Ein letztes Mahl

Was auch immer sich im kleinen steirischen Dorf Gratwein zutrug – Melitta Knehs wusste davon.
Sie war siebenundfünfzig Jahre alt, glücklich und vermögend verwitwet und widmete ihre Zeit ihrer Spitzhündin namens Ella und den Dingen, die im Ort vor sich gingen.
Melitta hatte sich als große Aufdeckerin einen Namen in Gratwein gemacht, zumindest sah sie das so. Die übrigen Einwohner des Dorfes, etwa dreitausend an der Zahl, sahen die Sache anders: Für sie war diese Frau einfach eine Plage, der man aber besser nichts entgegensetzte, aus wirtschaftlichen Gründen.

Ihr vor Jahren verstorbener Mann, Oswald Knehs, war der Besitzer des größten Sägewerkes im Ort. Außerdem hatten ihm ein Gasthaus, ein Lebensmittelgeschäft und das örtliche Bordell gehört.
Er war dem Trunk nicht abgeneigt, und oft kam es zu unschönen Szenen im Hause Knehs, wenn Oswald nach ausgiebigen Touren durch seine beiden Gastronomiebetriebe auf allen Vieren in das eheliche Schlafzimmer zu schleichen versuchte.
Eines Tages ging im Dorf die Meldung vom plötzlichen Tod des vermögenden Mannes um. Es wurde hinter vorgehaltener Hand getuschelt, doch wagte niemand öffentlich darüber zu sprechen, zu groß war die Furcht, als Urheber einer Falschmeldung zu gelten. Darüber hinaus hatte sich Melitta Knehs nicht zu dem Vorfall geäußert. Sie schwieg eisern und machte nicht den Eindruck, über den Verlust des Mannes traurig zu sein, der ihr Treue bis in den Tod versprochen sowie angetrunken ein von ihr abgefasstes Testament unterfertigt hatte.

Einer der drei Gratweiner Polizeibeamten gab in bierseliger Runde am Tresen eines Gasthauses Details zum Besten: Melitta hatte ihren Gatten auf die Jagd begleitet, was ungewöhnlich für sie war, denn sie verabscheute das Töten von Lebewesen. Sie musste ihren Mann mit einem Rehbock oder einem großen Eber verwechselt haben, jedenfalls war der Mann tot.
Die an der Theke stehenden Gratweiner Trinker bedrängten den Polizisten, Details preiszugeben. Nachdem dieser zwei weitere Gläser Schnaps geleert und seine Dienstwaffe sicher auf einem Garderobenhaken verstaut hatte, fuhr er fort.
Beide hatten einläufige Schrotflinten dabeigehabt, doch seltsamerweise war Oswald mit zwei Wunden auf der Brust und einem Tannenzweig im Mund aufgefunden worden.
Plötzlich wurde es still im Gasthaus.
Selbstmord schied aus, also stand die Annahme im Raum, dass es sich um einen tragischen Jagdunfall gehandelt haben musste, so stellte es der Polizist dar.
Als einer der Gäste die Tatsache, dass zweimal aus einer einläufigen Flinte auf Oswald Knehs geschossen worden war, erwähnte, und ein weiterer Gast den Tannenzweig im Mund des Verblichenen anführte und vom Ritual der letzten Äsung sprach, da nahm der Ordnungshüter Haltung an, seine Waffe von der Garderobe ab und begab sich in die Mittagssonne, die jeden konsumierten Schnaps unbarmherzig bestraft.

Die Umstände des Todes von Oswald machten bald die Runde im Dorf, doch Melitta schwieg. Sie ordnete ihre Angelegenheiten, verkaufte erst das Sägewerk und dann das Gasthaus. Der Verkauf des Freudenhauses gestaltete sich einigermaßen schwierig, doch schließlich einigte sie sich mit der Frau, die sich in diesem Betrieb vom ersten Stock an die Bar im Erdgeschoss hochgearbeitet hatte. Dass diese Frau bei der Beerdigung ihres Chefs am lautesten geweint hatte, wurde in Gratwein als erfrischendes Detail in der ansonsten dunklen Causa gerne angenommen und eifrig weiterverbreitet.
Melitta schwieg, bis ihre Unschuld vom Grazer Gericht festgestellt wurde. Der Aufsichtsjäger aus dem Nachbarort Gratkorn war als Gutachter hinzugezogen worden und hatte festgestellt, dass Oswald Knehs seine Waffe ohne weiteres gegen die eigene Brust hätte richten können. Melitta wäre wahrscheinlich zu ihrem Mann geeilt und hätte die Flinte dabei verloren oder weggeworfen, und ein mit den Eckzähnen geschickter Eber hätte durchaus den Abzug betätigen können.
Der Richter starrte den Gutachter erst ungläubig an, dann blickte er liebevoll auf seine Armbanduhr, die rotgolden und neu in der Sonne glänzte, woraufhin er den Wildschweinen in Gratweins Wäldern erhöhte Gefährlichkeit attestierte und Melitta freisprach.

Diese machte sich sogleich daran, sich all der Dinge, die sich in Gratwein zugetragen hatten und um die sie sich aufgrund einer kurzzeitigen Liaison mit dem Gratkorner Aufsichtsjäger nicht hatte kümmern können, anzunehmen.
Da sie jedoch bald bemerkte, dass die Menschen, die sie auf der Straße ansprach, ihr mit einer Mischung aus Furcht und Abscheu begegneten, verlegte sie sich darauf, ihre Kommentare und Vermutungen über das Internet unter die Leute zu bringen.
Das ging naturgemäß schneller als die Belästigung von Menschen, zumal sie bei dieser nicht mit der Tür ins Haus fallen konnte, sondern erst ein Gespräch beginnen musste, dem sie den Anschein von Harmlosigkeit verlieh, um ihr Gegenüber nicht zu verschrecken und in die Flucht zu schlagen.
Ihre gewonnene Zeit investierte sie in Spaziergänge mit ihrer Spitzin Ella und dem Lernen für die Jagdprüfung. Sie hatte nämlich Gefallen an der Jagd gefunden, an den vielen Möglichkeiten, mit mehr als nur leeren Händen aus dem Wald zu kommen. Sie bestand die Prüfung mit Bravour, und auch beim Schießtest zeigte sie eine gute Leistung, obwohl sie zuvor laut eigenen Angaben erst ein einziges Mal  eine Waffe abgefeuert hatte.

Im sozialen Netzwerk, in dem sie ihre Meinungen, Ansichten und Unterstellungen verbreitete, befreundete sie sich virtuell auch mit Menschen, die nicht in Gratwein oder einem der umliegenden Dörfer wohnten. Sie geizte auch nicht mit Informationen über ihren sehr gehobenen Lebensstandard und lud auch etliche Fotos ihrer Villa hoch, die von einem parkähnlichen Grundstück eingesäumt war.
Sie erhielt etliche Nachrichten von Männern ihres Alters, doch beantwortete sie keine einzige, denn sie sah sich nunmehr als Solitär, wie der in Weißgold gefasste Brillant an ihrem Finger.
Dennoch war sie nicht einsam, denn sie hatte eine Haushälterin eingestellt. Sie hatte immer eine Haushaltshilfe haben wollen, doch die Furcht, dass ihr Mann sich dieser hätte körperlich nähern können, hatte sie darauf verzichten lassen.

Eines Tages läutete es am Eingangstor des Grundstückes, und da die Haushälterin gerade einkaufen war, öffnete Melitta das Tor und wies die Person, die draußen stand, an, zur Villa zu kommen.
Sie öffnete deren Türe und erstarrte. Vor ihr stand ein Mann von, wie sie schätzte, dreißig Jahren und bat sie um Geld. Sie wies ihn brüsk ab, doch der Mann, der sich als Clemens vorstellte, ließ sich nicht abwimmeln. Eloquent setzte er die inzwischen im Gesicht rot angelaufene Melitta Knehs davon in Kenntnis, dass er sehr wohl für das Geld arbeiten wollte. Den Rasen wollte er mähen, die Bäume und Sträucher in Form halten und den Gemüsegarten pflegen. Die Wörter, die er verwendete, ließen Melitta annehmen, dass es sich um einen Mann von höherem, wenn nicht gar hohem Bildungsgrad handelte.
Mit einer knappen Handbewegung gab sie Clemens zu verstehen, dass er ihr in ihre Bibliothek folgen sollte.
Sie tranken alten Cognac und unterhielten sich über das Anliegen des Mannes.
Da der Mann keine Bleibe hatte, gab die Hausherrin Anweisung, die am Rande des Grundstückes gelegene Jagdhütte des verblichenen Oswald Knehs so herzurichten, dass sie Clemens als Unterkunft genügen würde.
Da sich in der Hütte auch ein Raum befand, in welchem das erlegte Wild zerlegt wurde, gab es Wasser, einen Schlauch, mit dem er sich duschen konnte, und sogar über einen Abort verfügte sein neues Heim.

Clemens verrichtete die ihm aufgetragenen Arbeiten schnell und gründlich, sodass Melitta sehr zufrieden war und ihm jedes Monat eine kleine Prämie zukommen ließ. Er rauchte nicht, trank wenig und seine Freizeit verbrachte er damit, in schwarze Notizhefte zu schreiben. Jeden Sonntag durfte er in die Villa kommen, um sein Mittagsmahl einzunehmen.
Melitta genoss die Gespräche mit Clemens, der belesen war und über Malerei Bescheid wusste, so sehr, dass sie ihn an jedem Sonntag ein klein wenig mehr ins Herz schloss.
Melitta wollte unbedingt wissen, was Clemens in seine Notizbücher schrieb. Heimlich suchte sie nach diesen, doch hatte er sie so gut versteckt, dass sie neugierig bleiben musste.
Mit der Haushälterin verstand sich Clemens gut, und bald fragte diese Melitta, ob er nicht in eines der Gästezimmer übersiedeln könnte. Diese war außer sich vor Wut und beschied ihrer Angestellten in deutlichen Worten, dass in ihrer Villa niemals jemand einziehen würde, der nicht von ihrem Stand wäre. Die Haushälterin bat um Verzeihung, sie würde niemals wieder darauf zu sprechen kommen.

Dann fand Melitta die Notizbücher und las sie. Mit zitternden Händen legte sie sie in das Versteck zurück. Sie enthielten die Lebensgeschichte eines jungen Mannes, dessen Vater ihn verleugnet, aber dennoch großzügig unterstützt hatte. Seine Mutter hatte ihn alleine großgezogen, und als sie eine Stelle als Haushälterin bei der Witwe von Clemens Vater antrat, vereinten sich ihre Wege aufs Neue. Um seinen Vater rächen zu können, so schrieb Clemens, musste er Oswald Knehs Witwe aus dem Weg räumen.
Melitta eilte in die Bibliothek, wo der Waffenschrank stand, doch dieser war geöffnet und zwei einläufige Schrotflinten waren entnommen worden.
Sie wollte aus der Villa laufen, doch Clemens und seine Mutter versperrten ihr den Weg. Sie zwangen Melitta, mit ihnen in den Wald zu fahren, die Flinten nahmen sie mit.
Bevor sie zu der Stelle gelangten, an der Oswald Knehs sein Leben verloren hatte, brach Clemens einen Tannenzweig vom Baum und schob ihn Melitta in den Mund. Als letzte Äsung.

Michael Timoschek

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Platz da

Kann doch nicht so schwer sein, rechts zu gehen?
Weicht man nicht von selber aus, ist es besser, man bleibt stehen.
Leute, so ist’s heute üblich, bloß nicht Rücksicht nehmen, gilt!
Alles ist vergessen worden, was man einst für richtig hielt.

Auf dem Gehsteig tummeln sich Radler, Scooter, Kinderwagen.
Geht dazwischen wer zu Fuß, ist er Freiwild, muss man sagen.
Touristen geh’n in Viererreihen, denken nicht dran, auszuweichen.
Hier sind wir, und habt bloß Acht, wollt ihr vorbei, dann gebt ein Zeichen!

Musst du auf die Straße treten, weil der Gehsteig ist besetzt,
kommen flugs von allen Seiten Biker her, man ist entsetzt!
Hallo, bleibt auf eurer Seite, schreist du hilflos, aber barsch,
keiner schert sich wirklich um dich, fahr’n dir beinah über’n Arsch.

Einbahnstraßen, liebe Leute, wie ihr seht, die gibt’s nicht mehr.
Fahrzeuge aus jeder Richtung fall’n gnadenlos über dich her.
Jeder darf, scheiß auf die Route, Hauptsach’ ist, es geht sich aus,
alle, die da rüber müssen, jetzt und gleich, es ist ein Graus!

Schick ist, Ampel ignorieren, wurscht ob gelb oder schon rot.
Am Radl kann mir nichts passieren, denn ich bin schneller, oder tot.
Echt, da greift man sich aufs Hirn, das Verkehrskonzept scheint grün.
Wer fragt schon, sinnvoll oder nicht, durchgesetzt, Hauptsache „in“.

Vorsicht auf dem Weg der Räder, nämlich, was Sie wissen müssten,
pfeilschnell schneiden fliegend’ Mütter Kurven kühn mit ihren Kisten.
Stromgetrieben, heikle Ware, drei, vier Kids, im besten Fall,
überhol’n dich blitzeschnelle und hab’n Vorfahrt überall.
Aus dem Inner’n des Behälters frohlockt die verwöhnte Brut.
Man schert sich wenig um die andern, Hauptsach’ ist, uns geht es gut!

In den Öffis steht auch keiner wegen ein paar Alten auf.
Junge starren in ihr Handy, stundenlang und blöde drauf.
Glücklich die, die gar nicht merken, mag die Welt zugrunde geh’n!
Wichtig ist, mein Platz ist sicher, und die and’ren dürfen steh’n.

Kann das sein, was ich da wahrnehm’, ist das immer so gewesen?
Träum ich, wach ich, oder spinn ich oder werd ich einfach alt?
Hab’n die Zeiten sich gewandelt, steh ich kurz schon vorm Verwesen?
Besser scheint ein guter Rat, der wäre, dran gewöhn dich halt!

Copyright: Norbert Johannes Prenner

Copyright: Norbert Johannes Prenner

Norbert Johannes Prenner (Text und Grafik)

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Ich bin Tyrann

Ich bin stolz, ich bin Tyrann,
deshalb, weil das nicht jeder kann.
Stark bin ich, und übermächtig,
auf ’nem Stockerl glatt eins sechzig.

Jedoch, was nicht ein jeder weiß,
ich bin auch schwach, das ist kein Scheiß!
Gedanken, die mich oft beschleichen,
meist in der Nacht, wegen der Leichen,
die ich so oft in Auftrag gab.
Das drückt mir fast die Seele ab.
Ich weiß, damit bin ich allein,
dann wird mir klar, ich bin ein Schwein.

Was nützen mir zehn Limousinen,
vierzehn Villen und Goldminen?
In Wirklichkeit habe ich Schiss,
dass alles bald zu Ende is’.

Wenn ich mit dem Finger schnipse,
steh’n alle vor mir habt Acht!
Oder kurz am Handy tippse,
mein Befehl ist nicht ganz sacht.
In der Hand die Kaffeetassen,
kann, wen ich will, verschwinden lassen.

Doch bei aller Wirklichkeit
macht die Angst sich in mir breit.
Alles macht mir Referenz.
Ich fürcht um meine Existenz.

Die Angst, alles zu verlieren,
nach ’nem Anschlag zu krepieren!
Was hab ich schon von diesem Leben?
Trotzdem bleibe ich dran kleben.

Den Pöbel stets bei Laune halten,
durch Lügen ihren Tag gestalten.
Nur falsche Zahlen, falsche Daten,
was ist, werden sie nie erraten.

Dabei muss ich mich nicht genieren,
meine Macht zu etablieren.
Ein paar Familien reichen aus,
Vettern stärken nur mein Haus.

Doch wach ich auf oft in der Nacht,
träum, ich werde umgebracht.
Oder gefesselt und in Ketten!
Nichts und niemand kann mich retten.

Niemand weiß von meiner Not,
durch Peitsche und mit Zuckerbrot.
Was aber, wenn man mich entpuppt?
Das Volk sagt, ich bin bloß korrupt?
Ich fürchte dieses Stadium
und habe Angst, man bringt mich um.
Wie lang mich an der Macht berauschen?
Will denn niemand mit mir tauschen?

Copyright: Norbert Johannes Prenner
Copyright: Norbert Johannes Prenner

Norbert Johannes Prenner (Text und Grafik)

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Unter Verdacht

Mit welchem Flug sind Sie gekommen, werd’ ich gefragt?
Ein strenger Blick studiert mein Visum, und nehmen Sie die Brille ab!

Mein Pass, es ist schon spät, liegt zum Lesen am Gerät.
Aufmerksam wird das gelesen, was dort über mich so steht.

Der strenge Blick lastet auf mir, ein Griff zum Telefon, es wird gewählt.
Jetzt bin ich hier, ich seh, es ist genauso, wie man mir erzählt’.

Liegt etwa was geg’n  mich vor? Darf ich hinein? Und wieder raus?
Erst dacht’ ich, Stolperfallen machen mir doch gar nichts aus. Doch jetzt,
mir wird bewusst, was hier geschieht, ich bin entsetzt!

Unfreundlich wär das Land, aus dem ich komm, sagen die Leut’.
Aber viel besser ist’s  hier nicht, sag ich, um keinen Deut.

Zum Spielball gezielter Paranoia, an mir nimmt Rache das Regime.
Man stellt mir Fragen, ungeheure, indiskret und sehr intim.

Ein Vorgesetzter wird gerufen, mit Kamera, in Uniform.
Nimmt meinen Pass, schüttelt den Kopf, er macht mir Stress, und den enorm.

Mitkommen, lautet der Befehl, schneller, man zeigt auf eine Türe,
die Treppe, abwärts in den Keller, man ahnt nur bang, wohin sie führe.

Ein altes Bett, ein Aktenschrank, Sprungfedermatratze. Da hinein!
Ein Tisch, ein Stuhl, ehrlich gesagt, hier möchte ich nicht sein.
Und an der Wand  – ohnmächtiges Gekratze.

Kein Lächeln ist mir abzuringen,
Hier möcht’ ich nicht die Nacht verbringen!

Nehmen Sie Platz, dort auf dem Stuhl. Heraus damit, wo wohnen Sie?
Was machen und was wollen Sie hier, und was ist Ihre Reflexion?
Was denken Sie, und sei’n Sie ehrlich, über die Operation?

Ich denk kurz nach und sag geschwind,
dass viel zu viel gestorben sind.

Zu wem haben Sie hier Kontakte? Nervös blättert er in der Akte.
Wir schweigen. Er nickt und klappt das Notebook zu. Sie können geh’n!
Bedenken Sie, wir werden uns noch wiederseh’n.

Irgendwann, an einem Tag, da kommt Besuch, den ich nicht eingeladen hab.
Neugierig sieht der sich in der Wohnung um, er nippt am Tee,
geht etwas ‘rum, isst alle Kekse auf und auch den Zucker, und drum,
ich denk, scheint völlig harmlos, wie er tut, er stellt sich dumm.

Als ich eines Tag’s nach Hause komm, und sperr die Wohnung auf,
da komm ich drauf, und wunder’ mich, die Jacke schief am Haken hängt.
Es brennt das Licht, und eine Tüte aus Papier, nicht von mir, liegt hier.
Was mich stark ins Zweifeln bringt und mich zum Denken drängt.
Die Jacke häng ich immer g’rade hin, das liegt an meinem Ordnungssinn.

Von diesem Tag an fühl ich mich, erfüllt mit Grausen,
in meiner Wohnung nicht mehr wohl, zu hausen.

Noch schlimmer lässt es mich erahnen, dass dieses Land in den Jahrzehnten,
sicherlich auf krummen Bahnen, Schockwellen zu uns wird senden.

Auf dem Wege zur Metro hat man mich, den Humanisten, gestoppt durch Polizisten,
durch einen, dem das Lächeln schmilzt. Gepäck und Tasche werd’n  gefilzt.

Nach meiner Antwort auf die Frage, „Woher du kommen?“, war’n sie kurze Zeit benommen,
und die war, aus der EU. Und wieso, will einer wissen, sprichst dann uns’re Sprache du?

Hab ich gelernt, sag ich, ist schließlich nichts dabei, war keine Hexerei.
Das ist gut, wirst sie noch brauchen, vor allem später, wenn auch gleich.
Denn uns’re Jungs, die von der Front, die  kommen irgendwann zu euch.

Was ist? Hör ich Kanonengrollen? Muss Geschichte wiederholen
sich von Neuem immer wieder, ew’gen Mahnungen zuwider?
Knien schon wieder Millionen Patrioten bloß vor einem
durchgeknallten  Möchte-so-gern-sein-Despoten?
Zum Wohl der Welt, ihr schafft die Wende, macht ein Ende, noch ehe sie mit euch es tun!

Kein Wunder, wenn wir Aliens verschrecken, und ihnen dadurch das Vergnügen,
uns auf Erden zu entdecken, durch unser schändliches Verhalten, verstrickt in Krieg und
Hader und in Lügen, unsere Welt so missgestalten, dieses soll man ruhig erwähnen,
nachhaltig und gründlich nehmen.

Norbert Johannes Prenner

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Max, der Kleptomane

Jawohl, Hohes Gericht, ich gestehe: Ich bin ein Dieb!

Noch schlimmer: Ein Gewohnheitsdieb! Ich stehle seit meiner Jugend, und das noch heute. Vielleicht sogar hier am Gericht, nach dem Unterschreiben des Protokolls. Wenn keiner hinschaut. Weil: Ich kann nicht anders! Ich liebe schöne Kugelschreiber!!! Halten zu Gnaden, Herr Rat, sie sind so schön und praktisch.

Was habe ich mich damals in der Schule mit dem ewig undichten Füllfederhalter geplagt. Das Kratzen am Papier, dauernd war man blau an den Fingern. Und dann kam in den 50er-Jahren der Kugelschreiber aus Amerika zu uns. Herrlich! Da gleitet der Stift – ja, wie auf Kugellager – am Papier und hinterlässt nur einen zarten blauen Strich, ohne Patzen, und auch die Kurven gehen superleicht.

Sie waren anfangs ganz schön teuer, und man hat sie nicht überall bekommen so wie heutzutage. Am billigsten war dann der BIC-Kugelschreiber, mit der durchsichtigen sechskantigen Hülle. Ich kann mich noch an die Werbung erinnern: Da hat man sie vom Hochhaus auf die Straße geworfen, eingefroren, mit einem Luftgewehr in eine Holzplanke geschossen, und sie schrieben danach immer noch. Auf jedem Kontinent, in jedem Kiosk an der Küste oder tief im Niemandsland konnte man sie kaufen. Na ja, heute sind die BIC nicht mehr so begehrt, weil man Kugelschreiber überall, in jeder Form, Farbe und Ausführung bekommt. Die anfangs teuren Markenkugelschreiber von Mont Blanc und Pelikan mit vergoldeten Kappen haben ihren Begehrens-Wert verloren, wenn man an jeder Ecke, bei jedem Anlass diese Werbekugelschreiber geschenkt bekommt. Bei politischen Parteien, Interessensgemeinschaften und Firmen, beim Doktor, beim Greißler und beim Zahnarzt, überall stehen sie herum und werden einem nachgeworfen.

Das alles wäre ja ein Grund, keine mehr zu stehlen! Aber es sind immer wieder schöne, praktische und gut in der Hand liegende dabei, wenn man ein Auge dafür hat. Nur: Die ganz billigen mit der eh nur halb gefüllten dünnen Mine lehne ich geradezu angeekelt ab. Aber die stärkeren, mit der Großraum-Mine wie sie die Parker-Kugelschreiber haben, also die betteln geradezu danach, von mir mitgenommen zu werden. Ich habe in jedem Sakko einen farblich dazupassenden in der Brusttasche. Ja, wenn es nur das wäre! Meine Schreibtischschublade quillt schon über von meinen Sammlerstücken, und wenn ich in irgendeine Tasche meiner Kleidung greife, springen sie mir entgegen. Natürlich auch die „versehentlich“ eingesteckten, wenn wo was zu unterschreiben war, bei der Bank, bei der Versicherung, am Gemeindeamt, beim Mechaniker oder einmal auch bei der Bestattung – der war besonders schön, schwarz mit goldenem Kreuz.

Ja, es ist schlimm – ich habe alle Mühe, nicht in Verruf zu kommen. Einmal ist mir was Peinliches passiert: Da habe ich beim Doktor was unterschreiben müssen, und der Kugelschreiber war weg. „Bemühen Sie sich nicht“, habe ich gesagt und einen aus der Seitentasche gezogen. Und das war dann einer mit seiner Werbeaufschrift!!! „Der, äh, der ist noch vom vorigen Jahr“, habe ich mich herausgelogen. Hoffentlich hat er das geglaubt.

Sehen Sie, Hohes Gericht, es ist ein innerer Zwang. Ich bitte um Freispruch, weil es ist noch niemand zu Schaden gekommen – ich habe keine Gewinnabsicht dabei. Als tätige Reue werde ich dem Protokoll-Beamten ein Dutzend meiner schönsten Kugelschreiber auf den Tisch legen. Da ist sogar ein Parker ohne Werbeaufdruck dabei, den ich – nein, der mir beim Finanzamt geschenkt worden ist.

Danke vielmals, Hohes Gericht, für die bedingte Strafe. Ich werde ab heute keine Kugelschreiber mehr stehlen – weil meine Elli nämlich gesagt hat, sie lässt sich scheiden, wenn ich noch einmal einen nach Hause bringe. Auf Wiedersehen – äh, ich meine, auf Nimmer-Wiedersehen!!!

Robert Müller

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Novemberwind

Ein blauer Wind, der rüttelt
am Fenster hier im Raum.
Es ist, als ob er schüttelt
mich aus dem dunklen Traum.

Zurück das Bett ich lasse,
werf mir den Mantel um.
Steh zitternd auf der Gasse
und blicke stumm herum.

Warum an diesem Ort,
allein in kalter Nacht?
Weiß es nicht, doch muss ich fort;
hier werd ich umgebracht.

Ich bitt dich, blauer Wind,
antworte – dann find ich Ruh!
Da dreht er sich geschwind
einer andren Richtung zu.

Bernd Watzka
Live-Termine

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Blaue Mitzi

Wer hat die „Blaue Mitzi“ vergiftet?
Obwohl der Theologe Gerhard Lohfink sagt, dass man einen Krimistoff „ganz sicher nicht“ in Gedichtform schreiben kann.

Es war beim letzten Pfarrcafé – beliebt bei den Senioren
Da hat Maria Wanzenböck – ihr Lebenslicht verloren
Der „Blauen Mitzi“, wie sie hieß – weil sie stets Blau getragen
Hat nach viel Bäckereigenuss – sich umgekehrt der Magen
Ihr scharfes Auge trübte sich – in ihrer letzten Stunde
Die Zunge, die gefürchtet war – hing bleich aus ihrem Munde

Der alte Doktor hat sofort – die Brauen hoch geliftet:
„Das war kein Tod durch Herzinfarkt – die Mitzi ist vergiftet!“
Man holt sie ab und montags ward – die Mitzi obduzieret
Der Pathologe hat sofort – ein Pflanzengift erspüret
Es brodelte im ganzen Dorf – an jenem Montagmorgen:
„Wer war der Blauen Mitzi feind? – Wer wollte sie entsorgen?“

Wer hatte die Gelegenheit? – Und Gift aus welcher Pflanze?
Wer war zur Zeit am rechten Ort? – Und wie geschah das Ganze?“
Der Täter musste kundig sein – die Zeit war knapp bemessen
Es ist in einer Stunde tot – wer von dem Gift gegessen
Und wie, um Himmels Willen, kam – es dann in Mitzis Magen?
Den Gästen von dem Pfarrcafé – stellte man viele Fragen

Die Todesdroge fand man bald – in Mitzis Blumengarten
Je schöner hier der Blütenflor – je giftiger die Arten
Vom Seidelbast zum Fingerhut – der Eisenhut und Eibe
Sie pflegte mit viel Sachverstand – was man sonst besser meide
Daneben pries man weit und breit – Marias Mehlspeisküche
Es schwamm das Dorf zur Festeszeit – in süßen Wohlgerüchen

So buk sie auch zum Pfarrcafé – die guten Anisbögen
Ein zartes Biskuit-Gebäck – das viele Leute mögen
Die Mitzi hatt’ beim Pfarrkaffee – noch etliche gekostet
Und gut gelaunt der Gästeschar – mit Süßwein zugeprostet
Wie ist nun diese Tat gescheh’n – wer ist der böse Mörder?
Die Sache muss ans Tageslicht – und lange eing’sperrt g’hört er

Vom Fingerhut den Samen hat – vorm Aufbruch Mitzis Gatte
Mit Honig auf das Stück geklebt – das sie gekostet hatte
„Jetzt steh net rum und hilf mir trag’n – es is schon halber viere!“
So herrschte sie den Gatten an – und schloss sogleich die Türe
Das Maß war voll, seit vierzig Jahr – trug er der Ehe Bürde
Nun kauft er einen Jaguar – und ist ein Mann mit Würde

Doch hat des Schicksals hohe Macht – die Untat nicht vergessen:
Er hat sich mit sein’ Jaguar – drei Wochen drauf derstessn!

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: drah di ned um … | Inventarnummer: 23108




Die überdrehte Wäscheleine

Ich bin schon gespannt zum Zerreißen
Wie könnt’ ich da Leine noch heißen?
Ein Höschen nur auf mich gehänget
Und schon wär ich gänzlich zersprenget!

Was ist bloß aus mir geworden?
Einst trug ich den Höschenbandorden
Für leichte bis Mittelgewichte
Hört her, was ich euch berichte:

Verflucht sei der Tag als der Spatz kam
Und einfach so auf mir Platz nahm
Ich fragte ihn, ob’s auch bequem
Er drauf: Man werd’ es ja seh’n

Ob meine Kräfte auch fassten
Sein Spatzengewicht schweres Lasten
Gewöhnt sei er Ankertrossen
In Häfen voll Haien mit Flossen

Nur elementaren Tauen
Könnt’ er sich als Spatz anvertrauen
Ich schämte mich in den Kardeelen
(Dort sitzen bei Leinen die Seelen)

Er merkte, wie sehr ich mich schämte
Er plusterte sich und er gähnte:
„Hätt’st du etwas von Tauwerken
Du würdest dich, um dich zu stärken

In dichteste Schlingen legen
Und fest um dich selber drehen
Doch bist du ja bloß eine Leine
Von denen, da hält mich keine!“

Flog auf und er zog gegen Norden
Um andere Leinen zu morden
Unzählige schmerzhafte Stunden
Hab ich mich seit damals verwunden

Ich wand mich in Wahn und von Sinnen
Um aus mir ein Tauwerk zu spinnen
Da plötzlich, da hörte ich Stimmen:
„Die Lein da, die wird bald zerspringen!

Einst hat sie uns Amseln geschaukelt
Jetzt hat ihr der Spatz was gegaukelt
Seitdem ist sie ganz vermessen
Verspannt und von Ehrgeiz zerfressen

Und doch wird sie keine von denen
Mit Stahlkern und stählernen Sehnen
Die sich nur auf eines verstehen:
Immer im Dienst und nie dehnen!

Wie locker hatt’ sie’s doch als Leine
Mal ihre Höschen, mal seine
Doch das wird wohl nie mehr gescheh’n
Was musst’ sie sich auch um sich dreh’n?“

Da kam ich mit Ruck zu Verstand
Ach, Mensch, leih mir doch deine Hand!
Zerschneide mich mit deiner Schere
Und lasse mich fallen ins Leere!

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

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Mit Betonpatschen im Hudson River

Man muss als Geschäftsmann schon einiges aushalten. Wenn er zum Beispiel als Beifahrer mit einem neuen Mitarbeiter mitfährt, um zu sehen, ob er ein Auto sicher bewegen kann, und dieser Mitarbeiter spielt in infernalischer Lautstärke Hottentottenmusik. Hottentottenmusik, klingt das nicht total altväterlich? Der Chef muss sich unbeeindruckt vom Lärm geben, sonst hält der Mitarbeiter ihn für ein Weichei. Oder der Geschäftsmann wird tagelang in einem Bus über chinesische Schotterstraßen kutschiert. Für mich ist das business as usual, muss er dann zeigen, oder am besten gar keine Reaktion. Er darf auch nicht bei superkurvigen indischen Schauspielerinnen im weißen Häkelkleid schwach werden, oder nur, wenn kein Mitarbeiter dabei ist. Auf gar keinen Fall! Sollte sich das Arbeitsblatt einmal wenden, ist der Chef erpressbar. Käme es zu diesem Fall, kann er dem Mitarbeiter oder ehemaligen Mitarbeiter nur klarmachen: „Mir scheißegal, wenn meine Alte das weiß.“ Oder: „Mein verschlagener Untergebener oder Ex-Untergebener, willst mit Betonpatschen im Hudson River enden?“ Will doch keiner, also könnte die Sache hiermit geritzt sein.

Hongkong am 9. Mai 2005

Hongkong am 9. Mai 2005

Johannes Tosin
(Text und Bild)

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Herr Puffigbrunner und die elektronische Fußfessel

Rrring-rrring-rrring. „Guten Tag, hier ist die gerichtliche Auskunft des Landes Kärnten. Wie kann ich helfen?“ „Ja, grüß Gott, werte Dame, mein Name ist Puffigbrunner, ich trage eine elektronische Fußfessel. Dazu hätte ich eine Frage.“ „Kein Problem, Herr Pu …“ „Puffigbrunner“, ergänzt Herr Puffigbrunner. „Ja, genau, Herr Puffigbrunner, ich leite Sie zu Herrn Dr. Kastenbrod weiter. Er ist der Experte dafür.“ Tüüt-tüüt-tüüt-tüüt-tüüt-tüüt-tü.

„Mahlzeit, Dr. Kastenbrod am Apparat, welcherart ist Ihr Anliegen?“ „Grüß Gott, Herr Dr. Kastenbrod, mein Name ist Puffigbrunner, ich bin Träger einer elektronischen Fußfessel. Ich möchte baden gehen. Ist das erlaubt?“ „Wo wollen Sie baden gehen, Herr Puff …?“ „Puffigbrunner“, sagt Herr Puffigbrunner. „Herr Puffigbrunner, In der Badewanne? Falls das Ihre Frage ist: Die elektronische Fußfessel ist wasserdicht.“ „Nein, nein, ich möchte im Wörthersee baden.“ „Aha, ich verstehe“, sagt Herr Dr. Kastenbrod, „wie wäre es denn zusätzlich mit Wakeboarden, Bungee Jumping oder Hindernisreiten? Würde das Ihren Ansprüchen genügen? „Bungee Jumping kommt für mich leider nicht infrage, weil ich höhenscheu bin“, sagt Herr Puffigbrunner.

„Hören Sie, Herr P., Sie sind Häftling. Dass Sie eine Fußfessel tragen, ist ein Entgegenkommen der Gerichtsbarkeit des Landes Kärnten. Aber wenn Sie unzufrieden sind, ist das auch in Ordnung, Sie können sich gern in Strafhaft begeben.“ „Nein, nein, nein, ich bin plötzlich sehr glücklich mit meiner Fußfessel, Herr Dr. Kastenbrod. Ich sehe sie nun als liebe Freundin, die ständig bei mir ist.“

Bootsverkehr auf dem Wörthersee am 21. August 2021

Bootsverkehr auf dem Wörthersee am 21. August 2021

Johannes Tosin
(Text und Bild)

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