Mein Häschen

Dagmar:         Wir müssen es deiner Frau sagen.

Das war der erste Satz meines One-Night-Stands an mich, als ich sie nach ein paar Tagen besuchte, um zumindest einen Two-Nights-Stand aus Dagmar zu machen.

Ich:                 Nein, auf keinen Fall! Weshalb denn, bitte?

Dagmar:         Deine Frau muss doch Bescheid wissen.

Ich:                 Nein, muss sie nicht. Was soll das denn bringen?

Dagmar:         Na, du musst dich jetzt doch scheiden lassen.

Ich:                 Nein, wieso sollte ich das tun?

Dagmar:         Wegen mir.

Das sah jetzt ganz schlecht für mich aus.

Ich:                 Öh.

Dagmar:         „Öh“ ist nicht das, was ich von dir hören will, mein Häschen. Ich kann deiner Frau auch einen Brief schreiben. Wär dir das lieber?

Ich:                 Nein, wär es nicht. Können wir nicht einfach meine Frau aus dem Spiel lassen, Dagi?

Dagmar:         Ich finde, sie soll wissen, woran sie ist.

Ich:                 Und woran soll sie sein?

Dagmar:         Aus dem Rennen.

In Wirklichkeit war ich aus dem Rennen, wusste ich.

Das Paar im blau-weißen Boot mit Außenbordmotor auf dem Wörthersee

Das Paar im blau-weißen Boot mit Außenbordmotor auf dem Wörthersee

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 22040




Marlies-Momente

Und manchmal erinnerte ich mich noch an sie. Wir kannten uns ziemlich gut, damals noch, in der elften Klasse, als wir uns zum ersten Mal sahen: Marlies und ich. Als sie plötzlich und unvermittelt neben mir Platz nahm. Natürlich krümmte sich der Raum um sie herum. Sie hatte das, was man als das „gewisse Etwas“ bezeichnen könnte. Jedenfalls waren die anderen nicht so aufregend. Sie hatte auch andere Interessen als die anderen: Als sie einmal in der Klasse nach ihrem Lieblingsfilm gefragt wurde, nannte sie „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“. Ein anderer Mitschüler kannte nur James Bond.

Jahre vergingen und wir verloren uns aus den Augen. Doch ich hatte gelernt, Menschen wie Marlies zu schätzen, die es vollbrachten, dass sich alles rund um sie veränderte. Schnell begann ich ein Studium und merkte, wie mich meine Kommilitonen anödeten. Sicher, ich hatte das falsche Fach studiert, ohne es zu merken. Dies fiel mir lange Zeit aber gar nicht auf, und ich nahm teil an den anderen Späßen. Doch auf einmal kamen diese Austauschstudierenden und wollten in der Mensa mit uns über Bücher reden. Was sie alles kannten. Dante. Boccaccio, Shakespeare. Eine Studienkollegin sagte, sie kenne nur „Lord of the Flies“. Bzzzz. Und das, ohne rot zu werden.

Manchmal – aber das ist eher schon die Ausnahme – treffe ich Menschen wie Marlies. Menschen, die aus der Masse hervorstechen und eben den Raum krümmen. So jemandem zu begegnen, ist mir manchmal unheimlich, dann fühle ich mich verletzt, eingeschüchtert. Aber hin und wieder verspürte ich den großen Wunsch, genauso zu werden wie sie.

Marlies studierte jetzt irgendeine Geisteswissenschaft. Und was sie machte, das musste ja gut sein. Sie war jedenfalls keine dieser oberflächlichen Studierenden, die, sobald die Schule zu Ende war, kein Buch mehr in die Hand genommen hatten. Und es war ja nicht nur das. Klar, dass sie einen besseren Musikgeschmack und Lebensstil hatte als die anderen.

Manchmal frage ich mich, was aus mir geworden wäre, hätte ich solche Leute wie Marlies nicht getroffen. Ich würde noch immer dieselben dummen Späße machen wie die anderen aus meiner Klasse und würde mich nicht genieren, dumm zu schwadronieren, und das noch mit vierzig.

Sicher, es gibt in der Soziologie so etwas wie das „kulturelle Kapital“. Dies wird durch die Eltern gewissermaßen vererbt. Manche haben mehr davon, manche weniger. Gerade am Beginn des Studiums gibt es ein Aussortieren zwischen den prestigeträchtigen Fächern Jus und Medizin, den als „brotlos“ verschrienen Geisteswissenschaften und einigen biederen Alternativen. Klar bedeutet es für Menschen aus einem bildungsungeübten Haushalt überhaupt schon einen Aufstieg, studieren zu können. Nach einiger Zeit müsste man aber doch merken, dass man manchmal für dumm verkauft wird. Und irgendwann gehen, wenn es einem zu blöd wird.

Meine ganzen Jahre verbrachte ich damit, Leuten wie Marlies zu imponieren. Und genau das war auch meine Motivation: dass es viel schöner war, Zeit mit geistreichen Menschen zu verbringen als mit anderen. Leider waren solche Begegnungen wie die mit Marlies viel zu selten und manchmal wusste ich auch nicht die Chance zu nutzen.

„Die Wege des Herrn sind unergründlich. Sie zu hinterfragen hat keinen Sinn“: So oder so ähnlich heißt es in der Bibel. Ich hoffte innerlich auf mehr Marlies-Momente, doch die kamen immer sehr unerwartet. Und ich habe gelernt, diese Momente auch anzunehmen, in Dankbarkeit und Demut. Denn das Schöne auf der Welt ist eine sehr zarte Pflanze auf einem unwirtlichen Planeten …

Michael Bauer

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 22038




Italia 1952

Meine Gattin wirft mit Geschirr nach mir. Italia 1952. „Dein Bärtchen war mir immer schon verdächtig!“, schreit sie. „Dieses blöde Menjoubärtchen tragen doch nur Aufreißertypen, so wie du! Ich hasse dich!“ Die Sauciere trifft mich am linken Oberarm. „Meine Benedetta, wie leidenschaftlich sie doch ist! Wie sehr ich sie doch liebe!“

Die Blume aus dem Märchen beim Lendkanal

Die Blume aus dem Märchen beim Lendkanal

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 22015




Die Geliebte spricht

„Du bringst mein Herz zum Wanken,
doch fallen wird es nicht.
Denn es steht treu zu dem, den ich einst erwählt,
bis es nicht mehr schlägt.“

The Wrong Heart

The Wrong Heart

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 21122




Deine glatten blonden Haare

„Du hast so schöne glatte blonde Haare“, sagt sie. „Ich liebe glatte Haare, meine sind kraus, deine Haare sind wunderschön. Ich liebe auch dich, nicht nur deine Haare, aber deine Haare machen einen großen Teil meiner Liebe für dich aus.“ Sie streicht ihm durch die Haare und freut sich wie ein junges Mädchen.

Die Cornrows-Frisur des nanah afro american hair salons

Die Cornrows-Frisur des nanah afro american hair salons

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 21102




Seeing Isa

In der Wiese sitzend fragte sie
und erhoffte bloß ein Ja
Gründe – im Grunde – verstecken nicht gut
dass Nein seine Antwort war

Erklären ist nicht reden und lieben nicht alles
Schwere Kost auf schmerzenden Magen
Auf dem Teller liegt das Gänseblümchen
das sie ausriss, um nicht nur weinend zu warten

Emma Kreska

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 21081




Blaue Haare

Wählen einer Nummer vom Mobiltelefon.

Tüt-tüt.

Günther:
Hallo Rainer. Alles Gute im neuen Jahr! Ist ja erst ein paar Stunden her, dass wir zusammen waren. Ich hoffe, deine Laune ist besser als das Wetter draußen. Bist du zuhause?

Rainer:
Hallo Günther. Nein, ich bin nicht zuhause. Ich bin auf einem Dachboden. Ich weiß nicht, wie ich da raufgekommen bin. Ich kenne das Haus gar nicht. Dir auch alles Gute natürlich. War ja auch eine wilde Nacht.
Mir ist komplett der Faden gerissen. Und dann finde ich in meiner Jackentasche eine blaue Haarsträhne. Eine lange Haarsträhne. Sag, habe ich gestern mit einer Frau mit blauen Haaren geredet?

Günther:
Für dich beginnt das neue Jahr ja mit reichlich Abwechslung! Du hast gestern wohl mit vielen Frauen herumgealbert, aber denen warst du wahrscheinlich zu überdreht. Die sind alle gegangen. Keine von denen hatte blaue Haare.
Du hast dann Hermann getroffen. Du weißt, ich mag den nicht so gerne, also habe ich mich vertschüsst. Frag ihn! Vielleicht kann er dir weiterhelfen.

Rainer:
Danke für die Auskunft, Günther. Verstehst du, ich finde das so schräg, blaue Haare, zu Silvester, eine, die sich abgibt mit einem wie mir. Auch wenn es so mühsam wird, die Frau zu finden, wie einen Kolibri im Regenwald zu fangen, ich werde es versuchen. Ich habe nichts zu verlieren. Ich will einen neuen Anfang wagen. Und ich war schon so lange nicht mehr verliebt. Bis jetzt.
Mach’s gut, Günther, bis demnächst.

Günther:
Na dann mal viel Glück bei der Suche. Mach’s besser, ciao.

Die Verbindung wird gekappt.

Kurze Pause.

Rainer tippt in sein Mobiltelefon.

Tüt-tüt.

Hermann:
Yo Mann. Dass du überhaupt noch lebst, ist ja ein Wunder. Rufst du nur so an oder kann ich dir meine erste gute Tat des neuen Jahres angedeihen lassen?

Rainer:
Servus Hermann. Erst mal alles Gute und so, du weißt schon. Du, was ich dich fragen wollte: Bist du schon mal mit einer Gänsehaut aufgewacht?

Hermann:
Nicht, dass ich mich erinnern könnte. Du kennst mich ja. Ich habe eine Elefantenhaut. Ich lass nichts so leicht an mich ran. Schieß schon los, warum fragst du?

Rainer:
Mir ist das letzte Nacht passiert. Zum ersten Mal. Ich habe geträumt, ich fahre mit einer Frau auf dem Beifahrersitz in einem Auto. Plötzlich weiß ich nicht mehr, wo ich bin. Ich nehme meine Landkarte und lege sie auf das Lenkrad. Zu der Frau sage ich: „Du Kleines, wo wollen wir eigentlich hin?“
Keine Antwort kommt. Ich blicke nach rechts. Der Beifahrersitz ist leer. Auf ihm liegt eine blaue Haarsträhne.
Ich habe Verlust gespürt. Ich habe das Gefühl gehabt, mit dieser Frau hätte sich mein Leben zum Positiven drehen können. Und ohne sie ginge es weiter wie bisher. Ich bin ja andauernd auf einer Reise im Nirgendwoland. Ich will was ändern, Mann! Ich will diese Frau mit den blauen Haaren finden. Wir waren doch gestern unterwegs, sag, habe ich sie etwa da schon gefunden?

Hermann:
Mensch Meier, du bist ja echt am Drehen! Aber in dieser Hinsicht muss ich dich enttäuschen. Wir haben zwar unsere Späße mit jungen und älteren Mädchen gemacht, doch eine mit blauen Haaren war nicht darunter. Ich bin dann aufs Klo, und als ich zurückkam, warst du weg.
Wenn du von mir einen Rat willst, dann diesen: Schau, dass du die Frau so rasch als möglich aus deinem Kopf rauskriegst. Falls es sie überhaupt gibt, was ich bezweifle, ist sie ja doch nur ein Punk. Sie wird dir nicht helfen.

Rainer:
Da spricht der alte Versicherungsvertreter. Du machst einem den Mund wässrig, wenn du deine Polizzen anpreist, aber sonst nimmst du einem den geringsten Hoffnungsschimmer. Trotzdem wünsche ich dir ein erfolgreiches Wirtschaftsjahr. Adieu. Ich werd mich so schnell nicht wieder bei dir melden.

Hermann:
Mann, bist du kompliziert! Sei doch nicht gleich eingeschnap…

Rainer drückt auf den roten Knopf seines Mobiltelefons.

Stille.

Beep-beep.

Rainers Mobiltelefon hat eine Nachricht empfangen.

Rainer liest vor:
„Hallo, ich bin’s. Kannst du dich noch an mich erinnern?“

Erzähler:
Und dabei ein Foto. Blaue Haare und ein Gesicht so wunderschön.

Blaue Haare

Blaue Haare

Johannes Tosin (Text)

Bild:
Dargestellte Person: Johannes Tosin
Fotograf: Michael Tosin

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 21051

 




Winter

Die Kälte legt sich nieder
und bleibt, bis der Frühling kommt
mit Palmkätzchen und Schneeglöckchen und der jungen Liebe.

Das Pärchen im Pavillon am Ende des Pörtschacher Landspitzes im Schnee

Das Pärchen im Pavillon am Ende des Pörtschacher Landspitzes im Schnee

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 21039




Postkasten

Unsere Blicke treffen sich
alles in mir zu verbergen
kann ich gut
schnell gehe ich an dir vorbei
Mein Schlüssel
findet das Schloss nicht
der Puls hat sich beschleunigt
Ich zittere
durch die Kälte, die du hinterlassen hast

Florian Pfeffer

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 21012




Du untreuer Geist!

Ich hab auf dich gebaut,
ich hab mit dir geplant.
Wirklich, was du mir angetan hast,
geht auf keine Kuhhaut im Quadrat!

Was sagtest du vor zwei Jahren und 162 Tagen?
„Ich gehe schnell mal Zigaretten holen.“
Ich dachte mir nichts dabei.
Erst am folgenden Morgen überlegte ich: Du bist doch Nichtraucher.

Denkst du wenigstens manchmal an mich,
wenn du dir mit deiner Schlampe die Caipirinhas reinziehst?
Kann sie überhaupt kochen?
Das muss sie gar nicht, das macht die Köchin für ein paar Reais, würdest du sagen.

Ich wünsche dir die Hölle, du untreuer Geist!
Feuer und Eisen bis in alle Ewigkeit.
Es wird nicht schlimmer werden, damit kannst du dich trösten,
aber besser auch nie.

Stahlwerk im Jahr 2004

Stahlwerk im Jahr 2004

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 21009