Eine Banane mag ich nicht

„Eine Banane mag ich nicht, die hat der Neger ang‘langt.“ Dieser Satz ist von der Tante Anni verbürgt. Die Tante Anni ist die Tante meiner Freundin Beate-Baby. Sie hat mir die Geschichte erzählt, und ich muss sie gleich aufschreiben, weil sie so kurios ist.

Tante Anni, Gott hab' sie selig, wohnte im Parterre in der alten Villa, wie das umgebaute Schulhaus neben der Kirche allgemein bezeichnet wird. Die Tante Anni war mir vom ersten Moment an sympathisch, obwohl ich sie ja nur aus Erzählungen kenne. Eine aufrechte Person, die sich kein Blatt vor den Mund nimmt, die Dinge beim Namen nennt und auch dazu steht. Geboren wurde sie zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Den Fotos nach zu urteilen, war sie ein hübsches Mädchen, sie quälte sich aber selbst, wie Beate-Baby sagt, ihr Lebtag lang mit der Überzeugung, nicht so schön wie ihre Schwestern zu sein. Sie litt darunter und gewöhnte es sich an, jedes Kompliment sofort zu entkräften und entschlossen zu kontern. Sie war sich gewiss, nicht schön zu sein, und niemand brauchte ihr Honig ums Maul zu schmieren. So war das! - Weil sie also davon fest überzeugt war, entwickelte sie andere Vorzüge, welche die Menschen in ihrer Umgebung oft verwirrten. Tante Anni zeigte allen, dass sie selbstständig war, niemanden brauchte und schon gar keinen Mann. Sie wollte mit Respekt behandelt werden. Auf andere wirkte sie eigensinnig. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann tat sie das auch, und niemand konnte sie aufhalten. Heute würde man sagen, sie war emanzipiert. Damals nannte man so eine Person gerne eine Beißzange oder Bissgurke. Das ist böse und trifft bestimmt nicht zu, weil Tante Anni andererseits höchste Lust beim Beten empfand. Sie war die fleißigste Kirchenbesucherin. Schließlich wohnte sie ja auch nebenan, und die Kirche war der einzige Ort, wo sie sich außer in ihrem Wohnzimmer noch wohl fühlte. Wenn sie schon keinem Menschen trauen wollte, dann wenigstens Gott und der Jungfrau Maria. Die verstanden sie, auf die war Verlass. All die Menschen in ihrer Umgebung waren ihr suspekt. Sie wollten sie entweder aushorchen, waren ihr neidig, waren auf ihr Geld aus oder wollten ihr aus irgendeinem heimtückischen Grund schöntun. Tante Anni war auf der Hut, sie nahm sich in Acht. So gelang es ihr, sich ein Leben lang Enttäuschungen vom Leib zu halten, aber leider auch das Glück und die Freude.
Da sie als Wirtstochter standesgemäß das Internat im Kloster besucht hatte, galt sie als gebildet, und sie war sich ihrer gehobenen Stellung auch bewusst, umgab sich mit einer Aura der Besonderheit und gewöhnte sich eine herablassende Art an. Dies geschah nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Hilflosigkeit, aber die Dorfdeppen verstanden das als Hochnäsigkeit und die Fronten verhärteten sich.

Ihren Wunsch nach Selbstständigkeit und Unabhängigkeit konnte die Tante Anni verwirklichen, als sie Posthalterin wurde. Im ersten Stock der Villa, direkt über ihrer Wohnung, richtete sie die Poststelle ein und fuhr mit einem Fahrrad, das einen Hilfsmotor hatte, die Post im Dorf aus. Da schauten alle, da waren sie ihr schon wieder neidig, die Grattler, die Dienstboten, die Hungerleider. Tante Anni lernte damit zu leben. Sie war kurz angebunden, saß aufrecht auf ihrem Gefährt, eine Amtsperson! Einmal holte eine alte Frau ein Packerl bei der Post ab. Ein Verwandter hatte es ihr geschickt, und es war Kaffee drinnen. Die Tante Anni sagte herablassend: „Seitdem die gewöhnlichen Leute auch einen Kaffee trinken, schmeckt er mir nimmer.“ - Ja, nicht einmal diese stille Freude des Herausgehobenseins war ihr mehr vergönnt. Alle mussten alles haben, da konnte man sich nur noch zurückziehen, in die Villa.

Um sich vor überraschenden Besuchern zu schützen, brachte sie am Gartentor eine Klingel an, die, wie Beate-Baby zu erzählen weiß, dermaßen ohrenbetäubend laut war, dass bei ihrem Ertönen nicht nur der Klingler, sondern auch Tante Anni im Wohnzimmer regelmäßig fürchterlich erschrak und einen Schreckensschrei ausstieß, der noch im Garten zu vernehmen war. Erst jetzt konnten die Nichten vorsichtig über die Veranda eintreten, Tante Anni war gewarnt. Sie empfing die Mädchen nicht, weil sie sich freute oder weil sie sie mochte, sondern weil sie sich verantwortlich fühlte. Die Verwandtschaft war nach ihrem Gefühl nachlässig mit der Erziehung. So oblag es der Tante Anni, ihren Nichten die Grundkenntnisse im Taschentucheckenbügeln beizubringen und im Putzlumpenauswringen. Beim Putzen legte sie besonderen Wert auf die Ecken, sie mussten gründlich gewischt werden, da war sie eigen, genau wie bei den Ecken der Taschentücher. Jaja, die Eckerl, da schaut manch einer gern drüber hinweg, aber gerade daran erkennt man den Charakter.
Außer ihren Nichten ließ sie niemanden in die Wohnung. Nur einmal machte sie eine Ausnahme. Beate-Baby stellte ihr eine Freundin vor. Zuerst war die Tante skeptisch, als sie aber erfuhr, dass das Mädchen aus der Stadt sei und noch dazu adelig, ließ sie die beiden herein. Sie durften dann den Kühlschrank mit einer kleinen Gartenhacke enteisen. Wenn man den Leuten bei der Arbeit auf die Finger schaut, lernt man sie kennen.

Besonders eindringlich beschreibt Beate-Baby das Wohnzimmer der Tante. Eine Wand war mit einer Fototapete beklebt, die einen stürmischen Ozean mit Palmenstrand zeigte. Das Kruzifix hing in der linken Ecke und in der rechten stand das ganze Jahr über das Kripperl mit Maria und Josef, dem Jesukindlein und Ochs und Esel. Über dem Jesukindlein hing eine Laterne, die mittels einer Schnur hinter dem Vorhang eingeschaltet werden konnte. Diesem Arrangement verdankt Beate-Baby ihr Grundwissen über Jesus. Glaubte sie bis dahin, Maria sei in Oberbayern, in den Alpen, niedergekommen, so klärte Tante Anni sie auf, dass das kindisch, naiv und völlig falsch sei. Der Heiland sei vielmehr in Israel geboren und aufgewachsen. Und da gebe es viele Palmen und Meer und es schaue so aus wie auf der Tapete. -  Dass sie mit dieser klaren und durchaus folgerichtigen Anschauung überall aneckte, versteht sich von selbst. Die Wahrheit will halt keiner gern hören oder sehen. Tante Annis prophetisches und revolutionäres Gedankengut verhallte nahezu ungehört in der Heimat.
Das Allerskurrilste im Wohnzimmer der Tante Anni aber war ihr Grabstein. Sie hatte ihn vorsichtshalber schon zu Lebzeiten machen lassen. Sie sorgte vor, auf die Erben war ja eh kein Verlass, wenn sie erst mal das Geld hatten. Tante Anni wollte sich eine letzte Enttäuschung ersparen und sorgte daher selbst für einen angemessenen Grabstein und ließ auch die Schrift gleich einmeißeln und vergolden. Lediglich das Sterbedatum war ausgespart. Im Wohnzimmer verstaubte der Stein natürlich und so mussten die Nichten ihn von Zeit zu Zeit mit Sidolin abreiben und anschließend mit einem feuchten Lappen polieren. Tante Anni schaute ihnen zu, auf einer Gartenliege ausgestreckt, die auch im Wohnzimmer stand. Mit Blick auf die Fototapete, mit dem Gelobten Land, und mit Blick auf den Grabstein lehnte sie sich fast zufrieden zurück, aber auch jetzt war noch nicht alles geklärt. Den putzenden Mädchen eröffnete sie, dass sie auch noch eine Grabplatte beim Steinmetz in Auftrag geben werde, weil sie befürchte, dass die Erben zu faul sein würden, das Unkraut vom Grab wegzuzupfen.

Ja, so hat die Tante Anni für alles vorgesorgt, in dem Bewusstsein, dass sie sich auf nichts und niemanden verlassen konnte, und auf den Zufall hat sie nicht vertraut. Israel, das Gelobte Land, wo Milch und Honig fließen und wo der Heiland geboren ist, ist halt auch ewig weit weg. Und ob es wirklich so ist wie auf der Fototapete, weiß man ja auch nicht gewiss.

Die Nichten hat sie fürs Putzen, Taschentücher Bügeln, Grabstein Polieren und Semmelknödel Machen nicht bloß anständig, sondern sogar fürstlich bezahlt. Knickrig war sie nicht, das wollte sie sich nicht nachsagen lassen, das ganz gewiss nicht. Lieber gab sie das Geld den Mädchen statt irgendwelchen Fremden, dann blieb es wenigstens in der Verwandtschaft.
Mit der Zeit kam Beate-Baby auch auf die Idee, Tante Anni als Bank zu nutzen und lieh sich Geld von ihr. Nun war auch wieder die Berufserfahrung als Postbeamtin von Nutzen, denn Anni kannte sich natürlich auch mit Bankgeschäften aus. Sie entwarf offizielle Schuldscheine und hatte immer welche griffbereit in einer Schublade, wenn die Nichten kamen. Korrekt wurde bei Bedarf ein  Schuldschein ausgefüllt und von beiden Geschäftspartnern unterschrieben. So hatte alles seine Ordnung. Beate-Baby sagt, die Tante Anni hat leidenschaftlich gern unterschrieben. Mit ihrer Unterschrift fühlte sie sich sicher. Alles war beglaubigt, juristisch korrekt. Das mochte sie.
Die Schuldscheine verstaute sie in den zahlreichen Schubladen ihres Mobiliars. Meist fand sie sie in ihrem Saustall nicht mehr, sagt Beate-Baby. - Aber nach dem Tod der Tante Anni, als der Grabstein schon seinen Platz auf dem Friedhof nebenan gefunden hatte und die Verstorbene wieder Anna  geworden war wie bei ihrer Geburt, sich in ihrem Haus für die Ewigkeit wohlig und gemütlich eingerichtet und bestimmt auch endlich erfahren hatte, wie das mit dem Jesulein und dem Heiland und Israel wirklich ist, da haben die Erben in ihren Schubladen gekramt und die vielen Schuldscheine gefunden. - Beate-Baby meint, dass sie da wirklich Glück gehabt habe, weil die Erben Gott sei Dank das Geld nicht zurückhaben wollten. Mit den Jahren war nämlich einiges zusammengekommen. Die Angehörigen glaubten, die alte Tante habe in ihrer Eigenbrötelei und Seltsamkeit immer nur Bank gespielt. - Weit gefehlt! So hält man das Naheliegendste oft für das Abstruseste.

Auch dem Genuss der Bananen hat die Anna ein Lebtag lang entsagt, weil sie immer das Bild von dem Neger vor Augen hatte, der sie nach landläufiger Meinung pflückt und in seiner schwarzen Hand hält. Davor hat ihr gegraust. Und selbst wenn ihr einmal nicht mehr davor gegraust hätte, wäre sie viel zu stolz gewesen, das zuzugeben. Sie konnte also nicht anders als in Sturheit zu verharren, um vor sich selbst bestehen zu können. Bestimmt ist sie unter ihrer Grabplatte auch davon erlöst worden und nimmt jetzt ganz vergnügt Bananen aus den Händen schwarzer Engel entgegen.

Claudia Kellnhofer
www.bitterlemonverwunderung.de

Dieser Text ist mit weiteren im September 2018 bei
EINBUCH Buch- und Literaturverlag, Leipzig
unter dem Titel "Eine Banane mag ich nicht" erschienen.

www.verdichtet.at | Kategorie: schräg & abgedreht | Inventarnummer: 14079

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