Am Katzentischerl
Eigentlich ist es eine Herabsetzung, am entlegenen kleinen Tisch zu sitzen – man weiß ja schon aus der Bibel, dass an der Tafel strenge Rangordnungen bestehen und eisern eingehalten werden. Wie vieler Überlegungen bedarf es oft, bei großen Feiern alle Gäste zufriedenstellend und sozial verträglich zu platzieren. Und trotz aller Sorgfalt passiert es immer einmal, dass da noch zwei, drei Gäste dazukommen, für die man eben noch einen Tisch ganz hinten zum Ausgang stellt.
Das kann von den dorthin Gesetzten manchmal schon als ein bisserl kränkend empfunden werden. Noch dazu, wenn man die hier zusammengewürfelten Tischgenossen nicht kennt. Also macht man gute Miene zum bösen Spiel, fragt nach der Getränkebestellung, in Gottes Namen und weil man ja nicht unhöflich erscheinen will, den Sitznachbarn oder die Frau vis-à-vis, von wo er/sie her ist und welcher Bezug zum Gastgeber da ist und so.
Und wenn man Glück hat und der andere Gast auch froh ist, jemanden zum Reden zu haben, entwickelt sich oft ein interessantes Gespräch, man kommt einander näher, ein Dritter bringt eine passende Wortspende ein, und dann lacht man auch einmal über einen neuen Witz, während an der großen Tafel das Eis erst langsam zu tauen beginnt. Dann schiebt man noch eine lustige Episode aus dem Urlaub ein: „Jö, Sie kennen auch den Kirchenwirt auf der Tauplitz?“ Und wenn jetzt die Frau vis-à-vis hellauf lacht, blickt die reservierte große Tafelrunde erstaunt und ein bisserl neidisch zum Katzentischerl hinüber, wo keine steife Etikette herrscht und man das tut, wozu ein Fest da ist – nämlich sich bei gutem Futter gut zu unterhalten. Auch am Katzentisch. Miau!
Robert Müller
www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 25126