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Biertrinker

Letzten Monat bin ich nach Bordeaux gezogen. Wegen der Arbeit. Ich finde es hier mittelhübsch. Die Garonne ist auch nur irgendein Fluss. Ich spreche recht gut Französisch, doch es ist etwas anderes, was mich von den Hiesigen absondert: Ich bin Biertrinker. Im Gasthaus süffeln die Franzen ihren Rotwein, und ich kann ihnen ansehen, wie sie mich für die Spitze der Unkultur halten.

Goldene Hirter-Bierfässer vor blauen Hirter-Bierkästen

Goldene Hirter-Bierfässer vor blauen Hirter-Bierkästen

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: süffig | Inventarnummer: 22009

 

Der Schlüssel

Heute war ich rasch am Friedhof; mein Schwiegervater hat heute Sterbetag und so habe ich ihm ein Licht angezündet. Ich habe ihm ja einiges zu verdanken. Seit ich seine Tochter kennen- und lieben gelernt habe, ist in meinem Lebenskompass wieder eine Magnetnadel, die vorwärts zeigt. Dass er mich nicht mochte, war mir herzlich egal, ich war halt einfach da. Wie ich gerade die alte Kerzenhülle in den Kübel am Eingang werfen will, sehe ich daneben im Gras einen Schlüssel liegen. Einen altmodischen, großen Buntbart-Schlüssel mit einem Spagatschnürl daran. Ich sehe ihn genauer an: Am Griff ist er vernickelt, aber der untere Schaft und Bart sind abgeschliffen, und oben am Bartrand war da noch ein Schleifgrat. Ein ziemlich neu nachgemachter Schlüssel also, wie für ein altes Haustor, oder ein Plumpsklo, vielleicht auch für einen Weinkeller.

Gut, ich habe den Schlüssel analysiert – aber was mache ich jetzt damit? Bei der Gemeinde abgeben? Dank hat man eh keinen, und außerdem ist das Gemeindeamt jetzt geschlossen. Aber ich könnte den pensionierten Gemeindediener fragen, ob er den Schlüssel kennt. Er kennt ja jedes Haus und jedes Kind bei uns, und er wohnt gleich hinter dem Friedhof. Also gut, ich läute halt bei ihm an. „Der Josef is ned da!“, tönt eine ärgerliche Frauenstimme aus dem Fenster. Ich frage mutig zurück, wo ich ihn erreichen könnte. „Nau, wo wird er scho sei? Im Kölla natürlich!“, ist die bissige Antwort. Mein freundliches „Danke schön“ ist fast schon ein bisserl provokant.

Weil ein Spaziergang durch die Kellergasse etwas ausgesprochen Angenehmes ist, lenke ich meine Schritte hinaus. Irgendwie kommt mir beim Eintauchen zwischen die ersten Presshäuser und Kellerkappeln immer das Lied „Heut’ war die alte Zeit bei mir“ in den Sinn. Diese alten Zweckbauten mit ihren schlichten Formen ohne Pflanz und Protz habe ich immer geliebt. Da hat alles einen Sinn, das war genau für den eigenen Bedarf, also nicht größer als notwendig, gebaut, mit eigenen Händen gegraben und gemauert mit dem, was da war: Bruchsteine und Ziegel, oft mit ungebrannten Lehmziegeln dazwischen, ein Eichentram über der Tür, ein, zwei Luken zum Luftaustausch, eine Doppeltüre aus Brettern mit dem Latten-Z hinten, und ein Lüftungsgitter. Mit der Hand grob verputzt und mit Kalkmilch gweißent, das war’s – und hat auch 150 Jahre gehalten.

Langsam – weil hier hat man es nicht eilig – schlendere ich das holprige Pflaster hinauf. Da geht gleich der Puls zurück, und das Auge streichelt die schönen alten Häuser für den Wein, bleibt da und dort an einem eigenwilligen Detail hängen. Das Ohr nimmt nur Stille, Vogelzwitschern und das Flüstern des Windes in den vereinzelt stehenden Nussbäumen wahr.

Ich weiß nicht, wo der Josef seinen Keller hat. Also stolpere ich in den ersten offenen Keller-Eingang hinein und rufe „Hallo, ist wer da?“, und erhalte gleich die Antwort: „Fråg net so blöd, kumm owa!“ Unten steht der Josef mit dem Franz (meinem Rotwein-Lieferanten) bei einem Fass. Er schenkt mir ungefragt ein Achtel ein, und nach dem Kostschluck und darauffolgenden leisen „Ahhh“ riskiere ich die Frage: „Sag, weißt du, wem der Schlüssel g’hört? Er ist im Friedhof beim Mistkübel g’leg’n.“

Da leuchten die Augen des Franz auf wie Auto-Scheinwerfer bei Fernlicht: „Jö, der g’hört mir. Dankschön!!!“ Einige Achterl später weiß ich, dass dem Franz wegen anhaltender Bettflucht von der Frau der Schlüssel abgenommen worden ist. Aber er hat sich – in vorauseilendem Misstrauen – schon vor acht Tagen einen zweiten machen lassen. Und den habe ich heute gefunden.

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: süffig | Inventarnummer: 21117

Instagram

Bin beeindruckt sicherlich –
gar tief vertiefst du deine Nas
ins halbgeleerte Rotweinglas.
Doch fehlt etwas, bemerke ich!

Zwar steigt, dem Weine wohl entsprossen,
schon kräftig Röt in Aug und Wang,
auch hält die Hand gar sehr entschlossen
den Becher fest in ihrer Zang,

wie häufig aber, frag ich schon,
geschah die Gläserdehydration?
Geleerte Gläser mitzuschicken,
möcht als Beweis ich mir erbitten!

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

www.verdichtet.at | Kategorie: süffig | Inventarnummer: 21073

Velena

Thorhämmer an Halsketten, Springerstiefel, Tarnfarbenhosen, jeder von ihnen war eine Glatze, auch wenn nicht jeder eine hatte. Und mittendrin das große, blonde Mädchen, das eine Wodkaflasche schwang und tanzte, was ein Torkeln war. Schulveranstaltung, fern von daheim, die Lehrer waren nicht da. Der Bub passte auf das Mädchen auf. Er stützte sie, wenn sie wankte. Sie stieg ihm auf die Füße, er wies sie darauf hin. „Tschuldigung tschuldigung tschuldigung“, sagte sie. Sie hielt sich an ihm fest, auf dem Weg ins Jugendgästehaus. „Wie heißt du denn?“, fragte er sie dort. „Velena“, gab sie zurück. Er zog ihr die Schuhe aus, sie legte sich angezogen aufs Bett. Er deckte sie zu, und als er selbst schlief, träumte er von ihr.

Die silberne Außentheke mit dem Marken Boonekamp GUTER STERN Bitter – 20 ml

Die silberne Außentheke mit dem Marken Boonekamp GUTER STERN Bitter – 20 ml

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: süffig | Inventarnummer: 20098

Little Caesar

Little Caesar ist der Sohn des Caesars, deshalb nennt man ihn so. Er ist ein Teenager, und als solcher hat er natürlich viele Flausen im Kopf. Er trifft sich gerne mit seinen Freunden, er genießt es, auf dem Sklavenmarkt zu wandeln und sich hübsche weibliche Sklaven und starke, schwarze männliche anzusehen – kaufen und nachhause bringen darf er keine, sonst würde er Ärger mit seinem Vater kriegen –, und, wie viele Burschen seines Alters, trinkt er gerne Wein mit Wasser gemischt.

Jeden Tag wartet er darauf, dass er endlich einmal an einer Orgie teilnehmen darf, aber stets verbietet es sein Vater. Doch er ist immer voller Hoffnung und glüht schon tagsüber mit einer gefüllten Amphore vor, nach der ersten kommt die zweite und so weiter.

Little Caesar

Little Caesar

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: süffig | Inventarnummer: 19058

Kellerbar

Voll ist der Kopf,
das System verbal geköpft,
wie die Flasche Wein
Andere trinken,
Funk und Soul,
Wein so rot,
es wird emotional,
Köpfe leuchten,
Ampeln zu später Stunde

Am schwarzen Sofa,
entspannt,
von Getränken ohne Rausch,
Entfernungen werden weit
Fliege auf der roten Decke,
aus Kindheitstagen,
in Richtung nirgendwo,
Kurs gibt ein altes,
analoges Abspielgerät

Florian Pfeffer

www.verdichtet.at | Kategorie: süffig| Inventarnummer: 19015

Warum warten?

Ich kann nicht länger auf dich warten
Mein Engel du, mein Satansbraten
Wenn ich noch länger auf dich wart
Bin alt und grau ich, hochbejahrt
Und wächst mein Bart zu langer Länge
Des Eifelturmes Flechtgestänge
Könnt ich glatt damit bestricken
Den tiefen Riss im Weltgepränge
Mit meines Bartes Wolle flicken

So stünd‘ es dann um meinen Bart
Wenn ich noch länger auf dich wart
Drum rette mich auf alle Arten
Mein Engel du, mein Satansbraten
Ich lief‘ ja schleunigst dir entgegen
Auf allen Straßen, allen Wegen
Dich in meine Arm‘ zu schließen
Von Kopf bis Fuß dich zu genießen

Ist mein brennend heiß Verlangen
Doch hindert mich, ich sag’s mit Bangen
Ein verfluchtes Hindernis
Ein Schicksalsschlag, ein Drachenbiss
Ein mörderisches Bergtrollkegeln
Das wider alle bessren Regeln
Durch meine armen Ganglien rollt.
Ich weiß, ich hätt es nicht gesollt
Doch nachdem du heimgegangen
Musst ich, um mich zu erfangen
Die eine oder andre Flasche köpfen
Ein wenig viel zur Brust mir schöpfen

Dieses also ist der Grund
Warum ich jetzt und hier zur Stund
Ziemlich hilflos festgenagelt
Habe mich schon selbst getadelt
Drum denk ich, dass du mir verzeihst
Da du jetzt ja alles weißt.

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

www.verdichtet.at | Kategorie: süffig | Inventarnummer: 18141

 

 

 

Liebestrunken

Mit der Stärke seiner Drinks
stieg auch sein Verlangen nach mir.
Wie abgestandener Alkohol
verpuffte die steinerne Miene.
In Litern maß ich
den richtigen Zeitpunkt „zu reden“.
Doch die wenigen Promille
reichten nicht mal für eine Nacht,
geschweige denn für ein Leben.

Nives Farrier
aus: Nach Dir.
(TwentySix Verlag, 2018)

www.verdichtet.at | Kategorie: süffig | Inventarnummer: 18088

 

Verkalkt

Es sind wohl wahre Worte, die F. Scott Fitzgerald geschrieben hat, als er Folgendes zu Papier brachte: ‘Mit achtzehn sind unsere Überzeugungen Berge, von denen wir herunterschauen; mit fünfundvierzig sind es Höhlen, in denen wir uns verstecken.’

Die Hellsicht dieses Satzes verblüfft mich, denn sein Schöpfer pflegte eine Lebensführung, welche meiner nicht unähnlich ist, und ich weiß, wie schwer es ist, einen so wahren Satz zu formulieren.
Nun, Mr. Fitzgerald, Sie hatten recht, wie auch mit Ihrer These, dass man eine Kurzgeschichte ohne Weiteres mit dem Glas in der Hand schreiben kann. Prost!

Meine Freundin, sie ist fünfundvierzig, ich noch nicht, ist eine Frau von festen Überzeugungen, welche mit meinem Lebenswandel hin und wieder kollidieren. Sie ist der Ansicht, dass unser Badezimmer jeden Freitag geputzt zu werden hat, was mir letzte Woche einfach nicht gelingen konnte.
„Michael, die Kalkflecken auf den Armaturen, die wohl nur von Spritzwasser herrühren können, sind mir ein Dorn im Auge!“, konstatierte sie, und ihr strenger Blick ließ mich vermuten, dass es mit dem vorehelichen Vollzug an diesem Abend nichts werden würde.

Verzweifelt ob dieser Tatsache, griff ich, ich gestehe dies, zu einer Lüge, um keine Not leiden zu müssen.
„Maria“, sagte ich, „ich habe das Bad gestern geputzt. Während du in der Fabrik am Fließband standest, um das Geld für unsere Lebensmittel zu verdienen, habe ich vier Stunden lang geputzt.“ Ich setzte meinen treuherzigsten Hundeblick auf und fuhr fort: „Ich weiß natürlich, dass es dir höchst unrecht ist, wenn ich das Badezimmer bereits am Donnerstag auf Hochglanz bringe, doch gestern überkam mich ein Anfall von Reinlichkeit. Danach war ich verschwitzt und habe geduscht, damit ich nicht übel rieche, wenn du nach Hause kommst, und dabei sind die Flecken wohl entstanden.“

Sie sah mich entgeistert an, dann sagte sie schroff: „Michael, für die Lebensmittel, die du konsumierst, kommt immer noch deine Frau Mama auf. Von meinem Geld kaufst du bloß Bier, und das in Unmengen. Außerdem“, nun wurde sie laut, „was faselst du von Donnerstag? Heute ist Samstag!“

In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass ich einen Tag verloren hatte. Ich lief zum Kühlschrank und leerte eine Flasche Bier in fünf Zügen. Dann sagte ich zu Maria: „Ich kläre die Sache auf und bin in dreißig Minuten zurück.“
In meinem Stammlokal fragte ich den Wirt, der wirklich so heißt: „Stief, sag, mein Alter, wie viel habe ich in den letzten Tagen getrunken?“
„Mehr als du bezahlen konntest, mein Alter“, lautete Stiefs Antwort. „Soll ich dir sagen, wie viele Biere du hast anschreiben lassen?“
„Nein, nicht heute“, gab ich zurück und dachte instinktiv an meine Freundin und deren Gehaltskonto.

Zerknirscht ging ich nach Hause, wo ein Badezimmer auf mich wartete, das nagelneu nicht besser ausgesehen hatte. Um weitere Misshelligkeiten mit Maria zu vermeiden, ließ ich mir ein armaturschonendes Bad ohne Schaum ein und legte mich dann zu ihr ins Bett.
Meine zarten Annäherungsversuche ließ sie zwar ins Leere laufen, doch als ich ihr von der ihrem Kontostand bevorstehenden Rechnung in meinem Stammlokal erzählte, begann sie doch noch zu stöhnen.

Michael Timoschek
Erstveröffentlichung in der Schweizer Zeitschrift „Bierglaslyrik“, Ausgabe 33, Februar 2016

www.verdichtet.at | Kategorie: süffig |Inventarnummer: 17154