Geschwurbelt

Die Sonne geht schon früh unter in diesen Tagen, ihr Licht hat auch nur wenig Kraft, gerade einmal genug, um den luftigen, in zartem Orange und Magenta gehaltenen Vorhang leuchten zu lassen.
Ein Leuchten, das die beiden alten Herren wieder anzieht, sie hier ihren Tee hier trinken lässt.
Es sind die Farben des Frühlings und des Sommers, die ihnen etwas Zuversicht in die Gesichter zaubern – auch wenn es bis zum Frühling noch drei Monate hin ist.

Vor drei Tagen haben sie sich hier kennengelernt, heute ist das etwa halbstündige Gespräch aber bereits Tradition. Dabei leben sie schon viele Jahre in dem Heim, ihre unterschiedlichen Gewohnheiten haben sie sich davor aber noch nie treffen lassen: Adam ist mehr der Morgenmensch, wartet jeden Tag minutenlang auf den Sonnenaufgang – es ist genau die Zeit, in der sich Bedam hinlegt; Adam speist mit den anderen im großen Saal – Bedam kennt den nicht, war da noch nie drin, hatte sich schon bei seiner Einweisung ausbedungen, das Essen in seinem Zimmer einzunehmen. Es ist stets kalt, Bedam speist jeweils zwölf Stunden nach Lieferung.

Die Jahreszeit hat es nun – als Schnittstelle – ermöglicht, dass sich die beiden jetzt eine halbe Stunde lang einander widmen.

– Im Mai war ich das letzte Mal daheim … Die Spatzen sind durch die Luft geschwirbelt … Ich bin an einem Bächlein gesessen, das vor sich hin geschwarbelt hat … –
– Das Bächlein hat geschwarbelt? … Du meinst wohl: Es hat geschwabbelt …? –
– Nein! Das Bächlein hat geschwarbelt … Ich finde, dieses Wort beschreibt es besser … –
– Na gut. –
– Also ich sitz da am Bach, plötzlich wird es dunkler. Die Wolken haben sich geschwärbelt. –
– Geschwärbelt? –
– Ja. –
– Dann ist diese Maschine gekommen und hat ein gleich nebenan gelegenes Wäldchen geschwerbelt –
– Geschwerbelt? –
– Ja. Na sicher: geschwerbelt. Dann haben sie die Bäume geschworbelt und die Stämme geschwurbelt. Damals habe ich geschwörbelt, nie mehr dahin zurückzukehren … Ja, ich habe es geschwürbelt … –

Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Sonne hinter den Bäumen auf dem nahen Hügel untergeht, ein leichter Hauch von Abendwind pludert die jetzt samtenen Farben des Vorhangs zu einem ergreifenden Schauspiel, dem beide ihre volle Aufmerksamkeit widmen.
Dann ist Bedam dran.

– Letzten Mai war ich in der buckligen Welt … Viele Ausflügler sind da herumgeschwimmelt. Das war mir aber egal, hab einfach weiter vor mich hin geschwammelt … –
– Geschwammelt? … Meinst du: Spazierengehen? … Oder: Wandern? –
– Nein, ich bin geschwammelt … Das trifft es meiner Meinung nach mehr. –
– OK. –
– Alles war gut, aber dann hat es plötzlich vor tausenden Menschen geschwemmelt –
– Geschwemmelt? –
– Ja! … Es waren wirklich sehr viele … naja, tausende waren es nicht, da hab ich ein bisschen geschwummelt –
– Geschwummelt? –
– Na sicher … es waren nur vielleicht zwanzig oder dreißig. Ein paar von ihnen sind in einem Teich geschwommelt, obwohl es sehr kalt war … Ein Pärchen hat keine dreißig Meter davon … hahaha …. miteinander geschwämmelt … Und ich bin mir sicher: Kaum wieder unten im Dorf haben sie dann in der Kirche geschwömmelt … –

Mit jeder Sekunde verliert der Vorhang an Farbe, das Orange wird zu einem Grau, das Magenta zu einem anderen, Adam und Bedam sehen die letzten Strahlen der Sonne hinter Bäumen auf einem nahen Hügel erlöschen: Adam gähnt, es wird Zeit für ihn schlafen zu gehen; Bedam streckt sich, überlegt sich, was es heute für ihn zu tun geben wird, auch wenn er weiß, dass es für ihn nichts mehr zu tun gibt.
Auf den Sonnenuntergang beim luftigen, in zartem Orange und Magenta gehaltenen Vorhang freuen sich aber schon jetzt beide.

Christoph Stantejsky

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