Ende ohne Anfang.

Also weißt du, ganz weit oben auf der Wunschliste meiner linken Gehirnhälfte stand, Paul nie wieder zu begegnen; aber die rechte hat das aufs Heftigste konterkariert. Denn obwohl ich die Straße, in der er seine Galerie hat, für gewöhnlich meide, bin ich gestern am frühen Abend doch dort gelandet. Automatisch.
Also, ich mag das klare Licht des Septembers und die Nachsommerstimmung in der Stadt. So ein Gin Tonic im Kreis von Bekannten. Du weißt schon, über den Sommer reden, Herbstpläne skizzieren und so. Spätsommersonnig.
Dass mir der Paul eine Abfuhr erteilt hat, war da schon einige Wochen her. Nein, ich weiß auch nicht, was mich da geritten hat, diesen braven Familienvater für eine Affäre ins Auge zu fassen. Entbehrlich.

Da stand er also und winkte mich locker zu seinem Stehtisch. Jetzt hieß es, einfach so zu tun, als ob er mir nie interessant erschienen wäre. Peinlichkeiten haben keinen Platz, denn wir haben geschäftlich immer wieder miteinander zu tun, ja eigentlich sind wir beinahe freundschaftlich verbunden. Der Paul, der ist ja auch ein Kunstbesessener. Ja, genau, zumindest diese Leidenschaft teilen wir. Gemeinsam.
Ich sah, dass er schon beim zweiten Drink angelangt war. Eine Woche zuvor hatte ich meine Haare ganz kurz schneiden lassen und ich trug ein knielanges dunkles Kleid, so eines, das meine Arme freiließ. Dazu hatte ich einen gleichfarbigen Bolereo kombiniert, ein recht extravagantes Stück aus Venedig. Zwei lange Ärmel, am Rücken verbunden, aus hauchdünnem, halbtransparentem Strickstoff. Und da gab es diese Stelle, die weder vom Kleid, noch vom Bolero bedeckt wurde, du weißt schon, ein kleiner Teil der Schulter, meine Achselhöhle und der Bereich darunter im Übergang zur Brust blieben frei. Blickfang.
Man könnte meinen, die Männer hätten sich an leicht bekleideten Frauen über den Sommer satt gesehen. So die trockene Theorie. Als ich dann nämlich meinen Arm hob, um den Kellner heranzuwinken, wirkte diese kleine unbedeckte Stelle meines Körpers anscheinend höchst attraktiv auf Paul, der seinen Blick nicht abwenden konnte. Ich habe das natürlich bemerkt, hielt den Arm ein klein wenig länger, als eigentlich nötig, in die Luft und stützte mich anschließend so auf den Bartisch, dass auch jetzt noch Raum blieb für etwaige Körperbetrachtungen. Hautbegutachtungen.
Pauls Blick fiel immer wieder genau dort hin, sein Redefluss jedoch war ungebrochen. Ja, er referierte geradezu unaufhörlich über einen neuen Künstler. Unbeeindruckt.
Louisa, das musst du sehen. Ich habe ihn gleich unter Vertrag genommen, im November präsentiere ich ihn. Er ist jung und störrisch und so derart von sich eingenommen. Stell dir vor, anstatt dankbar zu sein, hat er um die Höhe der Provision gefeilscht. Aber er ist gut, so expressiv mit seinen Arbeiten im XXL-Format. Du wirst ihn mögen. Unverwechselbar.
Und als ich dann meinen Gin Tonic zum Mund führte und somit meine nackte Achselhöhle erneut ein Stück weit öffnete, stell dir vor, da schnellte Pauls Hand plötzlich vor und fuhr wie beiläufig kurz mit den Handrücken darüber, wobei er ungerührt weitersprach. Fast hätte ich meinen Drink verschüttet. Unerwartet.
Doch so schnell seine Hand gekommen war, so rasch war sie auch wieder verschwunden. Und wenn ich seine kurze, sehr sachte Berührung nicht noch immer deutlich nach-gespürt hätte, so wäre ich gar nicht mehr sicher gewesen, dass das eben tatsächlich passiert war. Eigentlich war es ja nur eine kleine Geste, so als ob er den aufdringlichen Gedanken an meine Haut wie eine lästige Fliege verjagt hätte. Kühn!

Paul zeigte mir Fotos der Werke des jungen Künstlers, und wir sahen einander über unsere Lesebrillen hinweg zum ersten Mal länger in die Augen. Konzentriert.
Und dann fragt er mich: Und jetzt, Louisa, erzähl du mal von eurem Urlaub, du warst ja bei der Biennale? Wie fandest du die Ausstellung im Palazzo Fortuny? Und – ehrlich gesagt interessiert mich das mindestens so wie die Kunst – war’s denn auch romantisch? Immerhin Venedig!  Keck.
Na warte, überlegte ich, diese Frage kann doch kein Zufall sein! Ich sah ihm forschend in die Augen, die sich aber unbewegt zeigten. Plötzlich war ich überzeugt davon, dass er sich doch für meine Avancen erwärmen würde und fuhr fort: Romantisch? Venedig? Tja, wenn man von den tausenden Menschen absieht, die auch die Romantik suchen. Paul blieb neugierig: Nein, du weißt schon, du und dein Sebastian in der Gondel, Sonnenuntergang, o sole mio, Aperol am Markusplatz und so weiter. Hartnäckig.
Ich dachte, da will es einer aber genau wissen. Nach meinem dritten Gin Tonic zweifelte ich nicht im Mindesten daran, dem Gespräch noch gewachsen zu sein und entgegnete unbekümmert. Paul, du weißt doch, Sebastian und ich sind seit mehr als zehn Jahren verheiratet. Aber du hast Recht, wir sind zärtlich zueinander, wir lieben uns, und ja, wir haben Sex. Dich krieg ich noch, hab ich gedacht und fuhr fort; nicht ohne seine unbewegte Miene aus den Augen zu lassen. So zwei Mal pro Woche durchschnittlich, im Winter seltener, im Sommer öfter, im Urlaub viel öfter. Pokerface.
Für einen kurzen Augenblick glaubte ich, ein Aufblitzen in seinen Augen zu bemerken. Spöttisch.
Mit ausladender, entblößender Armbewegung bestellte ich für uns beide neue Drinks, um gleich darauf unerschrocken fortzufahren. Im schlechtesten Fall denke ich dabei dann an die Erledigungen des nächsten Tages, aber das wird wohl bei deiner Frau nicht anders sein. Gnadenlos.
Jetzt, jetzt! Paul zog die Augenbrauen hoch. Ich beugte mich über den Tisch näher zu ihm und flüsterte unverdrossen: In besseren Momenten habe ich irgendeinen muskulösen Kerl vor Augen und manchmal, ja manchmal, da hat er sogar ein Gesicht. Ich erhob am Ende des Satzes meine Stimme, ein wenig schmeichelnd und theatralisch und sah ihm unverwandt in die Augen. Einladend.
Na dann, Prost, auf Venedig und die Romantik!, sagte der Paul daraufhin und leerte sein Glas in einem Zug. Und was bitte wolltest du dann eigentlich von mir? Mit einem imposanten Sixpack kann ich nun wirklich nicht dienen. Er konnte mir nur ganz kurz in die Augen sehen. Indigniert.
Mir wurde daraufhin sehr heiß und ich spürte den Alkohol, glaubte aber, noch weiter gehen zu müssen und so sage ich dann unverschämt: Ich wollte halt plötzlich wissen, wie du dich anfühlst und wie du küsst. Schlicht.

Jetzt blieb dem Paul der Mund offen und gerade als ich beharrlich weitersprechen wollte, stand sie plötzlich da. Ja, seine Frau, ich kenne sie nur flüchtig. Sie schob ihr Fahrrad an unseren Tisch, sah auf die leeren Gläser und sagte kurz angebunden Hallo. Weißt du, die Frau sah richtig abgekämpft aus, trug ihren kleinen Jungen auf dem Arm, ihr Zopf hatte sich halb aufgelöst, Schweißtropfen über der Oberlippe, eine schwere Einkaufstasche hing am Rad. Das Kind begann zu kreischen. Ich sah ihr an, dass sie wütend gegen die Tränen ankämpfte. Paul, du wolltest doch Melanie abholen vom Training, weil du doch heute das Auto hast. Jetzt glaub ich fast, du kannst gar nicht mehr fahren, wenn ich so auf die Anzahl der Gläser schaue und in deine Augen. Gibst du mir den Schlüssel, damit ich das erledigen kann, das Fahrrad lasse ich dir hier. Fatal.
Und der Paul, der bekam so einen leeren Blick. Glaub mir, ich hab mich plötzlich so geschämt, wie ich da stehe und diesen Mann mit meiner nackten Achselhöhle verwirre. Unerträglich!
Das war’s dann auch schon mit meiner kläglichen Anbahnungsgeschichte, so was von erbärmlich. Gescheitert.

Michaela Swoboda

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 13011

image_print

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert