Christas Comeback

Redaktioneller Hinweis an alle, die (chronologische) Ordnung lieben:
Dieses Comeback hat eine Vorgeschichte.

 

Einleitung

Guten Abend und willkommen. Oder besser gesagt: willkommen zurück.

Wir erinnern uns an Weihnachten vor drei Jahren … Damals waren wir Teil einer ganz besonderen Selbsthilfegruppe  – für benachteiligte Weihnachtsdekorationen. Vielleicht haben Sie noch Christas Stimme im Ohr: drall, prall und mit einer erstaunlichen Portion Selbstironie. Eine Weihnachtskugel im Dauereinsatz fürs Füllmaterial, stets übersehen, aber nie zu überhören, wenn sie einmal zu sprechen begann.

Christa, die Christbaumkugel: Sie war nicht irgendein Dekoteil aus Plastik, sondern ein Wesen mit Haltung, Humor und einem erstaunlich klaren Blick auf das stille Elend des benachteiligten weihnachtlichen Behangs. Ihre Worte klangen wie ein Manifest für all jene, die zwar glänzen, aber nie gesehen werden. Christas letztes Spotlight war ein letzter Abschied unserer Protagonistin, bevor sie sich – hängend am Weihnachtsbaum – entschlossen der nächstgelegenen Kerze zuwandte.

Heute nun, meine Damen und Herren, kehrt Christa zurück.
Nicht zum ersten Mal, wohlgemerkt. Denn Christa ist eine Wiedergeborene im besten Sinne: ursprünglich ein Plastiksackerl mit tragender Funktion, dann eine Kugel mit Glanzanspruch – nun eine Form, die selbst sie noch nicht ganz versteht. Aber eines ist sicher: Das Universum hat sie nicht vergessen. Und es hat Humor.

Wiedergeboren in neuem Glanz, selbstverständlich plastikbasiert – denn wahre Unvergänglichkeit ist nun mal kein Nebenprodukt der Natur, sondern des Polyethylens. Wer braucht schon Zellulose, wenn man charismatische Chemie sein kann?
Nicht mehr an den Baum gehängt, sondern im Zentrum der Aufmerksamkeit – und das ganz ohne Bio-Siegel. Nicht mehr nur beobachtet, sondern bestaunt. Nicht mehr nur geschmückt – sondern gebraucht.

Lassen Sie uns gemeinsam hören, was aus ihr wurde. Und was aus uns werden könnte, wenn wir uns trauen, ein bisschen mehr zu leuchten, auch jenseits der Lichterkette.

 

Und nun: Christas Comeback

Kapitel 1: Wiedergeburt

Als ich zu Bewusstsein kam, war alles dunkel. Dann: ein Rascheln, gedämpfte Stimmen, ein Lichtschein, der sich vorsichtig durch eine Ritze tastete. Ich stand, geborgen in einer samtgefütterten Box und man präsentierte mich auf einem Podest, das sich langsam drehte. Ich war nicht mehr nur verpackt, ich war inszeniert. Das war neu …

Am unteren Rand meiner Verpackung stand in großen schwarzen Lettern

„The Boss“.

Ein Titel! Was für ein Upgrade!
Früher war ich bloß eine einfache Weihnachtskugel, dazu verdammt, Jahr für Jahr zwischen Lametta und Lichterketten zu baumeln – übersehen, unterschätzt und ignoriert.

Und jetzt? Jetzt hatte ich eine Identität, einen Rang und vielleicht sogar eine Mission!

Meine neue Form war … beeindruckend.
Kraftvoll, stramm und von kunstvollen Linien durchzogen, die sich wie Schicksalsfäden über meine dunkelbraune, nahezu ebenholzfarbene Oberfläche drapierten. Ich fühlte mich monumental und fast ein wenig majestätisch. Man gab mir zwei kugelrunde Pantoffeln mit flacher Unterseite und Saugnäpfen, die stets für einen sicheren Stand sorgen würden, doch das Beste war – mein Helm!

Ein junges Pärchen, das mich zuvor im Laden noch mit einer Mischung aus Erstaunen und Verlangen anstarrte, öffnete ehrfürchtig meine Verpackung. Ihre Augen glänzten. Ihre Finger strichen behutsam über meine Oberfläche, als hätten sie Angst, mich mit einer falschen Geste zu entweihen oder gar zu beleidigen.

Unmittelbar nach diesem ersten Akt der Bewunderung wurde ich gewaschen, eingeölt und immer wieder gepriesen.

Mein Leben hatte eine neue Richtung – und ich, Christa, war bereit, alles dafür zu tun, um meinen neuen Besitzern im Gegenzug für ihre Hingabe die größtmögliche Freude zu bereiten.

(Kurze, triumphierende Pause)

Kapitel 2: Die Spieleabende

Mein erster großer Auftritt kam schneller als erwartet: ein Spieleabend!

Zwar war dieser kein kirchlicher Feiertag – so wie ich es aus früheren Zeiten kannte –, jedoch gab es, was die Kirche betraf, sicherlich auch noch andere Feste, bei denen man so prachtvolle Gegenstände – wie mich – einzusetzen wusste.

Die Wohnung vibrierte von Stimmen, Lachen und dem sanften Klirren von Gläsern. Die Menschen schienen sich auf etwas zu freuen und die Stimmung war gelöst und heiter.

Und dann – die Präsentation:

Ich wurde hochgehoben und wie ein rituelles Werkzeug ins Licht gehalten, sodass alle Gäste meine volle Pracht bewundern konnten. Es folgte Staunen. Kichern. Bewunderung. Eine zierliche Frau gab sogar ein leises Seufzen von sich, was ich als zutiefst wertschätzende Geste verstand.

Als ich endlich zum Einsatz kam, wurde ich entschlossen gepackt, gedreht und in verschiedenste Positionen bewegt. Es glich einem Tanz und jede Bewegung schien bedeutungsvoll zu sein, denn die Reaktionen waren äußerst zufriedenstellend.

Als der Abend ein wenig fortgeschritten war, bekam ich sogar meinen eigenen Lederschmuck!

Man spannte mich in ein System aus Riemen und Schnallen, so kunstvoll, dass ich mich fühlte wie ein Rennpferd-Champion vor dem Start!

Manchmal hörte ich ein zartes Aufkeuchen, ein Lachen, ein genüssliches Seufzen. Es war, als würde ich eine tief verborgene Seite in den Menschen berühren. Ich war der Funke, der das Eis schmelzen ließ. Meine künstlerische Darbietung wurde mehrmals pro Woche aufgeführt, manchmal vor mehr, manchmal vor weniger Publikum, doch eines kann ich Ihnen sagen: Ich war verdammt gut darin!

Kapitel 3: Im Dienste der Freude

Was genau meine Aufgabe war?

Nun … manchmal fragte ich mich, ob es wirklich wichtig war, es zu verstehen.

Es gab keine Anleitung, keinen klaren Zweck, nur Wirkung. Und diese war unverkennbar.
Ich war nun kein bloßes Dekostück mehr. Kein benachteiligter Christbaumbehang ohne jegliche Bedeutung.
In diesem Leben war ich ein Katalysator. Ein Impuls. Ein Statussymbol.

Wo immer ich auftrat, veränderte sich die Stimmung:
Gesichter hellten sich auf, die Menschen öffneten sich und ließen ihre tief verwurzelten Barrikaden fallen. Zugegeben, manchmal auch mit etwas Nachdruck.

So manches Gespräch, das stockend begonnen hatte, geriet durch mich plötzlich in einen nonverbalen Fluss. Ich fühlte mich wie eine Diplomatin, die den Frieden ganzer Nationen garantierte.
Zwar fiel mir auf, dass mir Männer stets mit etwas mehr Ehrfurcht begegneten als Frauen, speziell wenn ich meinen Lederschmuck trug. Doch wie es mit neuen Bekanntschaften so ist, lösten sich die anfänglichen Zweifel meist durch ein vorsichtiges Herantasten in Luft auf. Ich wusste intuitiv, dass man mit Männern behutsamer umgehen musste, denn auch wenn sie nach außen hin hart erschienen, waren sie im Inneren weich und verletzlich.
Frauen hatten da weniger Berührungsängste, denn oft hatte ich das Gefühl, sie begrüßten mich wie einen langersehnten Freund, den sie schon eine Weile vermisst hatten.

Doch beim großen Finale konnte ich – ehrlich gesagt – keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellen. Zudem wertete ich nicht, denn schließlich war ich für alle da.

Kapitel 4: Bittersüß

Trotz all meiner Erfolge und meiner umjubelten Auftritte blieb da etwas – eine leise, bittersüße Sehnsucht.

Ich fragte mich manchmal: Wer bin ich wirklich?
Bin ich ein Werkzeug, eine Erfüllungsgehilfin interaktiver Performance-Kunst oder war ich doch ein bisschen Zauber, geführt von zwei Händen?

Vielleicht war ja genau das mein Geheimnis:
Man musste mich nicht erklären. Die Menschen wussten instinktiv, womit sie es zu tun hatten, und man gab mir diese Form, um als sakrales Symbol zu fungieren. Ja, die Menschen waren gläubig und vielleicht war ich ihr Kultobjekt. Und wer weiß, vielleicht würde ich ja sogar irgendwann Kirchenwände zieren?

Auch wollte ich einen eigenen Slogan für mich erfinden. Leider waren „geschüttelt, nicht gerührt“ und „yes we can“ bereits vergeben, so habe ich mich letztendlich für „The Boss – Tiefe, die bleibt“ entschieden, denn für Oberflächlichkeiten hatte ich schließlich wenig übrig.

Aber nun Spaß beiseite – man wird ja wohl noch in aller Bescheidenheit träumen dürfen …

Doch neben all diesen Träumereien und Spekulationen weiß ich eines mit Sicherheit:
Wenn irgendwo das Licht gedimmt wird, langsame Musik erklingt und ein ehrfürchtiges Raunen durch den Raum huscht, dann ist es Zeit für mich, die Bühne zu betreten. Ich bin wieder da, mein Comeback ist gelungen.

 

Verena Tretter

www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 25111