Der Jägermeister

für Erna Raminger

Peter Schröll ist der örtliche Jäger von Modriach, einem winzigen Dorf in der Steiermark. Diese Bezeichnung verdient er tatsächlich, denn er ist der einzige Jäger der Ortschaft, in der nicht einmal dreihundert Menschen leben.

Das Leben dort ist dementsprechend rustikal. Kontrolle von oben gibt es in ebenso geringem Maße wie vonseiten des Staates, denn der Pfarrer und der Polizist sind meistens an der Theke des Wirtshauses Zum Krug anzutreffen, das ihrem Vater gehört.

Schröll arbeitet nicht mehr. Nach einer Erbschaft hat er seinen Job als Zimmermann an den Nagel gehängt und ist nur noch Jäger, sogar einer mit eigenem Revier.
In diesem hat er bereits etliche Tiere erlegt, einen Rehbock zum Beispiel, oder einen Habicht und drei Schäferhunde. Mit den Wildschweinen jedoch hat er Probleme. Diese intelligenten Tiere lassen sich von Schröll einfach nicht erschießen. Dabei hat er schon fast alles probiert. Köder in Form von Futter haben die Wildsäue ebenso ignoriert wie Pheromone, die er überall im Revier ausgebracht hat.

In seiner Verzweiflung beginnt er, mit einer höheren Dosis Zielwasser zu experimentieren. Zielwasser nennt man in der Steiermark den Schnaps, der den Jäger davon abhalten soll, bei der Schussabgabe zu zittern – es sorgt also dafür, dass der Weidmann stets ausreichend Alkohol im Blut hat.

Drei Wochen nachdem Schröll angefangen hat, mehr Obstler zu sich zu nehmen als die übliche Flasche pro Tag, zeigt sich das Wildschwein. Es handelt sich um einen riesigen Keiler, der sich gut an der Wand von Schrölls Bibliothek machen würde, denn außer einem schmalen Regal, in dem Kataloge von Jagdwaffenherstellern liegen, befindet sich in diesem Raum bloß ein abgetretener Teppich.

Er legt an, seine Hand ist ruhig dank der Extradosis Zielwasser, drückt ab und es macht Peng.
Zwei Sekunden später macht es noch einmal Peng.
Schröll erschrickt und geht in Deckung. Da er keine Schmerzen hat, folgert er jagdmesserscharf, dass der Keiler, so wie er selbst, wohl immer noch zu wenig Zielwasser intus hat, um zu treffen.

Erleichtert schießt Schröll zum Spaß noch einmal in die Richtung der Wildsau, doch antwortet diese nicht mit einem zweiten Schuss, sondern, so folgert Schröll, wirft ihre Flasche Zielwasser gegen einen Baum, denn er vernimmt das Geräusch von zerbrechendem Glas. Das Wildschwein, so weiß er jetzt, ist böse, weil es den Jäger nicht mit dem ersten Schuss erlegt hat.

Er nimmt einen großen Schluck Zielwasser und schläft auf dem Hochstand ein.
Als er aufwacht und nach Hause fahren will, muss Schröll zu seinem Ärger feststellen, dass die Wildsau seinen Geländewagen zerschossen hat. Den rechten Vorderreifen und die Windschutzscheibe hat sie getroffen.

Michael Timoschek
Erstveröffentlichung in der Schweizer Zeitschrift „Bierglaslyrik“, Ausgabe 31, September 2015

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