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Schneeschippen

Es war sechs Uhr morgens und man schickte uns Schnee schippen. Walther und ich nahmen uns beide eine große Schaufel und traten hinaus. Der eisige Wind schnitt uns unangenehm ins Gesicht. Und es schneite noch immer. Die ganze Nacht über waren dicke Flocken vom Himmel gefallen, die Schneedecke war jetzt beinahe kniehoch. So hatte ich das noch nie erlebt.
„Scheiße“, sagte Walther und zog sich die Mütze tiefer ins Gesicht. Ich wusste, dass Walther Schnee schippen hasste, erst recht um diese Uhrzeit. Wir teilten auf, wer welchen Bereich übernahm und begannen dann mit der Arbeit. Die Gäste schliefen um diese Zeit alle noch, nur die Angestellten waren wach und bereiteten das Frühstück vor.
„Wenn das so weitergeht, sind wir den ganzen Tag damit beschäftigt“, sagte Walther und steckte seine Schaufel in den Schnee. Der kleine Platz wurde von der Leuchtschrift des Hotels Bergspitze etwas erhellt, die Laternen würden erst in einer halben Stunde damit beginnen, ihr Licht zu spenden. Die Bergspitze war für die Gegend ein verhältnismäßig großes Hotel, das allerdings nur im Winter wirklich Gewinn abwarf. Die Geschäftsführung hatte deshalb beschlossen, den Betrieb im Sommer einzustellen. Die Gäste kamen nur, wenn die Luft kalt und die Berge weiß waren. Ich hob Schnee, er war nass und schwer, auf meine Schaufel und begann, einen Weg freizulegen.
„Ich hasse das“, hörte ich Walther sagen. Walther und ich waren so etwas wie die Hausmeister in der Bergspitze, manchmal etwas mehr, so genau wussten wir das auch nicht. Wir reparierten Kleinigkeiten, putzten ab und zu die Fenster und Flure und in der Nacht übernahmen wir von Zeit zu Zeit die Rezeption.

Nach einer halben Stunde begann ich zu schwitzen. Das Unterhemd klebte an meinem Rücken und mir war heiß unter meiner Mütze. Wir arbeiteten noch eine Weile weiter, dann beschlossen wir, eine Pause zu machen und etwas essen zu gehen. Ich hoffte, dass es bald aufhören würde, zu schneien, stellte meine Schaufel an eine Wand und klopfte mir den Schnee vom Mantel.
Das Brot war noch warm und wir schnitten dicke Scheiben ab. Walther nahm sich viel Butter und während er kaute, fuchtelte er mit der freien Hand in der Luft und sagte, dass man sicher bald mit dem Lawinensprengen beginnen müsse.
„Skifahren will man ja immer“, sagte er, schüttelte den Kopf und nahm sich noch ein Stück Brot. Hier waren schon einige Lawinen heruntergekommen, aber in dieser Saison war es bis jetzt ruhig gewesen. Wir blieben noch einen Moment sitzen und wärmten unsere Hände an der Teetasse auf.
„Komm“, sagte Walther schließlich und stand auf.
„Wir müssen weitermachen.“

Schweigend arbeiteten wir in der Kälte und sahen durchs Fenster, wie die ersten Gäste langsam in den Frühstückssaal kamen und sich für den beginnenden Tag stärkten. Die meisten trugen Pullover mit farbigen Strickmustern. Ich hatte nie verstanden, warum diese Pullover immer so hässlich aussehen mussten. Ab und zu hörten wir ein tiefes Grollen und ich hob den Kopf.
„Siehst du?“, sagte Walther und stützte sich auf seiner Schaufel ab. Sie hatten mit dem Sprengen begonnen. Bald stapften die ersten in ihren schweren Skischuhen aus dem Gebäude und zogen sich ihre Handschuhe über.

Walther und ich arbeiteten ohne Unterbruch bis zum Mittag. Er kramte in seiner Jackentasche nach seinen Zigaretten und bot mir eine an. Dankend nahm ich an und wir setzten uns auf die kleine Bank etwas abseits des Gebäudes.
„Ich überlege zu kündigen“, sagte Walther und sah in den bewölkten Himmel.
„Warum?“
„Wir tun immer nur das Gleiche.“
„Tut man das nicht überall?“
„Keine Ahnung“, sagte er, zog an seiner Zigarette und behielt den Rauch einige Sekunden zurück. Dann blies er ihn aus.
„Keine Ahnung“, wiederholte er. Wir schwiegen, bis ich aufstand und fragte, ob er auch etwas zu Mittag essen wolle. Er nickte und wir gingen.

Das Wetter wurde etwas besser im Verlauf des Tages und einzelne Sonnenstrahlen durchbrachen die dichte Wolkendecke. Wir hatten es tatsächlich geschafft, den Schnee wegzuräumen. Zufrieden saßen wir wieder auf der Bank und blickten auf die verschneiten Berge.
„Weißt du, worauf ich Lust habe?“, fragte Walther und schlug die Beine übereinander. Ich sah ihn an und wartete auf eine Antwort.
„Da wäre ich jetzt gerne. Genau da“, sagte er und zeigte auf eine Stelle im Gebirge, von der nur er wusste, wo genau sie lag.
„Eine schnelle Fahrt auf den Brettern. Ja, darauf hätte ich jetzt Lust.“ Er fuhr mit dem Finger eine Strecke ab, dann nahm er seine Hand herunter und vergrub sie in der Hosentasche.
„Warum nicht?“, fragte ich. Ich hatte das Gefühl, ich müsste ihn darin bestärken, heute noch auf die Piste zu gehen.
„Viel Arbeit fällt nicht mehr an. Das schaffe ich auch alleine.“ Ich machte eine Pause.
„Wenn du willst, kannst du ruhig gehen.“
Walther antwortete nicht. Ich sah, dass er überlegte.
„Also gut!“, sagte er und stand auf. Ich freute mich über das Leuchten in seinen Augen.
Während Walther sich bereit machte, holte ich mir einen Tee und überlegte, was heute noch zu tun war. Im Keller war eine defekte Glühbirne auszuwechseln und im dritten Stock musste ich einen kaputten Schrank reparieren.

Zehn Minuten später marschierte Walther in voller Ausrüstung auf mich zu.
„Na dann!“, sagte er, hob seine Skistöcke zum Gruß in die Höhe und schulterte die Bretter. Walther war ein erfahrener Fahrer und kannte sich gut aus. Er würde seinen Spaß haben.
„Na dann!“, gab ich zurück. Ich blieb sitzen und sah ihm nach, bis er hinter den Häuserreihen verschwunden war. Draußen war es kühler geworden und ich zog den Schal etwas enger um den Hals. Dann stand ich auf und entschied mich dazu, als erstes die Glühbirne auszuwechseln. Ich fand noch einige andere Kleinigkeiten, die zu erledigen waren und die Walther übersehen hatte. Ich glaubte nicht daran, dass Walther kündigen würde. Er war nicht der Typ dafür, sich in eine Veränderung zu stürzen. Er mochte die Beständigkeit. Ich sah aus dem Fenster und merkte, dass es wieder angefangen hatte, zu schneien. Vielleicht lag schon wieder etwas Schnee auf dem Weg. Ich holte die Schaufel und schritt auf den Platz hinaus. Viel war es nicht und ich hatte es schnell zur Seite geschippt. Plötzlich hörte ich ein tiefes Grollen. Erst dachte ich, es sei ein Gewitter, doch das Geräusch kam mir seltsam bekannt vor. Es klang so, als hätte man noch einmal eine Lawine gesprengt. Ich ging ins Hotel zurück und wollte Walther anrufen.

Emmanuel Heman

www.verdichtet.at | Kategorie: an Tagen wie diesen … | Inventarnummer: 14010

 

 




sand auf dem bauch

auch dir rinnt der sand durch die finger
auf meinen bauch wo du ihn verstreichst
im schatten der strandkörbe
wünschten wir uns die sonne
treibe als wasserball im meer
und wir versuchen die möwen
mit brot zu locken
zwischen zwei flügelschlägen
löst sich ein gedanke
und zerrinnt wieder
mit dem sand auf dem bauch

Emmanuel Heman

www.verdichtet.at | Kategorie: Kleinode – nicht nur an die Freude | Inventarnummer: 14009