Im Wladislaw-Saal der Prager Burg

Das ist ein Raum, den ich mit fliegenden Schritten durchtanzen möchte, sofern ich das könnte. Weit ist er und mit matt glänzenden, honigfarbenen Holzdielen belegt, die in den vergangenen fünf Jahrhunderten Abermillionen Füße über sich gehen, schreiten, schlurfen, tanzen und wohl auch stöckeln fühlten. Sogar auf Pferden wurde durch den Saal geritten, kann man im Führer nachlesen. Farbloses Licht dringt durch die rechteckigen Fenster an den Langseiten und verbreitet eine gedämpfte Stimmung, die ruhig werden und den Augen Zeit lässt, umherzuschweifen, sich umzusehen und heimisch zu werden. Sofort ist man hier zu Hause. Kein Prunk lässt einen zurückschrecken und macht einem Angst. Einladende Gemütlichkeit, zurückhaltender Charme begrüßen einen hier.
Das liegt an der Schlichtheit, die Räumen wie diesem eigen ist. Sie sind so wohlproportioniert, so wundervoll gebaut, dass sie es nicht nötig haben, mit unlauteren Mitteln zu prahlen und falsche Tatsachen vorzutäuschen. Sie sind ehrlich und gradraus und laden ein. Ich nehme die Einladung an und fühle mich zu Haus. Zumindest könnte es so sein, wenn da nicht die vorgeschriebenen Besichtigungswege wären und die Besuchermassen, die durch den Pauschaltourismus zwar Geld bringen, aber außer einem flüchtigen Eindruck wohl kaum etwas mitnehmen. Das Schlimmste aber ist, dass sie Leute wie mich stören, die mehr Zeit und mehr Ruhe brauchen, um einen Raum zu erleben.

Die gedrungene Höhe ist es, die in aller Stille wenig Herrschaftliches verbreitet, sondern aufrichtige Schlichtheit. Dabei ist das Gewölbe mit größter Raffinesse erbaut. Kreuzrippen der ganz besonderen Art und ziemlich einmalig, wie ich vermute. Mutig und kraftvoll erwachsen sie aus den Seitenstreben, lösen sich selbstbewusst und schwingen sich ungeachtet des mächtigen Daches, das sie zu tragen haben, leichtfüßig hinauf in die luftigen Höhen. Die steinernen Bänder durchziehen organisch die sanfte Wölbung des Gewölbes. Sie treffen und trennen sich und es herrscht großer Einklang unter ihnen. So bilden sie Blütenornamente und sorgen für einen beschwingten Rhythmus, der sich auf die Stimmung des Besuchers überträgt. Es wird einem gleich leichter ums Herz und die Architektur verbreitet musikalische Klänge, sodass es unwichtig ist, ob wirklich Musik gespielt wird, wie es hier bestimmt schon oft der Fall war und auch noch ist.
Diesen Bändern muss ich mit den Augen folgen. Sie spornen mich an, mich zu wenden, mich zu drehen, um sie nicht aus dem Blick zu verlieren. Beschwingt sind sie und heiter und lebendig. In all den Jahrhunderten ihres Bestehens konnte ihnen niemand den Frohsinn rauben, obgleich so vieles vermeintlich Wichtige geschehen ist. Gibt es daran noch eine Erinnerung?
Es sind Fakten, die man gesagt bekommt und nachlesen kann, die aber schnell wieder verblassen angesichts dieser Architektur. Sie ist wahrhaft groß und überdauert die Zeit und braucht auch keine Erklärung. Sie wirkt von allein und lässt einen jeden empfinden, der mit offenem Herzen hereinkommt und mit wachen Augen schaut, ohne Hintergedanken, der kein Blendwerk braucht, sondern Klarheit und das Leben in den Formen spürt, in den Rippen, die einer Wirbelsäule gleichen und von Nervenbahnen durchzogen sind.
Ich kann in ihnen so manches entdecken und auch erfahren, denn Räume wie diese hegen einen Zauber wie alles, das mit Bedacht von Menschenhand geschaffen ist. Sich dem hinzugeben, sprengt die Grenzen des Daseins und eröffnet den Blick zum Horizont und vielleicht auch dahinter.

Und dann sind da noch die Gesichter, die mich verschmitzt aus einer Gabelung anblicken. Unvermittelt entdecke ich so einen Kopf, der sich zwischen die Rippen legt und nach unten schaut wie aus einer anderen Welt. Bestimmt hat er mich schon lange im Visier und beobachtet jeden meiner Schritte. Ich fühle mich ertappt und so soll es auch sein. Schließlich ist das hier ein besonderer Ort, an dem man nicht arglos umherschweift. Immer wieder entdecke ich nun solche verborgenen Wesen. Doch ist ihr Blick heiter. Sie führen nichts Böses im Schilde. Sie bleiben an dem Platz, der ihnen vom Baumeister zugedacht wurde, und harren dort aus und haben schon vieles gesehen. Nun ist auch mein Bild in ihr steinernes Auge gedrungen und bleibt dort bis ans Ende der Zeit. Erzählen können sie einst von mir und meinem Besuch und meinem Blick unters Dach und dass unsere Augen sich getroffen.

Claudia Kellnhofer
www.bitterlemonverwunderung.de

www.verdichtet.at | Kategorie: kunst amoi schau’n | Inventarnummer: 15096

image_print

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert