Irgendwie jedenfalls

Willkommen, der Herr!
Ich hoff’, du findest, was wir alle nur suchen.

Paul sah seinem Liptauerbrot in den Brillengläsern seiner Oma beim Zerkautwerden zu. Er mochte das, wie es ihr davor grauste, wie sich ihr Gesicht dabei beim Wegdrehen die ganzen Falten auszog. Gut fühlte sich das an in den Zehenspitzen, das ganze, und Pauls Füße tanzten dazu unterm Tisch einen Tanz ohne Eins-und-zwei-und-eins-und-zwei, und er lachte mit den Augen. Da drüber, wie seiner Oma die lilanen Haare vor dem zergatschten Liptauerbrotbrot auf seiner Zunge bis nach hinter die Ohren flohen, drüber, wie sich ihre Lippen spitzten zu einem stummen Wäh. Und überhaupt. Wie ihr die Runzeln dann sofort danach gleich wieder von hinter den Ohren zurück um die Nase schnalzten, das war schon einfach lustig zum Anschau’n. Da wackelte davon der Oma ja der ganze Kopf hin und her wie ein Flummi, der zwischen zwei Wänden nicht auskann.
„Mit offenem Mund isst man nicht!“
Es war einfach nur lustig zum Anschau’n.
Und ja.
Und warum da dann niemand mit offenem Mund essen wollte, wenn die Oma dabei so lustig zum Anschau’n war, da konnte sich Paul nur noch wundern. Wahrscheinlich, dachte er, weil die alle schon zu alt waren oder sowas. Zu alt vielleicht schon, um sich noch zu erinnern dran, wie lustig ihre eigene Oma wegen so was Harmlosem wie einem zergatschten Liptauerbrot nur herumtun hat können.
Naja.
Seine Oma war ja auch leider nicht immer dabei beim Heurigen.
Nicht so wie jetzt, wo sie die Zwiebel mit ihren dünnen langen Fingern von ihrem Grammelschmalzbrot runter klaubte, und dann die runter geklaubten Zwiebel dem Opa auf seins oben drauf klatschte, was auch nicht ganz ungrauslich war eigentlich.
Aber ja.

Und Paul hatte ja auch nicht nur gern den Mund offen beim Kauen, er schielte ja auch gern, halt nicht mit so viel Erwachsenen rundherum.  Schielen, das tat er dann nur daheim, halt allein in seinem Zimmer, tief und fest, und so weit es nur ging. Ja, so weit schielte Paul da, dass er sich so oft schon so sicher gewesen war, die Augen wären ihm jetzt sicher schon stecken geblieben, und wie er sich schon darauf freute. Wie lustig das dann ausschau’n würde, so, am Klassenfoto, und keiner hätte ihm dann mehr sagen können, er soll g’fälligst jetzt wieder normal schau’n jetzt, so wie die Frau Lehrerin letztes Jahr. Nein, das passierte ihm nicht noch einmal, aber sicher nicht. Wie blöd er dann erst drein geschaut hat, wie er vor lauter Konzentrieren aufs Normalschauen dann kurz vorm Blitzlicht erst drauf gekommen war, dass er gar nicht wirklich wusste, wie Normalschauen geht überhaupt.
Ganz blöd hatte Paul da drein geschaut deshalb.
Und nie wieder.
Und da schielte Paul ja lieber, für immer und ewig von ihm aus, da kannte er sich dann wenigstens aus wenigstens.
Aber ja.
Seine Augen, die wollten und wollten ihm beim Schielen aber eh nicht und nicht stecken bleiben. Und das, obwohl ihm der Kopf schon manchmal ordentlich weh getan hat vom Schielen dauernd. Aber trotzdem. Egal, wie lang und wie fest und wie ernst er auch seine Nase von beiden Seiten gleichzeitig angeschaut hatte ausführlichst, sobald er dann damit aufhörte, waren seine Augen sofort wieder zurück gehüpft in die Mitte. In die Mitte zurück gehüpft waren die schon, bevor er im Spiegel überhaupt erst wieder irgendwas scharf sehen hat können irgendwie, wie verhext.
Aber ja.
Naja.
Mit dem Spiegel war das ja auch so eine Sache.
Seine Mamma, die sich da grad an ihrem Kümmelbraten verkutzte, die hatte ja behauptet, wenn er zu lang da rein schaut, dann würde der Teufel irgendwann da drin auftauchen, und ihm dann bös’ entgegen schau’n. Mit seinen Hörnern und mit seinem einen Huf, und dem Schwanz auch, aber wie lang wollte der Teufel sich eigentlich dafür genau Zeit lassen genau? So lang wie ein Jahr, oder was? Weil einmal war Paul ja schon fast den halberten Tag vorm Alibert im Badezimmer auf dem rosa Plastikschemel gestanden und hatte auf den Teufel in den zwei Spiegeltüren gewartet, aber er wollte und wollte nicht rauskommen aus seinem Versteck. Paul hatte da ja so einige Fragen. Zum Beispiel, wie er das ganze Jahr lang brav sein sollte, wenn seine Mamma ihm immer das Allerlustigste verbot dauernd. Und er zum Bravsein sich ja da dran halten musste, oder? Oder wie die Belohnung für das ganze nur drei kleine Schoko-Nikolos sein konnten und sonst lauter Mandarinen und Erdnüsse? Oder warum er die alle diesmal auch bekommen hat, obwohl er gar nicht brav gewesen ist das ganze Jahr?
Wie konnte das sein, bitte?
Da stimmte doch etwas nicht.
Und Paul hatte dann ja auch schon angefangen, nach dem Teufel zum Suchen vor lauter Warten. Nach fast dem halberten Tag Reinschau’n dann, im Allibert drinnen, zwischen den ganzen Zahnpastas und Dings und Sprühdingern, aber selbst ein noch so klitzekleines Irgendwas zum Reinkommen in die Spiegel war nirgenst zu finden da hinten. Aber der Teufel, der musste doch aber dort irgendwie rein kommen dort, und später wieder raus dann, nur war da nichts in den zwei Spiegeln drin, das Paul auch nur irgendwie groß genug vorgekommen wäre, damit der Teufel da durchpasste irgendwie. Und der konnte ja auch nicht im Spiegel bleiben, für immer, der Teufel, weil wenn der Nikolo dann wieder kommt im Dezember, da musste der ja mit seiner Rute hinter dem Nikolo dann vor der Haustür steh’n. Wie sollte das dann bitte gehen bitte, wenn der auf ewig im Spiegel da feststeckt und nicht rauskommt, wenn’s dann draußen klingelt an der Tür?
Wie bitte?
Aber ja.
Paul verstand das nicht.
Er verstand auch nicht, warum sein Papa fragte, „Wos is’ da jetz’ mit da Kellnarin?“, weil die eh da drüben war und grad jemand anders bediente.
Naja.

Paul schluckte aber auch gern Kaugummis.
Ja, und seinen Magen verkleben, das wäre doch schon einmal was gewesen, oder? Da würden dann alle schau’n, wenn er mit dem Kaugummi dann Blasen machen könnte, noch mit was anderem als mit dem Mund. Also so stellte Paul sich das halt vor so beim Kaugummischlucken. So in die Hocke gehen und die Hose runter und dann, dann hätte das ja auch was Gutes gehabt dann. Da hätte es dann ja nicht nur mehr gestunken vielleicht, wenn wieder mal hinten was raus muss. Da würde dann allen auch der Bauch vielleicht wehtun vor lauter Lachen, wenn Paul da eine Kaugummiblase von hinten dann raus kommt. Und wenn einem der Bauch wehtut vor lauter Lachen, ja, das war ja dann auch das einzige Wehtun, das sich irgendwie auszahlt, oder?, nur Pauls Magen verklebte und verklebte sich nicht. Nicht bei einem, nicht bei zwei, und auch nicht bei allen Kaugummis da in der Stange drin, und Paul begann dann schon dran zu zweifeln ein bissi, ob das geht überhaupt mit dem Magenverkleben. Wie viel Kaugummis sollte er denn da jetzt noch schlucken dafür genau? Wie viele? Einer sollte doch reichen und schwupps wär’ sein Magen verklebt, hat sein Papa gesagt zumindest mit dem Zeigefinger oben, aber jetzt?
Irgendwas musste Pauls Bauch da wohl nicht richtig verstanden haben irgendwie.
Und nicht nur das mit dem Kaugummischlucken.

Auch das mit den Kirschkernen.
Wenn er die nämlich einfach so schlucken würde anstatt ausspucken, da würde dann ein Kirschbaum aus ihm rauswachsen, hat sein Opa erzählt, und Paul hatte es ja kaum noch erwarten können. Ein Kirschbaum, so aus ihm raus, das wäre ja praktisch gewesen. Da hätte er ja dann ganz umsonst ganz viele Kirschen gehabt, und mit all seinen Freunden dann teilen können. Und Paul hat dann gewartet und gewartet, und jeden Tag in der Früh im Nabel drin nach den Ästen gesucht, aber aus dem Kern in seinem Bauch wollte irgendwie kein Baum werden. Wie konnte das sein überhaupt? In Sachgeschichte hatte Paul ja grad erst lernen müssen, dass so ein Baum aus den Kernen kommt, aber vielleicht war es in seinem Bauch drin ja auch zu gemütlich und zu warm zum Rauskommen. Vielleicht wollte der Baum ja eben nur deshalb nicht aus ihm raus, so wie er normal selbst nicht von unter der Decke raus wollte, wenn seine Mamma ihn aufweckte in der Früh und es war schon wieder Mathematikschularbeit gleich in der ersten Stunde. Aber bei den Kirschkernen, da war für die da ja aber gar kein Grund zum Rechnen, die hätten ja dann auch als Baum niemals zu drei vier dazuzählen können müssen. Die hätten sich ja keine Sorgen machen müssen, dass dann beim Zurückbekommen dann wieder alles ganz rot durchgestrichen daher kommt, die hätten ja nur Kirschen machen müssen, und die hat ja eh jeder gern.
Paul kratzte sich am Kopf.
Naja.
„Ein Acht’l noch!“, sagte sein Papa.
„Für mich auch“, seine Mamma.
„Und für mich“, der Opa.
„Also drei insgesamt?“
Und von der Oma ein „Ja“.
Aber ja.
Vielleicht machte Paul ja auch einfach nur irgendwas falsch.

Wie, wenn er seine Füße nicht g’scheit hob beim Spazierengeh’n. Noch nie war er dabei gestolpert über den Randstein, und noch nie war Paul dabei unabsichtlich plötzlich im Donaukanal, weil er das Ende vom Kai übersehen hatte vom Indieluftschau’n. Paul war ja auch nicht blöd. Er wusste ja immer, dass da links oder rechts dann das Wasser kam, und er konnte ja auch gleichzeitig in die Luft schau’n und gleichzeitig noch wissen, wo er gerade war. Und außerdem: Was wenn da ein Vogel plötzlich da über ihn drüber geflogen wäre und er das nicht mitbekommt? Oder eine Wolke, die nach irgendwas ausschaut? Oder sonst was Wichtiges? Der Beton vom Gehsteig, der war ja eh immer gleich, den kannte Paul ja schon auswendig. Und, ja, und zweitens war ja dann da auch so ein Gefühl immer. So eins, das Paul bis jetzt immer gleich dann verraten hatte, wenn irgendwas komisch war. Wenn er den nächsten Schritt lieber nicht macht, bevor er nicht vorher schaut, ob da überhaupt noch ein Boden war vor ihm da vorn, ob da schon nur noch Luft war, oder nicht.
Also eigentlich ganz einfach alles.
Noch nie war Paul was Schlimmes passiert beim Spazierengeh’n.
Noch nie.

Und auch wenn Paul mit der Schere daheim durch die Wohnung rannte, hatte er sich da noch nie damit aufgespießt, so wie seine Mamma ihm das dann immer gleich nachbrüllte. Noch nicht einmal nur ein bissi geschnitten irgendwo hatte Paul sich dabei, kein einziges Pflaster hatte überhaupt je einmal erst aus der Verpackung kommen müssen wegen dem Herumrennen mit der Schere. Paul rannte ja auch nicht einfach nur mit der Schere herum, weil ihm grad so fad war. Er musste da ja immer schnell irgendwo hin und irgendwas aus- oder abschneiden, und Paul rannte ja nicht wie ein Irrer. Er rannte ja nur so schnell, dass er noch stehen bleiben konnte, falls da ein Hindernis war auf einmal in der Kurve nach der Küche, und selbst wenn. Selbst wenn er über irgendein plötzliches Chaos da drüber geflogen wäre plötzlich, er rannte ja so und so immer mit der Schere nach unten in der Faust. So, dass die Spitze, die ihn ja aufspießen hätte können sollen, einen Polster aus Fingern drumherum hatte, also wenn er sich da so damit aufspießte, dann war da sowieso kein Weg dran vorbei wahrscheinlich. Da hätte er auch in Zeitlupe die Schere irgendwo drin stecken gehabt, und da war ja das Rennen dann ja gar nicht der Grund dann fürs Aufspießen am Schluss.
Daweil aber noch kein Blut und gar nichts.
Naja.
Die Kellnerin machte drei Stricherl dazu auf den Zett’l und steckte ihn zurück in sein Glas und dann „Prost!“.
Aber ja.

Und dasselbe in grün mit dem Nasebohren. Geheißen hatte es ja, dass Paul die Nasenlöcher davon ausleiern würden, ganz groß würden die werden, und er dann auch hässlich. Und Paul hatte gebohrt und gebohrt und gebohrt, aber nichts, trotzdem passte da noch nicht einmal der Mittelfinger noch rein in die Nasenlöcher, egal, wie sehr er ihn auch reindrückte von unten. Und das große Ziel war ja der Daumen eigentlich. Der, der ja noch um einiges größer war als der Mittelfinger, und, weil mit dem Daumen in der Nase bohren, das hatte Paul sich ja auch schon ganz lustig vorgestellt. Vor allem jetzt zum Beispiel, wieder was Neues zum Grausen für die Oma, nur war da noch immer nicht Platz genug in seiner Nase drin, und das wurmte ihn. War da was falsch mit seiner Nase?, so dachte er, und ob da ein Arzt besser reinschaut? Vielleicht war da ja schon was drin in seiner Nase, was, das Paul sich beim Nasebohren langsam immer noch weiter nach oben bohrte, und irgendwann rein in den Kopf von ihm. Vielleicht. Vielleicht ja der eine kleine Lego-Stein von der Ritterburg, den er nirgenst mehr finden konnte. Vielleicht hat sich der ja da in der Nase versteckt in der Nacht irgendwann, und ja, aber im Kopf konnte Paul den ja ganz sicher nicht brauchen, oder? Der war ja für ganz oben, oben am linken Turm von der Ritterburg, und sein Kopf war ja nur fürs Gehirn gedacht. Und wer wusste denn, was da was anderes als ein Gehirn alles anstellen konnte, so in seinem Kopf drinnen, wusste das wer überhaupt?
Wusste das wer?
Wahrscheinlich nur Leute mit Lego-Steinen im Kopf oder sowas.
Naja.
„Und ja. Also ja, und heutzutage. Aber wirklich!“
Sein Opa nickte seinem Rotwein zu, als würde da wer drin ertrinken irgendwo und er wünscht ihm dabei viel Glück.
Aber ja.

Aber Paul schaute ja auch genau so ähnlich, wenn er sich seine Augen eckig machen wollte endlich. Aber die Augen schon wieder. Die, die ihm zuerst beim Schielen nicht und nicht stecken bleiben wollten, und eckig wollten sie auch nicht werden anscheinend. Wie als hätten seine Augen irgendwas gegen alles, wie als würde er sie nicht gut genug füttern oder so. Weil ganz nah, wirklich knapp, fast mit der Nasenspitze ist Paul ja schon angestoßen am Glas vorn am Fernseher, aber egal, wie lang er auch zu nah am Fernseher nichts mehr vom Fernseh’n gesehen hatte, seine Augen, die waren immer noch rund. Ganz rund, und nur in den Ecken spitz, aber die spitzen Ecken waren ja auch vorher schon da immer und da war ja dann nichts allzu viel neu dann an dem. Aber die anderen Ecken. Die anderen Ecken, die wollten und wollten nicht und nicht raus kommen von irgendwo anders aus seinen Augen, auch nach vier Folgen Bravestarr nicht. Dabei wären eckige Augen doch ein bissi einmal was anderes gewesen einmal, aber eh trotzdem immer noch Augen. Und was war denn da überhaupt so schlimm dran eigentlich an so eckigen Augen? Weil rund oder eckig, das war ja nur, wie Sachen nur ausschau’n, und das war ja egal dann, wenn sonst alles gleich war, oder? Über eckige Eier, da würde sich ja auch keiner beschweren kommen, dachte Paul sich mit einem sprudelnden Soletti im Almdudler, und dann ist Schluss endlich mit dem ewigen Davonrollen wegen dem Rundsein. Und, ja, und dann entkommt auch seiner Mamma nie mehr ein Ei vom Schneidbrett und platsch. Weil so ein rohes Ei da zwischen den Fliesen zum Rausbekommen, das war ja auch nichts, was irgendwer gern macht, und sowieso:
Was war da jetzt so schlecht an so eckigen Augen?
Können die sich dann eckig nicht mehr dreh’n, oder was?
Oder gehen die dann nicht mehr so schön zu dann?
Oder nicht mehr so leicht?
Naja.
„Was isn mit da Kellnarin scho wieda?“
Aber ja.

Paul kam da einfach nicht dahinter, wo da genau das Problem sein sollte, aber das war er ja schon gewohnt langsam. Nichts wollte so einfach gehn, wie die ganzen Erwachsenen das dauernd so sagten ganz einfach, und auch das Wetter gehorchte Paul nicht. Und drei Tage, drei ganze lange Tage hintereinander hatte er ja extra deswegen absichtlich beim Essen immer zumindest ein bissi was stehen lassen. Und bei den Erbsen am Montag, da war ja das noch wie bei den Fliegen und dem tapferen Schneiderlein, aber beim Schnitzel gestern, wie er da die drei Pommes, also, und nur damit es morgen dann endlich endlich regnet, und Paul mit seinen neuen Gummistiefeln dann endlich endlich in die erste Lacke reinhüpfen kann. Weil seit über eine Woche sind die ja jetzt schon leer im Vorzimmer herum gestanden und haben sich fadisiert. Die Gummistiefel, schön gelb, und mit Marienkäfern drauf, und noch nie hatte Paul die anziehen dürfen, weil, wie zufleiß, war es seit dem ja schöner als schön gewesen. Und wieder nur Sonne wieder. Und, ehrlich gesagt, hatte Paul sich da schon ein bissi mehr erwartet von seinem Pommes-Opfer da gestern. Weil es war ja fast, dachte er, als gäb’ es da jemand irgendwo, der da dauernd extra-extra-genau seinen Teller abschleckt, weil der vielleicht neue Sandalen bekommen hat, und keine Gummistiefel. Und Sandalen konnte man sich ja nicht anziehen, wenn es Lacken gab draußen, aber irgendwann musste Paul doch auch irgendwann dran sein, oder? Sonst wär’ das ja alles unfair alles, und wie viele Leute konnten sich überhaupt da dauernd neue Sandalen kaufen im Herbst? Oder kurze Hosen. Oder vielleicht gab es da aber ja auch so Regeln dafür, also so, wie er die Erbsen mit der Gabel von sich wegschieben hätte müssen, damit das Stehenlassen fürs Wetter erst gilt vielleicht. Aber wo war dann genau, wo dann drin stand, wie das alles jetzt geht genau? Und warum hatten seine Eltern dann so viel Angst vor dem, dass es morgen schirch wird, wenn Paul von seinem Essen was überlasst, wenn er eh gar nicht wusste, wie man das richtig macht.
Aber ja.
So war das halt.
Nichts wird einem g’scheit erklärt richtig, und seine Oma zeigte auf und rief, „Zahlen bitte!“, obwohl es schon so ausgeschaut hatte, als hätten alle andren viel lieber noch was bestellen wollen.
Naja.

Paul hatte ja auch noch nie herausgefunden, wer da grad an ihn dachte, wenn er grad wieder Schluckauf hat. Und das war gar nicht so schön manchmal. Und er hat ja immer seine große Schwester meistens gleich in Verdacht gehabt, überhaupt, wenn das Schluckauf dann überhaupt nicht mehr weggehen wollte, und sie ihn deswegen auslachte mit ihrer Zahnspange. Da konnte er dann noch so viel die Luft anhalten, und kaum dachte Paul sich, es wäre vorbei endlich, fing alles nur wieder von vorne an. Und das war dann sowas, das irgendwie komisch war. Weil es war ja dann auch so, dass das Schluckauf ja dann das Einzige war, woran Paul überhaupt noch denken konnte, also dass es aufhört endlich. Aber wenn er jetzt an das Schluckauf dachte, bekam ja das Schluckauf dann auch davon Schluckauf, oder nicht? Vielleicht hatte seine Schwester ja schon längst wieder aufgehört, da komisch an ihn zu denken, und sein Schluckauf borgte sich nur seinen Körper aus. Ja, weil ja das Schluckauf ja selbst keinen Körper hat so wirklich, aber Schluckauf haben musste, weil Paul selbst ja wieder nur an sein Schluckauf dachte beim nächsten Versuch mit dem Luftanhalten.
Ihm war das aber alles ja schon viel zu kompliziert schon.
Er hätte das ja auch viel lieber gehabt, wenn das Schluckauf halt einfach da war manchmal, und es niemand geben hätte müssen, der da schuld dran war, nur weil er an irgendwas dachte.
Naja.
Aber ja.
So ging das halt nicht.

Genauso wenig, wie es nicht ging, dass Paul ins Bett machte. Ja, gut, absichtlich wär’ das schon locker gegangen irgendwie, aber ins Bett macht ja niemand einfach so nur zum Spaß, oder? Da wird ja dann alles kalt am Bauch und so unten herum, und wenn seine Mamma dann das Bett abziehen kommen muss mitten in der Nacht dann, da war dann ja sowieso alles, also. Da konnte sich Paul ja noch gut dran erinnern, wie das war damals mit den Blicken und allem, aber jetzt war er ja schon größer als früher, und trotzdem: In die Kerze reinschau’n durfte er immer noch nicht. Weil er dann ja ins Bett machen würde, von seinem Papa aus, was aber nie passierte. Alles trocken beim Aufstehen, da konnte er noch so lang reinschau’n in die Kerze beim Heurigen jetzt, während drum herum sich niemand vom anderen einladen lassen wollte.
„Nein, kommt ja überhaupt nicht in Frage! Komm, Ewald! Wir zahlen!“
„Kommt ja gar nicht in Frage! Da Opa und ich zahlen, und Ende der Diskussion!“
Naja.
Paul trank mit seinem Strohhalm daweil noch den lautesten Rest aus von seinem Almdudler, weil er ja wusste, dass seine Mamma dann nur wieder so tun würde.
„Auf dreihundert!“
Mit Trinkgeld und allem.
Und Paul saß da auf der Heurigenbank und schaukelte mit den Füßen. Hin und her und hin und her, während der Opa der Kellnerin das Geld hinhielt, und seine Mamma dann dasselbe Geld dem Opa dann heimlich in die Jackentasche steckte wie jedes Mal.
Aber ja.

Und er hatte da auch so eine Idee, wie ihm die Luft da so schnell an den Knöcheln vorbei kam.
Weil eines war da ja noch.
Ein so ein Ding, dass er noch gar nicht probiert hatte, weil da hatte er ja schon ein bissi Angst davor.
Vor dem mit den nassen Haaren.
Mit denen durfte er ja nicht ins Bett gehen ohne Föhnen vorher. Da würde er ja davon am Morgen dann mit Gesichtslähmung aufwachen, und das war ja nicht so unbedingt das Idealste so. So, wo das ganze Gesicht sich dann nicht mehr bewegen kann, und Paul dann dalag und ja, sein Gesicht halt gelähmt war. Da konnte er dann ja keine Grimassen mehr schneiden, und um die Wette spucken ja vielleicht auch nicht mehr, oder Schlimmeres. Was ja auch der einzige Grund war, warum er sich von seiner Mamma dann immer doch die Haare föhnen hat lassen, weil das war ja eigentlich nur lang und fad und heiß und blöd.
Aber was, wenn das auch gar nicht stimmte vielleicht?
Das mit der Gesichtslähmung und allem?
Dann war das ja alles umsonst alles, das Haareföhnen, da war dann ja gar nichts, warum das so wichtig war, außer seiner Mamma vielleicht.
Aber die war ja auch seine Mamma.
Und die musste ihn ja lieb haben, auch mit nassen Haaren, und auch mit Gesichtslähmung falls.
Schon oder?
Aber Paul hatte da jedenfalls so eine Idee.
So einen Idee hatte er da, dass er heute nach dem Schlafengeh’n noch einmal aufstand. Ganz leise, und so auf Zehenspitzen, und dann machte er sich die Haare nach dem Föhnen einfach noch einmal nass, und dann würde er ja sehen. Weil, ja, an seiner Mamma, da kam er mit den nassen Haaren ja so und so nicht vorbei ins Bett, aber so? Ja, so machte Paul das, und er ließ das Bussi auf den Mund von seiner Oma brav über sich ergehen, und er winkte ihr und dem Opa aus dem Auto nach, länger als die zwei das überhaupt sehen haben können wahrscheinlich.
Paul mochte das ja.
Er mochte ja seine Oma und seinen Opa.
Und seine Mamma und seinen Papa auch.
Aber ja.
Naja.
Nur das mit den nassen Haaren, das musste er halt ausprobier’n, trotzdem, und die Sonne schien ihm warm auf die Wangen am Morgen dann.
Was Paul auch gleich dann auch sagte, dass sein Gesicht nicht gelähmt war, trotz all der nassen Haare.
Und, dass er nicht alles einfach so glauben durfte auch gleich.
Und, dass alles einfach so glauben vielleicht auch das Einzige war, das er nicht dürfen dürfen sollte eigentlich.
Oder so halt zumindest.
Irgendwie jedenfalls.

Markus Peyerl
www.markuspeyerl.at

www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt | Inventarnummer: 14031

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