Aufknüpfen

Im Herbst zieht sich der Knoten in unserem Erzählfaden weiter zu und ich fliehe vor ihm nach Wien. Zu ihm. Wenn ich bei ihm bin, fixiert er mich. Ob das genug Milch sei, ob das meinen Geschmack treffe, will er wissen, als er mir Kaffee kocht. Und ich sage, ja. Ob das fest genug sei, ob das meinen Geschmack treffe, will er wissen, als er meine linke Brustwarze zwischen seine Finger nimmt. Und ich sage, fester.

Er hat in seinem Regal nur vier Bücher stehen, aber eines davon ist Wunschloses Unglück. Darüber reden wir nicht, als wir auf seinem Balkon sitzen, sondern über die Fassade. „Das Fenster, da, hat so eine seltsame Verfärbung im Glas“, zeige ich auf das Haus gegenüber und wir rätseln, warum. Dann beschäftigt mich die Asymmetrie der Kamine. Die leeren Kaffeetassen vergessen wir draußen.

Wir essen Spiegeleier gleich flüssig, stellen wir beim Frühstück fest. Er hat heute ein Meeting, ich treffe mich mit einer Freundin. Wir sind spät dran und müssen zur U-Bahn rennen. Ich lache und sage, dass ich mich wie eine Wienerin fühle, und er meint: „Richtig angekommen bist du hier erst, wenn dich die U-Bahn das erste Mal in einer ihren Türen eingezwickt hat.“ Wir fahren zwei Stationen gemeinsam, dann steigt er aus.

Meine Freundin zeigt mir die Stadt. Wie eine Katze kennt sie die besten Plätze. Zwischen Rüdigerhof und Café Drechsler versuche ich mich erstmals an einem Anfang. Wenn wir schweigend nebeneinander gehen, dann macht sie „Miau“. Irgendwann frage ich, warum sie das tue, und sie meint, weil es Spaß mache. In unserem Lachen finde ich meine Sprache wieder. Glück liegt in Katzenlauten.

Währenddessen bin ich unruhig, weil ich Angst habe, dass er sich nicht meldet. Wir wollen uns wieder treffen, wenn er mit der Arbeit fertig sei, erzähle ich ihr und zeige ihr sein Foto. Sie meint, er sehe lieb aus und dass es ja logisch sei, dass er mir während der Arbeit nicht schreibt. Als er sich meldet, fragt er, ob ich Milch mitbringen könne. Ich habe wenig Ahnung von Alltag, aber ich kaufe die, die am längsten hält.

„Meine Liebe, wenn du hier wärst, dann könnten wir jeden Tag so verbringen“, meint er und ich stelle mir eine Welt vor. Von seiner Wohnung bis zum Bahnhof sind es zwanzig Minuten zu Fuß. Er fragt, ob er mich begleiten solle. Ich verneine lachend und meine, ich sei ja schon groß, ich würde das alleine schaffen. Als ich im Zug sitze, reißt der Faden schließlich doch, nur die Schlinge um den Hals bleibt.

Julia Knaß

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 17187

 

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