Schlagwort-Archiv: ¿Qué será será?

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Sonnentanz

In staubigen Mokassins betrat Pa-Akanti den großen Platz, der sich kreisrund inmitten der zahlreich angeordneten Tipis seines Stammesvolkes bildete. Vor der Lagerfeuerstelle machte er Halt. Die langen schwarzen Haare hingen windzerzaust über seinen Rücken, die reichverzierte Lederkleidung wirkte etwas mitgenommen. Der Schamane des Kiowa-Stammes mit dem bedeutenden Namen „Stürmischer Stier“ war ein imposanter Mann mittleren Alters, hochgewachsen, schlank und sein Körper durch viele Stunden am Pferderücken stählern muskulös.
„Sei gegrüßt, Pa-Akanti. Endlich bist du zurückgekehrt von deinen geheimen Zeremonien!“ Dohasan, der Häuptling des Stammes, trat auf den Schamanen zu und klopfte ihm brüderlich auf die Schulter. Auch Dohasan machte den Kiowas alle Ehre mit seiner vornehmen Erscheinung.

Hinter den Tipis spielten Kinder, sie liefen um die Wette, manche von den Buben bedienten schon Pfeil und Bogen und wieder andere waren bereits richtig gut im Reiten. Als nun alle Pa-Akanti entdeckten, kamen sie angelaufen und brachten Holz für das Lagerfeuer, sie breiteten Bisonfelle aus, und die Frauen des Stammes kümmerten sich um Essen und Getränke. Dohasan holte seine Pfeife aus dem Tipi, und die Ältesten gesellten sich ebenso zu der Runde.
Im Hintergrund funkelte der Canadian River, der sich ruhig durch die markanten Sandsteinfelsformationen schlängelte. An den Hängen in Ufernähe wuchsen vereinzelt Kieferbäume und Wacholderbüsche, deren Duft ständiger Begleiter des Stammes war.

„Hattest du eine Vision während deiner Sonnentanz-Zeremonie, Pa-Akanti?“, richtete der Häuptling das Wort an den Heimgekehrten. Die Stammesmitglieder, die nun alle dicht gedrängt im Kreis am Boden saßen, lauschten aufmerksam.
„Diesmal bat ich die Schutzgeister, mir in einer Vision zu zeigen, welche Krankheiten uns heimsuchen könnten in den nächsten Wintern und wie ich unser Volk davor beschützen könnte. Ich hatte eine ganz besonders anstrengende Visionsreise während meines Fastens. Ich weiß nicht, welches wundersame Kraut mir Meda da in die Pfeife gepackt hat?“, er zwinkerte der alten Medizinfrau zu. Sie lachte und entblößte dabei eine Reihe von Zahnlücken.
„Ich habe in meiner Vision nicht nur die kommenden Jahreszeiten bereist, es wird wohl einige hundert Winter dauern, bis es zu solchen Bedrohungen kommt, wie ich sie gesehen habe. Dort habe ich Völker erahnt, die gänzlich verschieden leben im Vergleich zu unseren Stammesvölkern hier in der Prärie. Es herrschte Angst und Schrecken unter ihnen, sie liefen mit verhüllten Gesichtern durch den Tag. Ich sah nur ihre Augen, der Rest blieb mir verborgen. Manche hatten ängstliche, weit aufgerissene Augen, als wäre der Grizzly hinter ihnen her. Andere hatten einen verschlagenen, respektlosen Ausdruck. Doch eines war ihnen gemeinsam, sie wurden von einer unsichtbaren Krankheit bedroht, die kein Medizinmann und keine Medizinfrau abwenden konnten. Manche erkrankten so schlimm, dass sie daran starben. Andere hatten nur eine leichte Schwäche oder etwas Fieber.“

Der kleine Manipi kletterte wendig auf den Schoß des Schamanen, seine schmutzigen Hände streichelten über Pa-Akantis Gesicht.
„Wieso haben sich die kranken Menschen nicht an so einen klugen Mann wie dich gewandt? Er hätte ihnen bestimmt helfen können, Onkel.“ Ein Lächeln huschte über die Indianergesichter.
„In meiner Vision schien es, dass niemand diese unsichtbare Bedrohung abwenden konnte. Diese Krankheit schlich sich leise und unsichtbar an wie ein Puma, um dann wie ein Tornado durch das Land zu fegen.“
Meda, die alte Medizinfrau, nahm einen tiefen Zug aus ihrer Pfeife und entgegnete mit krächzender Stimme.
„Gegen Fieber wird es doch immer ein Heilkraut geben?“

Es wurde still um das Lagerfeuer, nur das Knistern des Holzes und der rauschende Fluss waren zu hören.
Langsam erhoben sich einige Frauen des Stammes und holten Maisbrot und getrocknetes Büffelfleisch. Die Kinder bevorzugten Wildbeeren, welche in Holzschalen herumgereicht wurden. Mit einem behutsamen Nicken bedankten sich die Männer und Ältesten bei den Frauen für die Fürsorge.
„Konnten denn keine Häuptlinge und Krieger diese Gefahr abwenden?“, erkundigte sich aus den hinteren Reihen eine junge Indianerin mit pechschwarzen Haaren, die kunstvoll geflochten ihren Rücken bedeckten. Pa-Akanti blickte ihr tief in die Augen und dachte lange über die Frage nach.
„Ihre Pferde waren nicht schnell genug und sie konnten sie nicht reiten, Niyaha!“, antwortete der Schamane schließlich.

Eine lange Pause entstand. Der Schamane schloss die Augen und summte eine leise Melodie. Sein Oberkörper bewegte sich im Rhythmus der Flammen, mit der geöffneten rechten Handfläche fächelte er sich Rauch über Gesicht und Haupt. Sein Ausdruck war gequält und angestrengt. Immer lauter wurde sein Summen und Singen, seine Hand zitterte kaum merklich.
„Nicht die unsichtbare Bedrohung der Krankheit wird diese Menschen zerstören. Nein, es ist ihre Lebensart, die viel gefährlicher ist. In der Früh verlassen sie ihre Behausungen, in alle Himmelsrichtungen verstreuen sie sich. Die Kinder verbringen den Tag über unter ihresgleichen, die Alten leben in extra für sie vorgesehenen Einrichtungen und nicht, wie bei uns hier, hochgeachtet unter uns. Alle scheinen sie auf der Flucht zu sein, wie eine Herde ungestümer Pferde! Nichts geschieht behutsam und bedacht bei ihnen, ihre Herzen schlagen laut und beinahe rasend, wie eine Büffelherde. Es wird eine schreckliche Zeit werden, sage ich euch.“

Der kleine Manipi, der an der Seite seines Onkels aufmerksam zugehört hatte, beugte sich über das Feuer und stocherte mit einem Stock die Flammen erneut an.
„Was suchen sie denn nur? Sind sie Jäger?“, fragte er kopfschüttelnd.
„Ja, sie werden auf der Jagd sein. Nach Gold und Silber und Reichtum. Damit sie es eintauschen können in immer größere Behausungen mit immer kleiner werdenden Clans. Sie werden einsame Wölfe sein und jaulen die halbe Nacht. Und niemand wird sie hören.“

Langsam zog die Nacht über die Prärie und vereinzelt war das Rufen der Coyoten zu hören. Die Sonne tauchte den Canadian River in ein dunkles Orange und die Pferdeherde des Stammes zog langsam und stetig das Ufer entlang auf der Suche nach Futter.
Nach und nach verließen die Stammesmitglieder das Feuer und zogen sich zurück in ihre Tipis. Nur Meda, Dohasan und Pa-Akanti saßen zuletzt noch am Lagerfeuer und hingen ihren Gedanken nach.
„Der Letzte macht das Feuer aus“, flüsterte Meda und erhob sich etwas schwerfällig von ihrem Platz.

Manuela Murauer
waldgefluesteronline.com

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será?  Inventarnummer: 20123

Die Menschmaschine

Ich verbinde mich mit elektronischen Schaltkreisen.
Ich erweitere meine Erinnerungen durch drei Festplatten.
Ich lasse mir die Gliedmaßen amputieren und mir dafür High-Tech-Prothesen einsetzen.
Aber durch all diese Maßnahmen bin ich nicht besser geworden, sondern sogar schlechter.
Ich denke einfach, ich bewege mich plump,
ich kann viele Erinnerungen zeitlich und situativ nicht einordnen.
Es hat sich nicht ausgezahlt, eine Menschmaschine zu werden.
Doch nun bin ich eine und kann nicht mehr zurück.

Der schlechte Roboter

Der schlechte Roboter

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 20062

Weltende

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

Jakob van Hoddis
(Wikipedia)

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 20040

Kapitän

Ich sehe aus keinem Fenster. Fenster würden das Konstrukt des Raumschiffes schwächen. Ich sehe die Filme der Außenkameras über verschiedene Bildschirme. Nirgendwo da draußen ist Leben, und die Erde liegt Generationen hinter mir. Das Schiff fliegt autonom. Ich bin der Kapitän und einziger Passagier. 87 Jahre und 216 Tage lag ich im Kälteschlaf. Vor sechs Tagen bin ich erwacht. In drei Tagen wird das Schiff auf Petreios-13 landen. Das Ziel ist, dort Bodenschätze zu explorieren und dann abzubauen. Auf diesem Zwergplaneten werde ich Bergmann sein.

Der Astronaut

Der Astronaut

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 20022

 

Signalwelt

Was sollte das sein, die „Ruf- und Standortdatenrückfassung“? Na was denn wohl? Dein Smartphone ersetzt den auf deinen Kopf geschraubten Peilsender, und es liefert nicht nur deine Position, sondern auch deine gefunkte Kommunikation mit dazu, wusste Zapp.

Ich lasse mich ja sogar freiwillig darauf ein, meine Freunde sollen wissen, wo ich unterwegs bin. Und ich liefere ihnen Statements, was ein Hotspot ist und wieso, wo die Drinks, die Mädels stimmen und besonders die Musik, und ich warne sie vor den No-Places-to-Go, jenen mit einem Chillingfaktor von subzero, unterhalb des antarktischen Eises.

Fotos, Texte, Videos, Soundfiles. Beim Schreiben muss es schnell gehen, mein Phone hat eine Qwertz-Tastatur. Die Übertragungsgeschwindigkeit ist hoch. Die Zeit messe ich eher in Sekunden als in Minuten, bis die Inhalte auf meinem Account hochgeladen sind.

Und dann kommen die Antworten. Und das ist das richtig Geile! Eine gute Nacht war es, wenn ein neuer Freund dazugekommen ist, oder gleich mehrere.

Dann falle ich halb tot ins Bett - ein paar Stunden Schlaf, bis es wieder in die Arbeit geht - und bin so glücklich, wie ich es kann.

Meine Augen sind schon zu, da frage ich mich: Warum gibt es in meinem Netzwerk eigentlich nur Freunde? Wo bleiben denn die Feinde?

Und klar sehe ich nun, obwohl es hinter meinen Lidern dunkel ist: Dort in der Signalwelt gibt es sie nicht, wohl aber hier in der fleischlichen. Und mein ärgster Feind bin selbst ich mir.

Dann versinke ich im Traum.

Luna piena

Luna piena

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 20014

Going Back in Time

Meine Zeit läuft rückwärts.
Deshalb muss ich nicht anfangen,
sondern beenden, damit ich nach einiger Zeit damit beginnen kann.
Daher ist morgen für mich gestern.
Immer wird dabei meine am weitesten reichende Erinnerung gelöscht,
sodass ich am 21. Dezember nicht weiß, dass zuvor der 22. Dezember war.
Ich weiß auch nie, wie es weitergeht,
obwohl alles in meinem sich verjüngenden Leben vorgezeichnet ist.

Überreifes Weizenfeld mit Unkraut

Überreifes Weizenfeld mit Unkraut

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 20010

The Sick Earth

Die Erde liegt krank darnieder, zu viele Verletzungen über die ganzen Jahre. Sie fühlt sich schwach, sie fühlt sich schlecht. Ein Arzt und eine Krankenschwester behandeln sie. „Seit Milliarden Jahren ist sie schon auf der Welt und wurde dabei erschöpfter und erschöpfter. Wie schaffte sie das nur über so lange Zeit, ohne zusammenzubrechen?“, fragt der Arzt die Schwester. „Sie scheint zäh zu sein“, antwortet die Schwester. Ja gut, aber wenn jemand einen aggressiven Krebs in einem finalen Stadium hat, nützt ihm das auch nichts mehr, wenn er zäh ist, denkt der Arzt. Das schon, natürlich, denkt er weiter, die Erde scheint eben keine unheilbare Krankheit zu haben. Sie war lange in einem ungesunden Umfeld. Ihr wurde viel entnommen, von ihrer Haut und aus ihrem Inneren, aber sie ist in keiner unmittelbar lebensbedrohlichen Situation, vieles kann nachwachsen, in ihrem Inneren kann sich einiges nachbilden. Sie hat durchaus eine gute Chance, wieder auf die Beine zu kommen, nach einiger Zeit wieder auf die Beine zu kommen.

„Mir ist so heiß, Herr Doktor“, sagt die Erde. Sie hat Fieber, zeigt das Thermometer an. „Tja“, sagt der Arzt, „die Temperatur an Ihrer Oberfläche steigt kontinuierlich an. In den meisten Fällen ist das schlecht. Theoretisch könnte die Temperatur wieder sinken, aber das würde gemeinsame Anstrengungen verlangen und eine gewisse Zeit dauern.“
Die Erde liegt kraftlos im Krankenbett. Sie kann sich selbst nicht helfen, weder hier auf der Krankenstation noch im Freien, bei sich zuhause. Wie soll sie verhindern, dass sie angebohrt wird, ihre Wälder abgeholzt, Giftmüll vergraben, Grundwasser, Flusswasser, Seewasser immer stärker belastet werden und Tag für Tag neue Arten aussterben, ein Vorgang, der nicht reversibel ist?

Die Erde hat keine Handhabe. Vielleicht gibt es manche, die hören, wie sie sagt: „Schont mich, Leute, schont mich, ewig mache ich das nicht mehr mit. Was heißt ewig? Hundert Jahre können da schon eine lange Zeitspanne sein. Habt ihr denn eine zweite Erde zur Verfügung, auf der ihr leben könnt?“ Natürlich ist derzeit keine zweite Erde bekannt. Würde man eine finden, wäre die Reise zu ihr ein Flug über tausende Generationen. Momentan gibt es keine Möglichkeit, auch nur einen winzigen Teil der Menschheit umzusiedeln. Sie ist auf diese Erde angewiesen, jeder Einzelne ist das.

Die Erde weiß nicht, ob sie sich darüber freuen oder traurig sein soll, was ihr der Arzt soeben mitteilte. „Ja, Herr Doktor“, sagt sie, „dann machen Sie mich doch bitte gesund.“ „Sehen Sie, Frau Erde“, gibt der Arzt zurück, „es ist keine Operation nötig, Sie leiden an keiner viralen Erkrankung. Tabletten hätten keine Wirkung. Sie haben viele Verletzungen erlitten, die aber von selbst ausheilen. In erster Linie sind sie erschöpft. Sie müssen sich ausruhen, dann werden Sie wieder zu Kräften kommen, ich würde sagen fünfzig Jahre.“ „Fünfzig Jahre?“, fragt die Erde nach. „Fünfzig Jahre, ja genau“, erwidert der Arzt, „danach sind Sie eine neue Erde.“

Und die Erde atmet ein und aus, was einen heftigen Wind erzeugt. Später, als sie alleine ist, beginnt sie zu singen, das hört man als Vogelgezwitscher. Manchmal auch weint sie, dann regnet es auf die Erde.

Hinter der Sattnitz liegt das Klinikum Klagenfurt

Hinter der Sattnitz liegt das Klinikum Klagenfurt

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 19126

Maschinensteuer

„Ich soll eine Maschinensteuer zahlen?“, beschwert sich der Roboter. „So eine Gemeinheit! Da arbeitet man Tag und Nacht, nicht Doppelschichten oder Dreifachschichten, sondern immer, außer wenn man gerade gewartet wird oder ein neues Programm eingespielt bekommt, kein Urlaub, null Freizeit, nicht einmal Pausen, und dann wird man dafür bestraft! Das ist alles andere als fair.“

Der verkehrte gelbe Spielzeug-Rechen-Roboter

Der verkehrte gelbe Spielzeug-Rechen-Roboter

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 19135

Lifetime

Ich habe immer viel gearbeitet, und ich habe immer gut gearbeitet. Als ich vierunddreißig war, betrug mein Maximal zu erreichendes Lebensalter hundertacht Jahre.

An so eine Zahl kommt kaum jemand heran, soviel ich weiß. Dieses Maximal zu erreichende Lebensalter ist die privateste Information, die es gibt. Ihre wahre Zahl gibt praktisch niemand preis. Es ist das späteste Lebensalter, an dessen Geburtstag man vernichtet wird. Man wird in einem Hochtemperaturofen verbrannt. Natürlich ist es möglich, dass man vorher eines natürlichen Todes stirbt. Arbeitet man demnach gewinnbringend, darf man länger leben – es ist der ideale logische Schluss.

Es ist der ideale logische Schluss, wenn es gut läuft. Das Maximal zu erreichende Lebensalter wird nach jedem Wendepunkt angepasst. Man erhält ganz altmodisch einen eingeschriebenen Brief von der Pensionsversicherungsanstalt. Meine Ziffer steht derzeit bei siebenundsechzig Jahren. Das ist kein besonders guter Wert. Sicherlich habe ich neben viel auch gut gearbeitet, doch leider erlitt ich bei meiner letzten Firma Schiffbruch – die Asien-Krise, und ich war Gebietsverkaufsleiter für Asien –, es war nicht meine Schuld, meine Arbeit war garantiert nicht schlecht – aber es kostete mich sechs Jahre an potenzieller Lebenszeit.

Jetzt soll ich für eine andere Firma einen Arsin-Filter entwickeln. Arsin ist AsH3. Am Anfang soll das Patent für die Funktionstüchtigkeit des Filters stehen. Ich bin schon ziemlich weit, da machen wir Tests im Reinraum des Werks, wo die Versuchsanlage steht. Die Arsen-Konzentration nach dem Filter bewegt sich im Parts-per-Million-Bereich. Diesmal allerdings messen wir Werte auch vor dem Filter. Sie sind nur geringfügig höher. Daraus folgt, dass wir nicht beweisen können, dass der Filter tatsächlich genug Arsen bindet.

Alles war umsonst. Natürlich verliere ich auch diesen Job. Ich sitze zuhause, alleine, ich lebe alleine, und rauche gerade, als der Postbote klingelt. Es ist der Brief von der Pensionsversicherungsanstalt. Ungeduldig reiße ich das Kuvert auf. Welche Zahl steht da? Da steht einundfünfzig.

Ich bin fünfzig. Im Brief ist die Telefonnummer meines Sachbearbeiters angegeben. Aber wozu soll ich ihn anrufen? Die Zahl ist korrekt ermittelt, eine Fehlberechnung ist ausgeschlossen. Er soll mich ja nur beruhigen. Dafür habe ich genügend Medikamente in meiner Hausapotheke. Ich nehme drei weiße, mittelgroße Tabletten ein.

Heute ist der dritte April. Einundfünfzig werde ich am zweiundzwanzigsten Februar des kommenden Jahres. Das bedeutet noch einen Frühling, einen Sommer und einen Winter für mich.

VIDEOÜBERWACHUNG und Mobilfunkmast beim Rastplatz Herzogberg Süd

VIDEOÜBERWACHUNG und Mobilfunkmast beim
Rastplatz Herzogberg Süd

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 19134

In der Zukunft

Ich lebe in der Zukunft. Ich sitze in meiner Bude und schaue fern. Ein scheiß Programm überall, wohin ich auch zappe. Da, plötzlich, das Bild flackert, die Glühbirne in der Deckenlampe wird schwächer, ratsch!, das Bild ist ausgefallen, schwarz der Fernseher.

Es ist doch immer dasselbe. Der Strom ist am Ausgehen. Ich muss wieder ins Rad. Wenn ich eineinhalb Stunden laufe, ist der Akku voll genug für alles wirklich Notwendige und für den Western ab 22:15 Uhr. Trotzdem habe ich mir die Zukunft in der Vergangenheit besser vorgestellt.

Der Röhrenfernseher im Gras

Der Röhrenfernseher im Gras

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 19112