Seltsame Geschichte

Wir können nicht einfach darüber hinwegsehen: Es geht in dieser äußerst seltsamen Geschichte um keine Diskussion, keine Auseinandersetzung – es handelt sich hier um Krieg! Es ist ein Kampf der Geschlechter und der Generationen, um Vormachtstellung, eine brutale Konfrontation der Charaktere, ein würdeloses Aufeinanderprallen von Groß und Klein, Schwarz und Rot. Wir halten uns selbst zum Narren, wenn wir so einfältig sind zu glauben, dass wir auch nur die kleinste Chance hätten, diesem Krieg ein Ende bereiten zu können: Nicht das smarte “Sowohl-als auch”, sondern ein hartes “Entweder-oder” ist die beherrschende Devise und es gibt keinen Kompromiss.

Dabei lässt sich alles an wie fast immer: Die Herren sind in der Überzahl, eine Dame alleine.
Noch. Auch ein Jüngling ist da und schlägt sich zur Minderheit. Kein Wunder: Er ist jung, will alles wissen. Er zieht die Gesellschaft von Damen vor – hat ihm doch sein junges Leben in Hort und Schule immer nur Buben und ältere Herren geboten. Die kennt er zur Genüge, was er noch nicht kennt, sind diese erregenden anderen Düfte des Lebens.
Die schon anwesenden Herren nehmen es ein bisschen interessiert, aber ansonsten äußerst gelassen, fast belustigt hin. Sie amüsieren sich, warten auch ab, bis die anderen geladenen Damen erscheinen. Erst dann werden sie sich in Szene setzen, sich ums andere Geschlecht kümmern, der Sache ihren Stempel aufdrücken. Diese äußere Gelassenheit ist nicht gespielt, obwohl die Szene eine gewisse Spannung erzeugt, von der es scheint, dass auch sie sich ihr nicht völlig entziehen können.
Insbesonders Monsieur P., der sich ans Instrument lehnt, lässt den Harfenspieler von Zeit zu Zeit die Konzentration auf sein Spiel durch die Befürchtung vernachlässigen, Jean könnte abrutschen und dabei – wenn nicht gleich das Instrument, so doch sein Spiel ruinieren. Es scheint, als spürten alle im Raum diese Ahnung.

Die Künste des Musikers lassen auch nach, was dem Publikum aber noch nicht weiters auffällt.
Allein der Künstler selbst vermisst vermehrt akzentuierte Synkopen, bemerkt an sich eine verminderte Courage zur wohldosierten Pause – ja, sogar Fehler in der Melodieführung kommen vereinzelt vor und ein jeder lässt ihn kurz mit der Braue über dem linken Auge zucken.

Abgesehen von diesen vordergründig fast zu vernachlässigenden Misslichkeiten ist die Stimmung friedlich: Die Menge mischt sich träge, wie von einem unsichtbaren, zur Melancholie neigenden Dirigenten geführt, die Bewegungen der jetzt schon sehr zahlreich erschienen Gäste scheinen auch unausgesprochenen Befehlen zu gehorchen.
Von einer dieser Bewegungen profitiert der schwarzgekleidete Herr K., der es sich bis dahin auch in der Nähe des Instruments bequem gemacht hatte. Er findet einen freien Platz, der ihm ungestörten Blick auf eine der Damen ermöglicht – deren offensichtliches Desinteresse an seiner Person ihm völlig entgeht oder ihn einfach nicht stört. Sie lässt K.s Blick jedenfalls völlig kalt, ja es scheint, sie sonnt sich mehr im steigenden Interesse des somnambulen Jungen – nicht ohne aber auch ihrerseits den Blickkontakt mit Monsieur P. zu suchen, der wiederum seinerseits dem Musiker sichtlich mehr und mehr Kopfschmerzen bereitet.
Das beständige Geschiebe und Gedränge bietet ihr dazu allerdings nicht allzu viele Möglichkeiten: In mögliche Blickkontakte schiebt sich stets eine Gruppe von Gästen und in den wenigen Situationen, in denen sich diese Kontaktaufnahme geradezu aufdrängt, blickt P. woanders hin. Bewusst?

Wir spüren bei dieser äußerst seltsamen Geschichte fast körperlich das Scheinbare des Friedens, fühlen schmerzhaft das trügerische Außen, erahnen bereits den letalen Ausgang und bekommen diesen auch augenblicklich glatt bestätigt: Der unsichtbare Dirigent schmeißt den Taktstock hin – anders wäre es auch schlecht erklärbar, wieso sich plötzlich unterschiedlichste Interaktionen in dem Moment paaren, der sich schicksalshaft über alle ergießt: Während etliche Akteure die Szenerie betreten (unter anderem der Stiefbruder vom Sorgenkind des Pianisten) und eine schielende Dame, die beide der gerade eben gewonnenen Blickkontakte sogleich wieder verliert, verstummt das allgemeine Geplauder – die Befürchtung des Harfenspielers wandelt sich zur konkret begründeten Angst: K. stolpert, schlägt dabei mit dem Ellenbogen hart in die Saiten, das Instrument fällt, der Musiker bricht sein Spiel ab, alles ist aus.
Das ist schon das dritte Scheiß-Solitaire, das sich heute nicht ausgeht.

Christoph Stantejsky

www.verdichtet.at | Kategorie: schräg & abgedreht| Inventarnummer: 15005

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