Kein Typ fürs Grobe - Teil 3

Einer meiner langen Spaziergänge lässt mich vor der Akademie Halt machen. Mein Gott, die Akademie der schönen Künste! Dreimal habe ich versucht, die Aufnahmeprüfung dorthin zu schaffen. Dreimal hat man mir gesagt, es wäre ganz nett, was ich so machte, aber das könnte ich auch ohne ihr Zutun. Die doppelte, hohe Flügeltür strahlt durch ihr undurchdringliches Dahinter eine gewisse Unruhe aus, die sich auf die wartenden Prüflinge davor auszuwirken scheint. Manche rauchen. Einige kauen an ihren Nägeln. Andere üben sich in Gelassenheit. Mappendurchsicht! Jeder musste, schon Monate davor, eine Mappe mit eigenen Arbeiten abliefern, von deren positiver Beurteilung die Zulassung zur dreitägigen Probearbeit abhing.

Sind die Professoren noch nicht da? Vielleicht kann man hintenherum in den Saal gelangen, fragt jemand. Das große Warten findet ein jähes Ende, als sich die Flügeltür öffnet und die Nummer eins aufgerufen wird. Jetzt kommt Bewegung in die Menge. Alles geht relativ rasch. Die ersten sind bereits im Saal und verteilen sich auf verschiedene Gruppen von Assistenten und Professoren im Raum. Rüde Kritiken sind zu hören. Na, wo haben Sie denn das abgekitscht, hört man einen sagen. Is‘ ja fast ’n Breughel! Was? Gelächter. Wieso machen Sie das so? Weil es mir gefällt, haucht eine schmale Blondine. Weiter. Der Nächste.
Ein Professor zieht einen kantigen Farbkübel hinter sich her. In der einen Hand hält er einen Besen. Er taucht ihn in den Behälter mit blauer Farbe und schreitet die aufgestellten bereits grundierten Leinwände ab. Wie ein Stierkämpfer mit seinem Degen nimmt er Aufstellung vor einer der Tafeln, und flüstert: „Wenn das jetzt nicht gelingt, ist alles hin!“ Dann eilt er, den Besen, von dem die Farbe tropft, hochhaltend, auf die Tafel zu und fährt von oben nach unten in einem Zug durch. Die Studenten staunen. Auf diese Weise könnte man ein Zimmer in weit weniger Zeit ausmalen als es sonst dauert …

Sie müssen wissen, meine Philosophie ist, dass Sie unter meinen Anweisungen Sie selber werden, in Ihren Entscheidungen für Ihre Arbeiten. Haben Sie mich verstanden? Die Studenten sehen sich verunsichert an. Keiner spricht auch nur das leiseste Wort. So ist das also mit der Kunst.

Warum sind Sie hier? Weil ich gerne – zögert – Aktionskünstlerin werden möchte. Warum gehen Sie nicht zu meinem Kollegen? Er nennt den Namen. Kennen Sie den nicht? Nein. Haben gar nicht gewusst, dass er einen Lehrstuhl hier hat? Achselzucken. Der Nächste.

Der Assistent begutachtet die Arbeit eines Prüflings. Hier, und er deutet mit seinem Zeigefinger auf die bemalte Fläche, hier müssen Sie noch etwas hineinmachen. Der Student tut es. Er macht einen grellen runden Tupfer hinein. Eine Viertelstunde später kommt der Assistent wieder bei ihm vorbei. Hervorragend! Sie sind aufgenommen. Ich nicht. Sie sind nicht formbar, hat der Professor zu meinen Arbeiten gemeint. Ich nehme meine Mappe mit der Nummer zweihundertelf und verlasse den Saal. Ich gehe den Korridor entlang und trete hinaus auf den Platz. Später werde ich dem Herrn Vater berichtet haben, dass ich nicht genommen worden bin.

Ich habe beschlossen, dieses Ereignis nicht in die Familienchronik aufzunehmen, weil es unrühmlich ist, irgendwo durchzufallen, denke ich, und die Nachfahren stolz auf ihre Vorfahren sein möchten.

Man muss Erfolg haben in dieser Welt, sonst gilt man nichts.

Ich schreibe mich in einen Kurs an der Volkshochschule für Malerei ein. Akt, Porträt, Landschaft. Bereits in der zweiten Woche fahren wir hinaus auf den Kahlenberg, ins private Atelier der Professorin. Wir Kunstbeflissene suchen uns jeder ein Plätzchen am sonnigen Abhang des riesigen Gartens mit Blick auf die Donau und Wien. Ein Häusermeer. Daraus ragen zahllose Türme, darunter der Donauturm hervor. Ich fühle mich von dem Anblick völlig überfordert, beginne aber doch zu skizzieren. Häuschen an Häuschen reiht sich in mühevoller Kleinarbeit aneinander. Der davor alles überragende Donauturm wird mir zum Verhängnis.

Die übergewichtige Kunstprofessorin quält sich mühsam über den kleinen Abhang von Student zu Student. Sie blickt über meine Schulter, sieht meinen feinen Haarpinsel, mit dem ich die Häuschen und Türmchen male, und greift mit folgenden Worten zum größten Borstenpinsel, den ich besitze, indem sie ihn zunächst in Himmelblau taucht: „Was soll denn das sein? Schauen Sie“, und sie streicht in riesigen Streifen über die ganze obere Blatthälfte. „Das – ist der Himmel!“ Mir bleibt das Herz stehen. Mein Bild! Dann fährt sie mit dem unausgewaschenen Pinsel ins Braun, Grün und Ocker. „Und das“, zack zack zack, „das ist die Donau!“ Dabei verspritzt sie mit dem borstigen Werkzeug das Malwasser über mich.
Ich bin entsetzt. Mein Werk – in seinen Grundzügen realistisch, manieristisch detailliert angelegt, einer mittelalterlichen Panoramakarte gleich, mit allen Details, liegt völlig entstellt, ja, quasi devastiert vor mir. Das ist das Ende. „So!“, sagt sie, „und jetzt machen Sie weiter! Und verschonen Sie mich bloß mit Ihren Miniaturen, ja!“

Norbert Johannes Prenner
Romanauszug aus „Der Chronist“ – in Entstehung

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