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abwesenheitsnotiz : auf urlaub

ich habe keine gegenwart, nur verlorene gefühle, auf einem balkon ohne haus, moos oder sand unter den füßen (meine unfähigkeit, zwischen beidem zu unterscheiden), ein leben in abwesenheitsnotizen, im nachtkästchen, gespräche nur in den entwürfen, im mailaccount, wir blättern nicht mehr zurück, wir scrollen nach unten, mir fehlt das rascheln der seiten oder seine notizen auf meinen rändern oder die scheinbare leere in unseren atemzügen dazwischen, manchmal.

ich trete vom balkon, zurück in einen anderen raum, in eine andere vergespensterung, alles ist verfärbt, die vorhänge sind altrosa, der bettüberwurf minzgrün, wir fotografieren das zimmer, wir fotografieren uns, verlaufen im spiegel, bevor wir die kofferinhalte, bevor wir uns über den raum verstreuen, ich google den schnellsten weg zum meer oder ich lese ihr vor, von touriseiten, was wir uns alles ansehen könnten, die castello di duino, den rilkeweg, triest, point portopiccolo, wir reden und lachen und reden und ich schiebe die ungeschriebenen gedichte im kopf zur seite, schiebe es zur seite, ich verschmerze das heute nicht.

wir spielen strandurlaub im märz, wir spielen außerhalb der saison, vor geschlossenen lokalen und ohne gäste, zwischen zwei steinen treibt eine qualle an der wasseroberfläche. „glaubst du, dass die tot ist?“, fragt sie mich, dann schaut sie auf ihr handy. ihre locken, meine zigaretten, unsere strandkleider, nur ich ziehe mich aus, obwohl das meer zu kalt ist, mein bikini passt nicht mehr, der busen quillt über, jeder schritt ins wasser ist ein abrutschen, an den steinen, an mir selbst, ich bin froh, dass nur sie mich beobachtet, kein anderer blick ruht auf mir, auf meinem unförmigen körper, auf meinem fehlenden gleichgewicht, der abweisende untergrund, kein halt zu finden, sie fotografiert mich, als nur mehr mein kopf aus dem wasser schaut, ein beweisfoto gegen die ungezählten porträtfotos, die ich später von ihr festhalten werde, am steg, in perfekter pose, wir reden und lachen und reden, an meinen beinen klebt sand, zwischen unseren wörtern verkleben sich die abwesenheiten, die menschen, die uns fehlen, sie sind ohne absicht verblieben, sie wollten ja nicht, dass wir eigenständig weiterfühlen: es war nur ihr versehen, unser gefühl.

„mir tut das herz so weh“, sagt sie und ihr glaube ich das. „manchmal hilft es schon, nicht mit der eigenen geschichte alleine zu sein“, antworte ich, weil ich nach etwas suche, das groß genug sein könnte. ich warte auf ein enden, sie meint: „ich hab einen stein auf die qualle geworfen. sie ist wirklich tot.“

Julia Knaß

www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg | Inventarnummer: 19070




zerrspiegeln

unsere blicke sind zerbrochen, ich schneide dich aus den scherben, du versprichst uns, ein spiegelkabinett zu bauen, prunkvoll, wir haben überhaupt keinen fokus.

und ständig will ich dich immer, wir verlaufen auf uns zu, aber dann ist da doch nur ein spiegel, das kabinett wird unser gefängnis, unsere blicke sind verbrochen.

unsere blicke sind gesprochen, ich setze das kabinett unter wasser, wir liebten uns, aber farblos, wir spiegelten uns, aber stimmlos, wir werden zu eis, das alles auftreibt.

Julia Knaß

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 17194

 

 

 

 




Aufknüpfen

Im Herbst zieht sich der Knoten in unserem Erzählfaden weiter zu und ich fliehe vor ihm nach Wien. Zu ihm. Wenn ich bei ihm bin, fixiert er mich. Ob das genug Milch sei, ob das meinen Geschmack treffe, will er wissen, als er mir Kaffee kocht. Und ich sage, ja. Ob das fest genug sei, ob das meinen Geschmack treffe, will er wissen, als er meine linke Brustwarze zwischen seine Finger nimmt. Und ich sage, fester.

Er hat in seinem Regal nur vier Bücher stehen, aber eines davon ist Wunschloses Unglück. Darüber reden wir nicht, als wir auf seinem Balkon sitzen, sondern über die Fassade. „Das Fenster, da, hat so eine seltsame Verfärbung im Glas“, zeige ich auf das Haus gegenüber und wir rätseln, warum. Dann beschäftigt mich die Asymmetrie der Kamine. Die leeren Kaffeetassen vergessen wir draußen.

Wir essen Spiegeleier gleich flüssig, stellen wir beim Frühstück fest. Er hat heute ein Meeting, ich treffe mich mit einer Freundin. Wir sind spät dran und müssen zur U-Bahn rennen. Ich lache und sage, dass ich mich wie eine Wienerin fühle, und er meint: „Richtig angekommen bist du hier erst, wenn dich die U-Bahn das erste Mal in einer ihren Türen eingezwickt hat.“ Wir fahren zwei Stationen gemeinsam, dann steigt er aus.

Meine Freundin zeigt mir die Stadt. Wie eine Katze kennt sie die besten Plätze. Zwischen Rüdigerhof und Café Drechsler versuche ich mich erstmals an einem Anfang. Wenn wir schweigend nebeneinander gehen, dann macht sie „Miau“. Irgendwann frage ich, warum sie das tue, und sie meint, weil es Spaß mache. In unserem Lachen finde ich meine Sprache wieder. Glück liegt in Katzenlauten.

Währenddessen bin ich unruhig, weil ich Angst habe, dass er sich nicht meldet. Wir wollen uns wieder treffen, wenn er mit der Arbeit fertig sei, erzähle ich ihr und zeige ihr sein Foto. Sie meint, er sehe lieb aus und dass es ja logisch sei, dass er mir während der Arbeit nicht schreibt. Als er sich meldet, fragt er, ob ich Milch mitbringen könne. Ich habe wenig Ahnung von Alltag, aber ich kaufe die, die am längsten hält.

„Meine Liebe, wenn du hier wärst, dann könnten wir jeden Tag so verbringen“, meint er und ich stelle mir eine Welt vor. Von seiner Wohnung bis zum Bahnhof sind es zwanzig Minuten zu Fuß. Er fragt, ob er mich begleiten solle. Ich verneine lachend und meine, ich sei ja schon groß, ich würde das alleine schaffen. Als ich im Zug sitze, reißt der Faden schließlich doch, nur die Schlinge um den Hals bleibt.

Julia Knaß

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 17187

 




sich verbohren

eine spirale: die ist ROSTIG, windet sich, die hat ZACKEN, die sind SPITZ, immer weiter, dreht sich langsam durch meine SCHÄDEL:decke, dann, durch mein gehirn,

zersplittert meine gedanken: „es ist nicht zu ertragen, ertragen es ist nicht zu, zu ertragen es ist nicht, nicht zu ertragen es ist, ist nicht zu ertragen es : uns“, mein körper:

SUCHT zu entkommen, er läuft davon, weil: der körperliche schmerz ist LEICHTER – wie mir ALLES weh tut – aber auch mein körper wird NASS in unserem regen,

die spirale : dreht sich weiter, bohrt sich tiefer, durch den kopf, sie will weiter, sie will zu meinem blinden fleck für?, die spirale nennen wir auch sehnsucht, my love

Julia Knaß

www.verdichtet.at | Kategorie: verliebt verlobt verboten | Inventarnummer: 17170