Der Butler 2

Stop! Haben Sie Teil 1 schon gelesen? Dies ist die Fortsetzung.

Ich habe jetzt einen Butler!

Schlimm war für mich auch die zweite Woche, als ich James für ein paar Tage nach Wien mitnahm. Denn meine Zweieinhalbzimmer-Wohnung war nun wirklich nicht butlertauglich. Er verzog schmerzlich das Gesicht, als ich ihm das alte Kinderzimmer als Quartier zuwies, und war sichtlich erleichtert, dass ich umgehend (für guten Lohn) die Hausbesorgerin als Putzfrau gewinnen konnte. Und dann sahen wir uns ratlos an, mein Butler und ich. Es war schon Nachmittag, ins Büro konnte ich erst morgen. „James, would you attend me to the Supermarket, please? I think we need some food for the next days.“ Während ich die Einkaufsliste schrieb, räumte James seine Sachen in den Schrank, dann gingen wir los, ich mit der großen ledernen Einkaufstasche meiner Mutter und James mit meinem kleinen Aktenkoffer. Ein Butler schleppt sich doch nicht ab! Unterwegs erklärte ich ihm den Umrechnungskurs englische Pfund zu Euro und gab ihm einige Euro-Noten als Taschengeld. Am Heimweg kehrten wir beim Chinesen ums Eck auf ein Bier ein – ein Pub konnte ich James ja nicht bieten.

Wieder zu Hause übergab ich James meine Zweitschlüssel, meine Büro-Karte und den Wiener U-Bahn-Fahrplan. Eine Wochenkarte hatte ich ihm schon am Flughafen gekauft. Dann war die Essensfrage zu klären. James konnte nicht kochen, und von Tee und Keksen wollte ich nicht leben. Wir einigten uns, dass er fürs Frühstück und ein paar Sandwiches am Abend zuständig sei, bei meiner Abwesenheit möge er auf meine Rechnung essen gehen, und ansonsten mit meinen Kochkünsten Vorlieb nehmen. James nickte gottergeben, aber diese alte Küchen-Ausstattung wäre unakzeptabel. Nicht einmal ein einziges Silberbesteck, nur emaillierte Töpfe und abgestoßene Gläser, nein, das sei eines Gentleman nicht würdig. Aber wo treibt man in der Vorstadt ein preiswertes Silberbesteck auf? Da fiel mir das Dorotheum in der Wiener City ein.

„Okay James, please come with me, shopping!“ Glück muss man haben, ich bekam dort ein billiges Edel-Essgerät, weil nicht mehr vollständig. Rostfrei-Töpfe und Glas sowie eine Silberpolitur gab es bei einer Firma am Stephansplatz. Den Preisen nach war das früher wohl eine Apotheke. Nun konnte das stilvolle Dinner mit „Ham and Eggs“ und Gösser steigen. Die fehlenden Kerzenleuchter und Stoffservietten bat ich meinen Butler zu entschuldigen, ich würde sie demnächst besorgen.

Nie hätte ich geglaubt, dass ein einfaches Nachtmahl so anstrengend sein kann. Zuerst musste ich unter die Dusche, Rasieren, Kopf waschen, Maniküre; und was eigentlich zieht man zu Hause für diese, äh, „Zeremonie“ an? „A Dinner Jacket, what else?“, empfahl mein Butler, aber sowas habe ich doch nicht. Die Inspektion meines Kleiderschrankes war für mich – in Unterhosen davorstehend – sehr beschämend. Gut die Hälfte meiner Kleidung landete am Boden und sollte morgen in die Humana-Container, meinte James. Nur ein weinrotes neues Sakko und schwarze Hose, mit passender Fliege ergänzt, fand Gnade für diesen Abend. Auch war nur ein einziges Paar Schuhe Gentleman-tauglich, die anderen möge ich auf der Baustelle auftragen.

Mir knurrte schon der Magen, aber da fing die Prüfung erst an. Ich durfte nicht einmal in die Küche, sondern hatte mir im Wohnzimmer einen Sherry einzuschenken und auf die Ankündigung von James „Dinner is ready, Sir“ zu warten. Mangels Sherry hatte ich ein größeres Schnapsglas mit „Nussernem“ in der Hand, als er mich endlich zu Tisch bat. Seinen erstaunten Blick, von dezentem Schnuppern begleitet, erwiderte ich mit der Ausrede: „That’s the Austrian Sherry, a very special kind of.“

Man soll es nicht glauben, aber ein englischer Gentleman freut sich nicht aufs Essen!! Zumindest darf er es nicht zeigen! Kaum nahm ich mit freudig-erwartungsvollem Gesicht am festlich gedeckten Tisch Platz, als mir James auch schon mit langsam absinkenden Händen zu verstehen gab, dass wahrnehmbare Freude aufs Essen fehl am Platz sei, höchstens eine amüsierte Bemerkung, was die Köchin heute gezaubert haben könnte. Auf seine Frage, was für ein Getränk ich bevorzöge, erwiderte ich also brav: „A pint of bitter, please“, worauf mein Butler in Ermangelung eines Weinkühlers die Bierflasche aus einer irdenen Blumenvase zog und behutsam einschenkte. Natürlich nur dreiviertel voll. Aber die Bemerkung, dass üblicherweise zuerst ein Aperitif angebracht wäre, verkniff er sich doch nicht. Nach dieser bitteren Pille kam endlich der Lichtblick des Abends, das von James persönlich zubereitete „Ham and Eggs“, mit einer sogenannten Salatgarnitur und einer Semmel als Beilage. Die drei Blatt Schinken waren wohl einzeln geröstet und zusammengerollt worden, die zwei Spiegeleier bedeckten nur einen Bruchteil des großen Zwiebelmuster-Tellers, weshalb die auf einem eigenen Tellerchen liegende Semmel die Hauptlast der Mahlzeit tragen musste. Außerdem wachte James mit Argusaugen darüber, dass ich nur daumennagelgroße Stücke auf die Gabel nahm und die Semmel nicht wie gewohnt in vier, fünf Stücke riss und verschlang, sondern jeden kleinen Bissen endlos kaute. Auch das Bier durfte nur schluckweise getrunken werden. Während des Essens erinnerte ich mich an die Mathematikstunden im Gymnasium – die vergingen auch so quälend langsam.

Endlich war der letzte Rest auf dem Teller weg, die Semmel verzehrt und der bereits warme Bierrest im Glas geleert, mit der Serviette der Mund abgewischt und ich durfte aufstehen. „It was a good start, Sir“, lobte mich James und wurde zu seinem eigenen Abendessen in die Küche entlassen, während ich mir die Schuhe für den Abendspaziergang anzog. Jetzt brauchte ich ein Gulasch und ein Bier, um den Schock abzuarbeiten. Ich gab mir unterwegs einige unfreundliche Namen, weil ich mir diesen Unfug überhaupt angetan hatte. Aber als ich im ungelüfteten Wirtshaus beim zähen Gulasch saß, den lauten Gesprächen der örtlichen Trinkergemeinde zuhören musste und das Bier aus einem stark abgenutzten Krügel trank, fand ich erstaunlicherweise, dass ein üppigeres Dinner mit ein, zwei angenehmen Gästen auch seine guten Seiten haben könnte. Nach dem zweiten Bier kam ich ziemlich müde nach Hause, grunzte nur mehr ein „Good night, James“ und fiel ins Bett. Geträumt habe ich in dieser Nacht komischerweise, dass ich auf eine Südsee-Insel gezogen sei und mit einem braunen Mädchen ohne jede Zivilisation  jeden Tag mit der Sonne um die Wette strahlte.

Der folgende Bürotag war anstrengend genug, und abends musste ich noch zwei Tischtücher und Stoffservietten kaufen. Die von James urgierten Kerzenleuchter aus Silber haben schweres Geld gekostet; dass das auch eine gute Wertanlage sei, war nur ein schwacher Trost. Gott sei Dank gab es am Stephansplatz auch Kerzen. Endlich alles erledigt für heute, ich hätte mich beinahe schon aufs Heimkommen gefreut, da fiel mir ein, dass ich ja wieder ein Dinner zu überstehen hatte. Und was sollte da auf dem Speiseplan stehen? Die Standlerin bei der Haltestelle hatte schöne Zwetschken anzubieten – also Zwetschkenknödel! Fertigteig war zu Hause, und vom Chinesen nahm ich einen Behälter Suppe mit.

„Good evening, James, what about plum-dumplings for dinner? Would you like to watch me making them?“ Mein guter Geist nickte interessiert, und während ich die Brösel röstete und den Teig rührte, erzählte er mir von seinem Vienna-Sightseeing und dass ihm Wien sehr gut gefallen hatte. Inzwischen überlegte ich, ob ich heute noch einen Tischgast gewinnen könnte. Ein Ehepaar kam wohl so schnell nicht in Frage, aber halt, die Malerin vom 7. Stock könnte ich anrufen. Ihre unkonventionelle Künstlernatur wäre ein erfrischender Kontrast zum formellen Butler-Dinner. Sie sagte gerne zu, den ganzen Tag hätte sie gearbeitet, nun wäre ihr ein warmes Essen sehr angenehm. Ja, pünktlich um 19:30 Uhr. „James, please dinner for two at half past seven, a friend of mine, Lady Charlotte, will come“, teilte ich meinem Butler mit, während ich die Knödel formte und ihn unterwies, dass diese genau 15 Minuten im kochenden Wasser bräuchten, ehe sie in den Bröseln gewälzt würden. Und bitte den Zuckerstreuer nicht zu vergessen.

Um halb acht traf meine Nachbarin ein und meinen Butler fast der Schlag: Charlotte war auf Meerjungfrau unterwegs; sie trug ein Eigenbau-Kleid aus glänzenden grünblauen Stoffbahnen, das unten zu lang und oben zu kurz war; ihren großteils sichtbaren Oberkörper bedeckten mehrere Muschelketten. „Jö, Zwetschkenknödel“, jubelte sie und umarmte mich wie einen heimkehrenden Krieger. Erst dann erkannte sie die Situation – den steifen Butler und meine vornehme Gewandung. Das steckte sie mit einem „Na servas“ locker weg, ging voraus ins Zimmer und kippte den doppelten Nussernen wie einen Schluck Wasser. Inzwischen entzündete James die Kerzen und rückte meiner „Lady“ den Stuhl zurecht. Bei der Suppe war ihr der Schock noch anzumerken, aber bereits beim ersten „plum-dumpling“ war sie wieder unbeschwert, gratulierte mir zum Joker-Gewinn und wir plauderten gutgelaunt. Auch James taute auf und servierte nachsichtig lächelnd die Traminer Spätlese. Somit genossen wir ein fröhliches Dinner; schwierig war nur, Charlotte gegen neun wieder zu verabschieden, weil ich angeblich noch zu einem Freund musste. James begriff sofort und kam mit dem Mantel, während mein Gast sich für den schönen Abend bedankte. Nach einer Runde um den Häuserblock leistete ich James bei seinem Abendessen in der Küche Gesellschaft, wo er mir die richtige Besteck-Handhabung vorführte. „It was an interesting evening“, kommentierte er wohlwollend, nachdem ich meine „Lady“ als schräge Künstlerin klassifiziert hatte. Und diese herrlichen „plum-dumplings“ wolle er in Cornwall heimisch machen – ob ich noch mehr so gute Gerichte kenne. „Oh yes, James, a lot of.“

Am nächsten Tag im Büro erklärte ich meinem Chef, Dkfm. Sensenbrenner, die Situation, und dass ich jetzt sofort meinen ganzen Urlaub fürs Renovieren bräuchte. „Ein Cottage in Cornwall, ich gratuliere“, meinte dieser anerkennend, „da wollte ich schon lange einmal hin.“ Worauf ich ihm vorschlug: „Überraschen Sie doch Ihre Frau und feiern Sie Weihnachten dort – ich muss ohnehin „Bed and Breakfast“ anbieten, um die laufenden Kosten zu decken, würde Ihnen das gefallen? Ich kann gerne ein paar Fotos schicken, wenn wir fertig sind, ja?“ Er müsse natürlich noch seine Frau überzeugen, so mein Chef, aber ja, er würde mir Ende November Bescheid geben.

Robert Müller

Auf ins Finale: gleich weiterlesen bei Teil 3

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(Auf Wunsch des Autors wurde bei diesem Text auf manche Lektoratskorrektur verzichtet
und der Text großteils im Original belassen.)