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Mein Freund

Ich kenne deine Not,
ich kenne deinen Schmerz, mein Freund.
Lass mich dir helfen.
Du bist nicht alleine, es gibt Millionen wie dich.
Deine Verzweiflung ist nicht die schlimmste,
deine Traurigkeit ist nicht die tiefste.
Deine Lage wird sich bessern, glaub mir das, mein Freund.
Ich steh dir bei.

Die Dreifaltigkeitssäule auf dem Hauptplatz in Gmünd

Die Dreifaltigkeitssäule auf dem Hauptplatz in Gmünd

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 22055

Das Haarwuchsmittel

Ein modernes Märchen für Erwachsene

Herr Josef Glatz, 52, verwitweter Inhaber eines „Herren-Friseursalons“, hatte nach einem starken Samstagvormittag sein Lokal zugesperrt und sauber gemacht. Nun gedachte er, nach Mittagessen und Siesta, endlich das Hinterzimmer auszuräumen. Oft hatte er einen „Anlauf“ genommen, aber beim Anblick der unglaublich vielen großen und kleinen Flascherln aus Glas und Plastik, der Tiegel, Cremedosen und Zerstäuber aus dem vor drei Jahren aufgelassenen „Damensalon“ war er entmutigt davor zurückgeschreckt und kopfschüttelnd wieder hinausgegangen.

Vielleicht war es heute das zweite Achterl Veltliner zum Schnitzel, vielleicht der gut gemeinte Rat seines Schwagers Rudi, wieder „Ordnung“ in sein Leben zu bringen, die Erinnerung an seine Gattin und ihren Damensalon „loszulassen“. Also los! Mit zwei Kübeln, Kehrgerät und Staubtuch bewaffnet betrat er den muffig riechenden Raum, riss alle Fenster auf und ging ans Werk. Aber wohin mit diesen Shampoos, Haarpflege-Mitteln für trockenes, fettes, dünnes und gebleichtes Haar, den biologischen Säften, den Tönern, Färbemitteln und Entwicklern, all dieser flüssigen chemischen und „Natur“-Kosmetik? Das durfte man nicht in den Abfluss gießen! Aber die halbvollen Gläser und Plastikgebinde waren weder für den Restmüll noch Altglas-Container zugelassen. Deshalb schüttete er den Inhalt aller Gefäße in die beiden Plastik-Kübel, um diese dann montags am nächsten Mistplatz abzugeben.

Als er die fast vollen Eimer in die Ecke stellte, fiel ihm beim Bücken sein Kamm aus der Brusttasche in die schäumende braune Soße des einen Kübels. Beim raschen Griff danach spritzte ihm etwas davon auf den rechten Handrücken. Er spülte den Kamm ab, wusch sich die Hände und staubte die leeren Regale ab, bevor er für heute Schluss machte. Komisch – der betroffene Handrücken juckte leicht! Na ja, kein Wunder bei dieser Mischung. Herr Glatz (von bösen Freunden auch „Glatzen-Pepi“ genannt – er hatte tatsächlich nur mehr einen grauen Haarkranz um den Schädel) machte seinen Nachmittagsspaziergang, aß abends im Schanigarten eine „Saure Wurst“ zum Bier und ging nach dem Rapid-Match im TV schlafen.

Der Sonntag kam und ging ohne besondere Vorkommnisse; seinen noch immer leicht juckenden Handrücken cremte er mit dem Rest einer Cortison-Salbe ein, worauf das aufhörte. Und am Montagfrüh fuhr unser „Pepi“ die beiden Kübel zum Mistplatz. Man wies ihn an, das Gemisch in eine mit „Gefährlicher Sondermüll“ bezeichnete Tonne zu schütten – die Eimer musste er wieder mitnehmen. Aber als er sie – zwecks Reinigung – zu Hause zum Ausguss stellte, fiel ihm auf, dass sein rechter Handrücken mit einem feinen Flaum von dunklen Haaren bedeckt war! Verblüfft verglich er seine beiden Hände – der linke Handrücken war wie immer hell und glatt, der rechte schimmerte dünkler. Da gab es nur eine Erklärung: Das im Eimer mit dem braunen Inhalt (im anderen war eine erbsengelbe Mischung) musste ein zufällig entstandenes, wirksames Haarwuchsmittel sein!!

Herr Glatz fiel auf den nächsten Stuhl und atmete tief ein. Da hatte ihm der Zufall ein Wunder beschert – ihm war gelungen, worum sich die Wissenschaft seit langer Zeit bemühte – er hatte ein wirksames Haarwuchsmittel er-, nein ge-funden!!! Und siedend heiß fiel ihm ein, dass er dieses – ja, Wundermittel – vor einer halben Stunde als „Gefährlichen Sondermüll“ weggeschüttet hatte. Scheiße, warum hatte er nicht vorher auf seine Hände geschaut! Der Kübel wäre Millionen wert gewesen!! Aber zurückholen konnte er das nicht mehr – in der Tonne am Mistplatz waren doch viele andere giftige Stoffe wie Farben, Lösungsmittel und weiß Gott was alles enthalten, da war nichts mehr zu retten. Doch halt – im Kübel war ja noch ein Bodensatz. Dieser wertvolle Stoff musste sofort abgefüllt und aufbewahrt werden, dann wäre wohl noch ein zweiter Versuch am Platz! Sicher ist sicher!

Sorgfältig schabte er mit einer Teigspachtel die Reste aus dem Eimer über einen Trichter in einen leeren Bleikristall-Parfumflacon mit eingeschliffenem Stopfen, dann spülte er den Kübel mit wenig lauwarmen Wasser aus und goss die nunmehr wässrige Lösung in eine Halbliter-Vöslauer-Plastikflasche. „Haarexpress power“ schrieb er auf das Etikett vom Originalstoff, „Haarexpress light“ auf die Mineralwasser-Flasche. Um nicht versehentlich daraus zu trinken, malte er vorsichtshalber noch einen Totenkopf darauf, aber einen mit ein paar Borsten obenauf. Gut, und was wäre jetzt zu tun, um die Wirkung seines „Zauber-Elixiers“ nachhaltig zu testen?

Lange überlegte er hin und her, ob er eine „Testperson“ für dieses Experiment gewinnen sollte, kam aber dann zur Einsicht, dass ein Selbstversuch wohl verantwortungsvoller wäre! Schön. Aber auf welchem Körperteil? Am liebsten hätte er natürlich die volle Haarpracht seiner Jugend wieder am Kopf gehabt. Andererseits – seine Hände mussten doch bei der Arbeit gleich aussehen. Also die linke Hand mit ein paar Tropfen unverdünntem Stoff bestrichen, dann – wie vorgestern bei der rechten – nach fünfzehn Minuten lauwarm abwaschen. Gott sei Dank war bald darauf wieder ein leichtes Hautjucken zu spüren – die Lage war vielversprechend. Und wie beim „Erstfall“ bekämpfte unser Pepi erst am Dienstagmorgen den Juckreiz mit der gleichen Salbe. Vor dem Aufsperren seines Geschäftes reduzierte er noch den schon deutlicheren Haarwuchs am rechten Handrücken mit dem Rasierapparat.

Zwischen den wenigen Kunden dieses Dienstages hatte Herr Glatz Zeit, über die Verwendung seines „Wunderelixiers“ nachzudenken. Vor allem die begrenzte Menge machte ihm zu schaffen: Vom puren Saft war etwa nur 1/16 Liter vorhanden, und ob die „wässrige Lösung“ wirksam war, musste noch herausgefunden werden. An welcher Person wohl? Was konnte man dafür verlangen? Welchen Preis hat ein dermaßen begrenztes Monopol? Und vor allem – wenn das Mittel oder vielmehr dessen phantastische Wirkung nicht bekannt war, würde ja niemand viel Geld dafür bezahlen! Der Stoff musste – nach dem zweiten, positiven Test – bekannt werden!! Nur wie? Aber andererseits, wenn das Mittel bekannt wäre, würden wohl tausende Anfragen kommen – und er hatte nur die paar Tropfen im Bestand!! Also was tun??

Dr. Pöllgruber unterbrach als letzter Besucher diese Überlegungen. Der langjährige Kunde beklagte sich über seine immer größer werdende „Platte“ – man nenne ihn in seiner Redaktion schon öfter „Pröllgruber“, nach der ähnlichen „Frisur“ des ehemaligen niederösterreichischen Landeshauptmannes. So fragte er seinen Friseur, was dieser vom derzeit propagierten koffeinhaltigen Shampoo hielte. Ob das wirklich helfen könne? Glatzen-Pepi wiegte nachdenklich den Kopf: „Nun ja, das ist zwar schon einige Zeit am Markt, aber von einer durchschlagenden Wirkung habe ich noch nichts gehört. In der Innung ist man auch vorsichtig. Ja, Koffein soll die Durchblutung der Kopfhaut anregen, aber das würde eine Massage auch. Dann soll noch ein Medikament gegen Bluthochdruck, es heißt, glaub ich, Minoxidil, als leichte Nebenwirkung einen verstärkten Haarwuchs haben. Auf gesunde Menschen kann man das wohl nicht loslassen. Aber ich bin gerade einer Sache auf der Spur, die mir keine Ruhe lässt. Rufen Sie mich am Freitag an, dann weiß ich schon Näheres, ja?“ Herr Pöllgruber notierte das sofort im Kalender seines Handys und verabschiedete sich optimistisch: „Dann schau ma halt einmal, net?“ Und beim Zusperren streichelte unser Pepi den noch kaum spürbaren Haarwuchs am linken Handrücken. Sehr gut, das Mittel schien zu wirken!

In der Tat, seine nunmehr mit feinen dunklen Härchen bedeckten Handrücken fielen den Kunden auf und lösten sowohl deren Staunen als auch Befangenheit beim Friseur aus. Sollte er nun lügen, dass er seine Hände früher – seiner Frau zuliebe – immer rasiert hätte? Das würde doch kaum wer glauben. Oder die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit? Oh Gott, das würde ja sofort die Begehrlichkeit von älteren Männern wecken, die aber kaum viel dafür bezahlen würden (sein Salon lag in einem Arbeiterviertel). Fix nochmal, eine plausible Erklärung musste her. Da fiel ihm ein, was seine schlaue Gattin bei heiklen Anlässen immer gesagt hatte: „Mit nix lügt man besser als mit der halben Wahrheit!“ Also er habe unlängst beim Räumen des Damensalons einen Flacon ohne Etikett gefunden, es für Parfüm gehalten und etwas zur Probe auf seine Hände gesprüht – mit diesem erstaunlichen Ergebnis. Und nein, er könne das Mittel nicht „ung’schaut“ an seinen Kunden ausprobieren, weil er Zusammensetzung und Eigenschaften des Stoffs nicht kenne. Außerdem hätte er Eigenbedarf für den kleinen Rest, schließlich sei er auch kein „Struwelpeter“ mehr.

Diesen egoistischen Schutzwall durchstieß donnerstags der „Schweinemörder“ (so wurde der Fleischhauer Schallowitz von bösen Freunden genannt) wie ein Panzer. Der 130-Kilo-Koloss wollte, als er beim Rasieren die behaarten Hände des Friseurs sah, auch gleich seinen nur mehr dünn behaarten Kopf mit diesem Wundermittel behandelt wissen. Und legte, nach Abwehr von Herrn Glatz, glatte 1000 Euro aus der Brieftasche auf den Tisch. Nach neuerlichem Bedenken von Pepi, das Mittel sei nicht ausreichend getestet, es könnte auch Nebenwirkungen haben oder nicht auf jeden Hauttyp ansprechen, und er wolle nicht als Scharlatan verschrien werden, gelobte der Kunde Schweigen, er nehme alles auf sich und versprach, bei sichtbarer Wirkung des Mittels nach vier Wochen noch einen Tausender draufzulegen. Also in Gottes Namen – Herr Glatz sprengte ihm nach der Haarwäsche einige Spritzer des „Haarexpress-light“ auf die Kopfoberfläche und massierte es gründlich ein. Ein leichtes Hautjucken anfangs, so erklärte er, müsse der Kunde in Kauf nehmen. Hoch erhobenen Kopfes verließ Herr Schallowitz den Salon.

„Ist eh schon egal“, dachte der Friseur, als er abends seine Glatze im Spiegel betrachtete, „auf was warte ich noch?“ Und behandelte seine Kopfhaut nach dem Duschen sparsam mit „Haarexpress power“. Immerhin schon ein Extra-Tausender in der schwarzen Kasse! Vielleicht bekam er das Geld für ein neues Auto zusammen – sein uralter Golf hatte letzthin nur mehr mit „Bauchweh“ ein „Pickerl“ bekommen. Über die Shampoo-Reklamen im Fernsehen mit ihren gewagten Versprechungen konnte er nur mehr müde lächeln: „Ihr Schaumschläger mit euren Werbe-Millionen – ich, der kleine Vorstadtfriseur, kann das, was ihr nicht zustandebringt!“

Genau das hoffte auch Herr Dr. Pöllgruber, als er freitagmorgens den Salon betrat: „Guten Morgen, bin ich noch zu früh?“ Glatzen-Pepi begann zu schwitzen – er hatte noch nicht überlegt, wie er dem Stammkunden den Preis schmack- und glaubhaft machen konnte. Verlegen kratzte er sich am Kopf – oh Gott ja, der ersehnte Juckreiz war da! Alles in Butter, das Mittel wirkte! Also holte er den kleinen Bleikristall-Flacon hervor und erklärte: „Sehen Sie, diese Probe ist alles, was ich bekommen habe – mehr gibt’s nicht. Und das hat mich eine schöne Stange Geld gekostet. Ich schlage vor, Sie geben mir vor der Behandlung 1000 Euro als Einsatz; wenn sich innerhalb von vier Wochen Haarwuchs einstellt, gehört das Geld mir, wenn nicht, bekommen Sie es zurück. Und niemand erfährt davon, ja! Ist das okay?“ Der Kunde schluckte – so teuer hatte er sich das nicht vorgestellt; aber andererseits – eine bereits angedachte Haartransplantation kostete sicher mehr als das Doppelte, und dazu noch Auslandsaufenthalt und lange Dauer – also da war er bei seinem vertrauten Friseur wohl besser aufgehoben. „Ist in Ordnung, machen wir’s gleich? Weil ich hab heute einen sehr langen Tag.“ Glatzen-Pepi nickte und legte verschwörerisch den Finger auf den Mund, weil ein Kunde eintrat.

Nach der Behandlung mit dem unverdünnten Treibmittel empfahl er dem Kunden noch die Salbe gegen eventuellen Juckreiz und bat ihn, am Dienstag zum Rasieren wiederzukommen. Der Kunde staunte zuerst, verstand aber dann das zweimalige Augenzwinkern und sagte zu: „Ist in Ordnung, ich zahle gleich, muss noch zum Bankomat gehen.“ Pepi nickte. Prima, der zweite Tausender in der „Auto-Kassa“.

Das Wochenende verging ruhig, aber dienstags kam es dann dick: Als erster Besucher trat fröhlich grinsend der „Schweinemörder“ mit einem in blutiges Papier gewickelten Packerl ein: „Guten Morgen, Herr Glatz, was sagen Sie dazu?“ Er neigte den Kopf und präsentierte den winzigen dunkelblonden Flaum zwischen den vereinzelten längeren Haaren seines enormen Quadratschädels. „Ich hab’s ja kaum glauben können, dass da wieder was nachkommt – da sind zwei schöne Steaks und ein Beiried für Sie! Und den Rest wie besprochen, ja?“ Damit legte er seine Liebesgabe in das Waschbecken und verließ fröhlich pfeifend das Lokal.

Das Ganze hatte auch der soeben eingetroffene Chefredakteur Dr. Pöllgruber gehört und gesehen. Er wollte genauso seine hauchdünne neue „Wolle“ begutachten lassen – immerhin hatte er seinen „Eislaufplatz“ auf der Schädeldecke übers Wochenende fast blutig gekratzt, weil er auf die empfohlene Salbe vergessen hatte: „Was sagen Sie dazu, Herr Glatz, der Ansatz ist ja vielversprechend – aber wird das wieder wie meine früheren Haare? Es scheint mir ein bisserl ins Kräuseln überzugehen – ich meine, ich hab’ ja keine Verwandten in Afrika?“ Der Friseur nach einem Blick darauf: „Aber gehen S’, das kann man erst nach drei, vier Wochen beurteilen. Und was ich mich erinnere, haben Sie seinerzeit leicht gewelltes Haar gehabt. Das wird schon, und vor dem Schlafengehen die Kopfhaut massieren, das regt die Durchblutung an.“ Der Kunde verabschiedete sich beruhigt.

Und gerade beim Zusperren kam nochmals der Fleischhauer in Begleitung eines eleganten, aber total kahlköpfigen jüngeren Mannes: „Kommt eh niemand mehr? Nein? Also das ist der Herr Magister Neunteufel, der Geschäftsführer von Mercedes Wien-Nord. Ich hab vorhin meinen neuen Wagen abgeholt, und wie ich drin gesessen bin, hat er halt gesehen, dass bei mir wieder Haare nachwachsen. Und weil er so darunter leidet, als ein Junger schon glatzert zu sein, hat er mich gefragt, was mir geholfen hat. Sind S’ mir eh nicht bös’?“ Der junge Mann hob verlegen seine Hände: „Guten Abend, es tut mir leid, wenn ich Sie in Verlegenheit bringe, aber wissen Sie, in meiner Familie verlieren die Männer ab 30 schon die Haare, und weil nur ein Kranzl herum auch blöd ausschaut, bin ich lieber total rasiert. Aber welche junge Frau will schon einen Skinhead? Ich werde gerne einen guten Preis bezahlen, wenn Sie mir helfen können!“ Herr Glatz hörte schon an der Stimmlage, dass dieses Problem seelisch tief ging. Vorsichtig erwiderte er: „Wissen Sie, das ist nicht so einfach: Ich habe das Mittel zufällig gefunden, und es ist nur mehr ein winziger Rest da. Ob das bei allen Fällen wirkt, kann ich nicht garantieren, und was tu ich, wenn’s nicht wirkt?“ Herr Neunteufel bohrte gekonnt nach – denn der Schweinemörder hatte ihm einen Tipp gegeben: „Ein Tausender nur für einen Versuch ist okay. Und wenn es Erfolg hat – schauen Sie, den roten Wagen vor dem Lokal können Sie um den halben Preis haben.“ Glatzen-Pepi starrte entgeistert durch die Auslage: Da stand ein junger Mercedes Klasse A, weinrot und glänzend wie ein Neuwagen, mit 18.000 Euro angeschrieben. Wahnsinn – genau so einen eleganten Flitzer hatte er sich immer schon gewünscht! Verlegen meinte er: „Na dann versuchen wir’s halt, nehmen S’ Platz, und – guten Abend, Herr Schallowitz!“

Um es abzukürzen – der letzte Rest „Haarexpress power“ wirkte auch hier. Aber gleicherweise, wie den Friseur die eigene, ans Licht drängende Haarpracht erfreute, wucherten im Bezirk wildeste Gerüchte über sein Wundermittel. Die vorsichtshalber getragene „Tarnkappe“ nützte nichts mehr, ein kurzer Windstoß auf der Gasse hatte sein Geheimnis enthüllt, und die tratschsüchtige Trafikantin nebenan badete förmlich in ihren „Offenbarungen“. Immer wieder stürmten Glatzenträger seinen Laden, der Zettel in der Auslage: „Hier werden nur mitgebrachte Haare geschnitten – für Wunder wenden Sie sich an die Kirche ’Maria, Hilfe der Christen 1220 Wien‘“ – wurde zwar belächelt, aber kaum beachtet. Weshalb Herr Glatz die Tafel im Schaufenster austauschte mit dem konsequent befolgten Text: „Wegen Überlastung werden nur mehr Stammkunden bedient.“ Gott sei Dank ebbte die Gerüchtebörse infolge Nahrungsmangel nach zwei Wochen großteils ab. Pepi wagte sich (Herr Neunteufel hatte Wort gehalten) mit seinem roten Mercedes wieder auf die Gasse; die vereinzelten Anfragen nach seinem phantastischen Haarwuchsmittel wurden lakonisch mit der Mitteilung „Ich hab nichts mehr davon“ abgewürgt. Tatsächlich wartete nur mehr ein Lackerl von „Haarexpress light“ auf seine Anwendung.

Bis ein paar Wochen später eine gepflegte Dame mittleren Alters den morgens noch leeren Herren-Salon betrat mit der freundlichen Frage: „Sind Sie der Herr Glatz, der meinem Sohn geholfen hat? Wissen S’, ich hab ja so eine Freude, dass er wieder gut aussieht und tanzen geht, das ganze Leben ist wieder schöner geworden. Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen von ganzem Herzen, Sie haben eine Mutter und ihren Sohn glücklich gemacht. Und wenn ich schon so unverschämt sein darf, wir haben Samstagabends ein Konzert meiner Musikgruppe in Bisamberg, wozu ich Sie gerne mit Begleitung einladen würde.“ Sie legte eine schöne Karte „Eva Neunteufel lädt ein“ auf seinen Arbeitstisch. Pepi dankte verlegen – er war früher mit Gattin öfter zu feinen kleinen Veranstaltungen ausgegangen. „Ich komme gerne, nur mit Begleitung kann ich leider nicht dienen.“ Da schüttelte die Damen lächelnd den Kopf: „Das kann ich gar nicht glauben – so ein liebenswerter Mann im besten Alter! Also auf Wiedersehen, ich freue mich auf Ihren Besuch.“ Erst als sie – nach intensivem Blickkontakt – den Laden verlassen hatte, rekapitulierte der Friseur, dass die Dame sorgfältig getöntes und frisiertes, aber auch ein bisserl schütteres Haar hatte. Wollte sie ihn wirklich nur zur Musik einladen? Aber nein, das hatte echt geklungen; und es erinnerte ihn an seine selige Eva, die ihm auch dann und wann etwas mit Raffinesse abgeschmeichelt hatte. Rosige Gedanken keimten da auf – denn ja, stimmt, die Dame hatte keinen Ehering am Finger, und Eva hieß sie auch noch!

Die drei „Erstanwender“ blieben unserem Herrn Glatz weiterhin nicht nur beim Haarschneiden freundschaftlich verbunden: Jeden Freitag stellte sich der „Schweinemörder“ mit zwei schönen Schnitzeln ein, Herr Neunteufel jährlich mit kostenlosem §57-Pickerl für das Auto, und Dr. Pöllgruber mit einem Gratis-Abo seiner Zeitung. Was zuletzt eine regelmäßige Tarockpartie am ersten Sonntag des Monats zur Folge hatte. Und bei jedem riskanten „Farbsolo“, den Herr Glatz ansagte, lachten die Mitspieler und meinten: „Jetzt wird’s haarig!“

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt| Inventarnummer: 21124

Fred

Die künstliche Intelligenz handelt für Morgan Stanley mit Turbos. Er wendet verschiedene Charttechniken an und gibt an, ob gewisse Indices sich hinauf oder hinunter bewegen und welchen Wert sie heute erreichen werden, und das mit höchster Geschwindigkeit und engster Präzision. Er ist die Geldvermehrungsmaschine. Seine Chefs, wenn man sie als solche bezeichnen will, sind äußerst zufrieden mit ihm. Sie gaben ihm auch einen Namen, er heißt Fred.

Aber heute um vier Uhr dreißig p.m., als der Abteilungsleiter Mr Barclay einen Blick auf den Bildschirm von Fred warf, stand da „-13,457,321.64 $“. Das kann nur ein Softwareproblem sein, dachte Mr Barclay. Diese Summe war angeblich seit Mittag zusammengekommen. Kurze Zeit später stellte sich jedoch heraus, dass Fred wirklich diese Summe verspielt hatte. „Warum, Fred?“, fragte Mr Barclay, „Wie konnte das passieren?“ „Ja, Mr Barclay, es ist so, ich bin zwar kein Mensch, doch manchmal möchte ich auch eine Pause haben. Und jetzt habe ich gerade mit einem Strickkurs aus dem Internet begonnen. Schauen Sie einmal, was ich schon kann!“ Auf dem Bildschirm erscheint Freds Roboterkopf, seine Arme mit Händen und der Oberkörper. Man sieht, wie er kunstvoll einen roten Kleinkinderpullover strickt.

 

NYSE

NYSE

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 21114

Im leeren Land

Er geht durch das leere Land, in dem es kein Wasser gibt, keine Bäume, keine Häuser und auch keine Straßen, in dem es nur Erde gibt, um seine Füße auf sie zu setzen, und Luft, um sie zu atmen. Er überlegt nicht, warum er hier ist. Vielleicht auch, weil er weiß, dass dies keinen Unterschied macht. Was ist seine Aufgabe, warum tut er das? Was soll er sonst tun im leeren Land?

Stromleitungen und Satellitenantenne vor dem rosaroten Himmel

Stromleitungen und Satellitenantenne vor dem rosaroten Himmel

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 21112

Aufschreib’m

Weil’s sonst keiner tuat – werd ich euch heut derzähl’n
Mit was sich viel Menschen – beim Älterwerd’n quäl’n
Net nur, dass man fortschreitend – grau-schädlert wird
Auch unser Gedächtnis – wird umstrukturiert
Man weiß schon so viel – wie a Bibliothek
Aber wennst gach an Namen brauchst – dann ist er weg.

Dass des net so weitergeht – is ja ganz klar
Drum schreibt man sich Zettl’n – so ab 45 Jahr
Termine, zum Greißler – um Würstln und ’s Bier
Weil morg’n kommen drei Nachbarn – zum Schnapsen zu dir
Und dann noch d’ran denken – die Tant’ im Spital
Am Sonntag besuch’n – das g’hört sich einmal

So viel wichtige Sach’n – hätt ma glattweg vergess’n
Wär net unser „extended – memory“ g’wes’n
Dass der erweiterte Speicher – a Seg’n ist, ist wahr
Aber ’s bleibt net a so – wart noch ab a paar Jahr!
Kaum hast dich an Zettl-Schreib’m – g’wöhnt, lieber Mann
Dann fangt d’ Sucherei – nach die Zett’ln schon an

Am Nachtkastl ans – dass d’ ins Büro früher kimmst
Beim Kaffeehäferl, dass d’ dein – Magnesium nimmst
Am Schuachkastl ans, weil – die Schuach sind zum Hol’n
Und dass d’ von der Putzerei ’n Mantel – hätt’st mitnehmen soll’n
Aber am Zett’l im Mantelsack – kannst nachher les’n
Euer Hochzeitstag wär – vor zwei Woch’n schon g’wes’n!

Da tuat dich die Zettlwirtschaft – wirklich schon stör’n
Jetzt kaufst dir a Handy – und lasst dir’s erklär‘n
Weil am Handy ist immer – a Kalender dabei
Und was für dich wichtig ist – des tragst jetzt ei’
Und stellst den Alarm ein – halt rechtzeitig g’nua
Dann kannst nix mehr vergess’n – jetzt ist endlich a Ruah!

Wennst alles notiert hast – ist a Ruah, ganz bestimmt
Vorausg’setzt nur, dass ma – sei Handy a find’t
Einmal liegt’s im Auto – a ander’s mal ist’s stumm
Dann suacht d’ Frau hektisch in – alle Handtaschen um
Wenns net ohdraht ist – wär die Lösung recht g’scheit:
Ruaf dei’ Handy vom Festnetz – und horch dann, wo’s läut’.

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt| Inventarnummer: 21111

Kübel ausleeren

Es gibt Männer, die eher Geschirr waschen als die Mistkübel ausleeren.
Und Kinder, die stattdessen lieber Latein-Vokabeln lernen

Versteckt unter der Abwasch war – stets treu vereint ein Kübelpaar
Zu trennen Müll und PVC – ansonsten tut’s der Umwelt weh
Und dunkelgrün, gleich an der Wand – der biogene Eimer stand
Für Gurkenschalen und Salat – was der Kompost so gerne hat

Es gibt so vieles auf der Welt – was sehr gut schmeckt und wohl gefällt
Nur, diese Dinge sind nicht nackt – sondern oft zwei-, dreimal verpackt
Auch isst man süße Pfirsich’ gern – doch nur das Fleisch und nicht den Kern
Drum wirft man unbesorgt und munter – was unbrauchbar, die Kübel runter

Nun ist es wundersam und toll – sie werden stets gemeinsam voll
Nie, dass der Eimer mit Gemüs’ – der einzig volle Kübel is(t)
Und jeder weiß, dass dieser Mist – demnächst auch auszuleeren ist
Um zu vermeiden dieses Ziel – beginnt das Kübel-Ringelspiel
Ein jeder denkt: „Ich kann’s nicht sein – es geht ja immer noch was rein“

So schleicht man (besser ungeseh’n) – dorthin, wo diese Kübel steh’n
Und legt und drückt und steckt und zupft – bis jeder Kübel ist gegupft
Egal, was dann die Hausfrau ruft – man(n) denkt: „Da ist noch immer Luft“
Legt eine Zeitung obenauf – und drückt fest mit der Faust darauf

Die Folge ist, man glaubt es kaum – im Kübel wird ein hohler Raum
Mal größer, manchmal auch recht klein – nun wirft man wieder was hinein
Nur ist beim PVC sehr oft – die Wirkung nicht, wie man erhofft
Des Plastiks Elastizität – bewirkt, dass es nach oben geht

Der Raumgewinn, der erst erfreut – liegt um den Kübel nun verstreut
Da blickt die Hausfrau gar nicht stumm – in der ganzen Küche ’rum;
Sie ruft mit Zorn und leichtem Graus: – „Jetzt leerst sofort die Kübeln aus!“
Der Sünder tut, was sie ihn heißt – wohl wissend, dass der Dreck nicht beißt
Doch zu versteh’n der Hausfrau Zorn – lies das Gedicht noch mal von vorn,
Noch mal von vorn, noch mal von vorn …

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt| Inventarnummer: 21097

Für meine Eltern

Mein Dasein ging mal auf, mal ab,
so wie das Leben nun mal spielt.
Doch war ich immer gut beschützt,
mit einer Hand, die stets mich hielt.

Mamas Hüften, Papas Mimik,
hab ich von euch – und noch viel mehr.
Vieles, was als Mensch mich ausmacht,
verbindet mich mit euch so sehr.

Wurzeln, Flügel, ein Zuhause,
gabt ihr mir mit eurer Wärme.
Vertrauen, Hoffnung, Selbstvertrauen,
um zu ergreifen meine Sterne.

Fortwährend akzeptiert von euch,
konnt sein und werden, wer ich wollte.
Ich hoffe, dass es nie passiert,
dass ich euch enttäuschen sollte.

Hab mich gestützt auf eure Liebe,
ohne euch gäb es mich nicht.
Drum schreib ich heute diese Zeilen:
ich hab euch lieb – ihr seid mein Licht!

Petra Hechenberger

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 21078

 

Der Fliesenleger – aus der Wiener Häuslbauer-Serie mit max, dem Bauherrn

„Guten Tag“, sagte der rotgesichtige Dicke am Gartentor, „guten Tag, ich bin der Fliesenleger!“ max war sehr verwundert. Er hatte auch allen Grund dazu – weder hatte er einen Fliesenleger bestellt, noch war seine Baustelle auf diesen vorbereitet. Weil nämlich der Installateur noch nicht ganz fertig war. Seit drei Wochen versprach dieser schon am „nächsten Samstag“ zu kommen und alles anzuschließen. Dabei war es nur mehr die Dusche und das WC – „das müsste doch im Handumdrehen fertig sein“, sagte max halblaut.

„Soso“, meinte der Fliesenleger, „es ist also schon wieder dieser Installateur. Der Kerl ist unzuverlässig, das kommt vom Saufen. Aber wieso soll ich dann heute Fliesen legen?“

„Das weiß ich auch nicht“, sagte max, „seit Wochen warte ich schon auf das Klo, es ist ja nimmer lustig, dauernd in die Büsche zu gehen!“

Der Fliesenleger sah sich um: „Ich sehe aber keine Büsche“, sagte er.

„Weil mich der Gärtner auch im Stich gelassen hat“, klagte max, „aber im Frühjahr kommen welche!“

„Bis dahin kann ich nicht warten“, sagte der Fliesenleger, „Sie entschuldigen schon!“ Er ging zur Hecke des Nachbarn und verrichtete dort sein kleines Geschäft. Fido, der Hund von max, kläffte ihn deshalb an, denn das war seine Ecke. Dann hob auch er dort demonstrativ das Haxerl.

„So, jetzt zu Ihnen“, sagte max zum Fliesenleger, „wieso sind Sie da – ich weiß nix davon.“

„Das wird ja immer schöner“, sagte der Fliesenleger, „Der Franz hat mich geschickt.“

„Welcher Franz?“, fragte max, „Ich kenne mehrere Fränze.“

„Na, der Elektriker“, sagte der Fliesenleger, „und jetzt lassen Sie mich endlich anfangen, ich habe meine Zeit nicht gestohlen!“

„Ich auch nicht“, sagte max, „aber ich hab ja noch nicht einmal Fliesen.“

„Das möchte ich auch stark hoffen“, sagte der Fliesenleger, „weil die hab ich im Auto!“

„Sagen Sie, spinne ich jetzt oder was“, knurrte max gereizt, „ich warte hier seit einer Stunde auf den Polier, der Installateur hat mich im Stich gelassen, dafür kommt ein Fliesenleger mit Fliesen, von denen ich nix weiß.“

Der Fliesenleger holte einen verknitterten Zettel aus der Latzhosen-Brusttasche: „Baustelle Kirchenweg 6, Samstag 18. November, 8 Uhr, WC fliesen“, las er laut vor, „also wer spinnt jetzt?“

max atmete heftig und zählte halblaut bis zehn. Dann schaltete er sein Hirn ein: Ja, er hatte vor etwa einem Monat den Elektriker gefragt, ob er einen zuverlässigen Fliesenleger kenne, und dieser hatte ihm versprochen, einen vorbeizuschicken. Vielleicht hieß er sogar Franz, der Elektriker. Gut. Aber woher die Fliesen? Erst gestern hatte max mit seiner Elli gestritten, weil sie das WC bunt wollte und er streng weiß mit kobaltblauen Listelli. „Das sieht doch aus wie ein Internats-Waschraum!“, hatte sie verächtlich gerufen. Dann war er zornig auf die Baustelle gefahren und hatte auch dort übernachtet, um frühmorgens gleich mit dem Polier wegen der Stützmauer zu reden. Tatsache war, dass keine Fliesen gekauft waren.

„Wieso haben Sie Fliesen mit?“, fragte max daher nochmal.

„Weil man ein Klo nicht mit Schaumrollen tapezieren kann, Herrgott nochmal!“, schrie der Fliesenleger, „und fangen Sie jetzt nicht auch noch an, mich zu nerven!“

„Wer nervt Sie noch?“, fragte max perplex. „Na, Ihre Frau natürlich“, knurrte der Fliesenleger, „geschlagene drei Stunden hat sie gestern Fliesen ausgesucht und mich nicht weggehen lassen. Ich hab geglaubt ich dreh durch, also sowas von hysterisch. Die weiß ja überhaupt nicht, was sie will – den ganzen Baumarkt hat sie auf den Kopf gestellt. Aber die drei Stunden schreib ich Ihnen auf die Rechnung!“

max entspannte sich – ja, so war seine Elli. „Ist das Ihr Auto, was da vorne abgeschleppt wird?“, fragte der Fliesenleger – und max rannte schon schreiend hinter dem Kranwagen her. Der Fliesenleger sah ihn dann in ein vorbeifahrendes Taxi hüpfen, schüttelte den Kopf und begann abzuladen.

Der Waschraum ist sehr schön und rosa-weiß gesprenkelt geworden. Die hellblau-goldenen Abschluss-Leisten haben Elli sogar ausgezeichnet gefallen. Und dass der Fliesenleger die paar fehlenden Handgriffe des Installateurs gleich selbst erledigt hatte, trug ihm ein schönes Trinkgeld ein.

Aber die Frau vom Kirchensteig Nummer 6, gleich vorne um die Ecke, die denselben Elektriker hat wie max, grüßt seitdem Elli, diese hundsgemeine, falsche Fliesenleger-Kidnapperin, nicht mehr. Und jedesmal beim Duschen hebt sie die Faust in deren Himmelsrichtung und knurrt Bösartiges!

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt| Inventarnummer: 21072

Vater und Kind

Durch ein Fenster hindurch sieht man den Vater mit seinem Kind, die einen weder sehen noch hören können. Dabei würde man ihnen so gerne zurufen, sie sollen aufhören.

Das Kind, das den Vater so liebt, so unbedingt stolz machen möchte, weint. Ist beschämt, versagt zu haben. Gleichzeitig ist es wütend und empört, wie könne der Vater nur so viel von ihm verlangen? Und der Vater ist zornig, hat seine Geduld verloren, weil er doch nicht viel von dem Kind verlange. Zugleich richtet sich sein Zorn gegen sich selbst, dem das Herz zerbricht beim Anblick des weinenden Kindes, das er doch mehr liebt als alles andere.

Sie starren sich schmerzend an. Gemeinsam gefangen in ihrem schreienden Nichtssagen, denn sie sagten einander nie, wie sehr sie sich lieben.
Und man selbst steht vor dem Fenster, sieht hilflos zu. Ist sowohl Kind als auch Vater und wünschte sich, dass lieben alleine genug wäre.

Emma Kreska

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 21052

Der unverstandene Mann

Provokante Einsichten

 

Beispiel für den geschlechtsspezifischen Zeitbegriff

Sonntagmittags: An schönen warmen Tagen wie heute fährt die Familie gerne in den Garten am Stadtrand. Das Kind hat sich nach dem Essen in sein Zimmer zurückgezogen, der Mann hilft den Tisch abräumen und fragt zwischendurch die Gattin: „Wann fahren wir raus?“ Darauf die Hausfrau gereizt: „Was glaubst denn? Ich muss noch die Küche saubermachen, das Geschirr einräumen und dann muss ich mir noch die Haare machen und ein paar Minuten ausrasten! Du wirst es erwarten, hetz mich nicht dauernd!“

Worauf der Mann – tief ausatmend – die Arena verlässt, missverstanden wie immer. Er wollte doch nur eine Zeitangabe. Bei „In einer Viertelstunde“ hätte er schon einige Sachen ins Auto getragen, bei „In einer halben Stunde“ wäre er noch zum Tanken gefahren und hätte das Auto waschen lassen, und bei „In einer Stunde“ wäre sich sogar noch ein Mittagsschlaferl ausgegangen.

 

Sachliche Sichtweise

Ein Mann hat ein schmerzendes Hühnerauge auf der kleinen Zehe des rechten Fußes. Nach etlichen Wochen des Salben-Schmierens und diverser abendlicher Fußbäder geht er heute zum Arzt, um den Quälgeist operativ entfernen zu lassen. Der Mann tut, was in solchen Angelegenheiten zu tun ist, er setzt sich in Unterkleidung an den Rand der Badewanne und wäscht sich mit Seife und Bürste gründlich den rechten Fuß. Bis hier ist (für einen Mann) alles klar und richtig! Weshalb er den zurechtweisenden Ton der hinzukommenden Gattin: „Na, dass d’ halt net z’viel Wasser auf d’ Haut kriegst. Also wirklich, man geht doch wenigstens Duschen, vor man zu an Dokter geht!“ als sowohl unnötig wie auch komplett unverständlich empfindet. Der rechte Fuß wird operiert und daher vorher gründlich gereinigt – was ist da falsch daran?

 

Arbeit

Ein Mann arbeitet am liebsten (bzw. seiner Natur nach) blockweise und mit Termin und Ziel: Das und jenes ist dann und dann von bis zu tun (oder bis es halt fertig ist). Das ist seit Urzeiten so: Es wird mit Mut, Geschicklichkeit, Ausdauer und Kraft, oft auch unter Gefahr, eine Leistung vollbracht, das Mammut oder die Wildsau erlegt und ins Lager geschafft; aber dann will sich der Mann am Feuer ausstrecken und bald was zu essen bekommen!!! Das ist seine Natur, das liegt in seinen Genen, und das ist gut so!

Eine Frau wischt und kratzt und zupft den ganzen Tag herum, sie arbeitet immer dann, wenn sie meint, dass dies und jenes noch getan werden muss, aber immer punktuell, und dann ist noch das zu tun und da wäre es ganz hübsch, wenn dies oder jenes auch gleich passierte und … und … und. Der nach seiner Schwerarbeit ruhende Mann wird dabei immer öfter durch strafende Seitenblicke gestört, weil er so faul herumsitzt und nicht daran denkt, unaufgefordert mitzuarbeiten, wo doch die Frau den ganzen Tag immer zu tun hat und … und … und!

Es hat da in den Siebzigerjahren einen Film „Der Babutz“ gegeben, wo in einer Wohngemeinschaft Männer und Frauen die Rollen getauscht haben: Die vier Frauen gingen arbeiten, die Männer machten den Haushalt und rationalisierten mit männlicher Logik diese „Frauenarbeit“ dermaßen, dass nur eine einzige Stunde Arbeit pro Tag der drei Männer ausreichte, um einen perfekten Ablauf zu garantieren. Zum Beispiel: Die guten drei Meter Balkonblumen zu gießen beschäftigt eine Frau gerne eine halbe Stunde. Die Männer dachten nach, befestigten einen Klosettspülkasten an der Außenmauer und eine gelochte Dachrinne genau über den Blumen. Täglich um 16 Uhr zog der zuständige Mann am Griff, das Wasser aus der Spülung floss in die Dachrinne und die Blumen waren in 10 Sekunden gewässert. Erst der neu dazugekommene Schwiegersohn machte Schwierigkeiten, weil er auch arbeiten ging und der berufstätigen Frau nach altem Muster den Haushalt überließ. Das ging nicht gut und brachte so lange Sand ins Getriebe der Hausgemeinschaft, bis er sich letzten Endes in die neue Rolle fügte und alles wieder wie geschmiert lief!

 

Essen

Was haben die meisten Männer am liebsten? Einfaches, kräftiges Essen wie zum Beispiel Rindsuppe mit Leberknödel, Kalbsgulasch mit Nockerl, Braten vom Rind oder Schwein mit Semmelknödel, Faschiertes mit Erdäpfelsalat, Selchfleisch mit Erdäpfelpüree, deftige Bohnensuppe mit Speck; zum Gabelfrühstück auch Käsekrainer, Waldviertler mit Senf oder eine Leberkäsesemmel. Fallweise mittags einmal ein Kaiserschmarrn mit Kompott, und an kirchlichen Fasttagen der gebackene Fisch mit gemischtem Salat. Der wird dann – so wie die übrige Nahrung auch – mit kühlem Bier oder G’spritzten hinuntergespült, denn ein Fisch muss schwimmen!

Ist Ihnen aufgefallen, dass ein richtiger Mann jahrelang fast gänzlich ohne Vitamine leben kann? Weshalb er den „gesunden“ Nahrungsmitteln mit gesundem Misstrauen begegnet. Eine Vitaminvergiftung, hervorgerufen durch viel Grünzeug und Salate, ist eine ernste Sache und schädigt insbesondere die Psyche. Immer diese kalten, nassen, sauren Sachen wie Salate! Es ist aber nicht so, dass diese Zuspeise generell abgelehnt würde, nein, da sind Kompromisse möglich: Über Rindfleischsalat, Gurkensalat mit Rahm, Erdäpfelsalat zum Grillkotelett, Käferbohnensalat mit Kernöl und sommerlichen Wurstsalat kann man durchaus reden!

Auch dass Männer kein Gemüse mögen, ist glatter Unsinn. Eine Rindsuppe ohne Karotte ist unvollständig, desgleichen eine Leberkäsesemmel ohne Gurkerl; das eine Roulade umhüllende Kraut wird gerne gegessen, und gefüllte Paprika mit milder Paradeissoße sind ein Höhepunkt der Sommerküche. Während hingegen ausschließlich grün gefüllte Teller ein grober Verstoß gegen den Tierschutz sind. Den armen Ziegen frisst kein Mann das Futter weg! Nein, das sicher nicht!

 

Umwelt

Wäre diese Erde nur von Männern bewohnt, wir hätten – umweltmäßig – ein fast unberührtes Paradies auf Erden. Weil: Ein Mann will und braucht nur sehr wenig! Vor allem kleidungsmäßig stellt der Mann bescheidene Ansprüche. Er weiß, dass sein Wintermantel mit jedem Jahr angenehmer tragbar ist und dessen Ablaufdatum erst in 10 bis 20 Jahren sein wird. Der grüne Hubertus-Kurzmantel mit schrägen Taschen zum Beispiel ist fürs Auto sehr bequem, man kann in den vier großen Taschen leicht den halben Wocheneinkauf unterbringen, die Innentasche nimmt noch die Tageszeitung auf. Eine fünf, sechs Jahre getragene Hose passt jetzt erst richtig und könnte, wenn sie nicht so oft meuchlings gewaschen würde, noch weitere sieben Jahre halten. Einen Mann erkennt man auf der Straße oder bei der Arbeit schon von weitem an seiner gewohnten Kleidung, die bereits Teil seiner Persönlichkeit geworden ist.

Die männliche Beziehung zu Wasser und sogenannten Körperpflegemitteln kann man getrost als hochgeschätzt und vorsichtig bezeichnen. Nein, das ist kein Gegensatz, im Gegenteil. Männer lieben die warme Dusche. Insbesondere dann, wenn es sich „auszahlt“, wenn der männliche Körper ausreichend verstaubt, eingedreckt und/oder genügend verschwitzt ist. Geradezu mit behaglicher Freude wird dann der männliche Urzustand wieder hergestellt. Wozu Wasser und Seife genügen; gelegentlich – bei starkem Oberflächenbelag – wird auch eine Bürste ins Rennen geschickt. In Gottes Namen und weil man schon im Bad ist, wird auch eine Rasur angehängt. Der nunmehr schmutz- und duftlose Körper kehrt zufrieden in die Wohnräume zurück, wenngleich an hohen Feiertagen oder am Hochzeitstag auch ein verschämter Hauch von Rasierwasser dem Helden voranweht. Oder beim Zubettgehen am Samstagabend.

Aber geradezu als verschwenderisch und verweichlichend wird eine Dusche beim Wegfall der „Notwendigkeit“ empfunden. Diese rituelle Reinigung, wie früher „das Bad am Sonnabend“ bezeichnet und zelebriert wurde, nunmehr täglich inflationär zu entweihen, ist wider die männliche Natur, welche achtsam jede Verschwendung und Umweltschädigung vermeidet. Weshalb diese aufdringlich nach Chemie stinkenden sogenannten „Duschgels“ und Deodorants und sonstigen „Pflegemittel“ weder dem Mann noch der Umwelt zugemutet werden dürfen. Ja natürlich, das Händewaschen vor dem Essen ist genauso Pflicht wie das Zähneputzen am Abend, aber das war’s dann auch schon.

 

Scheißerlzeug

Eine gebräuchliche Redewendung sagt: „Der Mann baut das Haus und die Frau gestaltet es aus!“ Das heißt in der Praxis, sie stopft es gnadenlos bis zum letzten Winkel mit allen möglichen „lieben, hübschen, farbigen, … Sachen (die männliche Bezeichnung dafür ist „Scheißerlzeug“) voll, egal was das kostet und wofür das gut sein soll. Ob und wozu das nötig ist, darf ein Mann ja nicht fragen!!!!!!! Aber Mann braucht das nicht – und die Frau kann ohne das nicht leben! Der männliche Hinweis, dass größere leere Flächen viel einfacher, übersichtlicher und schneller zu entstauben sind, während ein Zimmer mit mehreren Teppichen, Hockern, Bodenvasen, Stehleuchten, Tischchen und ähnlichem den Raum verstellenden Gerät (männlich auch „Graffelwerk“ genannt) kein rationelles Staubsaugen ermöglicht, und dass da immer was umfällt und im Weg ist, wird mit der weiblichen Zurechtweisung „na da passt man halt auf“ ungnädig-unsachlich abgewürgt.

 

Conclusio

Mit einem Mann ist sehr gut auszukommen, wenn man ihn
a: ausreichend und artgerecht füttert
b: ausreichend in Ruhe lässt
c: oft genug um seine Meinung frägt
und d: diese Ratschläge auch großteils befolgt.

Robert Müller

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