Understanding Mölzer. Ein Essay

In den letzten Wochen ist es immer wieder zu Diskussionen über die Äußerungen von Andreas Mölzer gekommen. Wie ist damit umzugehen? Es gibt die eine Fraktion, die zu Recht empört ist und die Äußerungen Mölzers als neuesten verbalen Tiefpunkt in der österreichischen Politik ansieht. Beschweren sich nun Erstere über die unhaltbaren und unerträglichen Sätze, werden diese wiederum als linkslinke Wortverdreher abqualifiziert und Mölzer als deren Opfer stilisiert.

Was können wir als langfristig daraus lernen? Dass wir mit unserer medialen Empörung der FPÖ in die Hände spielen, möglicherweise.

Versuchen wir doch einmal, Mölzer wortwörtlich zu nehmen und uns in seine Gedankenlogik hineinzuversetzen. Als Erstes wäre da der Textausschnitt aus dem SZ-Magazin. Darin behauptet der EU-Abgeordnete:

Es ist eine Frage auch des gestalterischen, des Arbeitsethos, was aus diesem Europa wird:
Entweder sind wir ein Negerkonglomerat, totales Chaos, sage ich jetzt bewusst brutal
politisch nicht korrekt. Wo das Chaos sich vermehrt, wo Massenzuwanderung, wo
institutionelles Chaos, wo wirre Konzerninteressen …(SZ-Magazin)

Was will uns Mölzer also damit sagen? Er entwirft in diesen Sätzen ein Krisenszenario, das er durch seine Wiederwahl ins Europäische Parlament zu verhindern hofft: also ein durch ein wie auch immer beschaffenes Konglomerat ausgelöstes oder kultiviertes Chaos, das Massenzuwanderung und Konzerninteressen nichts entgegenzusetzen habe. Dies sage er „bewusst brutal politisch nicht korrekt“. Andererseits beklagt er sich wieder darüber, dass es „sicher nicht so viele Regeln und Vorschriften, Gebote und Verbote“ in den „düstersten Systemen“ des 20. Jahrhunderts gegeben hätte. Wie passt dies alles zusammen?

„Und allmählich dämmerte es ihm, … dass er von jetzt an, falls es ein Von-jetzt-an für ihn
geben sollte, sein krankhaftes Streben nach Ordnung aufgeben und sich ein wenig Chaos
gönnen musste; denn Ordnung war nachweislich kein Ersatz für Glück …“ (John Le Carré)

Schon ein Blick in den Duden „Abwesenheit, Auflösung aller Ordnung; völliges Durcheinander“ hätte genügen müssen, um zu sehen, dass ein Konglomerat, das totales Chaos in sich birgt, nicht viel mit „Regeln, Ge- und Verboten“ zu tun haben kann. Weitere Quellen oder Beispiele für seinen eigenartigen Vergleich nennt er natürlich keine. Was kann es denn dann sein, das den EU-Abgeordneten Mölzer so sehr an seiner Institution zweifeln lässt? Wozu möchte Mölzer dann in das EU-Parlament gewählt werden? Und wie stellt er sich eigentlich die EU vor, für die er doch kandidieren möchte?

Gehen wir dafür nun einen Schritt weiter mit unserer Analyse und nehmen wir uns die Interpretationsansätze zu Hilfe, die Mölzer selbst nachgeliefert hat. Es könnte ja Mölzer durchaus – und besonders als Österreicher – ein Freudscher Versprecher unterlaufen sein und er sich „zu den Wünschen bekannt“ haben, welche er als seiner „Persönlichkeit nicht gemäß und als peinlich abgewiesen hat“.

Setzt man nun in den oben genannten Text ein – Zitat „nekrophiles Konglomerat“ ein, so könnte auch Mölzer selbst – immerhin mit seinen 61 Jahren auch nicht mehr der Jüngste – und seinem Wunsch nach – ich zitiere: „nicht so viele[n] Regeln und Vorschriften, Gebote[n] und Verbote[n]“ in den düstersten Systemen (Stichwort: Nekrophilie!) vielleicht ja selbst Teil dieses Problems sein, ohne es sich überhaupt bewusst geworden zu sein. Wie heißt es doch im Matthäusevangelium 7, 3 (Jawohl, Abendland in Christenhand!): „Den Splitter im fremden Auge sehen, aber nicht den Balken im eigenen.“

Auch die Phonetik birgt manchmal größere Schwierigkeiten in sich, als sie auf den ersten Blick vermuten lässt: Trotz oberflächlicher Ähnlichkeit kommt das N-Wort von „niger“ (schwarz), „nekrophil“ hingegen von „nekros“ (tot). Und dann wären wir wieder einmal beim Thema Freudscher Versprecher: Vielleicht hat das Ausländerbild der FPÖ schon dazu geführt, beides in eine  besorgniserregende semantische Nähe zu rücken: Omofuma oder die jüngsten Ereignisse im Mittelmeer zeigen es ja.

Es ist darum fast schon schade, dass Mölzer sich nicht so elegant und einfach – dem Vorbild seines Parteivorsitzenden Strache folgend – aus der Sache herausredet, er habe doch nur so ganz spontan während des Interviews etwas Trinkbares bestellen wollen (Drei Bier! – Konglomerat).

Spätestens hier aber rudert Mölzer zurück und entschließt sich für eine andere Argumentationsstrategie: Er geht noch einmal zurück zum N*-Wort und behauptet offensiv:

„Das Wort Neger als solches ist ein normales deutsches Wort, das weder eine Wertung noch sonst etwas beinhaltet. Das kann man verwenden, genauso wie das Wort Zigeuner.“

Was heißt das? Will Mölzer etwa damit sagen, dass nur ein „normales deutsches Wort“  die Weltsicht des „normalen Deutschen (oder Österreichers)“ im FPÖ-Sinn repräsentieren darf? Dann scheint diese Aussicht logisch. Vielleicht ist auch Mölzer jemand, der sich im Gegenzug sehr gerne als Gringo, Gadscho, Langnase, Bleichgesicht bezeichnen lässt, denn wenn schon biologische und rassische Taxonomien, dann bitte richtig!

Warum stand Mölzer dann anfangs nicht zu seinem N*-Wort,wenn es doch so ein „normales deutsches Wort“ ist? War es für sein Über-Ich vielleicht nicht ebenfalls ein genauso „normales deutsches Wort“? Oder war es ebenfalls wieder nur der Freudsche Versprecher, der im Übrigen besonders häufig im Vergessen fremdsprachlicher Worte zu Tage tritt: Natürlich bedeutet die metasprachliche Äußerung „brutal politisch nicht korrekt“ auch dasselbe wie „satirisch-ironisch“. Ist ja eh wurscht, sind ja alles Fremdwörter. Da kann man ruhig auch mal „satirisch-ironisch Tacheles“ reden, wie er auf seiner Webseite schreibt.

Was sollte dann auch der Begriff N* für Mölzer beinhalten? Einen Menschen, möglicherweise? Vielleicht definiert ja der freiheitliche EU-Abgeordnete „normale deutsche Wörter“ einfach so, dass sie „weder Wertungen noch sonst etwas beinhalten“. Damit ist schon einmal ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur De-Chiffrierung Mölzers getan. Sollte es sich am Ende gar noch herausstellen, dass es sich bei ihm um einen Sprachskeptiker Wittgensteinscher Prägung handeln sollt?

Vielleicht hat die sprichwörtliche FPÖ-typische Gedankenfreiheit einfach schlicht Angst vor der bösen EU und der noch viel böseren NSA und dafür eine dem Laien unverständliche Chiffrensprache entwickelt?

Es stimmte übrigens auch: Das N*-Wort ist rückwärts gelesen, ein ganz normales deutsches Wort: Es bedeutet nämlich „Regen“. Diese Lesart (engl.: Backward Messaging) ist natürlich berechtigt – ein jeder Fan von Led Zeppelin, Nirvana und Co. weiß das. Vielleicht sei das N*-Wort ja als dezenter Hinweis darauf gedacht gewesen. In diesem Sinne:

„Tkerrok tchin hcsitilop laturb tssuweb tztej hci egas, soahC selatot, taremolgnokregeN nie riw
dnis redewtne.“ (saerdnA rezlöM)

Quellen:

Geschrieben im Vorfeld der EU-Wahl 2014 anlässlich der Kandidatur Andreas Mölzers

Michael Bauer

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