Im nächsten Leben

A.s Augen blickten sie sanft und leidenschaftlich an, als sie zwischen all den Getränkekisten standen. „Du Frauenheld“, flüsterte Lara schließlich, leise lachend und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Der sanfte Druck seiner Hand auf ihrem unteren Rücken ließ sie erschaudern; sie fühlte sich geborgen und erregt. Für einen Moment vergaßen beide die Welt außerhalb des Wirtschaftshofes, die Kollegen sowie die Gäste, die empfangen und bedient werden wollten.

„Du wirst sehen, dass ich kein Frauenheld mehr bin“, flüsterte A., ehe er seine Zigarette ausdämpfte und wieder auf seine Station ging; die Saison neigte sich dem Ende zu, der Gastgarten des Lokals S. war brechend voll. Lara lächelte, während sie zu ihrem Arbeitsplatz am Gästeempfang zurückging; ihre Welt war im Chaos, seine Aufmerksamkeit beruhigte sie. Er flirtete seit Tagen mit ihr, nichts von ihrer Trennung wissend; bei jeder zufälligen Begegnung suchte er ihre Nähe, indem er zumindest ihre Hand streifte. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass sich zwei der Guten zum falschen Zeitpunkt kennengelernt hatten; sie hatten die Fronten längst geklärt.

Es war kurz nach 22 Uhr, als Lara und ihre Kollegin Babsi die Tür des Gästeempfangs abschlossen und zum Wirtschaftshof gingen, um ihre leeren Flaschen in die Leergut-Kisten zu stellen und noch etwas zu trinken. A. wartete mit einem weißen Spritzer auf Lara, er hatte immer versucht, sie in den letzten Tagen abzufangen, wenn ihr Dienst endete. Er wollte, dass sie wusste, dass es ihm leid tat, dass sie sich gegenseitig nicht geben konnten, was sie gerade brauchten, aber sie sollte spüren, dass er da war.

Der Gastgarten leerte sich bereits, etwas Ruhe kehrte ein. Lara und A. standen etwas abseits, Arm in Arm, versunken in die Präsenz des Anderen. A. hielt Lara, so fest er konnte, und küsste sie auf die Stirn. „Lerne endlich, dich selbst zu mögen“, sagte er leise, während er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, „deine wunderschönen Lippen …“ Lara lehnte ihre Stirn an seine, schloss die Augen und ließ den Sturm in sich toben. Sie wollte ihn küssen, seine Haut auf der ihren spüren – in seinen Armen einschlafen und an seiner Brust aufwachen. Noch lauter aber war die warnende Stimme ihrer Seele, dass niemand sie glücklich machen konnte, solange sie nicht bei sich war. Und sie musste noch alles Vorangegangene verarbeiten.

„Im nächsten Leben Lara“, sagte A., während er ihr Gesicht zwischen seinen Händen hielt. Sie senkte ihren Blick, wollte ihrer Angst, ihrer Unsicherheit ausweichen. „Bitte weine nicht!“, A. hielt sie noch fester. „Nein“, sie schüttelte den Kopf. Als sie später ihre Wohnung betrat, fühlte sich die Dunkelheit so kalt an, das leere Bett schien sie wegzustoßen. Für einen Moment meinte sie, seine Umarmung zu spüren, seinen Geruch wahrzunehmen.

Denn manchmal sehnt sich das Herz nach dem Unerfüllten, dem Unmöglichen.

Cornelia Hell

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