im oberbayrischen Faistenhaar. Zuerst dachte sie, der Lump, der alte Depp, aber eigentlich war ihr doch das Herz recht schwer. Zu lange waren sie verheiratet gewesen, zu viel hatten sie gemeinsam erlebt. Zu oft hatten sie sich im Streit gezeigt, dass da immer noch eine gewaltige Spannung zwischen ihnen war. Ja, so ist das mit der Liebe!
Jetzt ging es aber darum, ihn anständig unter die Erde zu bringen, den Oberforstrat Pauli, ihren Mann und Vater ihrer Töchter. Es sollte eine schöne Beerdigung werden und alle sollten kommen und und und … Nun wollte doch tatsächlich auch die Berti kommen. Unterwürfig, kleinlaut brachte sie telefonisch diese Bitte vor, eine letzte Bitte, aber die Frau Pauli verstand jetzt überhaupt keinen Spaß mehr. Da hört sich doch wohl alles auf, dass sich die Leute am Grab auch noch das Maul zerreißen, so weit kommt's noch. Schluss, aus, ich will nichts mehr davon hören. Schluss, Schluss! Und sie schnaubte noch und rang nach Atem, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte. Diese Person schreckt ja vor gar nichts zurück, der ist wohl gar nichts heilig, nicht der Ehestand und nicht der Tod!

Der alte Pauli war inzwischen aufgebahrt in der Faistenhaarer Dorfkirche. Das stattliche, ja stolze Familiengrab war ausgehoben und erwartete den Neuankömmling. Bald würden goldene Lettern den schwarz geschliffenen Granit mit Namen, Titeln und Daten des lieben Verstorbenen zieren. Eine ehrenvolle Grabstelle, die lange die Erinnerung wachhalten würde. Der Oberforstrat erwartete wohlgerüstet mit Janker, Gamsbart am Hut und Haferlschuhen die Besucher. Stattlich war er beieinand‘ und es kamen viele, sehr viele, die sich von ihm verabschiedeten. Ein ganzer Bus treuer Freunde aus Simbach reiste zum Begräbnis an. Schließlich hatte er dort lange die Forstdienststelle geleitet und zwar hervorragend. Er war sehr beliebt gewesen. Jagdhornbläser gaben ihm das letzte Geleit, der Pfarrer hielt eine schöne Predigt, die Familie hatte sich einträchtig versammelt. Auch seine Schwester Mathild war gekommen, immer schon eine patente Person. Zur Überraschung der Trauergäste schleppte sie einen Sack mit sich, drängelte sich selbstbewusst durch die Menschenmenge und positionierte sich schließlich vor dem ausgehobenen Grab, in das der Sarg ihres Bruders eben hinabgelassen worden war. Raschelnd öffnete sie den Sack und holte eine Schaufel voll Erde hervor, die sie in die Grube fallen ließ. Es war Erde vom heimatlichen Hof, wo sie zusammen mit vier weiteren Geschwistern aufgewachsen waren. Dumpf schlug die schwere Erde auf, und die Mathild sagte: Das ist von mir, deiner Schwester Mathild! Hörst mich? Diese Geste wiederholte sie noch viermal. Stellvertretend für die anderen Geschwister gab sie dem Bruder je eine Schaufel voll Heimaterde mit auf den Weg. Auf die Trauergemeinde nahm die Mathild keine Rücksicht. Sie sah und hörte nichts, sondern war mit ihrem Bruder ganz alleine und sagte immer wieder: Hörst mich? Als sie fertig war, bahnte sie sich wieder ihren Weg durch die Menge und stellte sich schweigend zur Verwandtschaft.  Alle waren gekommen, wirklich alle. Frau Pauli erfüllte es mit Stolz, wenn sie in die Runde blickte und die große Trauergemeinde sah. Er war halt doch ein besonderer Mann gewesen, der Pauli, ein Mann, auf den man zu Recht stolz sein konnte, erst recht jetzt. Wie unwichtig erschienen ihr nun die Kleinigkeiten, die in den letzten Jahren die Ursachen für Streitereien gewesenen waren. Es wurde ihr wieder bewusst, wie schneidig er gewesen war, früher, … und was war er für ein toller Musikant gewesen, eine Stimmung hat er in jede Gesellschaft gebracht, alle haben ihm schöne Augen gemacht, aber sie hat er geheiratet.

Zuletzt hatte die Frau Pauli doch noch der Berti erlaubt, auch ans Grab zu kommen und Abschied zu nehmen. Das war jetzt auch schon egal. Sollten sich doch alle das Maul zerreißen! Er ist ja doch als ihr Mann gestorben. Sei's drum! Die Berti hat sich nicht  aufschauen getraut, sie hat sich dazwischengeschoben und ganz klein gemacht. Ja, so geht’s einem als Gspusi, aber geliebt hatte sie ihn doch und sie schämte sich auch nicht dafür.
So hat man den alten Pauli mit allen Ehren unter die Erde gebracht und nachher ging man in die Wirtschaft zum Leichentrunk und man hat sich nicht lumpen lassen. Und nach einem guten Essen und einigen Schnäpsen ist die Gesellschaft lustig geworden und hat alte Geschichten aufleben lassen. Dann kam es fast schon wieder zu Unstimmigkeiten und man ging lieber schnell heim, bevor man noch heftig widersprechen hätte müssen und bevor es vielleicht doch noch zum Streit gekommen wäre. Nicht heute.

Das alles hat mir die Moni erzählt, die ich im Lehrerreferendariat kennengelernt habe. Damals hat sie sich lapidar mit den Worten vorgestellt: Ich bin die jüngste von fünf Schwestern. Was mir vor Neid und Bewunderung den Mund offenstehen ließ und den Seminarvorstand zu der Floskel verleitete: So wurde der Wunsch nach einem Sohn der Vater vieler Töchter. Nun ist ihr Vater, der alte Pauli, wie sie sagt, tot.

Claudia Kellnhofer
www.bitterlemonverwunderung.de

www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 15002

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