Schlagwort-Archiv: fest feiern

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Die Belohnung

Dieser Mitarbeiter hat gut gearbeitet, denkt das zu bezahlende Mädchen. Er hat neue Märkte erschlossen, Umsatz und Gewinn stark gesteigert. Und jetzt findet hier diese Party statt, wo tüchtige Firmenangehörige belohnt werden. Und was ist seine Belohnung? Ich bin es.

Das schöne rothaarige Mädchen

Das schöne rothaarige Mädchen

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 21108

Sauna im Schnee

Der Fleischhauer Karl Metzger hat Feierabend gemacht und heizt nun seine Sauna auf, die er vor Jahren in der alten Selchkammer installiert hat. Es ist eine liebgewonnene Gewohnheit, ein unverzichtbares Ritual geworden, diese kleine freundschaftliche Sauna-Runde am Samstag, sonst könnte das Wochenende gar nicht stattfinden.

Frau Metzger hat schon alles vorbereitet und nun kommen – pünktlich wie immer – der benachbarte Gemüsehändler mit Gattin und Erich, der verwitwete Parfumerist, bei der Hintertür herein. Sie grüßen einander mit der vertrauten Gelassenheit von schwer arbeitenden Menschen, die wissen, was sie aneinander haben, legen ab und nehmen ihre Plätze ein.

Herr Metzger hat vom Gehsteig ein paar von den Schulkindern übriggelassene Schneebälle hereingetragen und legt sie nun auf die heißen Steine. Vorher hat er sie aus einer Laune heraus mit Marillenbrand beträufelt. Das hätte er vielleicht nicht tun sollen, denn durch Selbstentzündung beginnt der Barack mit leiser blauer Flamme zu brennen, was in der dämmrigen Saunakammer gut aussieht, und es duftet nach reifen Marillen.

„Jo Karli, ich hab gar net g’wusst, dass d’ so romantisch sein kannst!“, gurrt Adele, die Selchermeistersgattin. Herr Metzger legt noch zwei alkohol-triefende Bälle auf, und das war offenbar zu viel, denn der in Sekundenschnelle verdampfte Alkohol verpufft blitzartig, die Saunasteine prasseln durch die Luft und der heiße Rost landet am Gesäß von Herrn Metzger, was ein rotes Muster wie die eingeschnittene Schwarte am Schweinsbraten hinterlässt.

„Auweh!“, schreit Herr Metzger, „ausse do!“ Er reißt die Tür auf und alle stolpern in den Hof hinaus und lassen sich in den wadenhohen Schnee fallen.

Die Schneekristalle schmelzen am heißen Körper und kitzeln unsagbar auf der Haut, das prickelt wie Sekt und macht übermütig. Im Nu ist eine richtige Schneeballschlacht im Gang und die schwammigen Fünfziger hüpfen jauchzend herum wie ausgelassene Schulkinder.

„Koarl, des war super“, lobt die Gemüsehändlerin beim abschließenden Umtrunk: „Endlich war einmal was los!“

An jenem denkwürdigen Abend wurde Frau Adele Metzger nach langer Pause wieder in die eheliche Pflicht genommen und stiftete dafür am Sonntag eine dicke Kerze.

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 21085

Lust zu tanzen

Sie sagte, sie hätte Lust zu tanzen. Durch ihre Brille hindurch sah sie mich erwartungsvoll an.
Ich nippte von meinem Bier, lachte auf. Ich erinnerte sie, dass es Donnerstag sei. Dass es nach acht sei. Dass wir kaum Platz in unserer Wohnung finden würden, wo wir zu dritt tanzen könnten.
Ohne sie zu Wort kommen zu lassen, fast noch im selben Atemzug, erwiderte ich, dass uns die Nachbarn bis zehn allerdings egal sein könnten. Dass wir im Gang, der all unsere Schlafzimmer verbindet, tanzen könnten. Dass, wenn man Lust habe zu tanzen, man zu tanzen habe.
Also tanzten wir.

Im Gang, der nur von den farbewechselnden LED-Lichtern aus Sabines Zimmer beleuchtet wurde. Ich am nächsten zur Gangtür, sie beim Wäscheständer, Paulo zwischen uns. Eins nach dem anderen spielten wir unsere besten Lieder ab. Unsere Amerikalieder. Die, die mich immer an unsere Autofahrten erinnern. An die in Schnee versunkenen Nachbarschaften, in denen wir gewohnt hatten. An eine Zeit, als mir mein Leben, wie es jetzt ist, noch so weit weg schien.
Wir tanzten.

Auf unseren Zehen, um unsere Nachbarn, so gut es ging, in Ruhe zu lassen. Paulo torkelte mehr, als dass er tanzte. Er stützte sich beide Arme seitlich von ihm weggestreckt an den Wänden des Ganges ab und warf seinen Kopf von einer Seite zur anderen. Mit geschlossenen Augen  verschwand er in der Musik, die sich alle paar Minuten änderte. Ein mit Erinnerungen beladenes Lied nach dem andern wurde übergangslos von einem neuen ersetzt. Sabine und ich sahen uns an, trafen uns in irgendeiner Erinnerung, die so wahrscheinlich nie passiert war, sondern lediglich eine Zusammenfassung all jener Momente war, die sich diesen Soundtrack teilen. Ich sah ihr zu, als sie sich im Halbdunkel bewegte, immer nur ein kleiner Teil ihres Gesichtes von dem intensiven Grün, Rot und Blau beleuchtet. Ich liebte, wie sie tanzte. Mal kontrolliert und minimalistisch. Dann wild, befreit und fast schon etwas lächerlich. So oder so, sie tanzte, als tanzte sie allein.

Ich schloss meine Augen und spürte mein Herz, das kräftig gegen meine Rippen pochte. Spürte den Schweiß auf meiner Haut, die bereits zu jucken begann. Meine Haare, die sich nicht mehr in einem Zopf halten ließen und mir bei jeder Bewegung ins Gesicht fielen und in meinem Nacken kleben blieben. Meine Brüste, die mit jedem rhythmischen Auf und Ab ein wenig mehr schmerzten. Mein Körper war erschöpft, doch hörte ich nicht auf. Niemand von uns.
Wir lachten. Tranken weiter aus der Bierdose, die wir uns zu zweit teilten. Tanzten, bis uns die Lieder und der Atem ausgingen.

Emma Kreska

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 21026

Die Endjahresreise

Film ab!
Bilder laufen.
Die Endjahresreise.

Jahrmarktsausgelassenheit.
Allerheiligen: der Toten Andacht.
Schneeflockenfallende Frohlebigkeit.

Der Winter bringt ein neues Jahr.
Die Stiefel sind geputzt.
Der Ofen ist geheizt.

Erwartungsvolles Gesichtermunkeln
füllt die Stube.
Behaglichkeit.

Schutz
an weißen Tagen,
in kohlenstückchenschwarzen Nächten.

Die Filmrolle ist abgelaufen.
Die Leinwand strahlt leer
im Licht des Projektors.

Die Koralpe im Winter

Die Koralpe im Winter

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 20127

Geschichten, die das Leben speit III – Die Patriziertochter

Die wohlhabende, platinblonde, 1,65 Meter große junge Lisa (die eigentlich Elisabeth heißt und aus einer alten Patrizierfamilie stammt) aus der Landeshauptstadt I. besucht eine Privatlesung in einer Almhütte (Chalet) in der Nähe von Brixen in Südtirol. Drinnen sind schon alle drei geladenen Gäste zugange, selbstgemachte Liptauerbrötchen werden zu Musik vom MP3-Player auf IKEA-Servietten gereicht. Die Gastgeberin ist in einen Traum von Pradiori gehüllt, der Künstler selbst trägt einen goldenen Gürtel, auf dem ein „H“ wie „Herren“ prangt.

Lisa hat sich vorher ordentlich angesoffen, denn alleine möchte sie trotz ihres nagelneuen fetten weinroten Maserati Quattroporte nirgends gerne hinfahren. Daß sie in Brixen gegen die Einbahn gefahren ist, haben ihr die besorgten Passanten liebevoll nachgesehen, auch, daß sie quer über dem Gehsteig geparkt hat, denn ihre Familie sitzt hier quasi seit zweihundert Jahren im Gemeinderat. Und mit einem solch schönen Wagen hat man einfach Narrenfreiheit in Brixen-City, lallt Lisa übers ganze Gesicht, genauso wie in Innsbruck, bevor sie ihren Boliden hinauf auf die Alm jagt.

Ehrlich gesagt ist sie ein wenig in den Ferdi, den jungen Künstler, unglücklich hoffnungslos verliebt, aber das sind ja eh alle drei, die zur Vernissage gepilgert sind. Türe auf, Handkuß, meine Verehrung, ein irrer Blick, noch schnell ein Glasl Prosetscherl, die fade Rede vom Ferdl. Die Lisa grinst ihn an, geht dann zur Gastgeberin, gibt ihr ihr halbleeres Glasl und sagt: „Wollen S’ einmal kosten, ha?“ Diese lehnt ab, dann sagt sie nochmals zu ihr: „Warum machen Sie das alles eigentlich, ha?“, plötzlich klatscht es laut! - Die Lisa hat’s aufgh’aut, es hat ihr die Haxen herausgerissen und sie sitzt plötzlich auf ihrem nicht unstattlichen Gesäß.

Der Ferdl bedeutet der Gastgeberin, daß die Lisa wieder besoffen sei, die Cousine von der Gastgeberin ruft die Bergrettung und stammelt etwas von einem „Schwächeanfall“, die Lisa selbst sitzt am Boden und gluckst. Als die Rettung nach zehn Sekunden da ist, weigert sich die renitente Lisa, mitzufahren! „Na! Laßt’s mi! Sauerei! Es Beidln! Schiebung!“ Da müssen plötzlich Soldaten der italienischen Sondereinheit der Alpini herangerufen werden, um die Lisa in den Rettungspinzgauer zu verfrachten. Der erzwungene Alkotest ergibt X,X Promille. Lisa hatte beim Herauffahren auch den Gott sei Dank leeren Jauchesilo eines Schweinebauern mitgenommen und die Fäkalien hängen ihr vorne von der zerschrammten Maserati-Kühlergabel.

Am nächsten Morgen erscheint Lisa putzmunter mit frisch ausgepumptem Magen und pilotiert ihren demolierten Maserati punktgenau aus der Parkposition zurück auf die Autobahn ins ferne Ungarn, wo sie ein stattliches Weingut geerbt hatte.

Elmar Mayer-Baldasseroni
https://elmarmayerbaldasseroni.wordpress.com/

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 20048

(Auf Wunsch des Autors wurde bei diesem Text auf manche Lektoratskorrektur verzichtet und der Text großteils im Original belassen.)

It’s pretty nice, my dear!

Barfuß ist sie ins Haus geschneit und hat mit ihren fliegenden Schritten eine frische Brise mitgebracht. Tina aus dem Hause Eisenknappl von und zu Arresting, wo auch immer das genau liegen mag. Eine Perle in der niederbayrischen Landschaft bist du. Oh Arresting, deine Namensbestandteile „a Rest“ und das furchteinflößende „Arrest“ haben damit gar nichts zu tun. Traumhafte Erinnerungen birgst du. Freilaufende Meerschweinchenscharen, die freiwillig im Areal bleiben, bis sie der Jagdleidenschaft des Fuchses allesamt zum Opfer fallen. Leben und Tod liegen nicht nur dort nahe beieinander.

Oma zieht im Leiterwagerl das Frühstück zum Baumhaus, wo die Kinder, stets auf Abenteuersuche, die Nacht verbracht haben. Ein anderes Mal schleicht sie zu nachtschlafender Zeit mit ihnen aus dem Haus, um das Silvesterfeuerwerk anzuschauen.
Schwimmen lernt man im Amazonas, der dort Donau heißt. Angeblich züchtet der Papa sogenannte Indianerbananen, vermutlich die Einzigen dieser Gattung fernab ihrer südlichen Heimat. All das wächst in Arresting heran und gedeiht, auch Tina.
Jetzt kommt sie aber mit einer Flasche Radler in der Hand, die sofort in den Kühlschrank muss, dann fliegt sie dem Liebsten in die Arme. Elegant dreht sie mit geschickten Fingern, deren Nägel vornehm lackiert sind, Zigaretten. Das hauchdünne Papier befeuchtet sie mit der Zungenspitze. Zwischen Tinas Fingern reißt es nicht. Und ich verstehe zum ersten Mal, warum in Osteuropa die Zigaretten Papirossy heißen.

Ein anderes Mal hat Tina Zucchini, Gelbe Rüben und Tomaten dabei. Der Kürbis baumelt zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Alles aus den Paradiesgärten von Arresting.
Früher, als die Oma noch gelebt hat, gab’s am Freitag immer Rohrnudeln und die Oma hat die Verserl, die sie zu Kindertagen einmal gelernt hat, nicht mehr aus dem Kopf gebracht. „Adolf Hitler liebt die Kinder. … Wir schenken ihm Blumen.“ Später haben aber die amerikanischen Soldaten der Oma eine Zigarette gegeben. Oh, war das aufregend! Und jetzt dreht Tina die Papirossy zwischen ihren zarten Fingern. Die Zeit ist ein Fluss, in dem sich die Generationen tummeln.

Unter den Füßen muss Tina den Boden spüren, selbst wenn der Boden Beton, Holz oder Teer ist. Der Kontakt zur Muttererde ist ganz wichtig, wie auch immer sie beschaffen sein mag. Tina ist nicht zimperlich oder möchte es nicht sein.  So ist das.
Ins leere, bauchige Marmeladenglas pflanzt sie ein zartes blutrotes Röschen, das von einer anderen Welt kündet, die auch irgendwo da sein muss. Schade, dass wir die Tür zu dieser Welt nicht finden können. Das ganze Leben lang suchen wir nach dem Schlüssel.
Rot wie Blut sind Tinas Lippen und schwarz wie Ebenholz ist ihr Haar.

Während gelbe Zucchini, Ochsenherz-Tomaten und rote Kartoffel heranwachsen, flirrt die Sommerhitze über Blumen, Rosen und Bäumen. In diesem Jahr ist der Sommer groß wie kaum zuvor. Die ersten Feigen färben sich lila. Im Tonelefanten reifen vereinzelt winzige süße Erdbeeren. Im nächsten Jahr werden sie üppig wachsen, wie auf Tinas T-Shirt und von den Lippen wird der rote, süße Saft tropfen, wenn sie die Früchte mit den Fingern in den Mund schiebt.

Aber bis dahin muss noch der Winter überstanden werden. Die Feigen reifen bis in den Herbst hinein und wen Gott liebt, den lässt er davon kosten. Die Erdäpfel müssen wir ausgraben. Sie retten uns.

Wer im Herbst geboren ist, braucht ein warmes Herz. Tina stammt aus dem Geschlecht der Eisenknappl. Der Name erzählt von einem mittelalterlichen Rittergeschlecht, vielleicht geadelt aufgrund besonderer Tapferkeit während der Kreuzzüge auf dem Weg ins Heilige Land. Ein Knappe zieht seinem Ritter Tag für Tag die schwere Eisenrüstung an und aus. Der Eisenknappe! Er schrubbt seinem Herrn geduldig die Rostflecken von der Haut.
Ja, bestimmt ist es so gewesen. Und für die treuen Dienste hat der Knappe den fruchtbaren Landstrich an der Donau zum Lehen bekommen. Seit Jahrhunderten wachsen dort die Eisenknappls auf inmitten der Wiesen und Felder, auf denen alles gedeiht, sogar die Indianerbanane neben den Roten Rahnern, ihrem Ahnherrn zur Ehre.

Wer auf seine Tradition zurückblickt, hat es schwer, sei es eine reale oder eine fiktive. Immer lastet etwas auf den Schultern, etwas unbestimmt Großes und in den Jahresringen der Erinnerung ist das Fernweh eingewachsen, das mit Expandern an der Heimat hängt. Ein Weh, das in den Äther fleht  und nach den Sternen greift, im Morgendunst mit einer Papirossa dem Sehnen Ausdruck verleiht. Auch die Indianerbananen künden vom Fernweh, und mit den Feigen kommt das Paradies nach Hause.

Wenn sich der Schnee mit seinen weichen Flocken niederlassen wird, bildet er eine schützende kalte Decke, die alles unter sich bedeckt und vor dem Erfrieren bewahrt. Für ein paar Monate findet alles seinen Frieden und kann dem Frühling entgegendämmern. Ich weiß nicht, ob Tina, die jung und stark ist, Ruhe braucht, ob sie die Ruhe aushalten kann. Bestimmt fliegen ihre Schritte über die Schneedecke, ohne die Kälte zu spüren. Ich glaube, die roten Lippen und das ebenholzfarbene Haar werden im Winter erst recht von jener unbestimmten Sehnsucht künden.
Alles in ihr drängt nach Leben, nach Erwachen. Doch das kommt immer unverhofft. Plötzlich, wenn man es am wenigsten erwartet, merkt man, dass die Tür, für die man lange vergebens den Schlüssel gesucht hat, schon immer offenstand.
Tinchen ist die Rose, die hervorwächst aus dem rostigen Eisen des knappen Stammbaums. Das „l“ braucht sie nicht.

So steckt die Verletzlichkeit in allen Dingen, und wie sollen wir es uns abgewöhnen, sie verbergen zu wollen. Unverhofft taucht da einer auf, der dich an der Hand nimmt und dich führt und sich gleichzeitig bereitwillig führen lässt. Du musst es nur zulassen. Aber die einfachsten Dinge sind bekanntlich die schwersten.

Tinchen  Eisenknappl, dein Gesicht ist vom schwarzen Haar gerahmt. Du kostest Erdbeeren und liebst Zitroneneis. Im Rauch der Papierrosen blickst du hinter die Zeit und liest die geheimen Zeichen vom Faden, der die Welt im Innersten zusammenhält.
Ein Engel hält dich an der Hand und geleitet dich, damit du nicht strauchelst oder gar fällst und stürzt. Jener Engel an deiner Seite lässt dich auch schweben und deswegen sind deine Fußtritte mit der Schwerelosigkeit der Schneeflocke vergleichbar. Barfuß schneist du herein und verbreitest überall im Zimmer Rosenduft.

Das wird ein Fest werden, wenn wir gemeinsam mit der Zwergziege, der Graugans und dem Wadlbeißer im Schatten des Feigenbaums Radler trinken!

Für Tina zum Geburtstag am 8. September 2019

Claudia Kellnhofer
www.bitterlemonverwunderung.de

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 19140

 

Der Pope und sein Hund

Griechenland, das ist Gottes Liebesverhältnis mit der Erde.
Heinrich Schliemann

Hausherr Jannis lädt uns für Samstagabend zu einem Fest auf der Insel Kitrani ein. Ein Geheimnis, eine Sensation! Ich bin aufgeregt. Sie ist unbewohnt, als Naturschutzgebiet unzugänglich. Wir sollen gegen fünf Uhr im Hafen sein, da wird ein Boot zur Überfahrt warten.
Jannis weiß nichts Genaues, es soll ein Kirchenfest für das Volk sein, aber auch Touristen sind willkommen. Kitrani ist von unserem Strand aus zu sehen. Sie liegt wie ein loser Pfropfen in der fast kreisrunden Bucht von Platis Gialis. Schon seit fast zwanzig Jahren schaue ich vom Goldstrand übers Wasser auf den langgezogenen, mit Macchia überwachsenen Felsbuckel, den ich noch nie betreten durfte. Je nach Tageszeit und Licht sieht er aus wie ein gestrandeter Wal oder ein halbversunkenes Krokodil. Oder wie meine Katze, wenn sie entspannt ist und die Pfoten von sich streckt. Meine Freundin meint, eine Schildkröte zu sehen oder eine Schlange, die ein Straußenei verschluckt hat. Unter diesem Himmel ist nichts genau definiert.

Kitrani ist ein menschenleerer Steinhaufen. Die Bergkuppen sind von kleinen und größeren Vögeln umschwärmt und die Küsten von unsichtbaren Robben bewohnt. Weiter draußen können schon einmal Delphine an den Bootsseiten auftauchen. Auf dem landzugeneigten Abhang ist mit freiem Auge ein weißer Kubus, ein Kirchlein mit Glockenturm und blauer Kuppel, zu erkennen, von der Felsenbucht führt ein heller Weg hinauf. Eine Postkartenansicht, wie sie typischer nicht sein könnte für die Kykladen-Insel Sifnos.
Die Fähre ist ein freihändig umgebauter Fischerkahn, ein Kaijk, wie sie seit der Antike die Ägäis durchpflügen. Auch schon ohne Passagiere hängt die „Demetrios“ schief an der Mole. Etwa zwanzig Personen zahlen je fünf Euro und nehmen Platz.

Eine knappe halbe Stunde tuckert das Schinakl quer über die Bucht von Platis Gialis nach Südenwesten. Die Silhouetten der Nachbarinseln Milos und Kimolos tauchen auf. Die meisten Leute sitzen auf zwei unbefestigten Längsbänken, andere in der Mitte auf losen Plastikhockern, die Planken sind kaum zwei Handbreit hoch und haben keine Reling. Das Meer gebärdet sich an diesem Spätseptembertag ziemlich rau, das Boot schaukelt und schlägt manchmal mit dem Bug hart auf. Da mir das nicht geheuer ist, lasse ich mich am Boden nieder und kralle mich mit beiden Händen am Sockel der hinteren Fahnenstange fest.

Kitranis Landungssteg besteht aus zwei flachen Felsplatten, grob gerippelt von den Gezeiten. Die Griechen sind wie immer cool, über den Spalt ein gewagter Sprung an Land, gleich dahinter führt eine Serpentine aus niedrigen und tiefen Stufen den Hang zum Kirchlein hinauf. Gebaut wie seit Troja für Maultiere. Wir gehören zu den ersten Gästen, und ich habe Muße, alles in Augenschein zu nehmen.
Einige Frauen putzen und schmücken die drei Schritt lange Kapelle. Sie ist ein anmutiges byzantinisches Bauwerk, das auf einer eingeebneten Felsnase über das Meer ragt. In dem winzigen Innenraum stehen auf jeder Seite zwei Reihen von Bänken, eng wie Betschemel, dann stößt man schon an die Ikonostase. In der Mitte der Christus Pantokrator, links daneben die Panagia Maria, mit goldenen Ringen, Armbändern und Kuzifixen bedeckt, rechts der heilige Johannes, der heilige Charalambos und zwei Erzengel.

Ich nehme drei honigwarme Kerzen aus einem Kisterl, eine Handvoll Weihrauch und lege fünf Euro hinein. Für den Kerzenständer ist es zu eng in der Kapelle, er steht am Vorplatz. Dort bauen einige Frauen einen Altar auf, in Vasen und Körben werden die Früchte der Gärten und Felder aufgestellt, die Außenmauern sind mit Kränzen aus Blumen, Lorbeer und Ähren behängt, rund um den Kirchenhof wehen blau-weiße Wimpel, dazwischen Girlanden mit bunten Glühbirnen und gelbe Fahnen mit dem doppelköpfigen Romanow-Adler. Der gibt mir sofort ein Rätsel auf. Gehört etwa ein russischer Oligarch zu den Sponsoren dieses Inselfestes? Niemand kann es mir erklären, und ich bleibe allein mit meinen düsteren Vermutungen.
Die weiß gekalkten Umfassungsmauern sind mit Fleckerlteppichen belegt und laden zum Sitzen ein, über den ganzen Platz verstreut stehen lange Tische und Bänke. Mehrere Männer machen sich im Hintergund an der gemauerten Feuerstelle zu schaffen, daneben stehen Riesentöpfe. Langsam beginnt es nach Kichererbsensuppe zu duften, und vom Fleischrost weht es würzig herüber.

Chef ist offensichtlich Nikos, der inzwischen übergewichtig gewordene Nationalboxer. Er hebt die Deckel auf und betätigt sich als Vorkoster. An einem Tisch schneiden zwei Männer eine geschätzte halbe Tonne Zitronen in Viertel, mit der später die Kichererbsen und das Fleisch beträufelt wird, dazu noch ganze Büschel von Rosmarin und Thymian darüber gestreut, später handvoll die Granatapfelkerne.
Junge Leute reichen in großen Weidenkörben puderzuckerbeschneites Milchbrot mit Mandeln, Datteln und Feigen herum. Eine einzige, eigenwillige Geschmackskomponente kann ich nicht erkennen. Anis, Oregano oder süße Kapern? Über all dem wabert griechische Volksmusik aus den Lautsprechern, untermalt vom Brausen des Stromaggregats.
Jede halbe Stunde schwemmt das Boot eine Fuhre an Land, und immer mehr Menschen quellen den Hang herauf. Die Sonne beginnt sich in einem Feuerwerk ins Meer zu senken, jeden Augenblick ändern sich die Farben des Himmels: Es beginnt mit einem zarten Rosa, das sich zu Rosenrot vertieft und schließlich zu einem kräftigen Purpur wird, ehe das Licht verblasst und die Sterne hervorkommen.

Es wird allmählich eng auf dem Kirchhof. Die Helfer lassen Platten mit honigtriefendem Nussgebäck herumgehen, dazu Wasser und ein schreckliches, weinbrandähnliches Gesöff. Allein dessen Geruch lässt einen das nächste Kopfweh erahnen. Ich benütze den heidnischen Brauch, den ersten Schluck zum Dank in die Erde zu gießen, um alles loszuwerden. Die herumgereichten Hüte füllen sich mit Euros. Die Stimmung ist ruhig, fröhlich und gelassen, obwohl sich wahrscheinlich schon mehr als 500 Menschen am kleinen Kirchhof versammelt haben. Als die Nacht heraufzieht, bimmeln die Glocken, nicht zu erkennen, ob von Stricken in Schwingung gebracht oder vom Wind. Die Luft ist angefüllt von den Düften der Kräuter. In meiner Nase stechen der Honig des Bergtees und die Herbheit des Wacholders hervor.

Auf einmal spüre ich eine unruhige Bewegung, die Leute rücken zusammen, gleichzeitig wieder auseinander und bilden eine Schlucht wie das Rote Meer. Sie geben einem Popen den Weg frei. Er führt einen Holzstab mit einem mehrfach gewundenen Knauf in der Hand, wie ihn Hirten ums ganze Mittelmeer tragen, die Urform des Bischofstabes. Viele Menschen umarmen ihn, andere gehen auf die Knie, küssen seine Hände und den Kuttenrand. Er ist ein kleiner, sich aufrecht haltender Mann von unbestimmbarem Alter, zwischen 50 und 70. Die hohe, runde Zylinderkappe eines orthodoxen Geistlichen lässt ihn größer erscheinen. Er ist bekleidet mit einer glänzenden, mitternachtsblauen Soutane mit silbernen Borten an Hals, Ärmeln und Saum, um die Mitte eine breite, reichbestickte Stola. Das ebenmäßige Gesicht mit der geraden, starken Nase ist glatt und braungebrannt, gerahmt von einem silberweißen Bart, im Nacken lugt der gedrehte Haarknödel unter dem Hut hervor. Seine Augen sind blauer als die Ägäis.
Insgesamt erscheint mir seine Gestalt wie der Prophet Jeremias, geradewegs dem Alten Testament entsprungen. Oder wie ein Hollywood-Mönch. Die Menge weicht vor ihm zurück, gibt ihm Raum, und er begrüßt sie lächelnd mit segnenden Gesten, dabei grazil und würdevoll schreitend. Ich bin entsetzt, als ich unter der Soutane Sportschuhe mit Adidas-Streifen hervorblitzen sehe.

Als er an uns vorüberwandelt, bemerke ich, dass er Gefolgschaft hat. Ein kleiner, schwarz-weiß gefleckter Hund, niedriger als ein Dackel und rund wie eine Knackwurst, folgt ihm auf dem Fuß. Mit der Schnauze hängt er am Saum des Popen und schreitet mit ihm im Gleichschritt. Hält der Pope an, bleibt auch er stehen, segnet er, hebt der Hund die rechte Pfote senkrecht in die Höhe, blickt dabei ernst und würdevoll um sich, als hätte er zumindest die niederen Würden empfangen. Immer scheint er sich seines Dienstes bewusst zu sein. Durch nichts lässt er sich ablenken, nichts kann eine Versuchung für ihn sein. Ist jemand zudringlich, zum Beispiel mit einem Brocken Fleisch vor seiner Nase, legt er die Stirn missbilligend in krause Falten und wedelt mit den Ohren, die ihm wie eine Ponyfrisur links und rechts herunterbaumeln.

Setzt sich der Pope an einen Tisch, bleibt der Hund hinter ihm stehen, die Nase an der Soutane und die rechte Pfote hochgehoben. Er verharrt bewegungs- und furchtlos in dieser Pose, als würde er zumindest die Standarte der Panagija Maria halten, unbeeindruckt vom gefährlichen Gedränge der dicht aufragenden Menschenbeine. Die linke Tatze benützt er nicht, die krummen Hinterbeine nur zum Schreiten. Vielleicht kommen Würde und Eleganz von einem Dalmatiner, der sich ins Erbgut dieser Kreatur eingemischt hat?
Wir schauen, staunen und lachen ohne Ende. Wahrscheinlich wegen dieser wilden Kreuzung aus lächerlichem Aussehen und erhabenem Charakter.
Auch bei der Erntedankzeremonie mit den endlos geleierten Chorälen am Altar hält sich der Hund dicht am Saum des Popen, als sei er sein Ministrant. Hätte er auch noch das Weihrauchfass geschwungen, hätte sich niemand gewundert.

Der Chor aus drei Männern und einer Frau trägt im Wechselgesang mit dem Popen etwas vor, das wohl wie Psalmen klingen soll. Der dünne, unharmonische Singsang verrät, dass sie nicht genügend Zeit zum Proben hatten. Die Notenblätter beleuchten sie mit Handy-Bildschirmen, was einiges vom Weihevollen nimmt.
Nach den Zelebrationen rund um den Erntedankaltar tritt eine Folk-Band auf, ohne Mikrofon, die umstehenden Leute tanzen auf engstem Raum. Die Bewegung setzt sich in Wellen fort bis zum letzten Besucher. Und immer wieder finden die Helfer mit ihren wundersam vermehrten, frisch aufgehäuften Fleischplatten, Zitronenschüsseln und Weinkrügen durch die Menge. Als sich der Pope einmal direkt uns gegenüber an einen Tisch setzt, sehe ich, dass er dem Weinbrand nicht abgeneigt ist. Er kippt ohne Unterbrechung den kleinen Plastikbecher, dass seine Augen bald kräftiger blitzen als die Sterne. Da bemerke ich, dass der Hund zu seinen Füßen nicht mehr nur die Nase an seine Soutane hält, sondern zuerst sachte daran zupft, dann immer heftiger daran zerrt und schließlich mit beiden Pfoten in den Stoff hineinfährt. Der Pope erhebt sich lachend, tätschelt das Tier und verschwindet in der Menge. Da erfahren wir, wie er zu seinem Namen gekommen ist.

Unser Landsmann Emmanuel aus Hohenau an der March, den wir dort mit seiner Frau Elisabeth wieder treffen, besucht schon 40 Jahre lang Sifnos. Sie kennen die Insel besser als ihr Dorf und erzählen uns die Geschichte vom Popen und seinem Hund. Eher eine Legende. Lazarios, den ich so nenne, ist kein Pope, kein geweihter Geistlicher, sondern ein selbsternannter Eremit. Er war Bauer, Schaf- und Ziegenhirt, bis kurz hintereinander sein Sohn und seine Frau starben. Danach verkaufte er alles und zog sich zurück. Von den Sifnioten als heiligmäßig verehrt, lebt er als Einsiedler in einer kleinen Höhlenklause hinter dem höchsten Berg der Insel, dem Profeti Elias, auf dem Weg nach Vathi, der Südbucht. Die Leute pilgern zu ihm hinauf, beschenken ihn, beraten sich mit ihm, er steht in einem wundertätigen Ruf. Das Wetter soll er vorhersagen können, verlaufene Ziegen finden und Mensch und Tier mit Kräutern heilen. Er hat einen zugelaufenen Welpen aufgenommen, er teilt seither das Eremitenleben. Im Volksmund heißt er „die Frau des Popen“.
Das mag spaßig klingen, ist aber historisch nicht zutreffend, hat sich doch auf Sifnos seit der Antike das Matriarchat erhalten.

Nicht ganz so alt ist die Geschichte des seltsamen Festes von Kitrani.
Emmanuel und Elisabeth wissen zu berichten, dass Nikos, der Hausherr ihres Hotels, der frühere griechische Boxchampion, vor fünf Jahren die Idee hatte, zur Belebung des Dorfes einen Touristen-Event zu veranstalten. Er erreichte von der Naturschutzbehörde, Kitrani eine Nacht lang für Besucher zugänglich zu machen. Ob Nikos wohl vom schlauen und listenreichen Odysseus abstammt? Auf jeden Fall, diesen Gag für die Tourismusvereinigung hat er sich einfallen lassen, nicht weniger genial als vor ca. 3200 Jahren das hölzerne Pferd. Im ersten Jahr kamen nur wenige Touristen.
Die Einheimischen ignorierten es vollständig, gab es doch keinerlei Festtradition auf dem Felsenhaufen von Kitrani. Irgendwann kam Nikos die Idee des Erntedankes, der Massenausspeisung auf der verbotenen Insel. Die Kirche und ein russischer Oligarch sprangen auf, dann erschien der Wundermönch vom Profeti Elias. Von Jahr zu Jahr strömen mehr Insel-Bewohner herbei, sogar von den Nachbarinseln Milos und Kimolos – ein Kirchen-Volksfest war geboren. Die Geburt des Mythos aus dem Fremdenverkehr! Nietzsche, schau oba!
Heuer haben die Griechen schon vollständig das Regiment übernommen, wir Touristen waren geduldete Zaungäste. Aber weder sie noch die Einheimischen wussten zu sagen, was für ein Fest hier gefeiert wird – außer, dass es sehr, sehr schön war.

Noch bevor der späte Vollmond seinen Zenit erreicht hatte, die Musik zu wild, der Weinbrandkonsum zu strömend wurde und sich der warme Meltemi in der septemberfeuchten Nacht abkühlte, drängte ich zur Rückkehr, eingedenk des wenig vertrauenswürdigen Schinakls. Bei der Überfahrt empfand ich das ungleichgewichtige und alkoholgetränkte Gedränge an Bord als so lebensbedrohlich, dass ich nicht mehr nur die Fahnenstange umklammerte, sondern den großen Fender mit seinem Tau mit einem Plastikhocker verknüpfte und an Odysseus dachte.

Im Laufe des wachen Teiles meiner Nacht habe ich die Fähre noch unzählige Male an- und ablegen gehört. Beim Frühstück am Sonntagmorgen rechne ich nach: Bei 500 Menschen müsste das Boot 50 Mal gefahren sein, bei 20 Menschen pro Boot. Danach suche ich den Strand und die Marina nach Leichen ab. Vergeblich. Die Griechen können zwar nicht organisieren, aber es klappt immer alles. Noch muss ich der zitronendurchtränkten Suppe und dem rosmarinierten Schwein und Lamm nachschmecken und weiß dabei nicht, was köstlicher war, das Essen, der „Pope mit seiner Frau“ oder die wundersame Geburt eines Volksfestes.
Ich schwöre, allen Göttern des Olymp opfern zu wollen, damit sich nicht herausstellen möge, dass auch Vater Lazarios und sein Hund Nikos‘ Erfindung sind.

begonnen 23.9. in Sifnos, fertig 13.10.18 in Wien

Veronika Seyr
www.veronikaseyr.at
http://veronikaseyr.blogspot.co.at/

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 19040

Ein Wiener zu Weihnachten

Es sagen viele Menschen Jahr für Jahr:
„Weihnachten ist heut’ nimmer – was es einmal war
Der einzig stete Weihnachtsbrauch – war immer nur der volle Bauch
Die Hetze und das viele Geld – wo doch schon jeder alles hat
Mir reicht’s, ich fahre fort – was soll ich in der Stadt?
Wieder die Berge sehen – und den schönen Wald
Die neuen Schi probieren – und ein bisserl Hüttenzauber halt“

Und ist man angekommen – nach zwei, drei Stunden Stau
Dann wimmelt’s dort von Menschen – und die meisten sind schon blau
Wo immer man auch hingeht – die andern sind schon dort
Am Schilift und den Pisten – geht das Gedränge fort
Vom Jagertee „ermutigt“ – lässt man die Sau heraus
Und oft genug erwacht man – im nächsten Krankenhaus

Da ist die Luft dann draußen – auf einmal hat man Zeit
Wozu die ganze Hetze – der Trubel, und das Leid?
Was man so lang gesucht hat – hier findet man die Ruh
Und als Geschenk des Hauses – ein Gipsbein noch dazu
Der Wunsch ans Christkind lautet: – „Nur gehen, ohne Krücken
Die Schuhe selber anzieh’n können – und keinen Schmerz im Rücken“

Da sitzt man am Spitalsbett – und draußen liegt der Schnee
Vielleicht sieht man am Waldesrand – zur Dämmerung ein Reh
Man freut sich, wenn Besuch kommt – wenn jemand nach dir fragt
Und nicht nur mit dir redet – sondern auch was sagt
Deine Hoffnungen und Ängste – kannst du wem anvertrau’n
Und im Gespräch und Austausch – eine gute Brücke bau’n

Ich kenne eine kleine Wiener Bar – die Heiligabend stets am vollsten war
Von Menschen, die – von Heucheln und Geschenken satt
Wo miteinander fröhlich sein – ein schönes Schlupfloch hat
Der Cocktail schmeckt fantastisch – man fühlt sich endlich leicht
Und hat ohne Erwartungsdruck – sein Weihnachtsziel erreicht:
Ganz unbeschwert ein Mensch sein – mit jemand, den man mag
Nichts wollen und nichts müssen – ist schon ein Feiertag

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 17192

 

Der kleine Tannenbaum

Ich bin ein kleiner Tannenbaum – und steh im großen Wald
Und weil ich nicht alleine bin – drum ist mir gar nicht kalt
Die Mama sagt, ich bin ein Schatz – sie muss mich gar nicht tadeln
Ich hab in meiner Rinde Platz – und glänze mit den Nadeln
Die kleinen Kinder hab ich gern – wenn durch den Wald sie purzeln
Beim Schwammerlsuchen und beim Spiel – das kitzelt in den Wurzeln

Wir sind für Weihnacht angepflanzt – so sagt der Förster immer
Mein großer Bruder ist schon weg – im Doktor-Wartezimmer
Mein Papa steht am Rathausplatz – wo ihn ein jeder findet
Der Bürgermeister selber hat – die Lichter angezündet
Beim dicken Selchermeister steht – meine Tante ohne Bangen
Viel kleine Würstel statt Bonbons – hat er auf sie gehangen

Im Bäckerhaus gleich nebenan – wird meine Schwester stehen
Mit Kipferln und mit Keksen dran – kann sie ein jeder sehen
Nun kommt ein junges Elternpaar – das wird mich sicher kaufen
Ihr Mäderl ist ein Jahr erst alt – und fängt schon an zu laufen
Es ist so schön, das Kind zu seh‘n – wenn dann das Glöckchen bimmelt
Dann bleib ich bis Dreikönig noch – ich fürcht mich nicht vorm Ofenloch
Denn wenn ich brenne, werd ich Rauch – und schwebe in den Himmel

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 17181