Stadtluft macht frei

Endlich frei! Und gleich! Und sicher!
Keiner, der mir blöde kommt!
Selbst – nicht fremdbestimmt, todsicher!
Garantiert Beweglichkeit, echt prompt.

Natürlich gibt es auch Verlierer,
Erfolg ist meistens nicht von Dauer.
Die Sieger sind nicht nur Kassierer,
am Ende tragen manche Trauer.

Ich richte mich nach den Gesetzen,
die mir mein Menschsein garantier’n.
Doch gleichzeitig fasst mich Entsetzen,
über Dinge, die in der Stadt passier’n.

Die meisten haben wirklich alles,
was das Herz begehrt, und mehr.
Ein Neustart droht, wohl jeden Falles,
zu Tod’ gesiegt, scheint mir’s. Unfair!

Denn langsam wird es um uns eng,
für das, was weidlich ausgelebt.
Und Raum wird knapp, nach Schwinden drängt.
Gerammelt voll. War so nicht angestrebt!

Es trampeln oftmals die Befreiten
schon auf den Füßen and’rer ’rum.
Im Umfeld heißer Metropolen streiten
sich die Leut’, in Massen. Dumm!

Stadtluft!, sehnt man sich herbei,
Stadtluft, sagt man, die macht frei!
Obwohl die Straßen vollgerammelt,
Straßen, Häuser oft vergammelt.

Über uns stau’n Satelliten,
heiß geht’s her, geg’n gute Sitten!
Hetz-Mobs, einen Tweet entfernt,
was hat der Mensch schon groß gelernt?

Bloß heiße Luft, die überhitzt,
fertig ist man und man schwitzt.
Beschränkt die and’ren, beim Entfalten,
Reibungsflächen sich gestalten.

Es knallt an planetaren Grenzen,
nichts wächst, bloß Turbulenzen.
Der Ruf, laut, nach Autonomie,
ist hörbar und so stark wie nie.

Konflikte, die aus Trümmern ragen,
von Gewinnern und Verlierern ausgetragen.
Zwischen Opfern und den Tätern,
sozialen Ankern und Verrätern.

Individuen vermeiden,
sich festzulegen, zu entscheiden,
wohin sie eigentlich gehören,
und gottgewollte Ordnung stören.

Die Wirtschaft wächst kaum so wie früher,
der Erdball hitzt, wird langsam glüher.
Zwischen Sieger und Verlierer
bleibt nicht viel, bloß für Paktierer.

Norbert Johannes Prenner

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 25147




Heimat, fremde Heimat

Ich wusst’ mir eine Heimat,
da wo die Sonne wärmt’ das Herz.
Da wo die Blätter des Parteibuchs
rauschten, damals, an jenem Tag im März.

Da wo die Lehrer und die Pfaffen
sich laut ins Fäustchen lachten, hell!
Da wo die Wunden offen klafften,
streuten Salz sie drauf, und das ganz schnell.

Die Leut’ müssten erzogen werden,
sonst wird aus ihnen sicher nichts.
Der Prügel macht folgsam die Herden.
Des Führers Ruf. Des Todes, angesichts.

Die Hand erhoben, wird gegrüßt.
Tut’s wer nicht gleich, ich sag, der büßt!
Die Sippe haftet mir, auf Ehr’!
Den Kerker bewacht das Maschinengewehr!

Wer nicht mit ihnen, der war dagegen.
Solche Leut’ kannte man gleich,
Die ließ man steh’n, bei Nacht, im Regen.
Verfolgt. Und durch Enteignung wurd’ man reich.

Ich wusst’ mir eine Heimat,
da wo noch Kindheitsträume lebten,
vor Sehnsucht, nach dem Eichenblatt.
Wo Blut und Untaten an Händen klebten.

Wo der, der sich dagegen wehrt’,
der Böse war, und nicht geehrt.
Die wahren Helden war’n die Täter.
Der Mann im Widerstand – Verräter!

Da wo der Nachbar einstmals auf uns schoss.
Immer noch Nachbarn. Jetzt sind wir groß
und üben leis’ die Kunst übers Vergessen.
Was damals war, mag man heut’ kaum ermessen.

Da wo die Hoffnung nie vergeht,
weiß ich mir eine Heimat.
Auch wenn das Wort für etwas steht,
das damit nichts gemein hat.
Ist manchmal nah und manchmal weit entfernt.
In meinem Herzen trag ich sie.
So hab ich es gelernt.

 (Im Gedenken an meinen Vater)

Copyright: Norbert Johannes Prenner
Copyright: Norbert Johannes Prenner

Norbert Johannes Prenner (Text und Grafik)

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 25146




Zeit

„Wie wird es sein, wenn wir durch die Jahre gehen, meine Liebe?“, fragte er.   
„Wer kann das sagen?“, erwiderte sie.
„Aber eins weiß ich bestimmt,
wenn wir dann auch nicht mehr unsere Liebe teilen, so doch die Zeit.“

Rutschzeit in Sek. 12,51
Rutschzeit in Sek. 12,51

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: ¿Qué será, será? | Inventarnummer: 25144




Transit

Ich bin am Anfang vom Ende,
am Ende des Anfangs.
Immer im Transit.
Verkabelt, angeschlossen.
Wenig Mensch, viel Patient.
Aber meine Seele glimmt noch blau.
Nur ich selbst erinnere mich an mich.

Der weiß-beige-braune Durchgang auf blauen Pflastersteinen in Villach
Der weiß-beige-braune Durchgang auf blauen Pflastersteinen in Villach

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 25141




Schöne Träume

Die Nacht kommt.
„Bist du bereit für mich?“, fragt sie.
„Wenn du schöne Träume für mich hast“, sagt die Frau.
„Aber sicherlich“, sagt die Nacht.

Der Blick nach Maria Loretto mit gelben und weißen Lichtern zur beginnenden Nacht des 20. Januar 2024
Der Blick nach Maria Loretto mit gelben und weißen Lichtern
zur beginnenden Nacht des 20. Januar 2024

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 25143




Lost

Es ist, als sei er in der leeren Welt.
Er erwachte aus dem Koma, kam zurück,
und niemand war mehr hier.
Einzig er.
Wofür dann leben, für Steine und Gestrüpp?

Gestrüpp auf der Schlangeninsel im Schnee am 31. Januar 2021
Gestrüpp auf der Schlangeninsel im Schnee am 31. Januar 2021

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 25142




Jede Sekunde

Die Nacht zählt jede Sekunde.
Viele sind es, 73 419,
wenn du wieder einmal keinen Schlaf gefunden hast.

Der Blick aus dem Lokal Schneiderei zu Fasching in der Nacht des 10. Februar 2023
Der Blick aus dem Lokal Schneiderei zu Fasching in der Nacht des 10. Februar 2023

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: an Tagen wie diesen … | Inventarnummer: 25140




Gegenweiß

In der Welt ohne Licht
sind alle Farben eins.
Die Fingerspitzen sind die Augen.
Landschaften entstehen an der Rinde eines Baums.
Unbegrenzt ist die Sicht auf der flachen Erde.

Bäume am See
Bäume am See

Johannes Tosin
(Text und Foto)

www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 25145




Archiv Juli 2025

26.7.25: Norbert Johannes Prenner: Tempora mutantur
26.7.25: Johannes Tosin: Brücken
26.7.25: Norbert Johannes Prenner: Ich bin Tyrann
20.7.25: Frank Joussen: Fiesole
20.7.25: Johannes Tosin: Denkt die Frau
12.7.25: Frank Joussen: Ein Leben im Turm
12.7.25: Norbert Johannes Prenner: Cool
12.7.25: Johannes Tosin: Grau, schwarz, rot
6.7.25: Antonia H.: Schreibenkleister
6.7.25: Norbert Johannes Prenner: Reif für die Insel
6.7.25: Norbert Johannes Prenner: A Real Angel
5.7.25: Claudia Lüer: Seelentanz
5.7.25: Wilfried Ledolter: Die Zeitungsenten
5.7.25: Johannes Tosin: Die rote Wolke




Ich bin Tyrann

Ich bin stolz, ich bin Tyrann,
deshalb, weil das nicht jeder kann.
Stark bin ich, und übermächtig,
auf ’nem Stockerl glatt eins sechzig.

Jedoch, was nicht ein jeder weiß,
ich bin auch schwach, das ist kein Scheiß!
Gedanken, die mich oft beschleichen,
meist in der Nacht, wegen der Leichen,
die ich so oft in Auftrag gab.
Das drückt mir fast die Seele ab.
Ich weiß, damit bin ich allein,
dann wird mir klar, ich bin ein Schwein.

Was nützen mir zehn Limousinen,
vierzehn Villen und Goldminen?
In Wirklichkeit habe ich Schiss,
dass alles bald zu Ende is’.

Wenn ich mit dem Finger schnipse,
steh’n alle vor mir habt Acht!
Oder kurz am Handy tippse,
mein Befehl ist nicht ganz sacht.
In der Hand die Kaffeetassen,
kann, wen ich will, verschwinden lassen.

Doch bei aller Wirklichkeit
macht die Angst sich in mir breit.
Alles macht mir Referenz.
Ich fürcht um meine Existenz.

Die Angst, alles zu verlieren,
nach ’nem Anschlag zu krepieren!
Was hab ich schon von diesem Leben?
Trotzdem bleibe ich dran kleben.

Den Pöbel stets bei Laune halten,
durch Lügen ihren Tag gestalten.
Nur falsche Zahlen, falsche Daten,
was ist, werden sie nie erraten.

Dabei muss ich mich nicht genieren,
meine Macht zu etablieren.
Ein paar Familien reichen aus,
Vettern stärken nur mein Haus.

Doch wach ich auf oft in der Nacht,
träum, ich werde umgebracht.
Oder gefesselt und in Ketten!
Nichts und niemand kann mich retten.

Niemand weiß von meiner Not,
durch Peitsche und mit Zuckerbrot.
Was aber, wenn man mich entpuppt?
Das Volk sagt, ich bin bloß korrupt?
Ich fürchte dieses Stadium
und habe Angst, man bringt mich um.
Wie lang mich an der Macht berauschen?
Will denn niemand mit mir tauschen?

Copyright: Norbert Johannes Prenner
Copyright: Norbert Johannes Prenner

Norbert Johannes Prenner (Text und Grafik)

www.verdichtet.at | Kategorie: drah di ned um …| Inventarnummer: 25139