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Geschichten, die das Leben speit IV – Bottrop

Ich hatte Jochen kennengelernt, als ich erst vierzehn war, sagt Britta. Er war mein erster Mann. Mein Mann verdient sehr gut, sagt Britta nicht ohne Stolz zu ihren Freundinnen, wenn die Rede auf Jochen kommt. Die beiden Söhne sind schon längst aus dem Haus und Jessica ist ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Jochen und ich schlafen dreimal die Woche miteinander, sagt Britta ganz im Vertrauen. Er ist ein ganzer Kerl und fast immer für seine Söhne da. Daß er ein Verhältnis mit seiner Sekretärin hat, nimmt sie seit zwanzig Jahren in Kauf. Britta hatte in all den Jahrzehnten noch nie einen richtigen Höhepunkt mit Jochen erlebt, als die Coronakrise ihr Leben völlig auf den Kopf stellt.

Elmar Mayer-Baldasseroni
https://elmarmayerbaldasseroni.wordpress.com/

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 20051

(Auf Wunsch des Autors wurde bei diesem Text auf manche Lektoratskorrektur verzichtet und der Text großteils im Original belassen.)




Geschichten, die das Leben speit – Bonustrack 2

Der Priester setzt nach der Predigt während des Hochamtes Folgendes auseinander: “Liebe Kinder! Haben wir nun ein Rätsel. Wo ist die Heiligenfigur auf der Titelseite unseres Pfarrblattes zu finden, hm? Noch einmal: Wo gibt es hier in der Kirche dieses Foto zu sehen? Das ist unser heutiges Rätsel!“

Plötzlich erhebt sich eine junge Dame Mitte sechzig aus den hinteren Reihen und schreit nach vorne: „Mariusz, das ganze Leben ist ein Rätsel!“

Der Priester: „Was? Was meinen Sie bitte?“ Sie erwidert amüsiert: „Hast schon richtig gehört! Das ganze Leben ist ein Rätsel! Haha!“ Sie lacht, steht auf und geht.

Elmar Mayer-Baldasseroni
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www.verdichtet.at | Kategorie: schräg & abgedreht | Inventarnummer: 20050




Geschichten, die das Leben speit – Bonustrack 1

Der damals amtierende Bundeskanzler verspürte seit geraumer Zeit ein leichtes, aber ansteigendes Gefühl der inneren Verstimmung. Er fragte sich, warum er sich all das seit frühester Jugend antat. Die Parteitage am Sonntag, während andere Rabauken Drachensteigen gingen, die bösen Karikaturen in der Zeitung, während andere privat ihre Ruhe hatten. Die vielen Sitzungen bis in die Nacht. Er wollte das Land retten, aber auch einfach Mensch sein, die Füße in den Sand stecken, mit seiner Gemahlin über den Lido bummeln. All die Verantwortung, all die Last. Er überlegte einen spontanen Rücktritt, aber den Lido gab es ebenso wenig mehr wie irgendeinen Staat oder sonst irgendetwas, von Flugzeugen oder Zügen ganz zu schweigen.

Elmar Mayer-Baldasseroni
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www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 20049




Geschichten, die das Leben speit III – Die Patriziertochter

Die wohlhabende, platinblonde, 1,65 Meter große junge Lisa (die eigentlich Elisabeth heißt und aus einer alten Patrizierfamilie stammt) aus der Landeshauptstadt I. besucht eine Privatlesung in einer Almhütte (Chalet) in der Nähe von Brixen in Südtirol. Drinnen sind schon alle drei geladenen Gäste zugange, selbstgemachte Liptauerbrötchen werden zu Musik vom MP3-Player auf IKEA-Servietten gereicht. Die Gastgeberin ist in einen Traum von Pradiori gehüllt, der Künstler selbst trägt einen goldenen Gürtel, auf dem ein „H“ wie „Herren“ prangt.

Lisa hat sich vorher ordentlich angesoffen, denn alleine möchte sie trotz ihres nagelneuen fetten weinroten Maserati Quattroporte nirgends gerne hinfahren. Daß sie in Brixen gegen die Einbahn gefahren ist, haben ihr die besorgten Passanten liebevoll nachgesehen, auch, daß sie quer über dem Gehsteig geparkt hat, denn ihre Familie sitzt hier quasi seit zweihundert Jahren im Gemeinderat. Und mit einem solch schönen Wagen hat man einfach Narrenfreiheit in Brixen-City, lallt Lisa übers ganze Gesicht, genauso wie in Innsbruck, bevor sie ihren Boliden hinauf auf die Alm jagt.

Ehrlich gesagt ist sie ein wenig in den Ferdi, den jungen Künstler, unglücklich hoffnungslos verliebt, aber das sind ja eh alle drei, die zur Vernissage gepilgert sind. Türe auf, Handkuß, meine Verehrung, ein irrer Blick, noch schnell ein Glasl Prosetscherl, die fade Rede vom Ferdl. Die Lisa grinst ihn an, geht dann zur Gastgeberin, gibt ihr ihr halbleeres Glasl und sagt: „Wollen S’ einmal kosten, ha?“ Diese lehnt ab, dann sagt sie nochmals zu ihr: „Warum machen Sie das alles eigentlich, ha?“, plötzlich klatscht es laut! – Die Lisa hat’s aufgh’aut, es hat ihr die Haxen herausgerissen und sie sitzt plötzlich auf ihrem nicht unstattlichen Gesäß.

Der Ferdl bedeutet der Gastgeberin, daß die Lisa wieder besoffen sei, die Cousine von der Gastgeberin ruft die Bergrettung und stammelt etwas von einem „Schwächeanfall“, die Lisa selbst sitzt am Boden und gluckst. Als die Rettung nach zehn Sekunden da ist, weigert sich die renitente Lisa, mitzufahren! „Na! Laßt’s mi! Sauerei! Es Beidln! Schiebung!“ Da müssen plötzlich Soldaten der italienischen Sondereinheit der Alpini herangerufen werden, um die Lisa in den Rettungspinzgauer zu verfrachten. Der erzwungene Alkotest ergibt X,X Promille. Lisa hatte beim Herauffahren auch den Gott sei Dank leeren Jauchesilo eines Schweinebauern mitgenommen und die Fäkalien hängen ihr vorne von der zerschrammten Maserati-Kühlergabel.

Am nächsten Morgen erscheint Lisa putzmunter mit frisch ausgepumptem Magen und pilotiert ihren demolierten Maserati punktgenau aus der Parkposition zurück auf die Autobahn ins ferne Ungarn, wo sie ein stattliches Weingut geerbt hatte.

Elmar Mayer-Baldasseroni
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www.verdichtet.at | Kategorie: fest feiern | Inventarnummer: 20048

(Auf Wunsch des Autors wurde bei diesem Text auf manche Lektoratskorrektur verzichtet und der Text großteils im Original belassen.)




Geschichten, die das Leben speit II – Der Herr Nachbar

„Komm heraus, Du Wolf! Heraus mit Dir!“ schrie der mit Anabolika bis oben hin vollgepumpte Türstehernachbar und klopfte dabei mit beiden Hammerfäusten wie rasend an die dünne Genossenschaftswohnungsaußentür der zarten rothaarigen Physiotherapeutin Dorli. Dabei pumperte er wie ein Besessener völlig irr hämmernd an die dünne Spanplattentür mit weißen Plastikfurnieren. „Heraus, Du Wolf!“ Dorli war schockiert und stand wie in Schockstarre im Gang, während der Irre draußen brüllte wie am Spieß. Plötzlich krachte es, die Türe splitterte und seine dicke gedopte Kraftsportlerfaust steckte mitten im Türblatt. Unvermittelt griff dieser abgefahrene Henker dann nach innen und öffnete dabei die Türverriegelung und verschaffte sich gewaltsam Einlaß zur 32-m²-Single-Wohnung der Kärntner Landesbediensteten, die schon so manchen Falott das Flüchten gelehrt hatte.

Dorli nach dem Geschehnis im Originalton: „Anabolika – Du wirst zum Stier und kannst Di nimmer kontrollieren!“

Als er wutschnaubend auf Dorli loszugehen drohte, faßte sich diese ein Herz und erinnerte sich an ihre Nahkampfausbildung als Hauptschullehrerin in Klagenfurt-Viktring: Sie packte den Strolch fest an den Eiern, zwickte ordentlich zusammen und sah ihm schnürlgerade in die Augen: „Laß mich in Frieden, Du Beidl, hörst Du?“ Da wurde Mr. Anabolika plötzlich munter und erwachte aus seinem Tablettendelirium, machte kehrt und sagte: „Und des ane sog i Dir: De Tür ersetz i Da!“

Elmar Mayer-Baldasseroni
https://elmarmayerbaldasseroni.wordpress.com/

www.verdichtet.at | Kategorie: schräg & abgedreht | Inventarnummer: 20047

(Auf Wunsch des Autors wurde bei diesem Text auf manche Lektoratskorrektur verzichtet und der Text großteils im Original belassen.)




Geschichten, die das Leben speit I – Wiener Altweibersommer

Esmeralda trug nicht nur einen extravagant famosen Namen, sondern nannte auch einen betörend schönen Mädchenkörper und ebenso formidable Formen ihr Eigen. Es gebrach ihr nicht an atemberaubender Schönheit, ihre dunklen Locken fielen in wundersamen Wellen von ihrem Haupte herab. Esmeralda studierte in Wien und fand eine günstige Bleibe in der Inneren Stadt in der Basiliskengasse, wo der Sage nach eine teuflische Echse ihr Unwesen getrieben hatte. Ihre Vermieterin war freundlich und voll der Wienerischen Aufrichtigkeit, Herzlichkeit und Höflichkeit gewesen, sie trug das sogenannte Goldene Wienerherz sicher am rechten Fleck.

Eines Tages kam sie nach den Vorlesungen in ihr Neun-Quadratmeter-Zimmer heim und mußte entdecken, daß ihr Bettchen absolut von oben bis unten klitschnaß vollgepißt war, jemand mußte ihre Bettstatt systematisch von oben bis unten vollgebrunzt haben wie aus Kübeln und Kanistern, wieder und wieder, kein normaler Mensch konnte so viel Urin in seiner Blase halten, das mußte schon der riesenhafte Basilisk selber gewesen sein, ein wahres Monstrum.

Als Esmeralda damit ihre gutkatholische Vermietersfrau konfrontierte, lief diese zunächst rot an, unterdrückte ein Grinsen und meinte schließlich, dies konnte nur ihr böser Kater Emil verbrochen haben, dieser pelzige Lauser, es tue ihr recht leid. Esmeralda nahm die Entschuldigung an und kam insgeheim ins Grübeln – wie konnte diese Handvoll eines süßen Kätzchens, der siebenwöchige kleine weiße Kater Emil, Gallonen von nach Whisky stinkender Pisse fabriziert haben, wo doch die Türe stets verschlossen gewesen war und alle Welt wußte, daß Madame Basilisk einen Hang zu alten schottischen Destillaten hatte?

Seltsam, aber so stand es geschpieben.

Elmar Mayer-Baldasseroni
https://elmarmayerbaldasseroni.wordpress.com/

www.verdichtet.at | Kategorie: schräg & abgedreht | Inventarnummer: 20046

(Auf Wunsch des Autors wurde bei diesem Text auf manche Lektoratskorrektur verzichtet und der Text großteils im Original belassen.)




Liberté complet

PROLOG

„Weißt Du, wo hier die nächste öffentliche Toilette ist?“, grinste der Mittvierziger das blonde zarte Mädel mitten im Grünen schelmisch an. Sie verneinte, seine Hosen färbten sich vom Schritt hinab dunkel, und es ergoß sich ein Lackerl über seine Schuhe. Er mußte wohl vorher literweise getrunken haben, um genau diesen Effekt zu erzielen.

Eine – nennen wir sie eine Art von Freundin von mir, es tut nichts zur Sache – erzählte mir unlängst davon. Eine wahre Begebenheit, nichts davon erfunden oder beschönigt.

„Oh, zu spät!“, lachte er dann, sich dabei den Bauch haltend und scheinbar ungläubig immer wieder auf sein Hosentürl blickend. Er hatte es darauf abgesehen gehabt, so meine Art Freundin. „Zu spät!“, „Ha ha“, lachte er, während seine Hosen klitschnaß geworden waren. „Zu spät!“, lachte er immer wieder wie ein Irrer, „Zu spät, haha!“. Ob er sie auf einen Kaffee einladen könne, sie verneinte dankend. Seltsam? Aber so steht es geschrieben. Er empfand Wonne dabei, sie Abscheu und auch ein wenig Angst, die wenigstens durch ihre beiden kräftigen Hunde gedämpft werden konnte. Im Beisein der beiden Hunde und dieser Art von Freundin ließ er alles los. Er befreite sich. Es war Absicht, so dürfen wir alle annehmen.

 

LIBERTÉ!

>Be-kennt Euren Glaa-hau-ben … Wir glauben an die eine katholische und apostolische Kirche …< So tönt es gerade aus dem Radio. Nachnationaltagsfeiertagssonntagsradiogottesdienst neben einem weichen Ei und etwas Ingwertee. >Gott unser Vat-haaa! Wir bitten Dich, erhöre uns …<

Doch was war zuvor geschehen? Wer hatte mich gestern erhört und angenehm verstört? Es war Viennale und es war Albert Serra, mein Lieblingsregisseur, ich war gepilgert, und er war gekommen. Ganz in Schwarz, wie seine Filme, ein weißes Hemd, darauf eine dunkelblutrote Krawatte. Der Katalane. Der Guru. Schon vor sechs Jahren hatte ich – damals noch Viennalennovize – durch eine damalige gewesene sogenannte Lebensabschnittskurzpartnerin auf das Filmfestival aufmerksam geworden, einen seiner Filme ausgewählt. Es war weiland das historische Metrokino, Mitzi (alle Namen von der Redaktion geändert) fadisierte sich, als da fast drei Stunden lang Casanova fraß, schiß, vögelte, dabei genüßlich grinste und schließlich in der Pampa auf den Grafen Dracula traf. Schräger geht’s nimmer. Einige verließen den Kinosaal, Mitzi verzog das Gesicht, seufzte, lugte andauernd auf die Uhr, ich aber genoß. Endlich einer, der die wesentlichen Dinge des Lebens anschaulich machte. Endlich einer, auf den man sich verlassen konnte.

>Betet, Schwestern und Brüder, daß mein und Euer Opfer Gott dem Allmächtigen gefalle.<

Casanova, mit weiß auftoupierter Perücke, grienend Hühnerkeulen und knackende Hummer schmatzend, gepudert, zartrosa Rüschenhemd, Schönheitspunkt, von hinten eine Mätresse belebend und anschließend beim Stuhlgang gesichtet. Dracula als das Ende der Welt. Der ganze Kreislauf des Lebens in all seiner Schönheit eingefangen.

Albert Serra gestern in der Urania. LIBERTÉ. Ich wußte und wir alle wußten, was wir erwarten dürften. „I guess you all know what is expecting“ so der Maestro launig-trocken vor der Vorführung.

>Nehmet und esset alle davon, das ist mein Leib, der für Euch hingegeben wird< tönt es gerade aus der Radiomesse.

„There is some pain, and also sex!“, und Serra lächelte ein wenig.

> … zur Vergebung der Sünden, tut dies zu meinem Gedächtnis.<

Im Viennalefolder hieß es, daß da ein paar Libertins des späten 18. Jahrhunderts wie Vampire kurz vor dem Verdursten durch die Nacht torkeln. „Allerdings sind nicht alle Körper für die eigenen Ideale gebaut. Als Zuschauer wird man zum Voyeur eines bizarren Spektakels, in dem die männliche Potenz zur großen Abwesenheit im lüsternen Halbdunkel einer lüsternen Erwartung wird.“

Es ist Wien, es ist Ende Oktober, die mystisch skorpionische Zeit des Werdens und Vergehens, der Liebe und des Todes hat bereits begonnen. Halloween, das Tor zur Anderswelt, steht kurz bevor. Die Viennale weiß, was sie wann zu bieten hat. Heart-shaped box.

Mitten im Wald, der sich real in Portugal befindet, erzählt ein junger höfischer Gecke frankophon von der Hinrichtung eines der Attentäter (?) von Ludwig XV., der anschließend gevierteilt wurde, „nur sein Kopf schrie weiter bei vollem Bewußtsein. Das konnten sich drei Damen, Herzoginnen im Range, genüßlich nicht entgehen lassen.“ Hieß es da sinngemäß in der Originalfassung mit englischen Untertiteln. Das alles erinnert ein wenig an „Das Parfum“ von Patrick Süskind, ähnliche Epoche, ähnliche Topographie, diverse Hinrichtungsstätten als zentrales Memento mori und als Dreh- und Angelpunkt von Wort und Bild.

Da treffen sich in einer Kutsche le Duc, der Herzog, also der unvergeßliche Helmut Berger in einer Prinzenrolle, und ein Gesandter von Friedrich dem Zweiten von Preußen. Worüber verhandelt wird, ist wurscht. Es geht nicht um die Handlung. Man parliert einmal en Allemand, um dann wieder unvermittelt ins Französische zu wechseln. Alleinegelassen wolle er sein, le Duc.

Da kommen Menschen ins Spiel, dicke, behaarte, zwergenhafte, große, Männer und Frauen. Da wird von Schmerz gesprochen, auch plötzlich auf Italienisch. Herzog Helmut mutiert stante pede zu il duca! „Senta, duca!“ heißt es da salbungsvoll und es verfehlt seine Wirkung nicht. Ebenso wenig wie die Hermann-Nitsch-haften-Szenen, in denen eine junge, splitternackte, an den Händen an einem Baum aufgehängte Maid nächtens mit Kübeln einer weißen, trüben, zähen (eventuell selbstproduzierten, gar anthropogener Provenienz?? …) Soße überschüttet wird und sich unter ihren Schreien und ihrem Betteln nach mehr ein wilder Komparse sein Gemächt an ihr reibt, bis sie unter Winseln und Lustgeschrei, das schließlich in ein wollüstiges Wehklagen mündet, endlich reif wie Fallobst im Oktober auf den kalten Erdboden knallt.

Grausamkeit ist keine Disziplin des Albert Serra. Das sind fleischgewordene sadomasochistische Dämmerungsphantasien, wie sie sich der weiland nackt angekettete Hermes Phettberg, größter genialischer Windelhosenwichser vor dem Herrn, nicht hätte bombastischer ausdenken können.

Da belauern sich dann wieder ein paar junge Mannen minutenlang im Gebüsch, olivenfarben die Haut, quellend der Schritt, um sich dann homophilen Dreierkonstellationen hinzugeben. Doch auch die holde Weiblichkeit kommt nicht zu kurz. Sadovoyeuristische Szenen, lesbische Streichelungsszenarien in Reifenkleidern à la Madame Pompadour wechseln sich ab mit mißlungenen Koitusversuchen und den einhergehenden Bestrafungen erektil dysfunktionaler masochistischer Natur. Albert Serra schöpft aus dem Vollen und läßt hier nichts aus. Dort ein stöhnender (Schein?)-Dreier von zwei dickwänstigen Pagen und einem kleinwüchsigen Voyeur, dort eine exhibitionistische Kopulation in der Kutsche, die sich dann doch bloß als Leckorgie a tergo entpuppt.

Enttäuscht? Iwo. Dafür sorgen dann doch ein paar Lustschreie, wenn der alternde Conte (?) unter bestialischem Gebrüll minutenlang um weitere Züchtigungen mit der Reitgerte bettelt. Sein Arsch ist dabei schon so blutig geknallt wie ein Steak in den ersten Minuten am Grill. Daß das alles echt ist, wird Don Albert später in katalanischem Akzent bestätigen, „the whipping really hurts a lot, i’ve tried it on my leg!“

>Herr unser Gott, gib daß deine Sakramente in uns das Heil entfalten, das wir verlangen, damit wir einst …<

Der Conte (oder sonstwer, ist eigentlich egal und für den Plot komplett wurscht) winselt und man glaubt, daß er bald das Zeitliche segnen wird, weil er so erschaudernd laut heult, wie ein Schwein, das man langsam absticht. „Donnez!“, schreit er weiter, „Gebt es mir! Ich befehle es Euch! Oder wollt Ihr so lächerlich sein wie ich selbst?“, liest man da sinngemäß in den englischen Untertiteln. Ich lache etwas erleichtert, auch, um mich von den harschen Bestialitäten auf der Leinwand innerlich ein wenig abzulenken.

Sie lassen von ihm ab und er winselt leiser.

Ein anderer alternder Geck will, daß sein junger Widerpart das Erbrochene einer Geliebten während des Aktes zu sich nimmt. Avec plasir, erwidert nunmehr dieser, er werde es internalisieren und es ihm am nächsten Tage verdaut zum Geschenke machen. Oh, meint darauf der Erstgenannte, er habe den anderen wohl tatsächlich unterschätzt. Dieses Prozedere, diese parabiologischen Vorgänge sieht man zwar (Gott sei Dank) nicht, aber bereits der Gedanke ist grausig genug. Mon Dieu.

Einige Menschen verlassen den Kinosaal.

Wieder ein paar Minuten dunkles Dahin-Stelzen durch den Wald als Abkühlung. Wiederholtes plakatives Gähnen eines Kinobesuchers weit rechts. Böse Blicke meinerseits in der ungesehenen Düsternis nach rechts. Die lemurenhaften Antihelden im Zwielicht dieser roman(t)ischen Nacht spionieren, kriechen, stöhnen in der Zeitschleife eines unendlichen Kontinuums und lecken, knebeln, flagellieren sich gegenseitig weiter völlig losgelöst von Handlung, Sinn, Telos, Topos oder Chronos. Ein erlebnisparkhafter cineastischer Swingerclub im Kopf für ein paar aristophile Postromantiker mit einem Faible fürs außergewöhnlich Lustig-Dreckige.

Ich warte fast nur darauf, daß eine oder einer auf den plüschig-roten, ja beinahe freudenhausmäßigen Nebensitzen, zu denen ich mir sorgfältig mit meiner neuen maßgefertigten Hirschlederjacke und meiner englischen Steppjacke eine natürliche Barriere aufgebaut hatte, das Hosentürl aufmacht und anfängt mitzumachen. Deo gratias erfüllt sich diese meine Befürchtung nicht, wir sind halt immerhin doch noch im Ersten und nicht im Nonstop-Kino am Ottakringer Gürtel, wo dies dem Vernehmen nach Usus sein soll …

Zur weiteren Erbauung ein paar angedeutete Masturbationsszenen, etwas Herumgewälze im Laub und schließlich die Erlösung: Golden Showers für einen kleinwüchsigen Gecken. Zunächst spreizt eine barbusige Hofdame (angeblich eine Art Äbtissin, aber auch diese Andeutung geht im viersprachigen Sprachpanoptikum mangels Relevanz ohnehin unter, weil absolut nebensächlich) ihre schlanken Beine sehr weit, hockt sich über ihn hin und läßt aus ihrem unrasierten dunklen Geschlecht einen halben Ozean auf den (bedauernswerten oder beneidenswerten?) Gesellen plätschern. Dieser reibt sich sein runzliges Gemächt und wähnt sich im Elysium. Zu schön ist diese dunkle Scham! Zu herrlich diese Brüste, diese weiße Perücke und die weiße, glatte Haut! Bebende Brustwarzen.

Schließlich finden die Bäche ihre Verstärkung durch Compagnons, die scheinbar unablässig wie aus tausend Fässern ihren goldenen Nektar auf den beinahe versinkenden Körper des kleinen Herrn laufen lassen. Was wie ein Wunder scheint, ist nur eines: Liberté. Freiheit durch Brunzen. Sich also sozusagen Freipissen, alles auch sich herausludeln.

Cosi fan tutte. Junge Römer. Wir spielen jedes Spiel. Daß in einer unbedeutenden Nebenszene der eingangs erwähnte Duca, Herzog Helmut von und zu Berger, von hinten meuchlings ermordet wird, ist angesichts der Kürze der Szene und des Gesamtkontexts vor allem wieder eines: völlig wurscht.

Einer weniger macht das Kraut also den Wald auch nicht fett.

>so bringen wir Dir das heilige und lebende Opfer dar …<

Was man aber tatsächlich nie explizit vor die Linse bekommt, ist ein erigiertes männliches Glied. Allesamt sind sie schlafend, friedlich oder höchstens urinierend. Der junge Geck sagt, voyeuristisch beiwohnend, zum alten sinngemäß: „Er (der Dritte, Beobachtete) war schon lange nicht mehr hart. – Wichtig ist auch das Innere, das Erlebte. – Ich glaube lieber das, was ich sehe. – Was zählt, ist die Imagination.“ Schade vielmehr für die interessierte Herrenwelt, daß die organische Weiblichkeit sich immer nur unter einem dunklem Haarwald mystisch erahnen ließ …

Schließlich bricht die Dämmerung über den Wald herein, zu den sonst im Film üblichen Waldgeräuschen gesellt sich etwas Musik und etwas Tageslicht umschwebt die Baumkronen wie Schlagobers eine duftende Melange.

Bei diesem Film weiß ich nicht, ob es sich um absoluten Schwachsinn oder um eine überdimensionale Genialität oder irgendwas dazwischen handelt. Verhaltener Applaus. Beschämung. So eine Palme in Cannes cann [sic!] doch nicht irren!?! Sollen sie lachen oder fluchen? Kaltwarm. Bringt uns (auf) die Palme. Doch, ganz ehrlich: Serra erfüllt mein Universum mit dem Besten. Abgesehen von den Bestialitäten ist es für mich eine intellektuellere Anti-Mainstream-Version von „Interview mit einem Vampir“ mit Brad Pitt aus den Neunzigern, das aber auch nicht ohne war, wenngleich auch weniger explizit sexuell und nihilistisch-infantil. Wer wie ich gerne einmal auf den Zentralfriedhof fotografisch spazieren geht oder zu Halloween vulgo Prä-Allerheiligen ins mystische Venedig wandelt, wird – wieder einmal ganz in der hohen Schule von Eros und Thanatos – seine nicht unhelle Freude an diesem Leckerbissen haben. Eine apokalyptische Irrfahrt in Sloterdijk’sche Tiefen, die Wiener Urania als Darkroom der überschrittenen Grenzen von Raum, Zeit und gutem Geschmack.

Ach, wie schad, daß Wir „Le mort de Louis XIV.“ von Ré Albert noch nicht gesehen haben. Wird noch. Todsicher!

Wir, also ich, lauschten noch seinen Ausführungen im Anschluß an den Film, die da in etwa waren: „some people said it seems like i’ve just abandonned the actors on a stage. and somehow it was like that. J i also wanted to have a great name on the set that’s why i chose helmut berger. we had to bring him in a good condition before. we’ve just spent 3 weeks on the script. some oft the actors where no professional actors but people from a facebook casting or technicians or friends. i basically wanted to show aristocrats in the 17th century without any rehearsal in a dark mood. sensual! with nudity. It was tricky. the tension. the loss of control by this nudity. you expose yourself, there was no communication between the actors in the darkness. the friction between the actors was real, also the golden showers (which was made by several guys). the whipping was real and painful.

i put together handsome people, ugly peoply, young people and old people and looked what would happen. masters and servants. this was complex! i love pasolini as a director. he was a master! nudity provokes tension. the end of the movie with the daylight was the end of a dream. like if you are leaving a discotheque in the morning and recognise: the night is over. the whole project was also influenced by casanova and foucault.“

Ein filmisches Sozialexperiment sondergleichen sozusagen. Echt nicht ohne.

Dann mußte ich gehen, denn ich hatte mich für neun mit einer Frau im Altwien verabredet, die meinen ersten Roman ganz glänzend fand und die darin auch etwas 18es-Jahrhundert-haftes entdeckte. Etwas Pompadourhaftes. Ich erschien eine halbe Stunde zu spät zum Treffen, weil ich Serra lauschte, der immer noch nicht aufgehört hatte, zu plaudern, ich wollte ihm eigentlich noch eine Frage stellen und ihm das Kompliment machen, daß er mein wirklicher Lieblingsregisseur sei, und das seit Jahren, doch ich ging. Zuerst endlich aufs Klo (my private golden shower, moralisch astrein und ethisch bedenkenlos). Und dann ins Altwien. daß ich soviel später kam, mache ihr nichts aus, sie saß schon im Lokal und hatte schon drei weiße Spritzer intus. Sie strahlte mich an.

>Laßt uns beten, so wie der Herr uns zu beten gelehrt hat.<

 

EPILOG

Jemand, den ich gut kannte, fuhr vor kurzem ins Südburgenland des einundzwanzigsten Jahrhunderts zum Schreiben in ein kulturelles Refugium, in dem auch ich vor kurzem gewesen war, auch ein älterer, seit neustem auch überregional recht bekannter unsteter, nicht unbegabter südösterreichischer Literat (Marke: Feuilletondarling der landwirtschaftlichen Bezirkszeitung, immerhin ausgezeichnet mit der PEJNLICHKEJT-Medaille eines bekannten Möbelhauses, Bohnensuppenfetischist) mit stark verbesserungswürdigen Manieren, unvorhersehbarem Gestus und fragwürdig-abstrusen Ausschweifungen, war außerdem schon einmal dort gewesen. Als dieser jemand mit seinem ausgeborgten Klapprad in einen dörflichen Kreisverkehr bog, schnitt ihn fast ein riesiger sauteurer Bauerntraktor. Der Landwirt, dem dieser richtig dicke und sauteure Traktor mit den mannshohen Zwillingshinterreifen augenscheinlich gehören mußte, schrie vom Sitz herunter auf den Radler: „Du Oarschloch!“, und hupte erschreckend laut und überholte knapp und preschte auf der burgenländischen Ortsstraße vor. Der Radfahrer hob spontan den Daumen und deutete dem Traktorfahrer im Rückspiegel „thumbs up!“. Er hatte es ironisch gemeint. Mehr brauchte es nicht mehr. Der bäuerliche Traktorfahrer fuhr rechts heran und parkte seinen Traktor im Straßengraben und sprang von seinem wuchtigen Gerät mitten auf die Straße. Er war voller Zorn bereit gewesen, den Radfahrer von seinem alten Rad zu zerren und Gewalt an ihm und gegen ihn anzuwenden. Diese Region mutet bisweilen als rechtsfreier Raum an, es gilt das naturrechtliche Faustrecht, die sogenannte Freiheit des Vorschlaghammers und der Mistgabel.

Der Radfahrer trat mit voller Kraft in die Pedale und zielte auf den schmalen freien Straßenbereich zwischen aggressivem Traktorfahrer rechts und tiefem Straßengraben links und fuhr mit voller Kraft konzentriert voraus. Der Bauer aber, ja der Bauer! Der stand unmittelbar neben dem knapp rechts an ihm vorbeidüsenen Radfahrer und, anstatt ihn vom Rad zu stoßen, sammelte er seine gesamte Spucke und spuckte dem Radfahrer mitten auf den Körper. Eine bäuerlich-aggressive Munddusche sozusagen. Es war ein sehr kurzer, schnell passierender Moment gewesen, sodaß der Bauer nicht wirklich gut zielen konnte. Vielmehr befanden sich danach lauter kleine weiße Spuckepunkte am grauen-Umbro-Kapuzenpullover des Radfahrers, wie dieser später zuhause entdeckte. Hatte Friedrich Barbarossa noch ein rot-weiß-rotes Hemd vom Blut der Schlacht gehabt, so hatte unser unbekannter Radfahrer einen grau-spuck-grauen Pullover von Umbro erhalten. Es spukte nicht nur, nein es spuckte im Südburgenland. Was wäre passiert, wenn der Radfahrer stehen geblieben wäre und ihm 1. die Hand zum Friedensgruß gereicht hätte oder 2. ihm das blanke Hinterteil als Desavouierung gezeigt hätte oder 3. ihm ebenso ins Gesicht gespuckt hätte?

Man wußte bei dieser Sorte von Menschen insbesondere in Österreich nie, ob der Bauer nicht mit der Mistgabel oder dem Gewehr wiederkommen würde und Ausschau nach dem grauen Pullover gehalten hätte. Er würde die „Schuld“ bis zu den Generationen der Nachkommen rächen wollen. Und sie entweder in einen Keller sperren oder alle auspeitschen, aufhängen und niederpissen. Man macht hier A-A. Alltäglicher Austroprovinzieller Agrarsadismus. „… das ist kein guter Menschenschlag hier, sagte der Doktor … das Lächerliche geht von der Spitze aus … unser Staat ist eine kleinbürgerliche Unzucht … das alles sind Untergangssymptome, wie die Menschen: Feinde der Klarheit, die Erniedriger des Verstandes, seine Schöpfer, einer lacht und einer weint. … die Menschen, die Rechtfertiger ihrer schweinischen Schönheitsfehler … und alles Naturgeschichte, alles, Urin und Sprache, phantastische Irrtümer eines zwerchfellerschütternden Gottes … die Menschen sind mit Vorsicht zu genießen, jedes Gesicht ist eine Falle, in die man hineintritt  … das ist kein guter Menschenschlag hier, sagte der Doktor, die Leute sind verhältnismäßig klein, man steckt den Säuglingen Schnapsfetzen in den Mund, damit sie nicht schreien … alle im Rausch gezeugt, müssen Sie wissen … größtenteils kriminelle Naturen … Die schwere Körperverletzung und die Unzucht und die Unzucht wider die Natur sind an der Tagesordnung. Die Kindesmisshandlung, der Mord, Vorfälle für Sonntagnachmittage. … Man wünscht sich ein Schwein, kein Kind … die Schulen haben den allerniedersten Standard und die Lehrer sind niederträchtig, verachtet … Frühreif sind die Kinder, die man hier sieht. Verschlagen, o-beinig, mit Ansätzen zum Wasserkopf. Die Mädchen bleich und dürr und von Ohrringlocheiterungen geplagt … ich habe noch nie einen schönen Menschen gesehen in diesem Land … Die Mädchen verficken sich …“[1] Liberté. C’est rare. Realité. C’est surtout.

> Gehet hin in Frieden! – Dank sei Gott dem Herrn.<

[1] Aus: Thomas Bernhard, Argumente eines Winterspaziergängers. Zwei Fragmente zu Frost.

Elmar Mayer-Baldasseroni
https://elmarmayerbaldasseroni.wordpress.com/

www.verdichtet.at | Kategorie: ü18 | Inventarnummer: 19124

(Auf Wunsch des Autors wurde bei diesem Text auf manche Lektoratskorrektur verzichtet und der Text großteils im Original belassen.)

 




NIENTE!

Annäherung an eine narrative Analyse des konstruktiven Nihilismus der zeitgenössischen österreichischen Musikformation „WANDA“ als Versuch einer Hommage

Ich bin kein abgefahrener Musikjournalist und Ihr seid keine kleinen Kinder mehr. Also nennen wir die Dinge gleich beim Namen: NIENTE!
Es ist wahrscheinlich etwas Wahres dran, daß ich mir eine Konzertkarte für Wanda im September 2018 in Klagenfurt, gleichsam das Omega des Österreichteils ihrer Nichts-Tournee, im Internet bestellt hatte. Hatte ich mir doch bereits eine Karte für das Stadthallenkonzert im April gekauft gehabt, war ich doch wieder in der Obersteiermark gemütlich daheim picken geblieben und hatte ich dann schweren Herzens die Karte doch wieder verkauft.
War ich doch beim Gratiskonzert am Donauinselfest bereits fest schreibend im wesentlich kühleren also im Sommer angenehmeren Dänemark verplant gewesen. War mir also nur mehr diese eine winzige Chance geblieben. War es doch noch in der Zeit Prä-„Ciao Baby“ gewesen, also im unerträglichen wandalistischen Vakuum. „Alles zahlt sich aus. So viel Schmerz und so viel Sehnsucht zahlt sich aus.“ Von dieser Erleuchtung aus dem neuen Album konnte ich damals also noch nicht einmal antizipatorisch geträumt haben.

Doch blättern wir zurück. Genauer gesagt dreieinhalb Jahre. Was? So lange gibt es Wanda schon? Ja, so lange. Mindestens. Was sich wie eine Leitentscheidung des EuGH anhört (So lange I), ist echte Realität geworden.
Du weißt es, wenn Du Dir ehrlich bist, genau – so schnell findest Du nicht einen besseren Clown (eine der Selbstbezeichnungen von M.M.W.)!

Ich weiß es noch und ich weiß es noch, als ob es heute gewesen wäre. Ich war mit einem Spezi auf der Leipziger Buchmesse, die überdies viel lässiger, weil kleiner und familiärer war als das anonyme Frankfurter Fabrikshallengefühl. Auf der Heimfahrt traf ich im Zug irgendeinen Abgrund oder wie auch immer, eventuell hatte mich das Buchmessenvirus erwischt (Buchfluch). Ich lag mit nicht unhohem Fieber „daheim“ in Wien darnieder und drehte im Delirium das Radio auf. Was geschah? (Ja, es war zufällig 88,6, weil ich hohes Fieber hatte und zu schwach war, um weiterzudrehen 😉 )

Ich hörte eine glasklare Ansage, begleitet von symphoniehaft-quasiorchestralen Anfangstakten, einer Hymne gleich:
„Ich kann sicher nicht mit meiner Cousine schlafen, obwohl ich gerne würde, aber ich trau mich nicht!“ (Geht oder ging es uns nicht allen insgeheim ein bißchen so? Spricht uns diese Stimme nicht direkt aus dem Herzen? Wollten wir nicht irgendwann einmal mit allem oder allen irgendwie ein bißchen schlafen oder so? Von den Nachbarn bis zum Hydranten bei der Bushaltestelle? Aber man traut sich nicht. Was würde dann die Nachbarin sagen … z. B.)
„Tante Ceccarelli hat einmal in Bologna Amore gehabt! … Wenn man dich fragt, wohin du gehst, sag nach Bologna. Wenn man dich fragt, wofür du stehst, sag für Amore … Amore!“

Was für ein Lied. Fieber hin, Schwindel her, ich war elektrisiert. Steil aufgeregt! Was für eine Band! Ich wußte nicht, wie mir geschah, damals im März anno domini 2015. Ich hatte keine Ahnung. NIENTE! Waren das die jungen Hosen? Waren das die frühen Ärzte? Ja, ich brauchte einen Arzt, und da kam er, und was für einer kam da durch den Äther daher – Marco Michael Wanda heilte mich. Ein Wanda-Heiler!!! Wie Rasputin beim Zarewitsch half mir AMORE zur Genesung. Kein Schmäh, echt jetzt. Ich war ein Spätberufener, andere hörten FM4 und waren daher schon längst Jüngerinnen oder Jünger des Herrn. Hörten das Evangelium nach Marco, also euangélion, die gute Nachricht, des Herrn. Wanda. Das da heißt: Liebe Deine Nächste, oder irgendwer anderer tut’s statt Dir! Und das ist in diesem Fall die Cousine. Habt keine Angst! Non abbiate pauro! (© Johannes Paul II.) Traut‘s Euch nur.

Der Rest ist Geschichte. Ich genas, fuhr durch die Lande und las aus meinem eigenen Evangelium, der Hin-Richtung. Und Marco und die Seinen taten das Ihre. Und ich wurde Teil einer Wanda-Bewegung, wandate in jener Zeit vom Spiritus Marco geheilt umher. Die ganze Platte wimmelte nur so von geistreichen Texten voller Liebe. Demut. Leidenschaft. Heißt Leiden und es lässt sich nicht vermeiden, dass die Wunde klafft. San Marco. Schließlich wurde ihm zu Ehren in Venedig ein Platz benannt. Eros und Thanatos. („…wenn du sagst, dass man davon sterben kann … genaaaauso wie die Flaschen von gestern …“) Mein insgeheimes Lieblingslied auf Amore ist jedoch „Denn niemand weiß, dass es uns überhaupt gegeben hat, Baby.“ Es ist wahr. So wahr.

Den Anfang des Liedes hab ich bis heute akustisch nie verstanden, und damit bin ich beileibe sicher nicht der Einzige, denn sogar am Booklet der CD steht da nur Kauderwelsch. Es is wuaascht. Weil: „Ich hab Zeit. Wir hab‘n sovüüü Zeit, Babe!!! Weil niemand weiß, dass es uns überhaupt gegeben hat.“ Ob S. Eminenz Marco damit Uns also Uns alle oder Uns also Uns zwei also Ihn und Sein Babe meint, bleibt dahingestellt und der Hermeneutik der Nachwelt anheimgestellt. Es is wuaascht. Der Refrain kracht in einer wehleidig-schmerzerfüllt paranormal hypermaskulinen Schmalzgewalt dahin, daß selbst eine zarte Natur wie ich darin seine revolverheldenhaft-latinlovermäßigen Nuancen freizulegen vermag. Schade nur, ja schade, daß dieses Goldstück bei den Wanderkonzerten gleichsam „mai“, also italienisch „nie“, gebracht wird.

Doch blättern wir weiter … Oktober 2015. Irgendein aufgeblasener Plattenhaberer mit nagelneuer Lederjacke, die ihm seine Mama geschenkt hatte und die er eine Woche zuvor gegen sein übliches Polyestersakko getauscht hatte, macht sich bei mir wichtig, er würde für sich eine Backstagekarte für das heute stattfindende Wandakonzert in der Arena haben. Aha. Da haben wir auch schon gleich das Problem. Die falschen Fans der richtigen Bands. So wie schon Nirvana sich ihre Fans nicht aussuchen konnten („he doesn‘t know, what it means …“ (in Bloom), doch der Vergleich kommt noch) müssen auch Wanda ihre Rechnungen zahlen und sich auch freuen, wenn Leute ihre Konzerte besuchen, die man sonst lieber nicht so gerne treffen würde.
Ich aber roch Lunte und fuhr hin, zückte mein Buch, schwafelte was von FM4 und kam auch schon gratis hinein. : ) Was ich erlebte, gehörte zum Besten, was ich bisher konzertant erlebt hatte. Ich hatte – sparsam wie ich bin – die CD immer noch nicht gekauft und daher ein paar Ersthörerlebnisse … „Ans, zwaa, drei, vier … Es ist so schön bei dir … … Bei dir, bei dir und bei dir …“, und er zeigte dabei auf die Ragazze mitten in der Masse!!! Ja, die Jünger um Don Marco und er selbst wußten um ihre Wirkung und darum, das Publikum zu beglücken.

Da wurde um „Schnaps“ gebettelt! Und wie! San Marco bodysurfte über die Köpfe hinweg, gleich hinüber zur Budl, krallte sich eine Bottle und soff sie halb leer. Sicher. Certo. Da mag auch nur Wasser drinnen gewesen sein. Aber konnte der Evangelist Marco Wasser in Schnaps verwandeln? Und übers Menschenmeer surfen? War ich Zeuge eines Wanders geworden? Egal. A-M-O-R-E!! Wie ein Vogelkundler frohlockte er zwischendurch immer wieder… A-A-A … Und alle taten es ihm gleich, wie damals im Kindergarten … A-a-a! … Und alle preßten, so wie damals. Nur da war kein Töpfchen! Da war nur: A-A-M-O-OOO-R-E. Und das nicht zu knapp. AMORE, ein neuer Urschrei, ein neues Mantra, ein neues Echo in den Hüften der Stadt! (Ups, das war jetzt ein bißchen Falco, der aber auch ein bißchen Pate stand für das Ganze als vormals gewesener junger Römer.)

Eingehüllt wurde das Ganze mit sehr vielen bunten und sich abwechselnden Lichtern, als ob die schönen Töne noch nicht genug gewesen wären. No! NIENTE. Nach dem Gig wurden noch bei einer Budl Platten und Devotionalien verkauft, so wie es sich bei anderen religiösen Stätten wie in Mariazell oder Assisi eben auch gehört, und ich wurde eines der Bandmitglieder himself ansichtig – Nein, nicht sua Eccellenza San Marco, das wäre Eminenza zu profan gewesen. Baciamano! Er schickte seinen quasianonymen Apostel namens Schlagzeuger, der dort vielerlei feilbot. Ich ging auf ihn zu, sagte zu ihm: Bist Du nicht auch von Wanda, und anders als damals Petrus stand er zu seinem Herrn: Ja, ich bin es. Gut, die Umstände waren auch wesentlich anders als damals … Und Marco ist auch kein Messias und auch nicht der Sohn Gottes, Verurteilung exklusive. Obwohl er manchmal ein bißchen so tut.

Denn, mich hat er letzten Mai dazu gebracht, nach Bologna zu pilgern. Denn wenn ich eh schon in Innsbruck bin, fahr ich doch gleich zum ersten Mal nach Trient weiter, bella, und geb mir dann gleich noch als Premiere Verona, bellissima, und als bombastische Krönung von allem, la Bomba: BOLOGNA!!! La Grassa. Ja, es war genauso, wie es im Hohelied des Marco gefühlt wird. Die Türme, die Graffiti-Mauern, die Arkadenbögen, die frischen Orangen, der Spirit von ewiger Jugend und Freiheit! Pfeif drauf und beiß in die Spaghetti! Ein Pärchen tanzte des Abends zum Kofferradiosound Charleston in einem Arkadenhof.

Und ich, ja ich pilgerte zu Tante Ceccarelli, die in Bologna AMORE gemacht hat. Ja, es gibt sie. Das Bethlehem des Austropop, die Grabeskirche des guten Lebensgefühls, die Geburtsstätte der Hymne von Freiheit und (unerfüllter) Liebe. Ein Fleisch, Wurst- und Käseladen in einer Seitengasse neben dem gigantomanischen Hauptplatz. Si, certo, der Marco komme immer mit seinen Eltern hierher, meinte die Tante, und viele Fans seien schon hergepilgert. Mannaggia! Verdammt! Ich habe es endgültig geschafft, dachte ich mir beim Foto mit Tante C., die mir noch ein Sackerl Kekse schenkte! Ich war im absoluten Wanda-Olymp gelandet, assolutamente. Wenn auch sonst (was weh tut!) kein Schwanz in Italien Wanda wirklich kannte, weil sie – che merda!!! – in tedesco singen. Amadeus schau oba!

Das lockere Pfeif-drauf-Gefühl, der Genuß an allem, das Zu-spät-Kommen und Zu-früh-Trinken (Kaffee, was sonst), ich stolperte tags drauf gleich vom Caféhaus in die Sonntagsmesse, denn bei so viel Wandalismus muß ein bißchen italienischer Urkatholizismus schon sein. Denn, und nun blättern wir nach vor zum eigentlichen Sinn des Textes, nämlich zum Konzert in Klagenfurt, er tut schon auch ein bißchen so als ob: Ja, Signore Marco umgibt sich mit der Aura des Religiösen. In einem Interview nannte er sich einmal Priester, Clown und Sänger der Erfolgsband Wanda. Und ja, er tut ein bisserl schamanisch.

Damals, in Klagenfurt, als ich in Villach wohnen mußte, weil wegen der Messe alles ausgebucht war, auf einem Wiesengelände neben dem Stadion, ein elendslanger Busweg vom Zentrum, und ein Pärchen, Kärntner und Italienerin (Achtung: AMORE!), was wohl u. a. der nahen Staatsgrenze zum gelobten Land geschuldet ist, das Pärchen, mich wegen meiner Einsamkeit ein wenig adoptierend für die geschätzten eineinhalb Konzertstunden, es gab Bier aus AMORE-Bechern, aber keine Gepäckkontrolle – NIENTE! Weshalb mein Schweizerjausenwurschtmesser auch wirklich wurscht war im Rucksack, es gab dafür aber Nieselregen und gratis Kronenzeitungs-(oder doch Ö3?)Pelerinen, ja, der Rock‘n‘Roll mußte schon viel aushalten und jede/r/s kann nun für sich selber entscheiden, wie das nun gemeint ist.

Meine wandakritische Mutter, die Herrn Marco despektierlich immer einen am Asphalt herumtanzenden Ringelwurm nannte, meinte im Vorfeld, daß etwas Regen einem echten Ringelwurmfan nichts ausmache! Ja, er war es, der Herr der Würmer.

Da war eine Vorband, die, wäre ich jetzt gemein, als Tocotronic-Epigonen vor Jahren durchgegangen wären, und, da ich jetzt nicht gemein bin, heutzutage durchaus als Tocotronic-Epigonen durchgegangen wären. Und dann kam, weil es ja doch Saisonende war und die Leute bei Laune gehalten werden mußten, gleich als Erstes BOLOGNA! Ein Kracher. Und mein Begleitpärchen, Er in der städtischen Verwaltung, Sie in einem technischen Büro, umklammerten sich und schrien sich die Seele aus dem Leibe. So wie ich mich umklammerte und mir die Seele aus dem Leibe schrie. Denn das waren wir uns, waren wir einander, waren wir Wanda schuldig, denn das hatten wir uns auch vorher schon gegenseitig versprochen: Daß wir uns die Seele aus dem Leibe schreien würden. Olle, olle miteinanda sing‘ ma heite fia de Wanda.

Daß mich kurz vor dem Konzert eine kurz hinter mir stehende, nennen wir sie neutral junge Dame, anpöbelte, ich solle mich bitte schleichen, weil ich ihr die Sicht verstellen würde, tat dem ganzen keinen Abbruch. Als ich meinte, ich (1,86 m) könne mich wegen ihr (ca. 1,66 m) nicht kleiner machen, ließ sie in ausgereiftem Kärntner Slang ein „ich sei ein festes Oaschloch“ auf mich los. Als sie sich dann an mir vorbeidrängte und mir weitere menschenzerstörende Blicke zuwarf, mußte ich ihr unbedingt als Frotzelei einen Kußmund schicken und – ganz im Zeichen von AMORE – ein Herzerl mit den Fingern bedeuten. Sie zischte mit zusammengekniffenen Augen nur zurück, ich solle sie gefälligst in Ruhe lassen usw. Mein Kärntner Adoptivbekannter meinte dazu nur, daß das aber gar nicht AMORE sei.

Womit wir wieder beim Problem von vorhin gelandet sind – Bands können sich ihre (zum Teil abartigen und widerwärtigen Fans) keineswegs aussuchen, weil sie von ihnen kommerziell abhängig sind. Und ein Gutteil dieser Leute, eine regelrechte Meute, versteht weder die Inhalte noch die Ursprünge der Musik, die sie gerade in beliebiger Manier nachgrölen. Gut möglich, daß, als S. E. M. M. Wanda zwischen zwei Songs meinte, es sei gut, Menschen wie uns zu sehen, in Zeiten wie diesen, die derart beschissen sind, einige viele am Schotterplatz nicht daran gedacht haben könnten, was Seine Geiligkeit uns damit sagen wollte, oh Herr. Gut möglich, daß sie kurz darauf zum Konzert eines Barden mit Sonnenbrillenpomade, kurzen Sängerknabenhosen (nein, nicht Angus Young) und einer Steißbein-(Bühnen-)Haltung gepilgert waren, um dessen Gedankenwelt zu bejubeln. Anything goes, in jede (Geschmacks-)Richtung.

Spätestens nach diesen Momenten muß einem klar sein, daß Wanda mittlerweile voll im Mainstream gelandet sind. Die Konzertbesucher sind „Normalos“, der Programmablauf ist vorhersehbar, wenn da nicht das explosive Charisma des Säulenheiligen der heimischen Musikunterwelt und die Unverwechselbarkeit, diese signifikante Genialität seiner Musik und seiner Texte wäre, die die meisten dort eh sicher nicht nicht verstanden haben, das unterstelle ich hiermit, dann wäre es ein Konzert gewesen, wie man es halt dann und wann irgendwo besucht.
Plus einer gewissen Wehmut meinerseits, weil etwa folgende Lieder von „Bussi“ beim Konzert nicht gebracht werden: „Nimm sie, wenn du glaubst, dass du‘s brauchst … besser so, also dass sie sich verrennt … … und weil ich in Bologna bin, hat ein neues Spielzeug seinen Reiz und alles and‘re keinen Sinn“ sowie „Andi und die spanischen Frauen“ – „du red’st, du red’st von spanischen Frauen, ja würd’st dich einmal nach Spanien trauen, … aber ich leb so viel wie du in einem Jahr an einem Tag … Andi, du brauchst an Schmäh …“.

Ersteres brachte Wanda in Nähe eines Anklanges eines unbestimmten Verdachtes der Frauenfeindlichkeit, was aber von Seiner Weisheit Marco Wanda umgehendst, erfolgreichst und schärfstens dementiert wurde, also kann da keine Spur von Frauenfeindlichkeit vorhanden sein, so der kritische und unabhängige und objektive und renommierte und anerkannte Wanda-Experte Prof. Michael M. Fitzthum einmal in einem Interview zur Causa. Allora. Nulla – Diesmal gab’s jedenfalls keine Chance, etwas von diesen Lilien der heimischen Sangeskunst zu hören.

Ganz zu schweigen von meinen Lieblingshits: „Bleib wo du warst!“ („Ich sauf keinen Schnaps, ich sauf einen Pistolenlauf, Babe, komm nicht zu spät nach Haus!“) und meinem absoluten Favourite „Sterne“: „Wo du auch warst, komm wieder heim, lass uns zu zweit unglücklich sein … … Da sind Sterne … Es brennt ein Licht in weiter Ferne … Da sind Stääärne … Stääärne … Stääärnnnäää-häää da sind Stärnäää!! Stärnäää! Dadudadududaaaa …“, die leider auch nicht gebracht wurden. In Letzterem wird der sogenannte Wanda-Vokal eeäää wieder aufs Allerschärfste strapaziert!

ALARM!! Das ist WANDALISMUS! Assolutamente. Ja, Wanda haben’s auch mit dem Mythos der Strizzis, der mafiösen Machos, der anarchistisch-zotigen Wilden, ich möchte gar nicht sagen, Bösen. Schnaps, Pistolen, Sex und ein bißchen italienisches Liebesgefühl, das ist das Rezept, mit dem Oberstrizzi Marco Arcangelo Michele Marchese di San Wanda unsere Seelen knackt. Unwiderruflich! Mit Texten besser als aus dem Bilderbuch! Wanda jonglieren mit Klischees und sind dabei selbst das allergrößte Klischee. Der akademisch gelernte Sprachkünstler ist da völlig unrasiert pointiert am Werk. Ja, man hat das Gefühl, dieser Mann trieft nur so vor Schweiß und Testosteron und Lebensinhalt, wenn er das, was er hoffentlich so meint, wie er es singt, ins Mikro hineinplärrt und röhrt, daß einem Hören und Segen vergehen.

Seine Mitstreiter, die meist etwas im (Bühnen-)Hintergrund stehen, verstehen das. „Laß den Thomas los, weil er versteht’s.“ Wenn er dezibelstark wie ein Jumbojet nach vorne plärrt: „Auseinander geh’n tut weh.“ Und uns damit allen aus der Seele brüllt. (Ich brauchte Ohropax plus Gehörkapseln.) M. M. Wanda und also die gleichnamige Band gehen bis ans (wohlkalkulierte) Limit und eine Schnapsnase weit darüber hinaus, wenn Signore Marco uns, also der Masse unter Ihm, mitteilt, daß sie, also the Gang, noch in derselben Nacht nach Dresden zum nächsten Gig weiterfahren werden. „Weiter, weiter!“ Keine Zeit zum Ausrauchen, das nenne ich Rock’n’Roll am/von der laufenden Band, da wird sich nichts geschenkt, höchstens eingeschenkt. Tourneealltag, München-Berlin-Wien, was so klingt wie der Häuserkauf beim DKT, ist hier die Roadshow am Puls der Fans, denn das Eisen will geschmiedet werden, und es wird gleich wieder eine neue CD geben, so frohlockt Er uns entgegen, denn die Herzen und also auch die Kasse wollen gefüllt werden wie die pulsierend-roten Paprikas in Sicilia. Das brennende Herz Marcos. Schnell noch eine ausgedrückt.

Und, dann, plötzlich, gibt uns Mr. AMORE; Sign. Marco Michael WANDA, wieder genau das, was wir brauchen. Er schmettert, nein, er winselt es geradewegs inbrünstigst-verklärt mit leidverzerrtem Antlitz wie das wilde Alphatier des Alpenrock mitten in die bouncende Masse hinein, er singt es zu allen und meint doch nur die Frauen: „Gib … Gib … Gib … Gib mir AMORE Babe … Bleib genau, wie du bist! Gib mir AMORE, Babe … Bleib genau, wie du bist!!“ Damit schenkt er uns allen selbstkritikgepeinigten Menschen und vor allem den medienvorbildleidgeprüften Damen der Schöpfung für ein paar Konzertmomente lang das Gefühl, zu existieren, zu sein und endlich zu genügen, sich selbst, Ihm, uns allen, dem Universum oder dem lieben Gott, eine psychologisch-psychedelische Du-bist-okay-ich bin-okay-Situation stellt sich ein, es ist alles gut, so wie es ist, da spielt eine hochsensible psychsoziale Intelligenz hinein, da ist Marco Mr. Wonder ganz Prediger, Therapeut, Seelenmasseur, Massenhypnotiseur … Er schenkt uns das neue NLP der absoluten Selbst- und Nächstenliebe.

Cazzo! Marco, sei grandissimo! Und das alles zur Ohrwurmwucht dieser Songs! Eine österreichische, sich periodisch zu Sein und Zeit mit etwas Kopf und ein bißchen Gefühl dahinventilierende Kolumnistin äußerte sich einmal zum Phänomen Wanda sinngemäß dahingehend, daß Herr Marco Michael Wanda „Satan“ sei und er sich auf paranormale Weise mit seinen Ohrwürmern Zugang zu unseren Seelen verschaffte. Ich glaube das absolute Gegenteil. S. E. Herr Marco Michael von Wanda ist ein Gesandter des Himmels, den der Heilige Stuhl bei uns eingeschleust hat. Ein verd®eckter Agent Roms gewissermaßen, der nicht nur ein Fremdenverkehrsbotschafter von Vatikan-Umgebung, sondern gleichsam ein apostolischer Konsul der absoluten und reinen göttlichen Liebe ist. Ja, wir haben es hier mit einem Erzbischof in Zivil zu tun, die abgefuckte Lederjacke und die halbangesudelten, sich auflösenden Leinenhosen sind nur eine Reminiszenz an den Immaterialismus eines Johannes des Täufers oder eines Franz von Assisi.

Da Marco Wanda nicht Gott sein kann, muß er also ein Gesandter Gottes sein. Er selbst sprach auch während des Konzertes davon, daß er so froh sei, daß der Pfarrer Wein verwende und nicht Wasser. Ein absolutes Indiz für seine göttliche Mission. Und was noch dafür spricht, ist seine quasi-vatikanische Diskretion: Er und seine Jünger tau(ch)ten gleichsam aus dem Nichts auf, und während man von irgendwelchen Semipromis sogar die Marke des Frühstücksaufstriches in der Gratiszeitung oder im Netz liest oder auf Wichtipedia jeden erdenklichen Quargel herausgoogeln kann, stößt man bei Wanda auf ein Vakuum – NIENTE!

Marco Michael Wanda wurde nicht geboren, er hat also keinen Anfang und kein Ende, er hat keine Freundin, er fährt nicht auf Urlaub, er lebt keine wilden Exzesse (Kurt Cobain oder Marcos erklärte Vorbilder Jim Morrison und Falco lassen grüßen, obwohl unser Geiland in Klagen-Furt am Ende selbst zur Fender greift und die Anfangsakkorde von „Smells like Teen Spirit“ auf uns nach Rock-Erlösung hungernde Seelen herniederprasseln läßt. Ist er’s oder ist er’s nicht? Die Reinkarnation des Kurt D. C. als die austriakische Fleischwerdung des amerikanischen Grungegenies? Hier tippe ich eindeutig auf NIENTE!, denn Seine Lässigkeit K. Cobain himself sträubte sich tatsächlich in jeder Faser gegen den Mainstream und demolierte als Unterpfand dessen auch fast jedesmal erfolgreichst die Bühne samt Kameras und am Ende sich selbst. Also eindeutig: Nulla! und er ist, obwohl er ja nie geboren wurde, definitiv schon älter als 27, also auch kein potentielles Mitglied des Club 27 mehr.
Da Marco Michele di Vanda daher auch nicht mehr wirklich menschlicher Natur ist und seine Bandmitglieder ebenso wenig, könnte also doch wieder eine (zumindest halb-)göttliche Provenienz in Betracht gezogen werden.
Zweifel daran? NIENTE! Tanti auguri è grazie per tutto, BUSSI, WANDA!!!

P.S.: Am Tag nach dem Konzert fuhr ich – wohin sonst – nach Italien. Altösterreich. Trieste. Auch eine Premiere. È la testa piena di Wanda.

Ad personam: Serenissimo Elmar Mayer-Baldasseroni, dessen Roman „Die Hinrichtung“ als FM4-„Buch des Jahres“ tituliert wurde und der dann und wann das Land, urbi et orbi und also v. a. sich selbst mit seinen Texten segnet, befand sich im Frühling 2019 auf Einladung der österreichischen Gesellschaft für Literatur in der kontemplativen, vorösterlichen Stille des Latiums, um am Landsitz der Familie Colonna u.a. über die Lautstärke von Marco „Che“ Gue Wanda, dem bärtigen Rebellen der musikalischen Ontologie der Nichtigkeit allen Seins jen- und diesseits der Alpen sowie dessen Zugang zu Eros, Thanatos und Pathos eremitisch-meditativ zu kontemplieren.

Elmar Mayer-Baldasseroni
https://elmarmayerbaldasseroni.wordpress.com/

www.verdichtet.at | Kategorie: about | Inventarnummer: 19099

(Auf Wunsch des Autors wurde bei diesem Text auf manche Lektoratskorrektur verzichtet und der Text großteils im Original belassen.)




Dormire a Roma

Ich weiß nicht, ob das wirklich alles passiert ist. Nachdem, was sie mir an diesem Julisamstagabend am Telefon über sich und ihre Familie erzählte, war mir mehr als klar geworden, daß sie an einer mehr als tiefgreifenden Bewußtseinsstörung beziehungsweise einer gleichwertigen, durch sogenannte verbotene Substanzen hervorgerufenen seelischen Störung litt, wie sie selbst zugab, als ich sie frage, ob sie selbst schon eine therapeutische Behandlung angedacht hatte und sie zögernd erwiderte, daß sie schon seit beinahe vier Jahren in Betreuung sei.
Am nächsten Abend lud sie mich für acht und es gab Kabeljau und Weißwein, mit einem rauchig-gehauchten Hey empfing sie mich wieder in ihrer kleinen Wiener Wohnung, ihr schönes Gesicht und das quadratische Zimmer mit Doppelfensterblick aus dem zweiten Stock empfingen mich freundlich.

Von ihrem Internationalen Kongress in Rom, zudem sie morgen aufbrechen würde, erzählte sie mir. Sie würde dort mit Agathe und Hans in einem Zimmer schlafen, Hans sei außerdem ohnehin bereits vergeben. Ich bemerkte, daß ich hoffte, daß er wenigstens häßlich sei, sie meinte neckisch, daß sie sich in Rom gemeinsam die Nächte um die Ohren schlagen würden. Beschwipst vom Weißwein begann ich auf der Couch Gitarre zu spielen.
Klein war sie, aber verführerisch, wir gingen nach noch einem Bier in ihr heißes Schlafgemach mit Fenster zum taubenübersäten Innenhof und erkannten einander heftig. Danach frug sie mich, wir waren damals gerade drei Wochen zusammengewesen, ob ich Kinder mit ihr wolle, ich sagte, ja, schon irgendwann, sie meinte, sie müsse nur mit den vielen Tabletten aufhören. Gegen vier schliefen wir schließlich ein, das Bewußtsein entschwand uns in der Gluthitze der Bratpfanne im zweiten Stock und wir wachten gegen neun auf, als die Tauben laut gurrten.

Es ging alles sehr rasch, ein paar Kleidungsstücke verschwanden im Rucksack, als plötzlich der Anruf von Agathe, ihrer Kollegin, kam, die nun doch nicht mitreisen konnte, da deren Oma im Sterben lag. Ich war perplex und meine Eifersucht flackerte lichterloh, was ich aber zu verbergen suchte. So würde sie wohl in Rom im selben Bett alleine mit Hans schlafen! Daß ich ja nun anstelle von Agathe das vorreservierte Ticket beanspruchen könne, also den Sitzplatz im Nachtzug und den Platz im Appartement in Rom, meinte sie, ich war plötzlich in einen unglaublichen Entscheidungsnotstand geraten und mir überschlugen sich die Gedanken beim Hinuntergehen der Stiegen.
Am Westbahnhof angelangt, meinte sie, ich solle doch wirklich spontan mitkommen, mit nichts als Jeans und einem Poloshirt bekleidet wäre es doch ein echtes Abenteuer, nach Rom mitzureisen, ich entgegnete, daß dies zu wenig Kleidung sei, sie führte ins Treffen, daß mir Hans ja etwas von seinen Sachen borgen könnte, worüber ich etwas lachte und worauf ich wahrheitsgemäß erklärte, daß ich meinen Reisepaß nicht mit mir führte, sie meinte, ich solle einfach nachher rasch in meine Wohnung fahren und meinen Paß mitnehmen und den späteren Zug nehmen.

Ich geriet in Anfechtung angesichts dieser Verheißung. Schon schossen wir über die Rolltreppe hinaus und trafen Agathe, die sich entschuldigt hatte und Hans mit dessen Lebensabschnittspartnerin Anna. Anna war rotblond-gedrungen und bäuerlich-feist, Hans stämmig, dunkelhaarig mit einem vollbärtigen Wissenschaftlerlächeln und Wiener Dialekt. Die weißroten ÖBB-Lokomotiven standen stoisch auf den Geleisen wie stumme Sklaven. Wir stießen zum Waggon vor, sie beklagte, keine Zigaretten mehr gekauft zu haben und küßte mich, ich wiederum umarmte sie und warf noch einen prüfenden Blick auf Hans, der mir freundlich aus dem Schlund des Railjets entgegenlächelte. Schon waren sie am Horizont verschwunden und das weite Land hatte sie beide verschluckt.

Ich fuhr heim, voll des Grübelns, ich war unschlüssig und rang mit mir selbst. Plötzlich kam ein SMS vom ihr. Ob ich mich schon entschieden hätte, frug sie mich, denn sie würde ansonsten den noch vakanten Platz im römischen Appartement an Hemma, eine reifere Tiroler Kollegin, vergeben. Daß das ganze eben viel Geld kosten würde, daß ja auch dauernd Hans im Zimmer sei, daß sie ja tagsüber auf der Tagung sei gab ich ihr rasch zur Antwort, es war ein Kreuzfeuer der Gefühle und Gedanken, eine absolute Zermürbung. Ach komm, schrieb sie, wenn die vier Kinder daseien, ginge das alles ja eh nicht mehr. Und ich würde ja nicht an Zufälle glauben.
Nach einer Weile rief ich sie dann an, sie sagte, sie sei gerade in Wels und es wäre echt schön, wenn ich mitkäme. Ich sagte, ich überlege, aber es sei echt nicht einfach für mich. Sie sagte, ich solle einfach noch überlegen, aber es wäre zu schön, ich sagte, ich überlege. Wir legten auf und in Villach rief sie mich nochmals kurz an und ich sagte ihr, daß es mir so leid täte, daß ich aber nicht einfach so nach Rom fahren könne, sie meinte ernüchtert und ernüchternd, daß wir nun wenigstens eine Entscheidung hätten. Ich schickte noch eine verzweifelte SMS-Nachricht nach, daß das alles so zermürbend sei und daß es mir leid täte und soff steirischen Whisky mit Schampus. Sie antwortete nicht mehr an diesem Tag und ich grübelte weiter.

Am nächsten Tag erwachte ich um halb elf in erheblicher Besorgnis, denn sie hatte immer noch keine SMS-Nachricht gesandt. Ich kreiselte und verlor fast das Bewußtsein, dieser Kreisel, dieser Sog war sie. Ich fuhr an die Uni, endlich, eine Mail von ihr, sie habe ihren Vortrag am nächsten Tag, ich solle an sie denken. In mir wuchs dennoch die Unruhe stets mehr und mehr zu einem unheilvollen Gebräu heran und wilde Gedanken überschwemmten mein Herz.
Als ich am Fenster zum Innenhof des Institutsgebäudes stand, um zu einer endgültigen Entscheidung zu gelangen, hatte ich eine Vision, ich erblickte im dritten Stock an der gegenüberliegenden Seite ein rosafarbenes Kolosseum, das an eines der oberen Fenster geklebt war. Die Entscheidung war also klar. Ich rief nochmals die Auskunft  an, es gebe noch ein Ticket nach Rom, ich war hin- und hergerissen.

Schließlich buchte ich per Telefon die Tickets, packte ein paar Sachen in den Rucksack. Ich war mehr als gespannt, wie sie das wohl aufnehmen würde. Ich fuhr mit der U 6 zum Bahnhof und setzte mich gespannt in den Zug, kurz vor Klagenfurt rief sie mich aus Rom mit einem freudigen Unterton in der Stimme an, sie sagte, ich solle ein Hotelzimmer für uns finden und sie freue sich und ich war glücklich. Ich dachte an Rom mit seiner erotisch-inhärent-tragisch-morbid-sexuellen Atmosphäre, eingetunkt in die Schwaden des Vergänglichen und emporgehoben in den Olymp des Emotional-Libidinösen.

Als ich gegen halb zehn aus dem Zug ausstieg, atmete ich römische Luft, berührte römischen Boden, ich fühlte mich frei wie ein Adler, ich sprintete zum Ufficio del turismo und buchte ein Zimmer für zwei neben der Piazza di Spagna. Das teilte ich ihr gleich freudig per SMS mit, und ich war etwas stutzig, als sie plötzlich ungewohnt kühl schrieb, daß sie noch einiges am Kongress zu tun habe, sich aber zeitgerecht melden werde, das unterfertigte sie mit den Worten Enjoy Rome.
Ich war innerlich etwas enttäuscht, fuhr per Metro, in der sie traurig Albinoni musizierten, in die Unterkunft in der Via Romagna, zahlte und bezog das Zimmerchen im fünften Stock, der Lift war klapprig, die Rezeptionistin freundlich.
Ich packte meine Sachen aus, fuhr nach unten und setzte mich in ein Caffè. Ich schrieb, daß sie sich Zeit lassen solle, auch wenn mir zunehmend mulmig wurde, die Distanz zwischen uns war nun kleiner geworden, die Atmosphäre zwischen uns jedoch um Klassen entfernter. Sie schrieb sehr trocken zurück, daß ich sie gegen vier abholen solle in ihrem Appartement in der Nähe der Via di Panico.

Schließlich bewegte ich mich zu Fuß in ihre Richtung und gelangte schließlich zu der von ihr genannten Adresse, eine belebte Straße, ich klingelte, niemand meldete sich, ich schrieb ihr ein SMS, sie schrieb zurück, daß sie gleich kommen würde. Nach etwa fünf Minuten war sie endlich da, klein wie immer, mit etwas zerrauftem Haar, anders, zerzauster als sonst, ihre Augen waren kalt und trugen eine bestimmte Boshaftigkeit in sich, da waren zwei schmale Augenschlitze, ein Trolleykoffer und eine Umhängetasche. Sie umarmte mich zaghaft, ein Anflug eines Kusses auf meine Lippen. Sie, die mich drei Tage zuvor noch beschworen und bedrängt hatte, ihr in die sogenannte ewige Stadt nachzureisen, sie wies mich in diesem Moment beinahe von sich, sie behandelte mich nun wie einen Fremden. Sie war gekippt, war auf Droge.

Ich war ein Unwillkommener in einer fremden Stadt. Da war kein Anflug von Freude, sie fragte lediglich, ob mein Ticket nicht sehr teuer gewesen sein müsse, ich stieß innerlich angeschlagen, nach außen hin Contenance wahrend, hervor, daß mich eben Rom sehr gelockt hatte. Wir nahmen die Metropolitana und die Fremde neben mir, meine instabile Freundin, und ich fuhren zur Piazza di Spagna, nahmen im Hotel angekommen in aller Stille den Lift, und schließlich zeigte ich ihr unser Gemach, sie frage mich, ob ich mit ihr zum Abendbankett im Senatorenpalast gehen wolle, es koste siebzig Euro, ich war einverstanden. Ich solle mir aber unbedingt einen Anzug oder zumindest ein Sakko kaufen, sagte sie, denn das, was ich mitgenommen hatte, Poloshirts, sei für ein Abendbankett im Palazzo Senatorio untragbar.
Auch der Hans habe schließlich ein Sakko mitgenommen, ließ sie mich wissen. Ich bekam ein schlechtes Gefühl, schließlich zog ich ein blaues Ralph-Lauren-Poloshirt an und darüber meiner grüne abgewetzte britische Wachsjacke. Sie frug mich, ob sie zum mitternachtsblauen Kleid dunkelviolette Strümpfe tragen solle, ich meinte, dunkelviolett stünde ihr gut, die liturgische Farbe der Buße und der Trauer, passend für sie, tief, unberechenbar, undurchsichtig-gläsern, das alles war sie, sie war als römische Diva sehr hübsch anzusehen und ich mußte ihr den Reißverschluß schließen. Ihr gutgeformter Busen, Größe Bella, der mir schon viel Freude bereitet hatte, war ansehnlich verpackt, ich war schon jetzt eifersüchtig auf Hans gewesen.
Was Hans denn gesagt habe, als er erfuhr, daß ich nachgereist sei, frug ich sie, nichts, meinte sie, angeblich nichts, dachte ich.

Wir fuhren ein paar Stationen mit der Metro, sie erzählte, daß sie gestern noch bis spät in die Nacht hinein mit Hans ihren Vortrag gefeiert habe, im Café neben ihrem Appartement, und wie herrlich das nicht gewesen sei. Schließlich erreichten wir in der inhärenten Tragik des kühlen römischen Regens den Senatorenpalast. Er bot einen vornehm-feudalen Anblick, bei der Garderobe nahm man uns charmant die Oberbekleidung ab und wir bahnten uns den Weg in den kleinen Festsaal, wo uns Kir Royal und Brötchen dargeboten wurden. Eine besondere Schwere lag über diesem feierlich-traurigen Festsaal, so als ob ihn Albinoni selbst in die zärtlich-venezianisch-maritime Trauer seines Adagios in g-Moll eingehüllt hätte.

Sie nahm links von mir Platz und am restlichen Tisch versammelten sich irgendwelche internationalen Wissenschaftlerkollegen und sie plauderte mit ihnen über ornithologische Resultate und Methoden und über die angeblich zu üppige Opulenz des römischen Rathauses. Dann schlug sie plötzlich an, frug laut, wo denn der Hans sei, der Hans, ihr Freund, ja wo sei denn der Hans, frug sie abermals, sie lugte auf ihr Handy und rief ihn an, schließlich, wir waren bereits alle dabei, zu essen, erschien er wie ein Pfau, leger, mit offenem, weißem Hemd, Brusthaare zeigend, das Sakko lässig in der linken Hand haltend, unrasiert, grinsend, sie fiel ihm beinahe um den Hals, er nahm links von ihr Platz, denn sie hatte ihm vorsorglich einen Platz reserviert und er nahm ebendiesen in Besitz und ignorierte mich völlig. Weder grüßte er mich, noch sah er je in meine Richtung.
Er bestellte roten Wein, schlürfte ebendiesen und fraß dann die Gänseleberpastete mit wenigen Bissen wie der letzte Bauer. Das Rülpsen verhielt sich dieser Vogel gerade noch, als er nach dem Mahle meinte, er dürfe nicht soviel fressen und saufen, da er schon so fett sei, und grinste. Dann quasselte er wieder pseudointellektuell irgendwas daher und sie, die neben mir Sitzende, eigentlich meine Freundin, tätschelte ihn am Oberarm und sagte dann laut, ja, der Hans, der macht einmal Karriere, gell, Hans, so himmelte sie ihn an.

Es war nur noch traurig. All das lag wie der göttliche Himmelsfrost kandierter Veilchen bitter auf meiner gepeinigten Seele, die Musik hinter uns war mir einerlei geworden, betroffen war ich, unselig. Ich wandte meinen Kopf in die andere Richtung. Das durfte alles nicht wahr sein. Schließlich verschwand sie, meine vermeintliche Freundin, noch auf die Toilette und just nach einer Minute war auch er verschwunden, in meinem Kopf wuchsen wilde Verschwörungstheorien, und nach kurzer Zeit kehrten sie aus der gleichen Richtung kommend wieder.
Endlich war es Mitternacht geworden und die Farce schien endlich ein Ende zu nehmen, wir gingen hinaus, erhielten unsere Kleidungsstücke wieder und sie hatte unbedingt auf den Hans zu warten, der sich wieder irgendwo im Suff verplaudert hatte.
Als ich dann vor dem Palazzo, da es regnete, ein Taxi für sie und mich herbeiwinken wollte und mich der Fahrer von ebendiesem ignorierte, meinte der dumme Hans neben mir grinsend, winke-winke, hat net funktioniert, gell, nun platzte mir endlich der Kragen und ich grollte in seine Richtung, du bist ja viel zu bekokst dazu!, um ein Haar hätte ich die Contenance verloren, schließlich gingen wir per pedes, ich schwieg, sie schwieg, wir beide voran, etwa zehn Meter hinter uns Hans und Hemma, sie packte pseudodemonstrativ meinen rechten Oberarm beim Gehen, als sich die Wege von Hans, Hemma und ihr und mir bei der Bastille trennten, grinste mich Hans nochmals an und rief mir auf Spanisch Que tu duermes con los angelitos zu, ich nahm sie bei der Hand und fragte sie dann nach ein paar Schritten, was das bedeute, sie sagte, dies bedeute, schlafe mit kleinen Engelchen.

Ich machte mir meine Gedanken darüber, wie Hans dies wohl gemeint hatte. Nach ein paar Schweigeminuten sagte ich zu ihr, daß ich keineswegs auch noch den nächsten Abend mit den beiden verbringen wolle, denn schließlich hatte sie die beiden schon die ganze Zeit gehabt und ich sei eigens wegen ihr nach Rom gefahren, woraufhin sie mich anfuhr und mir entgegenzischte, daß ich zu sagen hätte, daß ich mit ihr alleine sein wolle und wir deshalb den Abend miteinander verbringen sollen.
Es tat alles nur mehr weh. Endlich hielt ein Taxi an. Endlich erreichten wir gegen ein Uhr morgens das Hotel, wir fuhren wortlos in den fünften Stock, sie legte sich grinsend, vom Bankettwein leicht besoffen seiend, auf das Bett, ich legte mich auf sie, wir küßten uns rasch, sie zog sich Strumpfhose und Höschen aus und schließlich beschlief ich sie respektive ihren betäubten Körper, selbst benommen seiend, zu ein, zwei minderberauschten Höhepunkten. Ich spie mich endlich aus, und uns ausgewürgt habend entschliefen wir blitzartig, und über all dem lagen die traurigen Kadenzen von Albinonis Adagio.

Elmar Mayer-Baldasseroni
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(Auf Wunsch des Autors wurde bei diesem Text auf manche Lektoratskorrektur verzichtet und der Text großteils im Original belassen.)