Let’s go

Dunkelheit, im Hintergrund schnelle Piano-Jazzklänge, darauf folgend Applaus

Djamal spielte Oboe in Damaskus.
Vor einem Jahr noch.

Zwanzig Jahre alt.
Ohne Mittel.
Ohne Familie.
Ohne Zuversicht.
Aber mit Oboe.
Djamal spielt nun in Österreich.

Es wird heller, drei Personen betreten eine Künstlergarderobe in einem Kulturzentrum einer oberösterreichischen Kleinstadt.
Saxophon, Flügelhorn und Kontrabass liegen/stehen herum.

Djamal:
Oh, Kurt, du Unglücksvogel, so sagt ihr doch?

Hanna:
Pechvogel heißt es, oder Unglücksrabe.

Djamal zu Kurt:
Was war mit deiner Brille?
Wieso hattest du sie überhaupt auf?

Kurt entschuldigend:
Meine Kontaktlinse hat gekratzt, ich musste sie in der Pause herausnehmen und dann hab ich eben die Brille gebraucht.
Und die ist mir dann immer wieder von der Nase gerutscht.

Hanna schiebt sich mit der Hand eine imaginäre Brille zurecht und sagt leicht tadelnd zu Kurt:
Ein Schlagzeuger braucht beide Hände.
Das hat schon komisch ausgesehen, als du die Brille immer wieder rasch zurechtgerückt hast.

Kurt:
Das war schon stressig, aber das Konzert war trotzdem ein schönes Erlebnis!
Das Improvisieren am Schluss hat richtig Spaß gemacht. Auch dem Publikum.

Djamal:
Ja, zwei Extras!
Die Menschen wollten zwei Songs mehr hören.

Djamal hatte Glück.
Hanna und Kurt fühlten sich verantwortlich.
Zwanzig Jahre alt.
Mit Oboe.
Hanna und Kurt fühlten sich verantwortlich.
Und Djamal erlaubte sich, wieder zu träumen.

Hanna:
Djamal, du hast ganz wunderbar experimentiert beim zweiten Stück.
Das hat mir besonders gut gefallen!

Djamal:
Und es war sold out, completely ausverkauft – so sagt ihr doch?

Hanna:
Ja, ja, genau, alle Karten restlos, so kann man das auch sagen.

Djamal zu Hanna:
Und du hast wieder so schön gesungen!

Kurt zu Hanna:
Bei deiner Gesangstechnik im Arabischen merkt man nicht, dass du eigentlich im Operngesang zuhause bist.

Djamal zu Hanna:
Das Arabische ist nicht dein Zuhause. Du machst, dass sie es aber nicht merken.

Hanna:
Seit ich dich kenne, Djamal, ist die arabische Musik für mich allgegenwärtig.
Sie fließt deshalb ganz automatisch in meine Improvisationen ein.

Djamal:
Im Jazz, da ist viel Freiheit.
In der Oper spielst du eine Rolle.
Und in der arabischen Musik liegt Passion <englisch ausgesprochen>, also Passion <deutsch ausgesprochen>. Wie sagt man?

Kurt:
Leidenschaft.
Natürlich hat jede musikalische Richtung ihre eigene Technik.
Aber entscheidend ist, den Charakter der Musik zu verstehen.
Denn jedem Stil liegt eine bestimmte Idee zugrunde, und wenn du die verstanden hast, kannst du die Musik auch darbieten.

Djamal ironisch:
Lucky me! To understand the character of music, I don’t need to understand German.

Lachen

Hanna hatte sie sich richtig feingemacht für diesen Abend.
Es waren viele Bekannte im Publikum.
Wenn sie auf der Bühne steht oder vor dem Klavier sitzt, dann möchte Hanna einfach hohe Schuhe anhaben.
Es fühlt sich gut an, seine Kunst in hohen Schuhen darzubieten.
Es ist eine Gratwanderung, sich größer zu machen, als man ist.
Und es ist immer eine Gratwanderung, mit solchen Schuhen Klavier zu spielen.
Jetzt aber die Haare hochbinden und die High Heels abstreifen.

Djamal:
Ich bin so froh, dass ich euch habe.
Ihr habt mir so geholfen und ich freue mich, dass ihr meine Freunde seid.
Und ich durfte anfangs sogar bei euch wohnen, ihr seid sehr herzlich.

Hanna berührt Djamal freundschaftlich an der Schulter:
Auch wir haben in dir einen Freund gefunden.
Warum denn auf einmal so ernst und nachdenklich, Djamal?
Du hast uns geholfen, in der Musik.
Ohne dich hätten wir heute nicht so einen Erfolg gehabt.
Jeder hat was beigetragen.
Alle sind wir unverzichtbar.

Kurt grinsend zu Djamal in scherzhaftem Unterton, und zu Hanna deutend:
Schon gut, dass ihr arabischen Männer jetzt endlich auch akzeptiert, dass bei uns eine Frau den Takt angibt.

Djamal mit einem schiefen Grinsen:
Meine Freunde verstehen das ehrlich nicht, aber ich muss es wohl …

Hanna unterbricht ihn und sagt scherzhaft drohend:
Hey, Djamal! Überleg dir, was du jetzt sagst!

Lachen

Djamal jetzt mit ernster Miene:
Ihr wisst doch, dass ich mein Studium der Oboe damals in Damaskus nicht abschließen konnte …

Hanna unterbricht:
Das wird dir dort in diesem Leben wohl auch nicht mehr gelingen.

Djamal:
Aber …. was ich sagen will …

Kurt unterbricht:
Gehen wir doch was trinken! Und Hunger hab ich auch.

Hanna:
So lass doch Djamal ausreden …

Djamal:
Habt Ihr diese elegante ältere farbige Frau gesehen in der ersten Reihe?
Diese große Erscheinung, hochgewachsen – so sagt man doch?

Kurt:
Die mit dieser Sonnenbrille mit den blauen Gläsern, ja großartig sah sie aus.

Hanna:
Und die kurzen weißen Haare. Der weiße Hosenanzug. Edel.
So cool möchte ich später auch einmal aussehen.

Djamal:
Ich wollte euch sagen, dass sie …

Kurt unterbricht wieder:
Also ich hab Hunger, so lasst uns doch essen gehen.
Djamal, du kannst uns das doch auch später erzählen.

Adrenalin im Übermaß.
Erschöpft. Verschwitzt. Zufrieden.
Durstig.
Hanna trinkt ein paar Schlucke aus der Wasserflasche.
Kurt schlingt ein Handtuch um den Hals.
Djamal legt das Sakko ab und streckt die Hemdsärmel hinauf.
Überdreht und zufrieden.
Alles ist gutgegangen.

Hanna:
Was wir da heute gespielt haben, das war eine ganz besondere interkulturelle Mischkulanz.

Djamal:
Ein Mischmasch – so sagt ihr doch?

Hanna:
Ja, genau.

Djamal:
Eine Mischung, aus allem, was wir gerne hören, und was unser Leben musikalisch ausdrückt.
Die Miles-Davis-Interpretation nach der Pause, die war very american.

Kurt:
Die Improvisation am Schluss hingegen war mehr arabisch.
Aber irgendwie auch klassisch.

Djamal:
Mischmasch.

Lachen

Seine Eltern haben ein Bild vor Augen: Djamal mit Oboe.
Ihr Sohn Djamal mit einer Oboe in Händen.
Eigentlich hätte Djamal in den Libanon gehen wollen. Das wäre nicht weit weg gewesen.
Aber dann ging alles ganz schnell: alle Ersparnisse dem Schlepper, dem verlässlichen, aus dem Nachbarort.
Damit ein anderes Bild nicht Wirklichkeit wird: Djamal mit der Waffe.
Ihren Sohn kämpfen zu sehen, das haben sie sich erspart.
Seine Eltern hatten ein Bild vor Augen: Djamal mit seiner Oboe.

Hanna:
Ich lese euch kurz nochmals vor, was über uns in der Zeitung stand:
Anregung zum interkulturellen Austausch: Ob kontemplative oder temporeiche Stücke – das Repertoire des Ensembles ist vielseitig und fasziniert nicht zuletzt durch seine mit Leidenschaft und Spielfreude vorgetragenen improvisierten Teile.

Djamal:
Kontemplativ?

Kurt:
Mehr besinnlich, voller Gedanken

Hanna liest weiter:
Das Trio verbindet traditionelle arabische Musik mit Jazz und klassischen Klängen, bricht traditionelle Genregrenzen auf und vereint Elemente unterschiedlicher Musikkulturen zu einem unverwechselbaren Klang. Die ursprüngliche Idee der Musiker war die eines musikalischen Dialogs: dass jeder relativ einfaches musikalisches Material auf unterschiedliche Art und Weise aufgreift und mit seinem Vokabular weiterentwickelt.
Das interkulturelle Jazztrio wurde vom Publikum begeistert gefeiert. Auch eine erste CD- soll in Kürze folgen.

Djamal lächelnd:
Ein musikalischer Dialog also.

Kurt:
Das hast du schön gesagt, mein Freund.

Djamal:
Listen to me, ich muss euch etwas sagen.
Aber ihr werdet es nicht hören wollen.

Hanna:
Sag schon, Djamal.

Kurt:
Heraus damit, so rede doch.

An Montagen in der Mittagspause zwischen den Vorlesungen an der Musikuniversität immer zu Tante Tamina.
Selbstgemachte Falafel und Tisqiye, ein Auflauf aus Kichererbsen mit viel Knoblauch und Pinienkernen.

Die orientalische Altstadt.
Die große Freitagsmoschee.
Der antike Kultbezirk.
Staubige Steinfassaden.
Dazwischen sein Herz, seine Sprache, seine Wurzeln.

Neben dem Basar ihr prächtiges Hofhaus.
Der Innenhof mit Brunnen.
Der Zitronenbaum. Sein Großvater hat ihn gepflanzt.

Fußballspielen mit Khaled und Halim, nach der Schule.
Sich nach der Uni mit Khaled und Alisar vor der Bibliothek treffen.
Ein Blickwechsel mit Alisars Schwester Faizah wäre schön.

Als kleiner Junge einkaufen mit der Mutter im Suk.
Farbenpracht.
Gemüse, Gewürze, Damaststoffe.

Sich durch enge Gassen drücken.
Ein klebriges Stück Baklava in der kleinen Hand.
Der Geschmack nach Honig und Pistazien.
Musik. Vertraute orientalische Klänge.
Dazwischen sein Herz, seine Sprache, seine Wurzeln.

Apokalyptische Zerstörung.
Verheerungen.
Verwüstungen.
Geschändete Heimat.
Verlassene Steinhaufen.
Dazwischen sein Herz, seine Sprache, seine Wurzeln.

Djamal:
Ihr habt mir so geholfen, die Musik mit euch hat mich gerettet damals, als ich mir am Anfang hier in Österreich so klein vorkam. Ich fühlte mich wie ein Nichts.
Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht.

Kurt:
Welche Entscheidung?

Djamal:
Soll ich bleiben oder gehen?
Ich überlege schon viele Tage.

Hanna:
Was meinst du, Djamal?

Djamal:
Ich habe wirklich gedacht, ich habe hier in Österreich meinen Platz gefunden.
Aber … das ist nicht meine Endstation.
Ich liebe euch und ihr müsst mich besuchen kommen.

Kurt:
Wo? Was meinst du?

Djamal:
Die Amerikanerin ist wegen mir hier, sie ist auf der Suche nach Talenten und hat mir ein Stipendium angeboten, ich kann an der Universität von New Orleans promovieren, in Komposition und Oboe.
Das Angebot ist reizvoll, ihr müsst das verstehen.
So let’s go, hat sie gesagt.

Kurt:
Was redest du da?

Einige Sekunden vollkommene Stille.

Hanna:
Djamal verlässt uns.

Djamal:
Ich mache mich auf den Weg.
Let’s go, hat sie gesagt.

Michaela Swoboda
Szenisch dargeboten bei Theaterzeit Freistadt 2016

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