Mein Vater (beim Kübelausleeren)

Der Tag war blau hinten und grün vorne, keine Vögel, ein paar Katzen, ein Pferd. Ein Zaun drumherum, um die Tiere, ein weißer, ohne Bretter, nur die Pfosten, die ganz allein in der Erde steckten, auf einem ein Schmetterling, oben drauf.
Es war ein schöner Tag.
Mein Vater hat schon begonnen damit, die Kohle zum Hacken.

Die großen Stücke in kleinere, damit die dann besser ins Bügeleisen passen, so auf einer Picknickdecke wegen den ganzen Restln, die zu klein sind zum Aufheben. Die sollen ja nicht da liegen bleiben, im Gras, um den Hackstock herum, sagt mein Vater immer, und beim nächsten Regen dann weiter ins Grundwasser. Deswegen auch die Decke. Die, die um die Mitte selbst schon ganz schwarze, in die mein Vater dann die zu kleinen Kohlerestln immer vorsichtig einschlägt, und dann in den Eisenkübel schüttelt, im Schuppen hinten.

Mein Vater sagt immer, wohin denn leicht sonst daweil?, manchmal zuckt er aber nur mit den Schultern.
Das geht aber auch nicht immer.
Manchmal ist der Kübel auch voll.
So wie heute, randvoll voll, und mit Gupf oben drauf, weil der Kübel wird ja nur ausgeleert, wenn überhaupt nichts mehr reingeht schon. Wenn alle neuen Kohlerestln nur noch am Gupf runter rodeln würden und über die Kante vom Kübel, und das geht ja nicht. Da wär’n ja die Kohlerestln dann erst wieder am Boden unten, was ja, sagt mein Vater immer, dann ja alles nichts bringt das Ganze. Da könnte er die Kohlerestln ja gleich auch draußen im Gras liegen lassen, weil so ein richtiges Fundament hat der Schuppen genauso nicht. Und das Dach?, naja, solala, ein Haufen Löcher sind da ja schon drin, schön verteilt über das ganze rostige Wellblech, Tupferln aus Licht von draußen, auf die mir mein Vater dann immer zeigt. Weil der Regen, der da dort dann ja auch durch tröpfeln kann wie die Sonne jetzt, der wascht uns die ganzen Kohlerestln dann erst wieder rein ins Grundwasser, das sagt mein Vater da dann immer dazu und fragt:
Wer trinkt’n das Wasser denn dann?
Na wer?
Na genau.

Aber nächstes Jahr dann aber, dann steigt er dann eh rauf aufs Dach, und stopft die Löcher eh endlich zu mit Stroh. Das hat sich mein Vater fest vorgenommen, seit drei Jahren schon, heuer aber, heuer wird’s halt noch so geh’n müssen einmal, und er legt dann immer die Decke mit den heutigen Kohlerestln behutsam rauf auf die Werkbank, weil er zum Kübelausleeren ja alle zwei Hände braucht. Der Kübel, der ist ja dann schon ein bissi schwer, so bis oben hin voll mit Kohlerestln, und der Gupf, auf den muss mein Vater dabei ja dann immer ganz besonders gut aufpassen. Der ist ja dann immer schon hoch, der Gupf, wenn nichts mehr oben drauf passt, da kommen dann gleich ja ganz leicht gleich Lawinen. Lawinen aus Kohlerestln, vorn oder hinten und seitlich, beim kleinsten Wackler nur, und dann fallen ja erst wieder Kohlerestln am Boden runter und dann erst wieder ins Grundwasser rein. Ganz langsam also, ganz langsam muss das also dann gehen immer, das mit dem Kübelausleeren, auch wenn die Arme bald weh tun und die Oberschenkel. Langsam, mit beiden Händen fest herum um den Griff von dem Henkel, und mein Vater hebt den Kübel dann immer vorsichtig weg vom Boden, und muss mit Luftanhalten da dann immer am allerfestesten drauf achten, was der Gupf gerade macht.
Rodelt da schon was?
Ui, da oder?
Nein, nur Schatten, nein, Licht.
Ein Schritt.
Und jetzt?
Nein.
Oder?
Der nächste Schritt.

Mein Vater kommt da dann ja so immer nur sehr mühsam vorwärts. So vornüber gebeugt, leicht in den Knien, und mit dem Kopf unten, und nicht erst einmal ist er da schon über was drüber geflogen beim Kübelausleeren so. Ein Mal über den Rechen, das war lustig. Auch auf einen angebissenen Apfel, da ist er einmal drauf gestiegen, was aber nicht ganz so lustig war. Einmal abgebissen nur, von ihm selber, und dann weg damit, im hohen Bogen, weil der Apfel doch noch nicht ganz süß genug war, und mein Vater hat sich dann ordentlich in die Zungen gebissen beim Hinfallen, also beim Aufkommen am Boden dann gleich danach.
Sein Gesicht, das ist dann ganz schwarz gewesen.
Das Gras rundherum genau so.
Den Kübel hat mein Vater dabei ja halbert ausgeschüttet dabei.

Und dann halt wieder das Übliche: das Gras drunter weggraben. Mit der Schaufel, mein Vater sagt immer, überhaupt der feine Kohlenstaub, der geht halt nicht mehr so runter zum Wischen vom Gras. Also Weggraben. Ein paar Zentimeter tief, mindestens, schaufelblattbreite Quadrate aus verkohltem Gras, also Gras wo halt Kohlenstaub oben drauf liegt, und die dann rein damit in die Scheibtruhe, die mein Vater erst letztens erst wieder gebraucht hat.
Er hat da nämlich plötzlich niesen müssen, beim Kübelausleeren letztes Mal.
Ein neuer Regenwurmrekord.
Gleich fünf, fünf Regenwürmer hab’ ich da gefunden das Mal, und wieder zurück auf den Boden, hinter dem dann nicht irgendwann nur mehr Luft kommt wie bei den Grasquadraten. Ja. Regenwürmer sind ja auch gut für was, oder?, mein Vater sagt aber immer, „Geh bitte. Was die da herumgraben, davon wachst da ja trotzdem nix mehr“, und sticht ein neues Quadrat aus.

Die Wiese schaut auch schon aus genau deshalb.
Überall Fleckerl, die fehlen, in so eckigen Löchern, so ohne Gras, lehmig, und wenn’s regnet: voll Gatsch. Voller dreckigem Wasser, voll braun und so, besonders tief dort, wo mein Vater immer am öftesten unabsichtlich Kohlerestln ausstreut, früher ja hinter und vor dem Zaun. Früher halt, und der Zaun noch mit Latten drauf, also Drüberheben, weil durchs offene Tor vorn wär’ das ja ein Umweg gewesen, ein ordentlicher. Schon fünfzig Schritte knapp, viel zu weit mit so einem wackligen Gupf zum Schleppen, aber das war natürlich auch nicht so einfach, den Kübel da weit genug hoch zum Heben und dann sanft wieder runter auf der draußeren Seite. Immer ein bissi, ein bissi was von den Kohlerestln ist da dabei dann ja immer dann runter gerodelt, vom Gupf, und weiter auf den Boden, weshalb die ganzen Latten jetzt ja auch weg sind alle. Zuerst ja nur zwei, die im kürzesten Weg rüber aufs Nachbargrundstück, damit das endlich ein Ende hat mit dem Drüberheben über den Zaun, nur ist mein Vater dann aber dann drauf gekommen: „Wie schaut das denn aus, bitte? Als würd’ da was fehlen! Was soll’n sich die Leute da denken?“
Seit dem hat der Zaun nur noch Pfosten.
Ohne Bretter dazwischen überall.
Ja.

Also mein Vater hat die Pfosten dann eben nicht aus der Erde heraus bekommen, wie die ganzen Latten schon unten waren, so tief sind die Pfosten da drin gesteckt, und, ja, aber die Tiere, die sind gar nicht davon gelaufen deswegen. Aber, gut, da waren ja auch nur noch die paar Katzen, für die der Zaun eh nie wirklich gegolten hat, und dann das Pferd, das nur noch zu alt war für alles. Der Rest, die Hühner und die Schweine und alle, die waren da ja lang schon verkauft schon, von damals, wo mein Vater noch den ganzen Tag nur noch Schnaps getrunken hat.
Über ein Jahr hat das gedauert.
Und Viehbauer hat mein Vater dann ohne Vieh ab dann nicht mehr weiter sein können.

Nein, er muss ja jetzt sogar Bügeln für sein Geld, sagt mein Vater immer, wie eine Frau, und am Kübelausleeren führt dann wegen der zu großen Kohlen kein Weg halt vorbei, und er macht auf halbem Weg dann immer seine Rast. Wegen den Armen, weil die schon zu schwach werden, und die Beine, und er muss sich dann immer kurz hinsetzen, immer auf halbem Weg, immer beim Walnussbaum, und mein Vater erzählt mir dann immer dasselbe dort. Wie er als junger Mann da hier immer her gekommen ist mit meiner Mamma, zum Sterneanschaun, damals, wie der Baum noch gelebt hat. Und meine Mamma auch.
„Vorbei“, sagt mein Vater dann immer, niemand mehr da zum Sterneschaun, was aber gar nicht so schlimm wäre, würde der Baum auch endlich komplett verwittert sein. Am besten verschwunden, gleich, jetzt, und mit ihm das Herzerl, das er damals hinein geschnitzt hat in die Rinde. Das mit dem ersten Buchstaben von seinem Vornamen und dann dem ersten Buchstaben vom Vornamen von meiner Mamma drin, und dazwischen ein Plus.
J+S.
Die Schrift ist zwar schon dünkler geworden, und grauer, da aber noch immer.
„Ja, so is’ das halt.“
„Wuascht ob gut oder schlecht.“

Vielleicht hat mein Vater den Baum auch deshalb nie umgeschnitten, und irgendwann geht er dann weiter.
Mit dem Kübel und dem Gupf voller Kohlerestln am Henkel, vornübergebeugt, Schritt für Schritt, und dann kommt dann auch schon nachher der Steg bald.
Da ist nämlich so ein kleiner Bach im Weg dann, und gleichzeitig auch die Grenze.
So ein kleiner Bach mit einem rutschigen Steg drüber, zwischen unserm Grund und dem vom linken Nachbarn, und auch wenn’s lang schon nicht mehr geregnet hat, im Bach drin ist immer Wasser, und der Steg immer rutschig. Wegen dem Holz wahrscheinlich, voller Schimmel, oder Algen, aber grün auf jeden Fall, und rutschig, und das ist dann auch dort, wo mein Vater dann immer, dann immer auch aufhört damit, ganz genau hinzuschauen.

Er gibt’s zwar nicht gern zu, also überhaupt, aber trotzdem: Ich kann das dann ja immer in seinen Augen schon sehen, wenn er dann den ersten Fuß auf den Steg setzt. Mit dem Kübel mit den Kohlerestln und dem wackligen Gupf, und in den Bach sollte davon ja eigentlich schon gar nix reinfallen dürfen, oder? Weil das Grundwasser und so, viel schneller drin dann die Kohle, und da gibt’s ja dann nicht mal ein Weggraben mehr.
Schon, oder?
Also das, was mein Vater nicht wollen hat, von Anfang an.
Weshalb auch das Ganze.
Das, wegen dem, wegen dem Bügeleisen, das kleine Kohlen braucht, und den Restln, und dem Grundwasser vor allem.
Also ja.
Wegen dem allem so.
Bis dahin wenigstens.

„Der erste Fuß zuerst“, sagt mein Vater dann immer, der erste Fuß zuerst, was nicht unbedingt das Einfachste war. Der erste Fuß, ich mein’, das ist dann ja schon wie zum Ausrutschen gedacht. Wie das ist eben, mit einem Fuß am Glitsch, und dem anderen noch am Ufer, also so ohne Glitsch, also mit Halt halt.
Da wird’s dann schon schwierig ohne Ausrutschen.
Also es geht schon, aber die Gefahr is’ schon, also da.
Da halt, und nicht erst einmal, nicht erst einmal ist mein Vater da nass geworden. Nicht erst einmal, und dann lauter Kohlerestln im Bach, noch nie alles zum Glück, aber trotzdem.
„Naja, der Bach, der, der fließt eh schon fast drüben“, sagt mein Vater da immer.
Halb so schlimm also alles.

Und nach dem Bach und dem Steg, da passt mein Vater dann so und so nicht mehr ganz so richtig auf, dass der Gupf oben bleibt am Kübel. Dort rieselt was, und da rieselt was, aber dann sind die Kohlerestln am Boden dann nicht mehr so ganz das Drama, drüben, auf der anderen Seite.
„Ja, ewig hamma auch nicht Zeit, oder?“, fragt mein Vater dann immer, und es geht damit dann dadurch auch wirklich viel schneller weiter. Nicht mehr so Schritt für Schritt, jetzt ohne Pause dazwischen, der Kübel, der schwingt dann schon, zwischen seinen Beinen, wie eine Kuhglocke, halt ohne Läuten halt, und der Gupf, der wird auch dann schnell niedriger und niedriger vom Beeilen.
Niedriger.
Und niedriger.
Aber dann kommt aber da eh schon der Brunnen vom Nachbarn, von dem, der gar nicht mehr da wohnt.
Seit dem Unfall, da hat der es bei uns in Gamsbruck irgendwann nicht mehr ausgehalten.

Sogar einmal in der Kirche, wie da mein Vater noch den ganzen Tag Schnaps getrunken hat, ja, höflich war was mein Vater da geschrien hat eher nicht.
Im Gegenteil.
Und: „So“, sagt er dann immer, „Und das dafür“, und er leert dann die Kohlerestln mit einem komischen Grinsen rein in den Brunnen vom Nachbarn, und klopft den Kübel danach gründlich von außen auch aus.
Und dann wieder zurück wieder.
Halt bis zum nächsten Mal.
Mein Vater sagt immer, „Da schau! Das alles nur wegen dem Grundwasser.“
Nur kann ich’s ihm nur nie so recht glauben.

Markus Peyerl
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