Kenntnisse einer Ehebrecherin Teil 9

Je weiter der Abend voranschritt, desto unsicherer wurde ich. Getroffen hatte ich diese Frau ein einziges Mal, unter sehr besonderen Umständen. Mein (inzwischen längst) ehemaliger Langzeitliebhaber hatte sie mir damals unbedingt vorstellen wollen, er war stolz auf seine Eroberung gewesen, und das völlig zu recht. Sie war bezaubernd, eine Erscheinung. Eine Frau, der zuzusehen, wobei auch immer, einen faszinierte, fesselte, alles andere vergessen ließ. Genauso war es mir ergangen, als ich sie das einzige und letzte Mal getroffen hatte. Wir zwei Frauen hatten uns nach diesem denkwürdigen dreisamen Abend zwar in einem sozialen Medium „befreundet“, das war von ihr ausgegangen, und gelegentlich auch schriftlich unterhalten, sie war, womit sich mein Exlover damals brüstete, wie ich im künstlerischen Bereich tätig und verdiente zusätzlich als Model für kleinere Firmen dazu. Besonders viel wusste ich tatsächlich nicht von ihr; ihr schriftliches Englisch war besser geworden, so viel stellte ich fest, mit Deutsch tat sie sich schwer, ihre Muttersprache war Französisch, was ich nur sehr rudimentär beherrschte. Aber nicht die möglicherweise auftretenden Sprachhindernisse  verunsicherten mich. Mein Englisch war brauchbar, auch mündlich, und es war mir inzwischen halbwegs egal, wenn sich der eine oder andere Fehler einschlich. Nein, das war es nicht. Es war genau jener Abend vor beinahe zwei Jahren, der mich vor dem vereinbarten Videochat-Zeitpunkt immer nervöser werden ließ. Meine Gedanken flogen dorthin, ob ich wollte oder nicht.  Was hatte sie damals mitbekommen von meiner Verfassung? Wie stand sie dazu? So eigenartig die damalige Situation, in der wir drei uns befanden, so aufregend war auch alles gewesen. Ich hatte später noch oft und lange darüber nachgedacht.

Und nun also das. In einem Anflug von Chuzpe hatte ich gemeint, ein Chat mit dieser unglaublichen Frau würde mir tolles Material einbringen für mein neues Pornodrehbuch. Tja, so einfach war es leider nicht. In der schlichten Anfangsbetrachtung hatte ich darauf spekuliert, dass sie mir ein aufregendes Sexabenteuer schildern würde, einfach so, und ich hatte den Verdacht, dass sie davon jede Menge erlebte. Aber es war etwas ganz anderes, mit einer Vertrauten über Erotik, Lust und Erfüllung zu reden, oder aber mit ihr, die mir doch fremd war, bis auf einen einzigen Berührungspunkt, und das war der Exlover – meiner, denn sie war, soweit mir bekannt war, noch mit ihm zugange.

Auch wenn meine Digitaluhr nicht tickte, so meinte ich doch, das Verrinnen der Sekunden und Nähertasten der Zeiger zu hören, bis der vereinbarte Zeitpunkt fast gekommen war: Ich machte mich frisch, legte etwas Make-up auf, ganz wie vor einem analogen Meeting, und klappte meinen Laptop auf. Ich war fünf Minuten zu früh dran, loggte mich ein, der Link zum Videochat  erschien am Bildschirm, und da war sie auch schon, der Kamera noch nicht gewahr, eben noch mit Eintippen beschäftigt, bis wohl mein Fenster bei ihr am Bildschirm aufpoppte, da sie den Kopf hob, mich anlächelte und begrüßte. Sie sah phantastisch aus, zurechtgemacht, frisch und strahlend, ganz wie in meiner Erinnerung. Ihr einladendes Lächeln erwiderte ich, und ich war froh, dass meine Internetübertragung seit dem ersten Lockdown ruckelfrei und reibungslos funktionierte. Denn was jetzt kommen sollte, wurde am besten nicht abrupt unterbrochen. Sie fragte mich frei heraus, was mich zu dem Chatvorschlag bewogen hätte, sie sei überrascht, positiv überrascht, wohlgemerkt, aber sie habe sich schon gefragt, was mir am Herzen liege, dass ich mich nach all der Zeit nach der einen Begegnung und nach der oberflächlich weitergeführten Internetbekanntschaft nun bei ihr gemeldet hatte. Ich hatte mir eine Menge Einstiegssätze zurechtgelegt und sogar laut vorgesagt, von passabel bis indiskutabel war alles dabei gewesen, aber nun hatte sie mit drei, vier Sätzen eine Punktlandung hingelegt, war bereits mitten im Thema. Drum redete ich auch nicht herum, aktivierte mein flüssigstes Englisch und legte los.

„Ich weiß es sehr zu schätzen, dass du gleich dazu bereit bist, ich freu mich. Und ich will ehrlich sein: Ich brauche deine Hilfe. Ich weiß nicht, was du über meinen Beruf weißt, vermutlich hat dich unser gemeinsamer Freund ins Bild gesetzt, aber kurz gesagt, ich schreibe Pornodrehbücher, zu Beginn waren sie für Frauen gedacht, sie sind recht gut angekommen, jetzt soll es in dieser Richtung weitergehen, aber Paare ansprechen, also die Storys sind wichtig, die müssen passen. Und ich bin gerade bei der Ideensammlung, ich suche Inspiration, wenn du so willst. Das kann sein für ein einzelnes Kapitel eines Erlebnistagebuchs, dachte ich mir, oder auch ein kompletter Erzählstrang, ich weiß noch nicht, wie ich es verarbeite. Und ich dachte, du hast vielleicht Material für mich.“
Ich machte eine kurze Redepause, merkte, wie ich dadurch etwas verlegen wurde, auch gedanklich ins Stocken geriet. Sie nutzte die Stille, um mich – recht erstaunt, aber freundlich – zu fragen: „Wie kommst du ausgerechnet auf mich? Wir kennen uns doch kaum.“ Und sie lächelte, ein sehr vielsagendes Lächeln.
Ich fühlte mich ein wenig unter Rechtfertigungsdruck, versuchte zu erklären, dass ich sie für eine Frau mit einem recht abenteuerlichen, abwechslungsreichen und inspirierenden Sexualleben hielt, als mich ihr lautes Lachen unterbrach. „Meine Liebe, du hast ja keine Ahnung. Unser beider Freund, der ist zwar recht eifrig, aber doch ein wenig einfach gestrickt. Aber was erzähle ich dir da. Du kennst ihn ja. Jedenfalls ist er seit zwei Jahren mein Mann für gewisse Stunden. Da tut sich dann zwar einiges, aber ich bin weit davon entfernt, ein aufregendes Sexleben zu haben. Er ist ja verheiratet, wie du weißt, die Sache vertieft sich also auch nicht, und irgendwann beginnt das, was oberflächlich bleiben soll, sich auch ein wenig langweilig anzufühlen. Also nicht während wir es tun, aber in der Gesamtbetrachtung ist es nicht so, dass es immer knistert und bebt zwischen uns. Der Sex mit ihm ist gut, das weißt du ja selbst. Aber was das betrifft, kann ich dir wohl kaum mehr sagen als das, was du kennst.“ Sie schaute mir, sofern das möglich war von Bildschirm zu Bildschirm, tief in die Augen. Zumindest verweilte ihr Blick lange auf mir. Sie fuhr fort: „Und wenn du es ganz genau wissen willst: Das Aufregendste, was mir mit ihm widerfahren ist, ist bestimmt schon zwei Jahre her. Und das lag auch nur zum Teil an ihm.“ Mir wurde heiß. Sie sah mich wieder lange an. Ich war sprachlos. Sie meinte doch nicht … Doch, genau das meinte sie. Den Abend, den wir bei ihr im Haus verbracht hatten, er und ich. Als er sich vor meinen Augen vor sie hinkniete, ihren Rock anhob, eine selige Ewigkeit darunter abgetaucht war, ihren Körper zum Vibrieren brachte, ihren Mund zum Seufzen und Stöhnen; ihr flackernder Blick auf mich gerichtet, die ich den beiden gegenüber saß, aufgelöst, fassungslos. Als sie mich fixierte, während er sie   –  für mich unsichtbar, aber ich wusste genau, was er da machte, und wie er es machte  – mit seiner Zunge und seinen Lippen liebkoste, lockte, mit seinen kräftigen Fingern verwöhnte, ihr Begehren steigerte, sie in Ekstase versetzte, als sie tiefer in den Sessel rutschte, sie sich nur noch mit Mühe an den gepolsterten Armlehnen festklammerte; und den Blick konnte sie in all der Zeit nicht von mir lassen. Und ich den meinen nicht von ihrer Lust. So pur, so klar, so fern von Verstellung hatte ich selten etwas gespürt wie diese Lust. Sie hatte, in ihrer rohen Kraft, mich dazu bewogen, aufzugeben. Meine Kontrolle, meine Beherrschung, meinen Widerstand gegen eine solche Situation. Denn er, der Mann der Stunde, hatte noch mehr vor. Er war angeheizt, erregt, nicht befriedigt, er war einfach nur süchtig danach, uns beide zu haben. So sehr, wie ein Mann eine Frau haben kann. Es gab keine Abwehr mehr, es war zu spät. Und als sein Kopf aus ihren duftigen Stofflagen wieder zum Vorschein kam, als er ihr einen Kuss auf die Innenseite eines der entblößten Oberschenkel gab und mich gleichzeitig so unverschämt, so unverblümt fordernd, so furchtbar siegesgewiss ansah, konnte ich nicht anders. Ich ließ geschehen, was er wollte, was ich wollte, was sie wollte …

Oh.
Genau das meinte sie also. Sie hatte während unseres Videochats darüber kein weiteres Wort mehr gesagt. Und doch wusste ich genau, wo sie in Gedanken war. Und sie wusste alles über mich.

Dass ich längst nicht alles über sie wusste, sollten mir die kommenden Ereignisse zeigen. Doch davon soll später erzählt werden; besser der Reihe nach:
Unser Videochat hatte geendet, recht abrupt eigentlich. Sie hatte gesagt: „Oh. Ich glaube, du hast diesen Teil deiner Geschichte ganz gut im Kopf und brauchst meine Hilfe gar nicht mehr. Habe ich nicht recht?“ Und sie hatte mir zugezwinkert, hinreißend, wie einem Flirt, den sie bezaubern wollte, was ihr gelang, und sprach weiter, mit gesenkter Stimme: „Ich für meinen Teil muss mich jetzt etwas abkühlen. Aber es würde mich sehr freuen, unseren Austausch ein andermal fortzusetzen. Lass uns in Kontakt bleiben. Oder noch besser: Besuch mich bald. Du weißt ja, wo ich wohne.“ Sie warf eine Kusshand in den virtuellen Raum, und ihr Fenster schloss sich. Ich blickte auf den eben noch so belebten, nunmehr verwaisten Laptop und war perplex.

Tina Fanta

www.verdichtet.at | Kategorie: ü18 | Inventarnummer: 20118

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