Ruinenruin

Am Beginn des Fuß- und Radweges parallel zur Rohrbacher Bundesstraße mahnt eine Hinweistafel alle Fußgänger, sich links zu halten, also dicht neben der stark frequentierten Fahrbahn zu verbleiben. Wegen des Steinschlags aus den Klüften der Urfahrwänd, der, obzwar durch die alljährlichen Felsräumungen, durch aufwendige Armierungen, Fangnetze, Stahlanker und Betoninjektionen im Zaum gehalten, eben nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Hier, entlang einer vollständig abgebrochenen Ortschaft,  rauscht weniger die Donau als vielmehr der Verkehr vorbei. Zwar gibt es auch einen inoffiziellen Steig, der dem Flussufer folgt, aber der gilt als Parcours der Hundeführer.
Einem schnappigen Köter oder seinem nicht minder bissigen Halter auf handtuchbreiter Fläche auszuweichen, lässt sich nicht immer mit der gebotenen Eleganz vollführen. Wenngleich sich eine Pumpgun im Lärmschatten von Bahntrasse und vierspuriger Bundesstraße wahrscheinlich weniger auffällig abfeuern ließe als unter der Zeugenschaft unzähliger vorbeifahrender Automobilisten. Aber es ist ja so: Man erschießt ja nicht nur den Pitbull und früher oder später kommt man wirklich in die Bredouille und weil man sich vielleicht nicht auf Notwehr ausreden kann, fasst man bei bisheriger Unbescholtenheit trotzdem einige Jahre Gefängnis aus, die man zusammen mit diversen Stumpfköpfen in Stein oder Graz-Karlau verbringt und damit der Gesellschaft der verlorenen Seelen ein weiteres Mitglied hinzuaddiert. Und Doris Day kriegt man ebenfalls nicht als Bewährungshelferin zugeteilt.

Man bleibt also auf dem Streifen Asphalt neben der Rohrbacher Bundesstraße, der man aber natürlich nicht bis Rohrbach, sondern nur bis Puchenau zu folgen beabsichtigt. Gekommen war man durch die Ottensheimer Straße, war mit einer Mischung aus schwermütiger Erinnerung und schwelendem Groll durch dieses Quartier gestapft, das ironischerweise immer noch Alt-Urfahr heißt, gleichwohl die wirklich alte Bausubstanz bald nur noch an der Hand eines Sägewerksarbeiters abzuzählen sein wird. Den Rest des lieblichen Ensembles bilden entkernte Gebäude mit konservierten Blendfassaden und der schlichte Barock der Neureichen – diese Allerweltshochstapelei phantasielos konzipierter Wohneinheiten mit obligatorischem Planschbecken im Vorgarten.

Natürlich will man es nicht darauf anlegen, von einem zufällig herabkollernden Stein erschlagen zu werden, in Quasi-Adaptierung des Ödön von Horváth-Abgangs enden, dem bekanntlich ein herabfallender Platanenast auf den Champs-Élysées das Lebenslicht ausblies. Aber andererseits muss man auf die Radfahrer achtgeben, von denen man nicht weiß, ob sie auf einen achtgeben. Der typische Neurastheniker am Velo ist ja bekanntlich von eher schlichter Anwandlung: nach oben buckeln, nach unten treten – und das mit einer bewundernswerten Unablässigkeit, die selbst die Einsicht in die Notwendigkeit elementarer Verkehrsregeln nicht zu bremsen vermag. Am allerlustigsten sind Kinder unterwegs, wenn sie, im Herumeiern Schwung nehmend, ihren Altvorderen fröhlich krähend in die Parade fahren. Aber sie tragen wenigstens Helm und radeln allfälligem Felsgeriesel immer schon voraus.

Man blickt also ab und zu in die Wand, bzw. die Felswände und -vorsprünge hoch, sucht das Relief des verwitternden Granits nach Auffälligkeiten ab, von denen man aber natürlich nicht weiß, wie sie auszusehen hätten. Überhängende Steinbrocken, die anmuten, als würden sie sich kaum wahrnehmbar im Luftzug wiegen, als Gefahrenquelle ausnehmen kann jeder, der auch nur halbwegs seinen Augen traut. Man blickt aber auch regelmäßig den Weg zurück, um allenfalls aufschließende Radfahrer rechtzeitig zu gewärtigen.
Man hat einen Blick für das Gesträuch in Sepia, das filzig und dornenreich die Flanken der Abhänge hochkriecht und sich im Vorfrühling noch nicht sattgrün wie zur Hochzeit der Vegetation zeigt. Man hält im Unterholz des ausgewiesenen Naturschutzgebietes nach den letzten Ruinen der devastierten Ortschaft Ausschau, die man vor Jahren noch gesehen glaubte. Reste einer gemauerten Vorhausfläche, Ansätze eines Kellerabgangs, aufgehendes Mauerwerk. Das „Gasthaus zur Schiffmühle“ kann man nicht mehr lokalisieren. Den Aufgang in den Urfahrer Königsweg ebenso wenig.

Gegenüber, am jenseitigen Ufer der Donau, zeigt sich die pittoreske Kirchenlandschaft von St. Margarethen. Mit der einzigen Einsiedelei in Landeshauptstadtnähe, die bedauerlicherweise von keinem schrulligen Schratt mehr unterhalten wird. Klar, wenn der Kirche schon die Priester ausgehen, werden auch die gottesfürchtigen Selbstgeißler nicht Schlange stehen, sich um eine schimmelige Bleibe in einem Kabäuschen in grottiger Einschicht zu raufen.
Weil die Bäume noch kahl sind wie jene Weihnachtstannen, die, wenn sie nicht längst verheizt oder gehäckselt wurden, sich spätestens ab Maria Lichtmess im Wohnzimmer als armseliges Staudengerippe präsentieren, sieht man die Umrisse der sogenannten Rosenburg auf der benachbarten Anhöhe ganz gut durch einen struppigen Wald durchscheinen. Die Phantasiefestung des Edward Schiller, die diesen nicht glücklich machte, allenfalls die Kinder, die zum Lampionfest pilgerten, das die Gewerkschaft der Gemeindebediensteten einst hier veranstaltete.

Man dackelt weiter und gewinnt schließlich den Puchenauer Ortsteil Anschlussmauer. Der Name verweist freilich nicht darauf, dass im 1938er Jahr zu viele Landsleute dem Anschluss die Mauer gemacht haben, vielleicht sogar die gleichen, die sich dann 1945 als erste Opfer verstanden, sondern auf die sogenannte Anschlussmauer als Teil des Bollwerks der Maximilianischen Befestigungsanlage. Und die war genau hundert Jahre früher entstanden, nie wirklich zum Schuss gekommen und kaum einmal zwanzig Jahre als militärische Anlage in Betrieb gewesen, ehe man sie aufgab.

Die Häuser von Anschlussmauer sind in die Leite einer der Ausläufer der Flanken des Pöstlingberges gebaut und etwas lärmgeschützt dank einer Wand, die die Sicht auf die Bundesstraße verbarrikadiert. Das erinnert einen an jene vereinsamte Alte, die, in Waldegg an einer Straßenführung parallel zur Westbahnstrecke wohnend, damit drohte sich umzubringen, falls die hochgezogenen Lärmschutzwände ihr die Sicht auf die rangierenden Züge nehmen würden.
Man weiß nicht, was aus ihr wurde. Die zwei Stockwerke hohen Hürden stehen jedenfalls und wurden schon bald nach ihrer Errichtung innerseits der Gleisanlagen mit dem Schriftzug „Shamsir“ an verschiedenen Stellen verunziert, was vielleicht auf den gleichnamigen persischen Säbel verweisen soll und wohl ein Signet des islamischen Wahnsinns darstellt.

Das Ensemble der Überreste des sogenannten Linzer Lagers wurde nie unter Schutz gestellt, wie es die ausgewiesene Kunsthistorikerin Renate Wagner-Rieger bereits in den 1960er Jahren gefordert hatte. Vielmehrt wurde seither den Relikten beim Zerbröseln zugesehen, sowie da und dort auch noch ein bisschen nachgeholfen. Dass 1975 die linke Klause Kunigunde – sämtliche Bauten unterstanden dem Patrozinium weiblicher Heiliger – geschliffen wurde, war der Notwendigkeit geschuldet, dem stetig wachsenden Verkehrsaufkommen durch Ausbau der Bundesstraße Rechnung zu tragen. Somit also Folge eines Sachzwangs. Dennoch ist es schade um den Anschlussturm, der zuletzt als Wohngebäude in „verkehrsgünstiger Lage“, wie es im Immobilienmaklereuphemismus heißt, gedient hatte: auf einer Insel zwischen Bahngleis und Autopiste.

Jetzt steht man am Waldsaum vor einem überwachsenen Felsblock, der eine für das Mühlviertel typische Verwitterungsform aufzuweisen scheint: Steinlagen wie geschlichtete Tortenböden. Nach genauerem Hinsehen erkennt man das bloßgelegte Mauerwerk aus ineinander gepackten Bruchsteinen, den Rest jener hangwärts führenden Anschlussmauer, die sich hier mit der Klause verband, allein einen Fuhrwerksdurchlass offenlassend, der im Bedarfsfall massiv verbarrikadiert werden konnte.
Man überlegt, weiter nach Puchenau hineinzugehen, in diesen Ort ohne Zentrum, in dem Roland Rainer seine Idee der Gartenstadt in die Realität umsetzen konnte, sich gewissermaßen als Harry Glück des verdichteten Flachbaus verwirklichte, weniger als austriakischer Ebenezer Howard auf potenziellem Überschwemmungsgelände. Beschließt dann aber den Hang hoch durch den Wald zu stapfen, was einen gleich keuchen macht und einem den Ratschlag seines praktischen Arztes in Erinnerung ruft, man könne doch das eine oder andere Bier von mehreren am Abend des Vortags getrunkenen ebenso gut auch nicht trinken. Allerdings, der Springinsfeld ist man ohnehin nicht mehr und Bier reinigt bekanntlich die Nieren und überhaupt: Was sind schon fünf Bier, wenn man zehn eh nicht getrunken hat?

Durchs Laub schlurfend, wühlt man eine mutmaßliche Granatenkartusche oder Büchsenkartätsche aus der Humusdecke und will die Sache gleich gar nicht näher in Augenschein oder gar mit nach Hause nehmen, um sie, in den Schraubstock eingezwängt, experimentell anzubohren. Wie es jener Jugendliche mit seinem brisanten Fundgut gemacht haben musste, ehe der mitsamt Elternhaus in die Luft flog. Natürlich könnte man den Entminungsdienst alarmieren und den Spezialisten, die sich von nervenaufreibender Fliegerbombenentschärfung erholen, den Sonntag damit ruinieren, dass man sie zur Bergung eines, wie sich dann herausstellt, leicht angerosteten, uralten Sodawassersiphons rief.
Stattdessen setzt man die Besteigung des mit lichtem Mischwald bewachsenen Berghangs fort, wähnt auf dieser wilden Passage unweigerlich, weil logischerweise, auf jenen Wanderweg treffen zu müssen, der von der Schießstättenstraße als Kreuzweg abgeht und im Wald schließlich als Turmstraße an Ruinen der Maximilianischen Befestigungsanlage vorbeiführt. Kommt aber plötzlich vor einem Jägerzaun zum Stehen, der ein Areal mit Jungbäumen einhegt, um sie solcherart vor Wildverbiss zu bewahren. Den Jägerzaun im schwierigen Gelände zu umgehen wird insofern zur Herausforderung, als von unterbrochener Waldarbeit loses Geäst herumliegt, zu Scheiterrundlingen portionierte Stämme des Aufgelesenwerdens harren und das Erdreich zudem durch Ziehen und Rücken der Hölzer mit dem Sappel so aufgewühlt wurde als wären die Eber durchmarschiert.

Man legt eine kurze Rast ein, sondiert die Lage, rekognosziert das Terrain, wie man früher im Militärsprech zu sagen pflegte und lenkt seine Schritte dann traversiere zum Hang. Damit weicht man einerseits dem Jägerzaun aus, hält andererseits auf die Anschlussmauer zu, die sich als unübersehbare Barriere vom Ort herauf in sturgerader Linie durch den Wald zieht.
Man erschreckt zwei Rehe, die zunächst auf die Mauer zuschießen, sich aber noch rechtzeitig abwenden, ehe sie an ihr zerschellen. Unter erregtem Ohrenspiel, was eine gewisse Empörung kundzutun scheint, traben sie aus dem Sichtfeld hangabwärts.
Die Anschlussmauer zeigt sich als ein mit dem Felsmaterial der Gegend versehenes Bloßsteinmauerwerk, dem ein Bewuchs aus Stauden und struppigen Baumkrüppeln aufsitzt. Ihre geschätzten drei Meter Höhe mit herangeführten Leitern zu überklettern, wäre jetzt keine Schwierigkeit und vor hundertsechzig Jahren wahrscheinlich auch keine gewesen, wenn sich das Gelände damals so präsentiert hätte wie heute. Aber zu Zeiten des Biedermeiers gab es hier keinen Wald und man hätte sich unweigerlich ins Schussfeld der im Schartenstock der Edelburga-Warte auf Posten befindlichen Füsiliere begeben. Selbst Geschosse abgefeuert aus Steinschlossgewehren können einem das weitere Vorgehen ganz schön verhageln.

Die Anschlussmauer endet mit einem absurden rechteckigen Durchguck knapp über Kopfhöhe an der Außenmauer der ehemaligen Warte, einer Bastion über halbkreisförmigem Grundriss. Am Mauerfuß sammelt sich Ziegelbruch von den Fensterlaibungen. Man streift am leicht nach innen geneigten Gemäuerhalbrund entlang, trifft jetzt nach einigen Schritten tatsächlich auf einen Weg und steht gleich darauf am ehemaligen Einlass in den Wehrbau. Massive Türangeln finden sich dort in den Stein gefügt. Auf solche Weise verankert, dass es unmöglich bleibt sie herauszuziehen, auch wenn eine sich in lockerer Haltung vermeintlich zu lösen scheint. Das deutet darauf hin, dass sie nicht eingestemmt, sondern vielmehr beim Versehen der Steinmauer in die vorbereiteten Ausnehmungen einer Lage eingelegt und verkeilt worden sind.

Setzt man mit kühnem Schwung durch das Portal, stürzt man unweigerlich in eine Grube, die sich an der Stelle auftut, wo schon vor langem eine Zwischendecke eingebrochen ist. Den Bau eines armierten militärischen Beobachtungsstandes als eine Anordnung von Fallgruben zu denken wie die Theaterbühne von Alfred Jarry, daraus in Gestalt einer einzigen Person im Bedarfsfall die gesamte polnische Armee entsteigt, wäre denn doch etwas hirnrissig. Um in das Innere der Warte zu gelangen, ohne ein Fall für die Bergrettung zu werden, klettert man eben durch eine der Fensterhöhlen und landet im ehemaligen Magazinstock auf dem Schutt eingestürzter Gewölbe. Die Anmutung des Ruineninneren hat weniger etwas Beklemmendes als vielmehr etwas Beklagenswertes: Warum musste der funktionslos gewordene Massivbau auch so verkommen? Als man vom Verdeck das provisorisch gedachte Holzdach abnahm, um es zu Ofenscheitern zu zerkleinern, wurde die darüber aufgebrachte Erdschicht, die ursprünglich als Splitterschutz fungiert hatte, zur Humusdecke für die mit dem Wind verbrachten Pflanzensamen. Man möchte sich ausmalen, die hier und in den anderen Türmen stationierten Kanoniere hätten in Friedenszeiten auf abgedunkelter Erde Champignons gezüchtet, wie weiland der Spitzweg’sche Vorposten, der Socken strickte – mit nicht aus der Ruhe zu bringender Raffinesse. Den verschiedenen Wetterbedingungen im Jahreszeitenwechsel ausgesetzt, konnte es aber nur eine Frage der Zeit sein, bis das Mauerwerk anfing, Schaden zu nehmen. Von der Kehre oberhalb der Warte betrachtet, sitzt dieser regelrecht ein Wäldchen auf. Eine Wald-in-Wald-Idylle? Eine pittoreske Szene mit Ablaufdatum jedenfalls.

Während man darüber nachdenkt und sich versonnen endlich wieder nach dem Weg wendet, fährt man unversehens einer Läuferin in die Parade, die mit aufgesetztem Kopfhörer in hochfahrender Gazelleneleganz die ehemalige Turmstraße heruntergesportelt kommt. Das Malheur ist natürlich nicht damit aus der Welt, dass man sich entschuldigt, dabei peinlich darauf bedacht, nicht das von sich zu geben, was man sich eigentlich denkt. Sie fängt sich, eben so wie man sich fängt, schlingt ihren Kopfhörer um den Hals, daraus irgendetwas Unzumutbares greint, das nur Menschen für Musik halten können, deren Gehörschaden irgendwo zwischen Thalamus und primärer Hörrinde zu lokalisieren wäre. Der Austausch von Unfreundlichkeiten unterbleibt trotzdem. Man einigt sich darauf, dass, wenn schon nichts anderes, so doch der Frühling bald kommt. Dann nimmt sie das Laufen wieder auf und man sieht ihrem flatternden Haar noch eine Weile nach und glaubt, es seien die Korinther gewesen, die den Spartanerinnen nachsagten, sie hätten alle einen Vogel. Aber vielleicht brachten die Ersteren das nur deswegen auf, weil sie bei Zweiteren so gar kein Leiberl hatten.

Wenig später steht man vor dem Turmruinenrund des Turms 15, Luitgarde, der, im Gegensatz zur Warte, nicht in den Hang, sondern auf verebnetes Gelände gesetzt worden war. Es umfangen ihn noch der Graben und jenes Erdwerk, das man das Glacis nannte, sodass sich die Anlage gegen die gedachte Angriffslinie als ein in seine unmittelbare Umgebung eingebetteter Kegelstumpf präsentierte. In unseren Tagen betritt man durch den aufgerissenen Eingang an der sogenannten Kehle einen großen, hohlen Gugelhupf, der dadurch entstanden ist, dass von drei konzentrischen Rundgängen nur noch der äußere erhalten geblieben ist, die Balkendecken der inneren längst den Weg allen Irdischen gegangen sind. Wahrscheinlich wurde nach dem Verkauf der einzelnen Bastionen der Sache des Verfalls auch hier etwas nachgeholfen. Deckenholz ließ sich, zugeschnitten, als gut getrocknete Feuernahrung in jeden Ofen schieben.

Im Zentrum des Gugelhupfs erklimmt man einen vermeintlichen Schutthügel, den die Feuerstelle einstiger Lagerfeuerromantik, selchig müffelnde Asche und einiges Dosenblech krönt. Dort pflanzt man sich auf und betrachtet im Rundblick einen mit Baumbesatz überzogenen Mauerkranz. Die sich nach und nach durch die Backsteintonnengewölbe arbeitenden Wurzeltriebe werden letztlich der Ruinen Ruin sein, sinniert man und bedauert, dass der Eigentümer, Stift Wilhering, nicht auslichten lässt.
Der zentrale Schutthügel inmitten der Turmruine ist gar keiner, sondern der innerste Raum, in dem entweder ein Brunnenschacht abgeteuft war wie im Leondinger Turm 9 oder im Heilhamer Turm 24, oder Sprengmittel eingelagert wurden. Ein von klafterdickem Mauerwerk umschlossener Zylinder mit Backsteinkuppel.
Man fragt sich, ob man hier über dem vermuteten Zutritt einmal die Schaufel ansetzen sollte, um ins Innerste vorzudringen und  – ja, auf was wohl zu stoßen? Auf Graffiti, die gelangweilte Sappeure Anno Tobak in den gebrannten Ton der Ziegel geritzt haben?

Für heute hat man keinen Klappspaten dabei und so macht man sich weiter auf der preisgegebenen Turmstraße, der das Pflaster geraubt worden ist, das nirgendwo mehr vollständig, sondern nur noch an bestimmten Stellen aufliegt. Man weicht vom Weg ab, um nach der Ruine der Batterie Thekla zu sehen, welche zusammen mit jener namens Klara einen niemals errichteten Turm 17 in den abschüssigen Lagen des Pöstlingberges ersetzen half. Man streicht vorbei an den trostlosen Überresten des Seraphina-Turms 16 und tritt vom Wald heraus auf eine Wiese, in der jener Felsenkopf zu vermuten ist, der gesprengt worden war, um den Geschützen der in der Nähe befindlichen Bastionen kein natürliches Hindernis innerhalb der Bestreichungsradien zu belassen. Bei dem Manöver zerbröselte der Felsen in weitum streuende, rasiermesserscharfe Splitter, die der Überlieferung nach einer Marketenderin das Leben kosteten. Noch vor einigen Jahren konnte man die Splitter von der Hochfläche der markanten Erhebung auflesen. Jetzt findet sich eine Grasnarbe als Decke darüber geschlagen.

So nahe am Berg, der eine Basilika in der Nachfolge eines an einen Baum genagelten Gnadenbilds trägt, weiß man nichts anderes mit sich anfangen, als ins Wirtshaus zu gehen. Dort isst und trinkt man unter Leuten, die es auch nicht anders betreiben. Später wird man dann entlang der Hohen Straße, die auch noch Hansbergstraße heißt, nach Linz zurückgehen.

Man wird keine der zur Übung gewordenen Sonntagsbesuche mehr machen. Man wird daheimbleiben, in Büchern lesen und abends das Radio anmachen. So erfährt man, dass noch am gleichen Tag die Rohrbacher Straße auf behördliche Anordnung gesperrt wurde. Es gingen Steine aus der Urfahrwänd auf die Fahrbahn ab.

Bernhard Hatmanstorfer

www.verdichtet.at | Kategorie: spazierensehen | Inventarnummer: 15045