Auf den Pelz gerückt

Meinen Job, den hätte ich beinahe durch schlichte Schlamperei verloren. Sie wollen wissen, wie das in einer gemächlichen Kultureinrichtung wie dem Dorotheum passieren kann? Also gut.

Jeweils eine Woche vor den Versteigerungsterminen werden die Exponate zur Besichtigung dargeboten, potenzielle Interessenten können diese aus der Nähe begutachten und für sich eine Vorentscheidung treffen, manches verwerfen, anderes in die Wahl ziehen.
Mir oblag es, Räume für diese Besichtigungen vorzusehen, die zuständigen Kollegen anzuweisen, die Waren dort bereitzulegen und Datum und Uhrzeiten der Besichtigungen rechtzeitig öffentlich anzukündigen.

Eines Dienstags im Oktober sollten die Türen um zehn Uhr geöffnet werden. Ich begann meinen Dienst wie gewohnt so gegen neun und die Kollegen waren bereits seit den frühen Morgenstunden am Herbeischaffen der zu präsentierenden Objekte. Ich war alarmiert, denn schon als ich die Stufen hochstieg, hörte ich die Arbeiter fluchen. Auch meine Vorgesetzte hörte ich mit leicht erhobener Stimme Kalmierungsbeschwörungen von sich geben.

In mir stieg Unbehagen hoch, noch hätte ich umdrehen, heimgehen und mich krankmelden können. Doch nichts dergleichen geschah, und so wurde ich kurz darauf – noch bevor ich der Misere ansichtig wurde – von einem messerscharfen und enttäuschten Blick meiner Vorgesetzten getadelt: ein knapp und wortlos konstatiertes „Schade!“.
Noch wusste ich nicht warum.

Mir schlug ein recht strenger Geruch entgegen – die jährliche Pelzauktion stand an und heute wurden die guten alten Erbstücke dem Publikum präsentiert. Vor mir dicht behängte Kleiderstangen auf Rollen. Wieso hatten die Arbeiter nicht (wie sonst auch) vorher die Tische entfernt, um genügend Platz zu schaffen für die voluminösen Kleidungsstücke?
„Wir haben ein Problem“, raunte mir mein Assistent zu und wies mit dem Kopf auf die Tische, auf denen sich nummerierte Mappen in immenser Anzahl stapelten.

Muss ich extra erwähnen, dass Räume nicht doppelt gebucht werden sollten? Das genau war nämlich geschehen. Und dummerweise war ich daran schuld.

So geschah es also, dass es am Dienstag, dem 11. Oktober 2016, im Kolowrat-Saal im zweiten Stock des Wiener Dorotheums eng wurde: In weniger als einer Stunde würden Philatelisten aus nah und fern eintrudeln, um die dargebotenen Briefmarken zu sondieren, und gleichzeitig auf eine Schar aufgeregter Frauen treffen, die sich Pelzschnäppchen für den Winter sichern wollten.
Dass die Briefmarkenliebhaber das Besichtigungsprozedere in gebotener Ruhe vollziehen wollten und die pelzaffine Damenwelt an ebenjene nicht im Traum dachte, liegt auf der Hand.
Ja, wir hatten ein Problem, kurz: Wunderliche Kauzigkeit trifft auf kribbeliges Eventshopping.

Wir waren nervös, der doppelte Andrang musste irgendwie bewältigt werden.

Edel verarbeitete Pelze auf Kleiderhaken – das Angebot umfasste sorgfältig verarbeitete Nerze in vielen Modellen, sowie auch sonst hochwertige Pelze in modischen bis klassischen Schnitten. Während der Vorbesichtigung konnten alle Modelle begutachtet und auch anprobiert werden, was zusätzlich Platz erforderte.
Das pelzige Angebot ruft immer eine große Zahl von Frauen auf den Plan, oft allein, manchmal in männlicher Begleitung, aber auch in kleinen Grüppchen, die sich beim Probieren gegenseitig beurteilen, jedenfalls aber das zu Erwerbende ausgiebig kommentieren. Ob denn nicht besser doch der Ozelot statt des Zobels zur eigenen Persönlichkeit passend oder der Lammfellmantel in seiner Länge zur Körpergröße der Interessentin inadäquat, ja der Stilsicherheit abträglich wäre (ein kürzerer Mantel wirkt zudem jünger als ein langer), von der Inkompatibilität der Fuchsfell- mit der tizianroten Haarfarbe der Trägerin in spe ganz zu schweigen.
(Fehlte bloß noch das Auftauchen der vermummten Anti-Pelz-Aktivistin, die im letzten Herbst in einer Blitzaktion zwei Drittel der Exponate in Neongrün besprüht hatte und dermaßen schnell geflüchtet war, dass sie nur von hinten fotografiert und nicht belangt werden konnte, ein Schadensfall mit hämischer Presse für die ehrwürdige Institution.)

Der gemeine Briefmarkensammler wird gerne als ein wenig unbeholfen und schrullig dargestellt. Ich kann mich dem nicht anschließen, es sind angenehme Menschen, die unaufgeregt und sehr systematisch die Bestände sichten. Ein wenig eigen, nun denn, wer wäre das nicht, wenn viel Zeit mit Überlegungen verbracht wird, ob etwa für einen ungezähnten Viererblock mit „August dem Starken“ ein Online-Gebot abzugeben, eine gute Idee wäre; oder nachzudenken, ob eine Fünf-Pfennig-Marke der Reichspost mit diagonalem Aufdruck „Marschall-Inseln“ zu Hause schon vorrätig sei; oder mit anderen Experten über den Wert der Serie albanischer Briefmarken, die mit Aufdruckfehlern in den Handel kamen, zu debattieren.

Sie alle trafen im ehrwürdigen Kolowrat-Saal aufeinander. Dass sie nicht aneinander gerieten, dafür mussten wir sorgen, darauf hatten wir uns vor dem Öffnen der Tore eingeschworen.

Die Frauen waren die ersten, die die allesamt an den Wänden aufgereihten Felljacken und -mäntel ansteuerten. Sofort lagen Gemurmel und Gelächter in der Luft, und der modrig-muffige Pelzgeruch reicherte sich mit einer Duftvielfalt von Parfums an.

Befremdet von der ungewohnten Enge im Raum, dem zugleich strengen und blumigen Geruch, und natürlich der Schar der weiblichen Besucher drängten dann die Philatelisten, alle männlich, die meisten in unauffälligem Beige oder Grau gekleidet, eher zögerlich zu den verbliebenen Freiräumen an den Tischen in der Mitte des Raumes. Die vielen Ringordner hatten wir nicht wie sonst üblich in Regale an den Wänden einsortiert sondern einfach auf den Tischen aufgelegt, was zu Verstimmung und Murren der Kunden führte. Man merkte aus ihren Kommentaren, dass das alberne Getue der Frauen um die schnöde Mode und überhaupt deren Anwesenheit als deplatziert empfunden wurde.

Ich versuchte vor allem, den verstimmten Freunden der Postwertzeichen bei der Übersicht über das Angebot zu helfen.
Gerade war einer der Briefmarkeninteressierten dabei, die Sonderpostwertzeichen zu Gunsten der Berliner Währungsgeschädigten mit Sonderstempel vom ersten Verwendungstag, Rufpreis EUR 380,- mit der Lupe auf fehlende Zähnchen zu untersuchen, als hinter ihm eine exaltierte, nicht mehr ganz junge Frau mit wallenden blonden Locken beim fahrigen Überwerfen eines langfelligen gemusterten Capes ganz viel Wind und ein paar briefmarkenbestückte Steckblätter aufwirbelte.
Sie meinte echauffiert zu ihm: „Oh, entschuldigen Sie bitte, ich habe hoffentlich nicht Ihre Briefmarken vom Tisch gefegt?“, mit ungarisch anmutendem Akzent und einem unsteten Flackern im Blick, das der Angesprochene wahrscheinlich in so charmanter Ausführung und aus solcher Nähe noch nie gesehen hatte.
„Ich war unschicklich, verzeihen Sie.“
Er war aufgestanden und unbeholfen korrigierte er: „Ungeschickt.“
„Oh.“
„Aber das macht nichts.“
„Meinen Sie, die Schulternähte hängen zu sehr über, der Mantel ist schwer? Wie sehe ich aus?“
Sie drehte sich und machte wieder Wind und die männliche Umgebung unruhig.
„Hübsch. Wirklich sehr hübsch.“
Sie beugte sich deutlich näher zu ihm.
„Und riecht der Mantel nicht nach Keller? Er ist wirklich preiswert.“
„Äh, schon etwas, aber wenn man den Mantel im Garten auslüftet …“
„Sie haben einen Garten?“

Ich konnte den Dialog nicht verfolgen, denn ich musste zwei Tische weiter ein kleines Gezänk schlichten.
Etwas später sah ich die beiden gemeinsam im hauseigenen Café sitzen.
Die Vorstellung, er hätte letztendlich auch noch angeboten, ihr seine private Briefmarkensammlung zu zeigen, will ich hier nicht strapazieren, aber natürlich ist das denkbar.

Ein Kollateralnutzen, ausgelöst durch mein Missgeschick, war also gegeben, aber das macht mich nicht stolz. Schließlich hatte ich beinahe meinen Job verloren. (Mir wurde zum Glück verziehen, wobei ich aber die gesammelte Kollegenschaft auf ein Feierabendbier einladen musste.)

Michaela Swoboda

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