Le vrai amour³
Eins
Kurz vor Weihnachten überquerte ich in der Stadt eine Ampelkreuzung. Zwischen den teuren Geländeautos stand ein alter japanischer Kleinwagen. Das Fahrzeug war sehr gepflegt und hatte keine Beule. Am Kennzeichen sah ich, dass es den weiten Weg aus Bukarest zurückgelegt hatte.
Als ich einen Blick durch die Windschutzscheibe erhaschte, sah ich ein Ehepaar, einen Mann am Fahrersitz und eine Frau am Beifahrersitz. Beide waren gut gekleidet, die Frau trug einen Hut und einen eleganten Mantel.
Wie armselig kamen mir danach die großen SUV vor.
Zwei
In einer Radiosendung rief eine Frau zum Thema „Unangenehme Erlebnisse“ an. Sie erzählte selbstbewusst, dass sie bei einem Spaziergang mit ihrem Mann Durchfall bekam. Sie sah eine Sporthalle, zu der sie ging. Als sie eintreten wollte, bemerkte sie, dass die Tür abgeschlossen war. Da sie nicht wollte, dass es in die Hose geht, setzte sie sich an die Hauswand. Als der Radiomoderator einwarf: „Hatten Sie keine Angst, das Ihrem Mann zu erzählen? Hat er geschimpft?“, entgegnete sie: „Ach was, ich habe einen sehr lieben Mann. Er gab mir einen Kuss und scherzte, ich hätte auch ein Gen von einem Hund.“
Drei
Die Klassenbeste bekam in einer Lateinschularbeit in der Oberstufe einmal „Ungenügend“. Mich verwunderte das sehr und ich fühlte mich – wenn ich ehrlich sein darf – auch etwas erleichtert. Ein paar Tage später erzählte sie davon, wie ihre Eltern reagiert hatten. Ich wusste, dass es an meiner Schule gute Schüler gab, die schon bei einer Eins minus in Tränen ausbrachen. Die Reaktion der Eltern war folgende: Der Vater der Schülerin holte eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank und die Familie stieß an. Dabei sagte er: „Wenn meine Tochter einmal ein Ungenügend hat, muss das gefeiert werden.“
Michael Bauer
www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 25112