Die Maschine (Version Schöngeist)

Sie erzählte der Wand, wie es sich anfühlte. Sie erzählte ihr, es fühlte sich an, als würde sie die lauwarme Asche aus dem Becher g’rad in den Sack für den Mist schütten, in den Sack, in den unter der Abwasch, lang davor schon bis oben ganz aufgekrempelt, der Sack, viel zu viel und zu voll schon, und alles steht.
Der ganze Aschenbecher.
Auf die Füße.
Und zwischen den Restl’n die Zehen, die stanken, wie gebrannt und verraucht.
Sie sagte, so ungefähr, so fühlte sich das an, aber anders halt.
Anders.
Wie in breit anders.
Anders wie in groß.
Anders wie in groß, ja, wie in groß, groß wie ein Groß so groß, es sollte gar nicht reinpassen dürfen, nicht reinpassen dürfen in den schmalen, dünnen Spalt, dort, wo ihr bis gestern nur das Drücken dahinter schon gereicht hatte.
Aber was war schon groß anders?
Nur ein winziger Stich.
Gebügelt die Bluse.
Und sie zog hinter sich die Tür zu, zum Schlafzimmer.
Die Tür.
Sie spürte das Schnapperl der Tür hell und heiß wie beim Aussperr’n im Rahmen einschnappen, etwas Hungriges war das, seit langem für Besteck schon zu leer im Bauch, barfuß war das, draußen ohne Schlüssel auf der Türdacke, aber daweil war sie ja erst nur im Wohnzimmer.
Nur: Alles war Beton.
Alles war grau und grau und noch mehr grau ganz in den Ecken innen, und da stand diese riesige Maschine mit ihrem Rücken genau an der Wand, durch die es irgendwann einmal noch am Gang raus gegangen war, und die Stiegen runter.
Mit oder ohne Schlüssel: Sie fühlte sich wie im Keller.
Im Keller, unter der Erde unten, eine Glühbirne nackt an verstaubten Kabeln, im Keller unten, dick, fett, und doppelt unterstrichen.
Die Maschine war, wie gesagt, enorm.
Vom Boden bis hinauf bis zur Decke, kein Herumschummeln auch links und auch rechts, und an der senkrechten Front, da leuchteten Knöpfe, in Reihen und Reihen und Spalten.
Viele Knöpfe.
Sehr viele.
Sehr, sehr, sehr, sehr, sehr viele Knöpfe, die alle auf etwas zu warten schienen.
Alle.
All die Knöpfe, die vielen, wie Augen, alle rund und rot und aus und an wie in Panik die Lider, nur Punkte hier und Punkte dort und Punkte hier wieder, wie im Regen, draußen, auf hoher See.
Ja, sie erwarteten etwas.
Von ihr.
Ja, die Luft schmeckte öl und metallisch, und sie suchte, aber sie fand nichts.
Keinerlei Schildchen, unter und über keinem, unmöglich gleich die Knöpfe, zumindest so weit, wie ihre Augen zum Vergleichen rauf kamen maximal auf die Zehenspitzen.
Dann hörte sie die Stimme, zum ersten Mal.
„Entscheid’ ma uns vielleicht amal, Fräulein?!“
Die Stimme, sie war rau, und vom Groll her mechanisch, Groll, wie ein Mantel aus Schleifpapier.
„Wer ...? Wer spricht da?“
Keine Antwort.
Auch beim zweiten Mal nicht, und beim dritten, „Wer spricht da?“, aber weiter nur Rattern aus der Maschine und Schweigen, dass es unhöflicher nicht mehr ging.
Ihre Zähne mahlten.
Es knirschte.
„Entscheid’ ma uns amal vielleicht endlich?!“
„Was?“
„Entscheid’ ma uns amal vielleicht?!“
„Was entscheiden? Und uns?“
„Entscheid’ ma uns?!“
„Entscheid’ ma uns, ha?!“
„Hopp, hopp, entscheid’ ma uns!“
„Hopp! Hopp! Hopp! Hopp! Hopp! ...“
„Bitte!“
Sie sagte, „Bitte! Von mir aus! Wenn’s sein muss!“, nein, sie schrie eher noch nicht ganz, und ließ dann ihren Zeigefinger über x-beliebige Knöpfe kreisen, drehte den Kopf zur Seite mit den Augen zu, und drückte einen davon hinunter, so weit hinunter er ging.
Der Rest der Knöpfe ging aus.
Beep, beep, beeeeeeeep.
Womit dann alles anfing.
Zuerst:
Ein grausames Ineinander viel zu harter Geräusche, wie Metall auf Metall mit dem Geweih nach vorn, immer und immer wieder, es klang, es klang, es klang, ja, es klang, als würde die Maschine ihr jeden Moment in Fetzen um die Ohren fliegen, ja, so klang das.
Dann:
„A schlechte Wahl schon wieda, meine Liebe!“, gefolgt von Lachen, ganz hässlich, „Entscheid ma uns halt nochamal andas, oda!“, nur wusste sie noch immer nicht, wofür und für was.
Nein.
Alles, was ihr blieb, war das Glück.
Also Zufall.
Und nichts als der Zufall, und nur noch das Glück, dafür, den richtigen Knopf da zu erwischen im Leben, was immer auch richtig war, oder falsch, und was, wenn sie kein Leben mehr Zeit hatte, kein Leben mehr, zum Probier’n, jeden Knopf einzeln.
Ja.
Was, wenn?
„Entscheid’ ma uns halt amal endlich!“
„Entscheid’ ma uns!“
Die Maschine verlangte, fast kindlich im Nachdruck, „Entscheid’ ma uns, entscheid’ ma uns, entscheid’ ma uns!“
„Und warum?!“
Sie schrie jetzt.
„Warum?! Und macht das überhaupt irgendeinen Unterschied dann auch?!“
„Jed’n, mein Fräulein, jed’n!“
Die Maschine wiederholte: „Jed’n.“
Mhmm.
„Und was soll das wieder heißen jetz’?“
Nichts.
Keine Antwort, auch aufs Nachfragen, und sie stand da, schon mit den Zehen in Fäusten in länglichen, und sah den einst gedrückten Knopf elegant aus seinem Schacht wieder auftauchen, als würde er sagen wollen, „Gö, do schaust deppat!“
Ihre Zehen knacksten.
Wirklich!
Die Maschine verlangte erneut, „Entscheid’ ma uns endlich!“, und ihre Zehen krachten, und dieser Raum war hier aufgetaucht, einfach so, aus dem Nichts über Nacht?
Ja.
Aber wie?
Die Maschine grollte, „Entscheid’ ma uns bald amal endlich!“, und, „Des, Fräulein, des is’ die letzte Warnung“, gehässig, bis rein ins Hinterste.
Dröhnen.
Sie fragte laut: „Und? Und was? Und was sonst?“, schon spielten die Knöpfe verrückt.
Die Knöpfe, sie spielten verrückt, und ihr Blinken schwärmte aus und formte Ecken, übers ganze Gesicht der Maschine, Ecken, die von links nach rechts, und von links nach rechts, und von rechts nach links liefen, wie die Kirschen am Leuchtschild im Fenster vom Wettbüro drei Häuser runter die Gasse.
Die Knöpfe, mehr und mehr, rotteten sich zusammen.
Erst lose Ecken, dann Quadrate, erst Quadrate dann Rechtecke, von Rechtecken dann zu Stoppschildern, zu leeren, dann zu Kreisen, die aufgingen, klebriger, roter Germteig, so in sich heraus so aufgelöst, dass ihr die Augen wie Staub so trocken wurden, vom Offenhabenmüssen.
Sie hoffte auf den richtigen Zeitpunkt zum Blinzeln, aber da war keiner.
Keiner.
Schneller und schneller und schneller, die Knöpfe, nur Geblinke ohne erkennbare Form jetzt, spitz, weiter auch, unter der Bluse drinnen, sie, sie konnte es spüren unterm Stoff dort, wie es ihr den Magen tiefer und tiefer ins Becken drückte, und sie flüsterte, „Das kann aber jetz’ nicht euer Ernst sein, oder?“, und plötzlich war alles schwarz.
Schwarz.
Es wurde schwarz, alles, alles war schwarz, alles sah aus, als wäre die Maschine toter als tot, aber doch nicht.
Es begann zu knistern.
Ein Knistern zuerst, leise nur anfangs, dann aber Blitze, die bläulich oben aus der Maschine heraus kraxelten wie Insektenbeine, und Gewitter, über ihr, an der Decke.
Ihre Lippen zuckten.
Und richtig.
Die Maschine war zu hoch, zu hoch als zu hoch schon vorher.
Zu hoch.
So hoch, sie hätte längst schon durchbrechen sollen durchs Dach, die Maschine, durch ein unsaub’res Loch, mit dicken, grauen Wolken als Gürtel, mit Vögeln, die ihr ausweichen mussten, wie jedem anderen Hindernis, derart hoch.
Kein Bersten von Holz und nichts.
Kein Jucken, keine Flocken aus Dämmwolle, die ihr gemächlich runter auf die Schultern sanken, es war, als wäre allem herzlich egal, ob es möglich war, oder nicht.
Sie stand da.
Sie stand da, und sie sah zu, wie die nackte Glühbirne an ihrem verstaubten Kabel von dem  betonenen Himmel trüb auf sie herunter schien, wie es sie zerriss in der Fassung, lautlos, wie die Scherben wie weicher Nebel nach unten sanken, der tanzte, als würde Musik gespielt.
Ihr Mund fiel ihr auf, „So schön“, und alles war vorüber.
Die Maschine sah wieder aus wie tot, der Raum und sie zurück geschnalzt auf normale Größe, und selbst die Glühbirne war wieder nackt und in einem Stück, ihr Licht verzogen und flackernd, wie ein Grinsen unterdrückt, aber schlecht.
Ja.
Alles war wie vorher wieder, nur zitterte ihr der Handrücken, und sie bemerkte erst da jetzt, wo genau dessen Zeigefinger war.
In der Maschine drin, da war er, ihr Finger, drin, bis fast ganz zum Gelenk oben, darunter ein Knopf, ein fest fest gedrückter, ein Nagel, verbogen, zerbrochen und kaputt.
Beep, beep, beeeeep.
Es ratterte.
Sie sagte, „Das … das … Das war ich nicht!“
„A schlechte Wahl schon wieda, meine Fräulein!“, trotzdem.
Die Maschine, sie verlautbarte, „Aba zwei Versuche hamma ja noch, gö!“
Zwei?
Aha?
Gut.
Und sie konnte da nicht mehr anders, als schrei’n.
Es änderte nichts.
Die Maschine grölte mahnend: „Entscheid’ ma uns halt amal!“
„Entscheid’ ma uns endlich amal!“
„Entscheid’ ma uns!”, die Maschine drängelte, „Warum?”, fragte sie, kaum, dass sich ihr Mund bewegte, „Warum jetzt?“
„Entscheid’ ma uns amal!“
„Entscheid’ ma uns, entscheid’ ma uns, entscheid’ ma uns!“
„Heast!“, so sie dazu, und in ihr stieg etwas nach oben, das sich zwar warm anfühlte, nur nicht gemütlich war, in den Knöcheln ein Wackeln, die Knie aus Plastilin.
Sie hätte es wissen sollen.
Alles Irrsinn.
Es roch verbrannt.
Sie hustete kurz: „Und? Zufried’n?“
„Als würd’st as net selba wiss’n!“
Schweigen.
„Also hopp: Entscheid’ ma uns endlich! Letzte Warnung, Fräulein, nochamal!“
Offensichtlich: Das musste ein Albtraum sein.
Sie befahl sich selbst: „Aufzuwachen!“, aber zu spät!
Die Maschine, rote Punkte, wie ein Bildschirm mit ganz wenig Pixel wieder, nur anders diesmal. Keine Formen mehr, keine harten, keine Ecken und Winkel, keine Kanten, nichts zum Messen, nichts zum Zerlegen in Einzelteile. Nur Schweben, nur merklich, nur weich, nur ein Schunkeln, das Blinken der Knöpfe, es trieb, wie auf Brombeergelee.
Geschmeidig.
Die Lichter sagten, „Einer geht noch!“, ohne etwas zu sagen, sie nahmen sie mit wie aus Gummi, und wie schwer war plötzlich ihr Unterkiefer? Sie kämpfte, aber der Mund ging ihr trotzdem auf, ihr Genick, es klappte nach hinten, und beinah’ wär sie ertrunken da, an sich selbst.
Das Licht nahm sie bei der Hand und sagte, „Einer geht noch!“
Es sagte, „Einer geht noch!“, und es zog sie hoch an den Handgelenken, hoch, bis ihre Absätze genau g’rad nicht mehr am Boden ankamen, und sie schwang vor und zurück.
Wie früher am Spielplatz.
Wie wujjjj.
„Einer geht noch!“, sagte das Licht, rot und dunstig, so flüsterte es ihr ins Aug’.
Die Lichter sagten, „Einer geht noch!“
„Einer geht noch!“, und sie atmete aus, wieder zurück am Boden.
Die Lichter sagten, „Einer muss noch!“
„Einer muss noch!“, und es saugte ihr die Lichter an ihren Zähnen vorbei, den Rachen hinunter.
Hinein.
„Einer muss noch!“
Die Lichter sagten, „Einer muss noch!“, als wäre das gar nicht so wichtig mehr, und die Lichter schwärmten aus, von unter ihrem Rock nach vor, und sammelten sich in den Ecken.
Sie kamen näher, wie als würden sie Brustschwimmen.
Die Lichter sagten, „Einer muss noch!“, und die Wände rückten zusammen, wie eins mit dem Licht davor, der Raum schrumpfte.
Sie sagten, „Einer muss noch!“
„Einer!“
„Einer!“, sagten die Lichter, wie Säure stieg es auf, und sie gab nach, mit den Augen schon weit hinterm Oberlid, und sackte zusammen, wie roher Reis:
Beep, beep, beeeeeep.
Sie rang eine Zeit mit dem Recken.
„A schlechte Wahl scho wieda, mein Fräulein!“, die Maschine, gegen Ende, doch kichernd, die Knöpfe wieder aus, auch der gedrückte, und was blieb, war ihr letzter Versuch.
„Entscheid’ ma uns bald amal!“
„Entscheid’ ma uns bald amal jetz’!“
Sie fragte, immer noch bitter die Zunge, „Und was, wenn der auch dann falsch is’? Was? Was dann?“
„Alles andere!“, die Maschine, die Stimme noch tiefer als sonst, sie fragte, „Das kann doch nur ein Witz sein, oder?“, aber niemand lachte.
„Aha.“
„Aha, sehr nett.“
Nichts zu hören, außer das eig’ne Blut.
Es wurde lauter.
Es wurde lauter, lauter, nicht zum Aushalten bald, dieses Raunen, und dieses Rohren, beides in Stücke gehackt von diesem grässlichem Kreischen, als wär’ da ein Zug, der entgleist.
Sie brauchte, dass etwas passierte.
„Wag es ja nicht!“
Ihr Zeigefinger begann, sich zu heben.
„Wag es aber sowas von ja nicht!“, und die Dunkelheit kroch in Schatten auf sie zu, wie ein Tier seiner Beute, wie schwarzer Sand, der sich um sie zusammen zog, ein Wind war das, der plötzlich wehte.
Es war, wie aus.
Wie aus, und sie sah zu, wie die Dunkelheit schon halb ihre Nase verschlang, eine Dunkelheit, nicht wie hinterm Lichtabdrehen, nicht so auf die Art dunkel, wie Schlafen.
Ihre Nasenspitze, sie existierte nicht mehr.
Ihre Nase, war weg.
Sie war weg, und da, da, da, da war ihre Oberlippe, die ihrer Nase rüber auf die and’re Seite folgte, feuchter Beton und Schimmel.
Sie quetschte sich an die Maschine und kaute an ihrer Zunge, so fest es ging, sie spürte ihre Rippen brechen, aber doch nicht, und die Glühbirne drehte sich quietschend, wahrscheinlich aus der Fassung.
Sie sagte, „Oh nein! Neinneinneinneinnein!“, und ihre Stimme, erbärmlich, als Ganzes verschluckt, aber: Licht!
Gleißendes, gleißendes Licht aus dem leeren Sockel der Glühbirne!
Beep, beep, beeeeeep.
Die Maschine, sie ratterte, und sie kontrollierte die Finger, aber alle war’n da. Alle da, wieder, auch ihre Nase und die Oberlippe, und keiner hatte gedrückt, genau niemand.
„A schlechte Wahl scho wieda, mein Fräulein!“
„So! Und zuadrah’t is’!“, und da sprang eine Klappe auf, vor ihr in der Maschine, und das Telefon, das da drin läutete, nahm sie ab, zögerlich.
„Ja?“
„Ja, bitte?“, fragte sie, und eine hässliche Stimme gab Antwort.
„Hallo, ja, ich am Apparat, also du, aber ja, ich hab’ da jetz’ abbrechen müssen, weil das is’ ja nur noch lächerlich.“
„Du bist … wer?“
„Ich bin du, du Hirnederl! Wir sprechen schon noch die selbe Sprache, oda? Ja, jedenfalls: Ich schau’ dir ja sonst gern zu beim Herumstolpern, aber das: Um Himmels Willen, was macht dein Therapeut eigentlich für sein Geld?“
„Hä?“
„Ja: eh. Tätowier’s da auf die Stirn am best’n! Aba ich muss dann eh wieder. Wir seh’n uns dann morg’n um die übliche Zeit. Vielleicht schaffst das ja da amal weiter als übers Anzieh’n, bevorst dich überhaupt nimmer auskennst.“
Die Stimme legte auf, und da war nur noch der Freiton, und die Tür zu ihrem Schlafzimmer ging auf, wie absichtlich, wie gestellt.
Sie ließ den Hörer aus.
Er fiel.
Sie erzählte der Wand, so zirka, so fühlte sich das an halt gerade.
„Aber du weißt eh, das dauert nur, das macht’s immer.“
„Das bleibt nicht so, das macht’s nie.“
„Das is’ das Schlimmste d’ran eigentlich, eh oder?“
„Das Schlimmste überhaupt vielleicht?“, fragte sie, mit der Stirn schon im Polster drin.
Sie sagte, es war halt nur einer von diesen Tagen.
Nur einer von denen.
Die gibt’s.

Markus Peyerl
www.markuspeyerl.at

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 14070

(Auf Wunsch des Autors wurde bei diesem Text auf manche Lektoratskorrektur verzichtet und der Text teilweise im Original belassen.)

 

 

 

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