Der Berufsschüler 1: Personenbeschreibung eines klischeemäßigen Berufsschülers mit einem Beispiel zur Veranschaulichung

Vorwort:
Dieser Text dient ausschließlich zur Unterhaltung und soll nicht aussagen, dass alle Berufsschüler dieser Welt geistig benachteiligte Geschöpfe sind, die von einer Qualle im Schach besiegt werden, weil sie die „Startaufstellung“ der Figuren für zu defensiv halten. Nein, Spaß beiseite. Ich war selbst Berufsschüler und habe die Dinge, die ich hier geschrieben habe, selbst exakt so erlebt. Dennoch soll dieser Text nicht aussagen, dass ausnahmslos alle Berufsschüler auf diesem Niveau agieren. Ich habe einen meiner besten Freunde in der Berufsschule kennengelernt und auch sonst einige liebe, interessante, intelligente Menschen kennenlernen dürfen, worüber ich sehr froh bin. Also wer sich an bisschen bösartigem Sarkasmus und einem knapp an der Grenze des Zumutbaren Maß an Gehässigkeit erfreuen kann, für den ist dieser Text unterhaltsam und alle anderen, die das nicht wollen oder können, sollten spätestens jetzt aufhören zu lesen.

Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Berufsschule…

„Regau? Wie kann man nur Regau heißen?“ „Naja, für seinen Nachnamen kann ja niemand was, oder?“ „Eh nicht, aber trotzdem.“ „Intelligente Begründung. Gut gemacht, Hr. Janik.“

So beginnt ein ganz normaler Berufsschultag von Markus Regau. Er ist eher ein ruhiger Mensch, und die leichte Unsicherheit gegenüber den sympathischen Klassenkollegen sieht man ihm sofort an. Da beginnt schon einmal sein erstes Problem. Jedes Mal bei solch anspruchsvollen Wortgefechten begeht er denselben Fehler. Gut, er ist auch noch nicht lange in der Berufsschule, aber gerade die ersten Tage sind so wichtig, um in der Klasse wenigstens ein halbwegs angesehener Mensch zu werden.
Ein akzeptierter Außenseiter war er schon. Ein gehasster, aber wegen seiner Größe in Ruhe gelassener war er auch. Sogar ein lässiger Repetent ist er schon gewesen. Diesmal sollte aber endlich alles anders werden. Einmal, nur ein einziges Mal, wollte er der sein, den alle mochten. Wenigstens bei Berufsschülern müsste das doch funktionieren. Nein, gerade da ist es am schwierigsten, da hier mehr mit Instinkt als mit gedanklicher Leistung entschieden wird, ob man sympathisch oder unsympathisch ist.

Normalerweise hatte er mit ein paar verschachtelten und komplizierten Sätzen die Leute zum Lachen gebracht. Die haben dann kopfschüttelnd, aber lachend, gemeint: „Na Oida, du bist schon oag.“ Und man wurde als leicht verrückt, aber sympathisch eingestuft, wodurch man sich mehr Blödheiten leisten durfte als andere Menschen. Doch diesmal scheint es nicht funktioniert zu haben, und er begann sich zu fragen, warum. Er analysierte jedes seiner Worte bis er auf den einzigen, aber alles erklärenden Fehler kam. Er hatte logisch geantwortet. Er hatte eine Antwort gegeben, die zwar ein guter Konter war, aber erst als dieser gelten konnte, wenn man über das Gesagte nachgedacht hatte. Berufsschüler denken nicht nach. Diese Tatsache hatte er schon festgestellt, und wenn sie es versuchen, kommen keine erfreulichen Ergebnisse dabei heraus.

Wie musste also die perfekte Antwort auf die Frage „Regau? Wie kann man nur Regau heißen?“ lauten? Richtig. Sie musste nichtssagend sein und, ganz wichtig, man musste sie verstehen können, ohne darüber nachdenken zu müssen. Ein Beispiel wäre da als Antwort: „Ja, komisch.“ Zwei kurze Wörter, die jeder versteht und die auch so zusammengesetzt sind, dass es keine Missverständnisse geben kann.
Doch die Antwort auf die erste Frage war nicht der fatalste Fehler. Die Antwort auf die zweite Frage war der schmerzliche Anfang vom Ende. Der Sarkasmus. Eine Leidenschaft von Markus Regau. Doch gerade der ist ja genau das Gegenteil von einem verständlichen Satz für einen Berufsschüler, weil, wie vor kurzem erwähnt, man ja über die genaue Formulierung nachdenken und gleichzeitig auf die Wortmelodie des Gesagten achten muss, also eine Tatsache, die bei dem Gehirn eines Berufsschülers nur einen kompletten Systemabsturz hervorrufen kann. Denn dass der Berufsschüler gerade nicht die gesamte Botschaft des Satzes verstanden hatte, spürt er, und um über die Unfähigkeit, einen Gegenstoß zu vollziehen, hinwegzutäuschen, werden gewaltandrohende Wörter verwendet sowie „Gusch“, „geh scheiß‘n“ usw. usf.

Lieb gehabt von einem Berufsschüler wird man dann, wenn man ihn nicht in solch eine Situation bringt, und wenn doch der Ansatz bereits da ist, ebendieser sofort ausgeglichen wird mit einer einfach und verständlich formulierten Antwort. Nehmen wir zum Beispiel an, der Berufsschüler hätte die Feststellung „Eh nicht, aber trotzdem.“ ausgesprochen. Sehr anbieten würde sich eine ähnliche Wortwahl, da man dann sichergehen kann, dass der Berufsschüler das, was man sagt, auch versteht, da er ja die Worte selbst benützt hat. Das ist zwar noch lange kein Hinweis dafür, dass er inhaltlich weiß, was er von sich gibt, aber die Wahrscheinlichkeit, nicht nur akustisch verstanden worden zu sein, stiege zumindest einen Hauch. Eine passende Antwort wäre dann beispielsweise: „Ja, eh.“ Hier verwendet man bereits ein Wort, dass der Berufsschüler auch verwendet hatte und bei dem Wort „Ja“ kann man davon ausgehen, dass er es kennt.

Lukas Lachnit
Kurzgeschichten: fiktiv, enorm, abnorm | Fleischlabel ©2013

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 15068

 

 




Schwedenplatzpartie

Ich sag dir gleich einmal vorweg, dass die Geschichte nicht spannend wird. Ja, du bist gemeint, der Leser. Wie soll sie auch spannend werden? Ich bin ein Jungautor, der glaubt, als Einziger zu wissen, was wirklich Sache ist und das der ganzen Welt mitteilen zu müssen, weil alle anderen selbstverständlich zu blöd sind, um selbst draufzukommen. Somit werde ich Themen behandeln, von denen ich glaube, dass sie noch nie erwähnt bzw. niedergeschrieben wurden, weil ich ja der Einzige bin, der die Welt wirklich richtig sieht, und alle anderen ziellos durchs Leben taumeln.
Wenn man dann von dieser Phase ein wenig Abstand hat, bemerkt man ganz erstaunt, dass alle anderen im gleichen Alter dasselbe denken und erschrickt über die Tatsache, wie jemand, der nur so kurze Zeit auf der Welt ist, glauben kann, alles besser zu wissen und ärgert sich über die Engstirnigkeit und Blödheit der anderen und wie falsch deren Betrachtung des Lebens ist und wie einfach es nicht wäre, wenn diese Menschen die Ansichten von einem selbst hätten und……..
Manche kommen nie darüber hinweg. Egal, ich muss dir was erzählen.

Das ist jetzt schon bisschen länger her. Also es war Freitagabend und ich bin zu Hause gesessen und war mir nicht sicher, ob ich rausgehen soll oder nicht. Vor allem allein ist das meistens irgendwie nicht so ganz das, was man sich vorstellt, also wäre es praktisch, jemanden anzurufen. Nur wen? Da geht man dann im Kopf alle möglichen Kandidaten durch und entdeckt bei jedem irgendeinen schwerwiegenden Nachteil, den man sich ein andermal vielleicht, aber heute sicher nicht geben möchte, wobei umgekehrt wäre unter Umständen…
Mein Handy klingelt und ich höre meinen quirligen Freund Andi aus dem Handy plappern: „Hallo Peter. Wie geht’s? Sitzt schon wieda daheim? Das kann’s jetzt aba nicht sein, heast. Najo, wuascht. Die Petra, der Markus und ich gehen am Schwedenplatz, magst mit?“
„Ja, hallo. Phu… also… hm…, ich weiß irgendwie nicht. In welches Lokal wollts’n?“
Er: „Was heißt, du weißt irgendwie nicht? Du willst doch jetzt nicht ernsthaft an einem Freitagabend allein daheim vorm PC hocken, oda? Und das mit dem Lokal is nicht so dings, weißt doch eh. Wir machen’s so wie imma am Schwedenplatz, halt von einem Lokal ins andere. Also komm jetzt. Um neun bist am Schwedenplatz beim Mäci.“
Ich: „Ja, gut gut. Zu Befehl.“ Ich musste lachen und legte auf. Jetzt erst merkte ich, wie dermaßen ich keine Lust hatte, zum Schwedenplatz zu fahren, um Unmengen an Geld dafür auszugeben, dass ich „gut drauf“ bin, durch Getränke, die meinen Körper gewaltsam dazu zwingen. Andererseits wusste ich, dass ich das Richtige tat. Es ist gesund und gut, regelmäßig unter Leute zu gehen und es macht auch jedes Mal Spaß, aber eben erst, wenn man sich dazu überwunden hat. Da hab ich halt in der Richtung irgendwie einen psychischen Schaden.

Also nahm ich meine Lederjacke, schaute mich noch einmal in meiner Wohnung um, ob ich eh nichts vergessen hatte, ging raus auf den Gang, schloss die Tür und… scheiße, mein Geldbörsel. Also wieder mühsam aufsperren und mit Geldbörsel endlich den Weg zum Schwedenplatz mit den Öffentlichen antreten. MIT DEN ÖFFENTLICHEN, allein das war ja schon wieder mühsam. Nur dafür, dass man Getränke trinken kann, die den Geist betäuben, muss man den Weg zu dem Ort, an dem es diese Getränke gibt, auch noch unangenehmer als notwendig zurücklegen. Da zahlt man extra jedes Monat Unmengen an Geld für Auto und Motorrad und dann sowas. Egal, das ist es wert, weil es Menschen gibt, die sich darüber freuen, Zeit mit mir verbringen zu können, und mich freut es ja schließlich auch, die alle wiederzusehen, nur nicht die Umstände und vor allem nicht die Örtlichkeit.

Bereits in der U-Bahn stehend, schaute ich mir die Leute an, die da sonst noch waren. Alle waren sie auf dem Weg zu einem gemeinsamen Besäufnis und alle schienen sie jetzt schon mehr Spaß zu haben als ich den ganzen Abend. Warum tu ich mir das an? Wäre ich doch gleich daheimgeblieben. Hätte mich wenigstens kein Geld gekostet. Mit diesen Gedanken im Kopf stieg ich Schwedenplatz aus und hörte hinter mir die U-Bahntüren fröhlich tutend zugehen. Nach dem relativ langen Weg durch die kahlen unfreundlichen U-Bahngänge endlich an der Oberfläche angekommen, offenbarte sich mir wie jedes Mal der charmante Schwedenplatz. Wie ein Kumpel, der einem freundschaftlich den Arm um die Schulter legt, weil er sich freut, einen zu sehen. Auf dem kurzen Weg von der U-Bahnstation zum Mäci kamen mir schon unendlich viele, bereits ziemlich besoffene, Leute entgegen und ich fragte mich wie jedes Mal, ob ich, mit der gleichen Alkoholmenge intus, tatsächlich genauso wirkte, mich bewegte und aussah.

Fast beim Mäci angekommen, hörte ich plötzlich links von mir: „SCHATZIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII!“ Ich drehte mich nach links und bevor ich noch wusste, wie mir geschah, wurde ich schon von Petra angesprungen und so liebevoll umarmt, dass Atmen nur noch unter großen Anstrengungen möglich war. „Na, wie geht’s dir, mein Peterchen?“ „Jetzt lass mich doch einmal den süßen, liebesfilmreifen Moment der Begrüßung genießen und mir die Vorstellung der weiteren romantischen Szenen am heutigen Abend und unsere aufkeimende Liebe zueinander ausmalen, die sich zu späterer Stunde auf einem Parkbänkchen unter diesem wie dafür gemachten Sternenhimmel zu einem Kuss entwickelt und unsere Herzen, die sich freuen, ein Teil dieses Momentes sein zu dürfen, kräftig und bestimmt schlagen zu fühlen, während sich unsere Lippen leidenschaftlich und doch sanft und gefühlvoll umschmeicheln.“ „Du bist SOOOOOOOOOOOOOOOOOOO blöööööööööööööööööd.“
Ich zwinkerte sie an, sie lächelte zurück und wir gingen gemeinsam zu den anderen beiden, die sich ebenfalls sichtlich freuten, mich zu sehen und mich fröhlich begrüßten. „Und du Trottel wolltest heute daheimbleiben“, dachte ich mir und stellte mir vor, wie ich mich selbst von oben herab ansah, mit einem abschätzig strafenden Blick, den ich ja tatsächlich verdient hatte.

„Geh ma danzn.“ „NEIN“ hörte ich mich schreien, bevor ich noch über das eben Gehörte überhaupt nachdenken konnte. „Trink das, dann is es leichter auszuhalten“, hörte ich von links und sah dann eine Eineinhalbliter-Flasche, mit nach frischem Motoröl aussehender Flüssigkeit gefüllt, vor mir wackeln. Er kümmert sich ja immer so lieb um mich, der gute Andi. Zuerst überwindet er mich für mich selbst auf den Schwedenplatz zu kommen, durch einen Anruf, und dann erleichtert er mir das Besuchen eines Tanzlokals mit Wodkaredbull, wie sich ein paar Schlucke später herausstellte. Auch das Mischverhältnis war meiner Begeisterung über den Besuch eines Tanzlokals sehr angemessen. Soll heißen: eine Flasche Wodka, also einen dreiviertel Liter, und den Rest liebevoll aufgefüllt mit Redbull eben. Lauwarm vom ständigen Halten, versteht sich, und Schluck für Schluck brechreizverursachend.
Nach einem geschätzten Viertelliter bekam ich wie durch ein Wunder plötzlich eine andere Einstellung zu dem heutigen Abend und alles Schreckliche, das ich mir vorher ausgemalt hatte, wurde plötzlich positiv und alle Nachteile lächerlich. Ich machte größere Schritte, grinste öfter und breiter und machte schlechtere Witze, die besser ankamen als die guten in nüchternem Zustand. Wenn ich genauer drüber nachdachte, war eigentlich das gesamte Leben absolut genial und ein sehr großzügiges, wundervolles Geschenk. Wie stark sich plötzlich meine Arme anfühlten und eigentlich mein gesamter Körper. Ach wie gut hatte ich es denn erwischt mit meinem Leben? So viel Glück auf einmal gehört geteilt mit Menschen, die es nicht so gut haben. Ich wollte plötzlich der ganzen Welt helfen, ganz Afrika zu mir einladen auf selbstgekochte Spaghetti mit wundervoller selbstgemachter Sauce. Und während ich mir gerade vorstellte, wie sich meine eingeladenen Gäste aus Afrika meine Spaghetti schmecken ließen und wie schön es wäre, danach darüber zu plaudern, welche Musik ihnen gefällt und worauf sie da hören, inklusive einer kleinen Vorstellung meiner eigenen, selbstgeschriebenen Lieder auf meiner E-Gitarre, stellte ich fest, dass wir bei dem Lokal angekommen waren und mir versetze es einen Stich ins Herz.

Ich sah die Leuchtschrift und als ich panisch woanders hinschauen wollte, stach mir der Türsteher ins Auge. Der einzige Hoffnungsschimmer, der mir noch blieb, um nicht in dieses Lokal zu müssen. Die Tür ging selbstständig auf und auf der Schwelle standen Leute, die definitiv nicht meinen Musikgeschmack teilten und mich mit einem Blick, gemischt aus Verzweiflung und Unverständnis darüber, was sie verbrochen hatten, dass sie mich in der Nähe ihres Lokals sehen mussten, anschauten.
„Wos is mit eich? Geht’s eine oda schleicht‘s eich“, sprach der herzensgute, freundliche, gutgelaunte Türsteher, während wieder selbstständig die Tür aufging und ein paar Leute mehr von den rhythmisch elektronischen Bässen aus dem Lokal gepumpt wurden.

Nachdem der Türsteher schon wieder Luft holte, gingen wir schnell in dieses sympathische Lokal, um nicht dafür geschlagen zu werden, auf freiem Wiener Grund und Boden stehen zu wollen. Während ich noch die Schlussklänge eines DUZDUZDUZBUMBUMBUM-Liedes mit Eichhörnchenstimme hören durfte, schaute ich mich um und stellte fest, dass das Lokal an sich gar nicht so unsympathisch war. Niedlich klein, mit abgefuckten Stehtischchen, einem unarroganten, nett grinsenden Barkeeper und einer von überall leicht einsehbaren Klotür. Jetzt war sie da, die kurze Stille zwischen einem gerade gespielten Lied und dem, das gleich losbrechen wird. Dieser Moment beunruhigte mich gar nicht, schlimmer als vorher konnte es sowieso nicht kommen, aber plötzlich: „Do you have the time… To listen to me whine… about nothing and everything all at once”, Greenday, dieses wundervolle Phänomen. Unter normalen Umständen gehört, eine niedliche, liebevolle, kleine Band, mit gut gemachten kommerziellen Liedern, nichts Außergewöhnliches, man weiß, was man kriegt, aber gemischt mit Alkohol sind diese Amiburschen von nur ganz wenigen auserkorenen Bands, die man an einer Hand abzählen kann, zu schlagen. Große Selbstbeherrschung war nötig, um nicht jedes Wort, jedes Gitarrenriff und jedes Schlagzeugbreak mitzusingen.

„Heast Oida, SAUUUUUUUUUUUUUF“, unterbrach meine Unentschlossenheit über das Mitgröhlen und vor mir schaukelte ein schmales langes dünnes Brettchen mit zehn Stamperln Wodka und der tief gebräunte Bursche, frisch aus der Steckdosenkaribik kommend, schlug mir fröhlich lallend vor: „Pass auf Oida… wenn ich g’winn, dann holst du die nächstn zehn Stampaln und wenn du g’winnst, dann muss ich die nächsten holn… aba zahln muss dann imma der, der was nicht die Stampaln holt… ok, Oida?“
Fünfzehn Sekunden später meinte er: „Scheiße Oida… unentschiedn… das kann ja ua nix… na is wuascht… heast Alex? Was macht ma bei unentschieden? Doppelt? Ok… na gut Oida… dann müss ma jetzt zwanzig kaufen.“
Ich schaute ihn lachend an und entgegnete: „Paaaaaaaaaasst… du hast ja jetzt die erste Runde zahlt, gö? Ich lad dich ein auf die zwanzig.“ Strahlend wie ein kleines Kind vor dem Weihnachtsbaum entgegnete er „Oida, na passt, Oida… bist ja da ua Leiwande Oida.“

Ich grinste ihn noch einmal an und ging so selbstverständlich wie möglich aufs Klo. Die Eingangstür zum Klo flog hinter mir zu und die Musik war nur mehr sehr dumpf zu hören. Es war außer mir niemand hier. Ich packte aus und ließ rinnen und während sich meine Blase nach und nach entspannte, wurde mir klar, dass ich der glücklichste Mensch der Welt war. Das Leben ist einfach wundervoll und vor allem mein Leben ist absolut wundervoll. Ich packte ein, ging zum Waschbecken und sah im Spiegel den wohl lässigsten und leiwandsten Typen auf Erden freundlich sich selbst anlächeln. „Also dann auf zurück in die Menge, die vermissen mich sicher schon, wer auch nicht?“, dachte ich mir und als ich die Tür öffnete, hörte ich: “düdüdüdüdüdüdüdüdüdüdüdüdüdüdüdü AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH“, und da hielt ich es nicht mehr aus, es musste einfach raus.
Ich holte tief Luft und schrie so laut ich konnte: „DU BIST WIRKLICH SAUDUMM… DARUM GEHT’S DIR GUT… HASS IST DEINE ATTITÜDE… STÄNDIG KOCHT DEIN BLUT.“
Ein paar Leute drehten sich erschrocken zu mir um, ein paar prosteten mir freundlich lächelnd zu und ein paar, die gerade das Lokal betreten hatten, schauten peinlich berührt auf den Boden.
„ALLES MUSS MAN DIR ERKLÄREN… WEIL DU WIRKLICH GAR NICHTS WEISST… HÖCHSTWAHRSCHEINLICH NICHT EINMAL… WAS ATTITÜDE HEISST.“

Plötzlich spürte ich links und rechts von mir Hände auf meinen Schultern, drehte mich erschrocken zur Seite und sah zwei Typen, die lauthals mit mir mitschrien und zu hüpfen begannen, während sich ihre Arme nun vollständig um meine Schultern gelegt hatten: „Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe… deine Springerstiefeln sehnen sich nach Zärtlichkeit… du hast nie gelernt, dich zu artikulieren… und deine Eltern hatten niemals für dich Zeit… OH OH OH“, und jetzt gab es nur einige Wenige, deren Fäuste nicht in die Höhe gestreckt waren: „ARSCHLOCH“, jetzt ließen mich die beiden Typen los und begannen zu pogen, also für die älteren Leser als Erklärung: Pogen bedeutet, einander unbegründet zu stoßen, ohne sich anschließend in eine Schlägerei verwickeln zu müssen, was die meisten aller Jugendlichen, warum auch immer, unter anderem als lustig und amüsant empfinden und auch “Spaß haben“ nennen. Da ich allerdings aufgrund des bereits reichlichen Konsums von Alkohol nicht mehr so perfekt wie sonst das Halten meines Gleichgewichts unter Kontrolle hatte, stolperte ich, flog auf einen Tisch, schob dadurch die sich auf dem Tisch befindlichen halb gefüllten Gläser auf den Schoß des dort Sitzenden und landete danach auch noch auf demselben.

Aus meinen bis jetzt gemachten Erfahrungen, hätte ich mich entweder einem direkten Schlag ins Gesicht, oder zumindest dem Androhen eines solchen, stellen müssen, doch es passierte zuerst einmal gar nichts. Während ich mich aufrappelte, murmelte ich mittelmäßig verständliche Entschuldigungen in Richtung Schoß des Angeschütteten, doch es kam keine Reaktion.
Überrascht schaute ich in das Gesicht und sah einen etwa 50-jährigen Mann mit gepflegten zurückgekämmten Haaren und einem den Mund umrandenden Bart. Ich weiß den Fachbegriff leider nicht dafür, aber ich meine diesen DJ-Ötzi-Bart, nur sah das bei dem Herrn nicht prolohaft, sondern edel aus. Sein Blick war weder böse noch belustigt, sondern ruhig, unendlich ruhig, aber mit so einer Stärke dahinter, dass es mir einen Stich ins Herz versetzte. Ich bekam Panik und den Drang, wenigstens irgendetwas zu tun, dass diese Schande ein wenig geringer werden würde und hörte mich sagen: „Tschuldigung… das war der Dopplereffekt… höhöhö“, und als mir bewusst wurde, was ich gerade gesagt hatte, fühlte sich diese Schmach an wie ein Peitschenschlag ins Gesicht.
Sein Blick war immer noch ruhig und gelassen. Mit sehr viel Menschenkenntnis konnte man in seinen Augen einen Hauch von einem väterlich liebevollen: „Hach… der Bua… mein Gott“ erahnen, jedoch sonst keine Regung. Erst jetzt begann er, mit routinierten und perfektionierten Handgriffen die Gläser, von denen keines zersprungen war, wieder auf den Tisch zu stellen und holte ein Tuch aus der Manteltasche des Mantels, den er neben sich aufgehängt hatte, heraus, das aussah, als wäre es vor fünf Minuten erzeugt und nach allen Normen der Faltkunst, mit einer Toleranz von einem Zehntelmillimeter, gefaltet worden. Noch während er seine Hände damit gründlich säuberte, sagte ich: „Reinigung… ich bring das in die Reinigung.“

Er: „Schon gut… ich konnte keine Absicht hinter Ihren Handlungen erkennen und sehe, dass Sie ohnehin ein schlechtes Gewissen plagt… Hinzu kommt, dass die Strapazen deutlich größere wären, wenn Sie die Reinigung meiner Kleidungsstücke übernehmen würden.“
Ich: „Aber irgendetwas muss ich do..“
Petra kam zu mir gestürmt und fragte mich mit mütterlich umsorgten Augen: „Is dir eh nix passiert? Alles in Ordnung?“
Ich: „Ja… aber…“, und schaute verzweifelt in Richtung des edlen Herrn, währenddessen  Petra sagte: „Na Gott sei Dank.“ Obwohl sie noch sprach, umarmte sie mich herzlich und fragte: „Du Peter? Kann ich heute bei dir schlafen?“
Ich: „Ähm…“
Sie: „Büüüüüüüüüüüüüüüütte“, und ich spürte ihre warme Hand auf meiner Wange, die meinen Kopf mit sanftem Druck in Richtung ihres Gesichtes bewegte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, legte ihre Hände um meinen Hals und ich spürte, wie sich ihre warmen, weichen Lippen um meine schlossen, mein Herz begann fester und schneller zu schlagen, und es breitete sich dieses wundervoll schöne Gefühl von Stärke, Wärme und Zufriedenheit aus, an das nur sehr wenige Dinge annähernd herankommen und selbst dann nicht wirklich vergleichbar sind. Wie direkt ich auf einmal spürte, wie gern sie mich hatte und wie leidenschaftlich sie mir genau das unter Beweis stellen wollte.
Ich strich ihr über ihre Wange mit der wohl weichsten Haut der Welt und löste meine Lippen von ihren, während sie mich mit einem Blick ansah, für den es keine Worte gibt, die schön genug wären, um ihn zu beschreiben. Plötzlich trat sie einen Schritt zurück, nahm mich bei der Hand, nickte lieb schauend Richtung Ausgang und sagte: „Komm Peter“, mit einem anschließenden Lächeln, für das ich ihr am liebsten gleich nochmals um den Hals gefallen wäre. Doch während des Gehens machte sich wieder schlechtes Gewissen breit und ich rief in Richtung des edlen Herrn: „Es tut mir wirklich leid… Entschuldigung“, und bevor ich noch fertig gesprochen hatte, schloss er väterlich verständnisvoll seine Augen.

Endlich draußen aus dem Lokal, war es angenehm ruhig. Die gepflasterten Straßen waren feucht, ohne dass jemand gemerkt hätte, dass es geregnet hatte, und es wehte sanft und kühl der Wind. Nicht zu kühl, sondern genau richtig.
„Mir is kalt“, hörte ich von rechts neben mir und spürte gleichzeitig einen sanften liebevollen Rempler. Petra sah mich an wie ein kleines Mädchen, das ihre Eltern fragt, ob sie etwas naschen darf. Ich umarmte sie und spürte ihren Kopf auf meiner Brust, wodurch mein Herz übernatürlich laut und schneller als sonst zu schlagen begann. Es machte sich fast ein bisschen schlechtes Gewissen bei mir breit, weil ich mir vorstellte, wie laut es für sie sein musste, wenn sie doch genau mit dem Kopf auf der Brust lag. Fast ein wenig entschuldigend streichelte ich über ihre süßen weichen Wangen und spürte mit der anderen Hand, mit der ich sie umarmte, wie ihr Herz genauso laut und schnell zu schlagen begann wie meines. Da war es dann überhaupt vorbei mit jeglichen Herzschlagbeeinflussungsversuchen. Ich schloss die Augen und merkte, wie das Glück vom Bauch in den Kopf stieg und stellte mir vor, wie wohl die kommenden Tage und Wochen aussehen würden, wie wundervoll schön alles sein würde und ob es überhaupt noch etwas gäbe, das unsere momentane Situation noch perfekter machen könnte.

Bei mir zu Hause angekommen, ergab sich das letzte Puzzleteil zur absoluten Perfektion. Kaum hatte ich die Tür geschlossen, zog Petra mit beiden Händen meinen Kopf zu ihrem und küsste mich mit einer derartigen Leidenschaft, dass mir praktisch nichts anderes übrig blieb, als sie von ihrem eng anliegenden Top (ich weiß jetzt nicht, ob das der richtige Fachbegriff dafür ist, aber ich meine diese eben eng anliegenden Leibchen mit den Spaghettiträgern) zu befreien. Zwei Sekunden dürfte ich das Top zu lang gehalten haben, schon nahm sie es mir bestimmt aus der Hand und warf es mit einer lässigen Bewegung aus dem Handgelenk quer durch meine Wohnung. Ungeduldig riss sie mir die Kleider vom Leib, fast ein bisschen grob. Kaum wollte ich zu ihrem kurzen Faltenröckchen greifen, hatte sie es auch schon ausgezogen, ihre Arme um meinen Hals gelegt, mich so zum Bett geführt, sich nach hinten fallen lassen und ihre Beine um meine Hüfte geschlossen…

Am nächsten Morgen (15:40) wachte ich auf und spürte gleich einmal leichte muskelkaterähnliche Schmerzen auf der Oberschenkelinnenseite. Ich schaute mich verschlafen um und sah Petra vollkommen angezogen auf einem Sessel vor dem Bett sitzen. Kein „Guten Morgen“ sondern ein vorwurfsvolles „Du hast ja überhaupt nix daheim.“ bekam ich zu hören. „Is aba eh wuascht… Ich muss sowieso gleich gehen… Ich treff mich nämlich mim Bernhard… der is sooooooooooo süß.“
Ich setzte mich auf und zog die Augenbrauen hoch: „Was für ein Bernhard?“
Petra setzte einen Blick auf wie eine Mutter, die ihr Kind an das Lernen für die Schule erinnert: „Das hab ich dir doch eh erzählt… Ich glaub, mit dem könnt‘s wirklich was werden… Ich bin schon total aufgeregt.“
Ärger stieg in mir hoch: „Und was is mit letzter Nacht?“
Mit einem Gesichtsausdruck, wie wenn ich gerade behauptet hätte, dass eins plus eins drei sei, sagte sie: „Ja, wir war‘n betrunken… kann ja amal passiern… du ich muss jetzt wirklich gehen… also tschüss… wir sehn uns.“

Ich hörte die Tür klacken und fühlte mich, wie wenn jemand meine Eingeweide in eine Schrottpresse getan, anschließend angezündet und darauf herumgetreten hätte. Alle Gedanken, die mir in dem Moment durch den Kopf gingen, stießen aneinander, wie Autos bei einem Auffahrunfall auf der Autobahn.

Lukas Lachnit
Kurzgeschichten: fiktiv, enorm, abnorm | Fleischlabel ©2013

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Einleitung zur Schwedenplatzpartie

Elefanten, alles nur nie mehr Elefanten. Die sind ja sowieso blöd, merken sich alles und sind trotzdem groß und stark.
Guter Anfang, gute Geschichte? Nein, glaub ich nicht. Selbst der beste Anfang der Welt kann mit viel Können versaut werden und zu einem minderwertig billig kitschigen Buch, Film, Theaterstück usw. werden. Viel interessanter ist das ja umgekehrt. Einen Anfang machen, der so dermaßen mittelmäßig ist, dass der Mensch immer kurz davor ist, die Beschäftigung mit der jeweiligen Unterhaltungsform abzubrechen, es aber doch nicht tut und dann den Unterhaltungswert immer stärker ansteigen lassen, bis zum finalen Triumph, der alles bisher Dagewesene mehr als nur in den Schatten stellt. So wie gute amerikanische Popmusik, mit Streichern zum Schluss und Klavier am Anfang. Solche Stücke darf man aber als echter Musiker nicht gut finden und muss sich zwingen, nicht laut und voller Inbrunst den letzten tausendmal wiederholten Refrain mitzuplärren, sondern hat die vom nicht vorhandenen Gott auferlegte Pflicht, das Musikstück für schlecht zu halten, weil es schließlich nur für den einfachen Menschen gemacht wurde und nicht für jemanden der sich stolz als musikalisch bezeichnen darf. Gute Musik ist nur dann gut, wenn sie niveauvoll ist, und umso beschissener und unanhörbarer ein Stück Musik ist, umso besser ist es. Apropos Jazz. Allen, die jetzt Wutschweißperlen auf der Stirn haben und Druckstellen an der Stelle, an der sie das Buch/ihren Kindle halten, verursachen, sei gesagt: Ich hab nichts gegen Jazz, nur was gegen die Leute, die den hören und vor allem, wie die den hören. Mit wissendem, genussvollem Kurz-vor-dem-Orgasmus-sei-Gesicht wird im Studio aufgenommenen Freejazznummern gelauscht, um sich dabei zu gefallen, für sehr schwierige aber künstlerisch einmalige Musikstücke offen zu sein.

Zurück zu den Elefanten. Ich hatte gestern einen Traum, in dem ich auf einer Insel gelegen bin, also ganz knapp beim Meer, aber gerade so, dass meine Haare von den Wellen nicht nass wurden, und in meinem Blickfeld war eine einzige Palme, die vor einem ganz kleinen Teich mit Swimmingpoolwasser stand. Swimmingpoolwasser war es natürlich nicht wirklich, sondern nur, damit jetzt jeder weiß, wie es ausgesehen hat, rein farblich. „Heast Deppata… Wos liegst do so fäu umaranaund?“ Ich schaue nach links: „Na oistan… Jetzt bewegta si da Herr Supaleiwandüwaguad… Bring ma jetzt mei Bier oda i blos di um, du Fetznschädl.“ Ein Blick nach rechts: „Na siegstas… jetzt sichta mi, da Deppate… Pass amoi auf… Wonnst da no long Zeit lost, steck i da mein Riassl in dei Bapm und blos Luft eine und donn mochts Bam oida, des konn i da vasprechn. Oiso, i sogs da nua no amoi in Guadn…“ Endlich hab ich ihn gesehen. Einen zehnter Bezirkselefanten (für alle Nichtwiener: einen Proletenelefanten) gerade im schwierigen Krochaalter. Leicht zu erkennen an den neonfarbenen Elefantenohren, den Goodyearreifen, die er um seine Füße gestülpt hatte und den stampfenden drehenden Tanzbewegungen, die er am Strand pausenlos machte, und das mit allen vier Beinen gleichzeitig. Also an Schlaf war sowieso nicht mehr zu denken. Deswegen war ich auch bereit, einen Deal mit ihm zu machen: „Pass auf… Wenn du dir eine Zahl merkst, die ich dir gleich sagen werde, dann bring ich dir dein Bier… Also: 231069874032106987463510.“ Er sagte die Zahl selbstverständlich absolut problemlos auf, hüpfte in Tanzschritten zu mir und sagte: „Für den Schaß stompf i da dei Gsicht in Asphalt“, und auch die Tatsache, dass es hier nur Sand gab, hinderte ihn nicht, mit seinen kreisrunden Goodyearreifenfüßen mir 231069874032106987463510-mal in mein Gesicht zu treten. Davon bin ich schließlich aufgewacht und hörte meine Nachbarn einen Stock weiter oben fröhlich und munter schnaxeln (für alle Nichtwiener: Geschlechtsverkehr haben).

Ich stand auf, ging aufs Klo und ließ Mengen aus mir rausrinnen, die ich aus einem gefühlten (nein, NICHT gefüllt) 5-Liter-Kanister vermutlich nicht herausbekommen hätte. Warum muss man nach komischen Träumen immer so dermaßen viel pinkeln? Egal. Ich legte mich gleich wieder ins Bett und wartete gespannt auf die Folgen. Es gibt ja zwei Möglichkeiten, wie sich ein Ins-Bett-Legen auswirken kann. Möglichkeit eins: Man legt sich hin, je nach Schlaftyp unterschiedlich, fühlt gar nichts, außer dass die Augen gerne wieder aufspringen wollen und man viel Kraft benötigt, um sie zuzuhalten, oder Möglichkeit zwei: Es fühlt sich so an, als würde alles, was Gewicht hat, unter das Bett sinken und man selbst nur noch aus angenehm leichter warmer Luft bestehen, bis dann mein Wecker läutet, den ich schwungvoll an die Wand werfe und ich mich jedes Mal darüber ärgere, keine Kamera zu haben, die eine von der Natur geschaffene Explosionszeichnung festhält. Diesmal war es Möglichkeit zwei.

So, endlich aufstehen, Zähneputzen, anziehen und in die Arbeit fahren. Blödsinn, ich hab doch Urlaub und das sogar noch drei Wochen. Die Sonne blinzelt schon durch die zugemachten Jalousien und schimpft durch ihre Helligkeit mit mir, dass ich noch im Bett liege. Da höre ich dann immer so Erziehungsechos meiner Eltern: „Schau, so schön is draußen und du liegst nur deppat umadum und machst nix. So schönes Wetter muss man ausnutzen.“ „NEIN muss man NICHT“, hätte ich früher gesagt. Man braucht oft ein bisschen Abstand von Dingen, die man von Eltern gesagt bekommt, um dann den tatsächlichen Sinn und nicht nur die Anordnung zu sehen, die selbstverständlich nur dafür da ist, das Kind zu quälen und auf gar keinen Fall dessen Leben zu verbessern, sondern fatal zu verschlechtern, wie man immer glaubt als Jugendlicher. Generation für Generation wird ins Freie getreten, bis sie ausziehen, ein Jahr absichtlich zu Hause in ihrer Wohnung hocken und sich dann selbst dabei erwischen, wie sie nach dem vergangenen Jahr auf Wiesen liegen, die sie mit keinem Fahrzeug eines Durchschnittsbürgers erreichen hätten können, also folgedessen zu Fuß dort hingelangt sein müssen, und sich einfach darüber freuen, dass die Sonne so schön scheint und das Mädel, das neben ihnen liegt, so hübsch ist, und auf die erstrebenswerten Belohnungen, die auf ihn dann nach dem Spaziergang warten.

Lukas Lachnit
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Die Leiden des jungen EDV-Technikers 2

Zwei Tage später wurde Müller von einer sehr freundlich klingenden älteren Dame kontaktiert: „Guten Tag, Griesl mein Name. Ich habe ein riesengroßes Problem, und zwar mein Outlook lässt sich nicht schließen und ich bräuchte doch so dringend ein anderes Programm zum Arbeiten. Können Sie mir helfen?“
Müller: „Seit wann ist das denn so und scheint eigentlich eine Fehlermeldung auf?“
Frau Griesl: „Nein, gar keine Fehlermeldung. Ich mag rechts rauf zum Ikserl und es geht aber nicht. Das Problem ist, ich arbeite heute zum ersten Mal auf dem Platz meiner Kollegin und möchte ihr nichts verstellen.“
Müller: „Aber die Maus können Sie grundsätzlich normal bewegen oder funktioniert die auch nicht?“
Frau Griesl: „Ja ja, die funktioniert. Es ist nur so, dass ich das Gefühl habe, wenn ich rechts hinauf zum Ikserl gehen mag, dass kurz vor dem Ikserl jemand an der Maus anzieht. Ich glaube mein Mauskabel ist einfach zu kurz.“

Müller blieb reaktionsfrei: „Haben Sie schon einmal probiert, die Maus in die Höhe zu heben, um in der Luft ein Stück diagonal nach links zu fahren, dann die Maus wieder auf den Tisch aufzusetzen und von der neuen Position weiter rechts hinauf zu fahren?“
Frau Griesl seufzte überfordert und verzweifelt: „Bitte wie? Wissen Sie, ich bin technisch nicht so begabt. Was genau muss ich tun?“
Müller bekam Mitleid: „Na schaun S‘, Frau Griesl, machen wir das gemeinsam. Sie fahren jetzt soweit Sie können mit der Maus diagonal rechts hinauf Richtung Ikserl, bis es nicht mehr geht, ja? Machen Sie das einmal.“
Frau Griesl schnaufte bemüht: „Ja gut ok, habe ich jetzt gemacht.“
Müller: „Gut. Jetzt heben Sie Ihre Maus einen Finger breit vom Tisch weg und bewegen sie, sagen wir, eine Hand breit nach links und ein bisschen nach unten, ja?“
Frau Griesl kicherte verzweifelt: „Es tut mir ja so leid, ich bin einfach ein technisches Nackerpatzl, aber danke, dass Sie mir das so lieb erklären. Ich hab das jetzt gemacht, was Sie gesagt haben. Was darf ich jetzt tun? Die Maus wird nämlich langsam schwer.“
Müller: „Jetzt setzen Sie die Maus genau an der Stelle, an der Sie jetzt mit ihr sind, wieder auf den Tisch auf und fahren danach wieder diagonal nach rechts oben.“

Frau Griesl jubelte: „JAAAAAAAAAA, Sie sind ein Wunderknabe. Ich danke Ihnen vielmals, Herr Müller. Darf ich nur noch eine unverschämte Bitte aussprechen?“
Müller lächelte freundlich ins Telefon: „Aber selbstverständlich, Frau Griesl. Was kann ich noch für Sie tun?“
Frau Griesl flötete wie ein 16-jähriges Mädchen, das ihren Vater bittet, länger fortgehen zu dürfen: „Sind Sie so lieb und schreiben Sie mir den Vorgang, den Sie mir gerade erklärt haben, zusammen und schicken Sie mir den dann per Mail?“
Müller seufzte gutmütig: „Naja, weil Sie es sind, Frau Griesl.“
Frau Griesl kicherte glücklich: „Hach Herr Müller, Sie sind wirklich ein Schatz. Was würde ich ohne Sie nur tun? Aja und bitte schicken Sie mir das E-Mail dann gleich zweimal, ja?“
Müller: „Jaja, keine Ursache. Wieso zweimal?“
Frau Griesl: „Na damit ich das zweite gleich der Kollegin, die hier normalerweise sitzt, weiterleiten kann.“

Mit spidermanartigen Reflexen hielt Müller den Teil des Telefonhörers, den man zum Hineinsprechen verwendet, zu, um Frau Griesl seinen Lachanfall nicht hören zu lassen: „Frau Griesl, Sie können jedes E-Mail immer weiterleiten, ohne zwei davon zu besitzen. Sie brauchen nur das E-Mail anklicken und anschließend auf Weiterleiten klicken.“
Frau Griesl: „Na das ist ja toll. Jetzt habe ich wieder etwas gelernt. Ich danke Ihnen, Herr Müller. Auf Wiederhören.“

Lukas Lachnit
Kurzgeschichten: fiktiv, enorm, abnorm | Fleischlabel ©2011

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Die Leiden des jungen EDV-Technikers 1

Er war schon fünf Jahre dabei und hat in der Richtung einiges erlebt, aber hier und da musste er noch innehalten und schlucken, um dem Gesprächspartner nicht die Möglichkeit zu geben, mitzubekommen, was er sich gerade dachte.
Das Telefon läutete und mit einem Seufzer hob er ab: „IT-Abteilung Müller, guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?“ und wurde schon beinahe unterbrochen: „Der geht einfach nicht. Was soll ich jetzt machen?“
Mit ausdruckslosem, aber routiniertem Gesichtsausdruck fragte er nach: „Was genau geht denn nicht Herr… ähm?“
„Na der Bildschirm. Der ist einfach schwarz. SCHWARZ. Wie soll ich so bitte arbeiten?“

Nicht verwundert, aber dennoch leicht verärgert darüber, dass der sympathische, mitdenkende Herr am Telefon den leichten Hinweis, dass er doch bitte vielleicht einmal zuerst seinen Namen nennen sollte, bevor er sein Problem schildert, nicht verstanden hatte, fragte er weiter: „Seit wann funktioniert er denn nicht mehr?“
Ein verärgertes, ungeduldiges Ausatmen war zu hören: „Naja, kaum hab ich ihn abgesteckt, war er schon finster. Ist das schon wieder so ein Sicherheitsschas von Ihnen?“
Die Augen von Herrn Müller weiteten sich ein wenig, dennoch blieb er ruhig: „Welches Kabel haben Sie abgesteckt?“
Ein kräftiges Räuspern war zu hören: „Fragen S‘ nicht so deppat. Kommen S‘ her und schauen Sie sich das an. Ich will, dass das funktioniert. Mich interessieren keine Begründungen, sondern nur das Ergebnis.“
Jetzt musste Herr Müller zum ersten Mal lächeln: „Mein Terminplan ist sehr voll. Moment, ich schau für Sie nach… In vier Tagen hätte ich noch etwas frei. Haben Sie so gegen zwölf Uhr Zeit?“
„Erstens bin ich da auf Mittagspause und außerdem… was heißt da in vier Tagen? Soll ich mir jetzt die nächsten drei Tage Urlaub nehmen, oder wie stellen Sie sich das vor?“
In gleichgültig ruhigem Ton entgegnete Müller: „Haben Sie jetzt Zeit? Ja? Dann bin ich in zehn Minuten bei Ihnen. Wiederhören.“

In der Störungsliste auf seinem Computer las er die vorhandenen Störungen durch und suchte nach der zum Telefonat passenden: Bildschirm funktioniert nicht. Störungstext: Herr Merx Bildschierrm ist schwarz. Er braucht ihm aber tringent und hat schon zweimal um Erledigung urgirt. Hab mich zu ihn hinverbunden und Bildschirm futioniert einbandfrei. Bitte um rasche erledigung. TRINGENND!!!
Kurz vor der Bürotür von Herrn Merx kommt Herrn Müller ein anderer Kollege entgegen: „Halbzeit, höhö. Entschuldig‘n S‘, a private Froge. Ich hab mir für meinen PC zu Hause eine neue Grafikkarte gekauft, aber die passt überhaupt nicht auf den USB-Anschluss drauf. Gibt’s da irgendeinen Adapter? Habt’s ihr sowas zum Ausfassen bei euch in der Abteilung?“ Gekonnt und mit viel Routine entgegnete Müller: „Nein, leider. Solche Adapter sind genauso schwer zu bekommen wie Wirelesslankabel.“
Müllers Gegenüber bekam einen erleichterten Gesichtsausdruck: „Und ich hab schon geglaubt, ich bin zu deppat, um diese Kabel zu finden. Ich wollte mir letztens erst ein Wirelesslankabel kaufen, aber keine Chance, die gibt’s einfach nirgends. Ein Verkäufer war wenigstens so nett und hat mir gesagt, dass es die wahrscheinlich nur bei den echten Profis gibt, aber da kann man halt nichts machen. Wie soll dann ein armer kleiner Hackler wie ich zu so einem Kabel kommen?“
Müller bekam einen mitleidigen Blick. Die Zeit wo er in dieser Situation das Lachen zurückhalten musste, war lange vorbei. „Ja das kenn ich, aber da sitzen wir halt leider alle im selben Boot. Also dann, eine schöne Mittagspause. Wiederschaun.“

Er öffnete die Bürotür und schon plärrte ihm Herr Merx entgegen: „Na endlich. Wenn wir alle so hackeln würden wie bei euch in der Abteilung, könnte das ganze Unternehmen zusperren.“ Den Satz ignorierend sagte Müller: „Na wo ist er denn, der Patient?“ Merx deutete kommentarlos Richtung Bildschirm. „Na dann sagen Sie mir einmal ganz genau, was Sie wann wo ausgesteckt haben.“
Hektisch und mit freudigem, gierigem Blick, ganz gleich die Chance zu haben, Herrn Müller als Trottel dastehen lassen zu können, griff er hinter dem Bildschirm zum Monitorkabel: „DA. Ich hab nur die Diebstahlsicherung ausgesteckt und schon ist er nicht mehr gegangen, der scheiß Bildschirm.“
Müllers Blick blieb gelassen und gleichgültig: „Das ist keine Diebstahlsicherung, sondern das Monitorkabel. Das ist dafür da, dass der Computer von der Grafikkarte die Bildinformationen zum Bildschirm schicken kann.“
Merx war entrüstet: „Geh verkaufen Sie mich doch nicht für blöd. Ich bin vielleicht kein Technikgenie, aber ein bisschen kenne ich mich schon aus. Außerdem, wieso sollte dann das Bildschirmlämpchen aufleuchten, wenn das Monitorkabel abgesteckt ist?“
Müller konnte den kurzen resignierenden Seufzer nicht zurückhalten: „Dafür, lieber Herr Merx, ist das Stromkabel des Bildschirmes verantwortlich. Ein Kabel ist für den Strom und das andere für den Informationstransport vom Computer zum Bildschirm.“
Merx schien, was man anhand seines Blickes erkannte, ein Licht aufzugehen: „Ach erzählen Sie doch keinen Blödsinn. Weil, wenn das angeblich ein Monitorkabel sein soll und keine Diebstahlsicherung, warum gibt es dann bei dem Stecker kleine Schrauben zum Reindrehen und beim Stromkabel nicht? Herr Müller, ich bin ja kein Idiot. Seien Sie einfach ehrlich zu mir und geben Sie zu, dass das eine Diebstahlsicherung ist.“

Langsam aber sicher spürte Müller doch ein wenig Unruhe in seinem Bauch aufkommen: „Weil es aufgrund der technischen Form des Steckers bei dem Monitorkabel deutlich wahrscheinlicher ist, dass der Stecker von selber runtergeht, als beim Stromkabel und deshalb sind beim Monitorkabel Schräubchen dabei und beim Stromkabel nicht.“
Merx winkte ab: „Jaja, jetzt wollen Sie sich retten, indem Sie mit technischen Fachbegriffen um sich werfen. Für Ehrlichkeit haben Sie wohl zu wenig Charakter. Naja, egal. Tun Sie einfach, worum ich Sie gebeten habe und schauen Sie, dass der Bildschirm wieder funktioniert.“
Müller schloss kurz die Augen und entgegnete dann: „Dafür muss nur das Monitorkabel wieder angesteckt werden.“
Merx wurde lauter: „Ich habe Ihnen jetzt schon x-Mal gesagt, dass ich kein Interesse an dieser idiotischen Diebstahlsicherung habe. Ich will, dass mein Monitor funktioniert, ohne dass ich überwacht oder sonst wie kontrolliert werde.“
Müller, jetzt doch schon ein bisschen verzweifelt: „Selbst wenn das Monitorkabel eine Diebstahlsicherung wäre, könnten Sie davon nicht überwacht werden, aber um das Ganze doch ein wenig abzukürzen, bleibt nur folgendes Fazit: Wenn Sie arbeiten wollen, müssen Sie Ihre „Diebstahlsicherung“ wieder in den Monitor stecken.“
Merx trotzig: „Das will ich aber nicht. Ich möchte ohne Diebstahlsicherung ungestört arbeiten können.“
Müller zog die Notbremse: „Dann kann ich Ihnen nur anbieten, dass ich das so schnell wie möglich mit meinem Chef bespreche. Ich rufe Sie dann an, sobald dieses Problem geklärt ist. In einer halben Stunde weiß ich mehr. Wiederschaun.“

Als Müller das Büro seines Chefs betrat, telefonierte dieser gerade: „…ja, leider Gottes ist das notwendig und wurde in den Konzernrichtlinien so niedergeschrieben, nicht einmal ich als Chef der IT-Abteilung komme ohne Diebstahlsicherung zwischen PC und Monitor aus, da sitzen wir alle im selben Boot. Ich hoffe, Sie können trotzdem so bequem und ungestört wie möglich weiterarbeiten. Wiederhören.“
Müller schaute seinem Chef leicht grinsend mit hochgezogenen, fragenden Augenbrauen in die Augen: „Ja, Herr Müller, manche Leute vertragen die Wahrheit nicht, aber wenn er glücklich damit ist, dass ich ihm den selbstgeglaubten Schwachsinn bestätige, und er mich dann in Ruhe lässt, bin’s ich noch mehr.“ Kopfschüttelnd und lachend verließ Müller den Raum.

Am nächsten Tag in der Früh läutete wieder das Telefon und Müller verdrehte die Augen, als er „Michael Merx“ auf dem Display seines Telefons aufblinken sah: „IT-Abteilung Müller, guten Tag. Alles in Ordnung mit Ihrem Bildschirm?“
„Natürlich nicht. Gestern hat alles wieder funktioniert, nachdem ich die Diebstahlsicherung wieder angesteckt hatte und heute in der Früh komme ich ins Büro und der Bildschirm ist schwarz.“
Müller konnte sich nicht beherrschen: „Haben Sie den Bildschirm denn eingeschaltet, Herr Merx?“
Blankes Entsetzen war am anderen Ende der Leitung zu hören: „Na selbstverständlich, oder halten Sie mich für den absolut letzten Vollidioten?“
Müller musste seine gesamten ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen an Selbstbeherrschung aufbieten, um nicht ehrlich zu antworten. „Na dann drehen Sie Ihren Bildschirm bitte einmal ab.“
Nervöses Herumgeruckel war zu hören: „Wenn Sie meinen, Moment …………. JA, jetzt funktioniert er wieder, aber irgendwie ist das doch schon sehr komisch, dass man ein Gerät abdrehen muss, um es einschalten zu können. Liefern Sie ausschließlich defekte Geräte aus, oder wie ist das?“
Mit einem freundlichen Lächeln sprach Müller nun ins Telefon: „Aber nein, wobei Sie bestimmt intelligent und flexibel genug sind, um mit so einer kleinen Umgewöhnung umgehen zu können. Für einen Mann Ihres Formates ist das doch bestimmt eine Kleinigkeit.“ Stolz und angenehm gebauchpinselt sprach Merx: „Ja, da haben Sie natürlich recht. Dann danke ich Ihnen für den kleinen Tipp. Wiederhören.“

Lukas Lachnit
Kurzgeschichten: fiktiv, enorm, abnorm | Fleischlabel ©2011

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Wahrnehmen

Nicht alles was ich sehe siehst du auch so.
Ich sehe mich.
Du siehst mich.
Ich sehe dich.
Du siehst dich.
Ich sehe was ich wahr-nehme, was ich für meine Wahrheit halte.
Ich sehe meine eigene Geschichte.
Alles was ich gelebt und erlebt habe.
Meine gesammelten Erfahrungen.
Meine Erziehung.
Genauso wie du das Deine wahrnimmst, erlebst und lebst.
Mit deinen ganzen Erfahrungen.
Ich sehe dein Leben mit meinen Augen.
Du siehst mein Leben mit deinen Augen.
Ich versuche, dein Leben mit deinen Augen zu sehen.
Und versuche du, mein Leben mit meinen Augen zu sehen.
Dann kommen wir weg von Bewertungen.
Versuchen wir, die Augen zu schließen.
Versuchen wir, die eingeprägten Bilder zu verändern.
Versuchen wir, im Jetzt und Heute zu sein.
Versuchen wir, mit dem Herzen zu sehen.
Dann können wir liebevoll verwandeln.
Und ich sehe dann plötzlich ganz anders aus.
Du siehst plötzlich ganz anders aus.
Vielleicht kannst du mich erkennen, als das, was ich bin.
Vielleicht kann ich dich dann erkennen als das, was du wirklich bist.

Vielleicht ist das dann Freiheit.

An dieser Stelle sage ich Danke, an all die Menschen in meinem Leben, die einfach so sind wie sie sind.

Manuela Johanna Holl

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 15019




Ein anderer mag in dir etwas auslösen

Ein anderer mag in dir etwas auslösen –  was du magst.
Er kann in dir etwas auslösen – was du nicht magst.
Nur du hast die Wahl.

Er mag dich verletzen.
Nur du setzt deine Grenzen.
Nur du sagst, wo dein Schmerz beginnt.
Nur du sagst, wo dein Schmerz aufhört.
Oder ob er überhaupt beginnt.

Er mag über dich denken und reden, was er mag.
Nur du entscheidest, ob du an dem Drama teilnehmen willst.
Er mag dich zum Davonlaufen auffordern.
Nur du entscheidest, in welche Richtung du laufen magst.
Oder ob du bleiben willst.

Er mag dich zum Weinen bringen.
Nur du entscheidest dich für deinen eigenen Schmerz.
Oder ob du deine Tränen zum Klären deiner Sichtweise benutzt.
Und ob du dein Denken wieder in deine dir eigene Richtung lenken magst.

Der andere mag sein wie er ist, mit all seinen Eigenheiten.
Nur du bestimmst, wie du sein magst.
Tu einfach was du magst.
Sei nicht wie die anderen.
Sei nicht wie dich die anderen haben wollen.

Lebe du dein Leben!

Manuela Johanna Holl

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 15021




Alles in Ordnung ?!

Was für eine Frage! Kann denn alles in Ordnung sein??!!
Will ich denn Ordnung?? Oder ist sie mir zu anstrengend, zu kleinkariert, ist sie nur etwas für Omas, für penible Menschen, für Unkreative, für Langweiler, für strenge Menschen, für Leute, die keinen Platz haben, sei es in ihren Wohnungen, Häusern und in ihren Köpfen und Seelen?

Meine Freundin Ilse sagt: „Ich brauche mein Chaos, nur dort fühle ich mich wohl. Ordnung ist was für Faule!“ Sie bezeichnet sich als kreativ und frei.
Aber in unseren Gesprächen beklagt sie sich entweder darüber, etwas nicht zu finden, einfach verlegt zu haben. Sie sei nicht bei der Sache, wisse nicht, was sie anzuziehen hätte, finde das Passende nicht, hätte keinen Platz zum Malen, denn das Zimmer sei zu klein, jammert über ihre Angst, einen Mann zu finden, der sich dann auch noch breit machen könnte in ihren vier Wänden und und und.
Also – was ist sie nun, die Ordnung??

Ich riet ihr, nicht nur als Freundin, einmal mit ihren Kleiderschränken anzufangen und bot ihr an zu helfen, sozusagen als Therapie- und Lach-Stunde. Wir packten es an – im wahrsten Sinne des Wortes.
Wir teilten ein in Winter und Sommer. Und schon bei diesem ersten Sortieren fiel ihr auf, dass es da einige Dinge gab, die sie gar nicht mehr mochte, ihr nicht mehr gefielen, nicht weil sie aus der Mode waren, sondern einfach nicht mehr ihren Vorstellungen von dem entsprachen, wie sie sich kleiden wollte, nicht mehr dieses schreiende Gelb, es gefiel ihr der Pulli im warmen Maisgelb viel besser, und dabei fielen einige Dinge auf einen eigenen Haufen, den wir dann zum Kleidercontainer bringen wollten. Er wuchs und bekam den Namen Otto – und Otto wuchs!!
Meiner lieben Ilse wurde klar, hier sind Kleidungsstücke, die sie schon jahrelang nicht mehr getragen hatte und bei einigen kamen Erinnerungen hoch. Bei einigen Stücken, die sie in die Hände nahm, die geballte Erinnerung und mit ihr die Tränen.
Sie weinte und ich weinte mit…

Und genau dieses Weinen, diese Tränen bewirkten Erleichterung und reinigten und bereinigten vieles, was sich an Angst und Schmerz festgesetzt hatte.
Sie erkannte, dass ihr Festhalten an den Dingen, die sie im Grunde gar nicht mehr brauchte, eng machte.
Die Tränen reinigten sie von der Furcht, es käme nichts mehr nach. Es kommt nichts nach, wenn ich etwas weggebe.
Aber genau das Gegenteil tritt ein.
Dann hat das Neue eine Chance einzuziehen!
Wenn ich mich trenne, dann halte ich nicht mehr fest, wenn ich nicht festhalte, kann etwas in Bewegung kommen.
Ich gebe her, was ich nicht mehr brauche.
Auch dazu gehört viel Mut.
Wenn ich den Mut habe, Platz zu machen, dann entsteht vorerst Leere und diese Leere kann ich neu füllen. Ich machte Platz für Neues und für Besseres.

Wir machen eine Flasche Prosecco auf und stoßen auf Otto an. Er schaut uns gar nicht mehr so vorwurfsvoll an. Vielleicht macht er ja einem anderen Menschen Freude.
Und wir stoßen auf das Leben an – auf das Leben, das immer wieder neu gefüllt werden darf.
Und auf die Ordnung. Denn das Leben ist in Ordnung, so wie es ist.
Wir sind in Ordnung, genauso wie wir sind.

Manuela Johanna Holl

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 15020




Und Stefan stieg in den Bus

Und Stefan steigt in den Bus.
Endlich entspannen!
Die tägliche Fahrt von seiner Firma nach Hause ist für ihn wie ein Ritual.
Wie eine Meditation. Über eine Stunde hat er Zeit, der Realität zu entfliehen.
Dieser Welt mit diesem ständig unter Strom stehenden Chef.
Und diesen stupiden Arbeitskollegen mit ihren oberflächlichen Witzen.
Er lacht nur mit, weil er nicht als totaler Außenseiter gelten will.
Stefan zeigt seine Jahreskarte und bewegt sich in Richtung hinteren Teil des Busses, so wie jeden Tag.
Er hasst diese Blicke. Aber er liebt es, andere die einsteigen auch genau zu mustern.
Immer die üblichen Verdächtigen:
Der Typ um die vierzig mit den schicken Klamotten. Der muss irgendwas Besseres sein.
Dieser Halbstarke mit seinem Piercing sitzt auch immer am selben Platz.
Stefan zieht seinen Bauch ein, als er bei der hübschen Blondine vorbeigeht. Wieder sieht sie nicht mal her.
Die alte Oma mit den zwei Taschen fährt nur einmal die Woche, immer dienstags, sicher zu ihren Enkeln.
Natürlich setzt er sich rechts ins hintere Drittel, das ist der beste Platz im Bus.
Erstens setzen sich nachkommende Schüler immer ganz hinten hin, zweitens blendet die Sonne von links, und drittens sieht man, wer hinten so alles wieder aussteigt.
Ja, das ist definitiv der beste Platz!
Stefan setzt sich entspannt und glücklich, als ob es sein Wohnzimmersessel wär.
Das ist fast schon ein Teil seines Lebens. Rechts hinten im Bus. Das hat was!
Er nimmt sein Buch heraus und beginnt zu lesen.
Die ersten zwei Haltestationen nimmt er nicht mal wahr, so vertieft ist er in seinen Roman.
Inzwischen wechseln die wenigen Fahrgäste, so wie üblich. Der Takt des Lebens. Blinker, Bremsen, Tür auf PFFFT.
Stefan nimmt das gar nicht mehr richtig wahr. Aber diese vertrauten Klänge tragen zu seiner Entspannung bei.
Und dann passiert das, was ihm immer Unbehagen bereitet. Was ihn immer kurzzeitig aus seiner Konzentration reißt.
Es setzt sich jemand vor ihn. Und dann auch noch ein Kind.
Stefan zuckt kurz mit dem Kopf nach links, ohne hochzuschauen. Eine Art Nein, muss das sein, das ist mein Bereich!
Er blättert um. Weiter gefesselt von dem Buch.
Der Junge um die zehn Jahre dreht sich plötzlich um, kniet sich auf seinen Sitz und sieht ihn an.
Stefan schwenkt mit den Augen kurz nach oben, ohne den Kopf zu heben und liest irritiert gleich weiter.
Einfach nicht beachten.
Der Junge schiebt sich einen Kaugummi in den Mund und beginnt laut zu schmatzen, die Augen weiter auf ihn gerichtet.
Stefan wird nervös. Er tut nur so als ob er liest, denn natürlich kann er sich nicht mehr konzentrieren.
Und es kommt so wie es kommen muss, der kleine Mann formt mit seinem Kaugummi eine große Blase – BFLOBB.
Wenn er nicht grundlegend schüchtern wäre, würde Stefan ihn anreden, aber ignorieren ist besser, irgendwann muss er sich doch wieder hinsetzen.
Stefan spürt, wie er verkrampft. Dieser Tag ist anders!
Der Bus bleibt stehen und tatsächlich, der dumme Bengel steigt wortlos aus.
Ein leises, siegreiches JA kommt über seine Lippen.
Stefan spürt, wie er wieder entspannt in den Sitz zurücksinkt.
Doch seine Augen treffen zwangsläufig auf den gerade eingestiegenen dicken Typen mit der Lederjacke, der nach hinten trottet.
Los, setzt dich doch, ist alles frei. Wieso geht der so weit nach hinten?
Bei seinen Schritten spürt Stefan, wie sich der Boden bewegt. Er mag keine dicken Menschen.
Sport hat er nie wirklich gemacht, es müssen seine Gene sein oder seine Schilddrüse, warum er immer so dünn war.
Wieso, verdammt, setzt der sich nicht einfach irgendwo da vorne hin?
Klar, natürlich setzt er sich genau hinter Stefan.
Er zieht die Mundwinkel nach unten und runzelt die Stirn. So ein Scheißtag!
Na wenigstens hat er sein Buch. Wieder versetzt ihn seine Phantasie in eine andere Welt, als er plötzlich von lautem Gehuste aufgeschreckt wird.
Das darf doch nicht wahr sein, der fette Typ hinter ihm hustet herum, verbreitet seine Bazillen und hält sich vermutlich nicht mal die Hand vor den Mund.
Stefan überlegt kurz, den Sitz zu wechseln, aber das wär einfach zu auffällig.
Diese verdammte Schüchternheit! Er hat das nie verstanden, wie andere Menschen das so locker nehmen können, einfach so aufzustehen.
Der dicke Mann mit der Lederjacke hustet weiter und beginnt, sich auch noch zu schnäuzen.
Stefan klappt frustriert das Buch zu. So macht das einfach keinen Sinn.
Zum ersten Mal blickt er aus dem Fenster… und… und ein Schock durchfährt ihn.
Was ist das für eine Gegend? Hier war er ja noch nie!
Er ist in einer Zehntel Sekunde hell wach.
Sein Gesicht zieht sich nach unten und Gänsehaut überzieht seinen ganzen Körper.
Stefans Puls rast hoch und hundert Fragen schießen ihm durch den Kopf.

Plötzlich schreit der Busfahrer laut nach hinten: „Endstation“
Robert hört auf zu lesen, klappt sein Buch zu und steigt aus dem Bus.
Er freut sich schon, morgen weiter zu lesen.
Der arme Stefan, wo ist er bloß gelandet?

Habibi777

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs | Inventarnummer: 14033




Every fucking day

Bin ich denn für alles zu dumm,
denke ich
und laufe im Badezimmer herum.

Den Wecker hörte ich nicht,
ich bin zu spät,
wo liegt nur dieses Aufladegerät?

Warum aber auch nichts klappen will?
Mein Herz, das pocht, mein Hirn steht still.

Das Make-up ist leer,
der Lippenstift auch,
die Wimperntusche alt,
auch das Ding, mit dem man den Lidstrich malt.

Ich werfe alles weg,
rein in den Müll,
wie auch die Beziehung,
die er nicht mehr will.

 Warum aber auch nichts klappen will?
Mein Herz, das pocht, mein Hirn steht still.

 Jedes verdammte Kleidungsstück hat einen Fleck,
ist nicht meins oder verkümmert im Eck.
Ich greife wahllos zu,
ist sowieso egal, was ich noch tu.

 Scheiß auf die Schminke,
vergiss diesen Mann,
denk ich mir,
das Leben geht voran.
Ich glaube nur selber nicht daran.

Warum aber auch nichts klappen will?
Mein Herz, das pocht, mein Hirn steht still.

Sarah Krennbauer
Weitere Veröffentlichungen:
im Unimagazin MOSAIK (Ausgaben 1, 2, 3, 5, 6 und 7)
Kurzgeschichte „Egotomi“ in: Anthologie Oberhorror, Chaotic Revelry Verlag

www.verdichtet.at | Kategorie: Vorhang auf für den Nachwuchs| Inventarnummer: 13027