Schlagwort-Archiv: unerHÖRT!

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Verlorene Seelen oder Der Mann im Mond

Im lautlosen Dunkel der tiefschwarzen Nacht
ist er es, der über uns Menschen wacht.
Von silbernem Sand glitzert sein Rücken,
der sich sacht unter prüfenden Himmelszeltblicken
aus der hellgelben Sichel löst, der blanken,
um die sich Sterne als Lichtblitze ranken,
wie ein hohler Kern aus der schützenden Schale,
in die er sich schmiegte. Bei fahlem Licht sich wohlig wiegte.

Mit zwei glühenden Perlen die Welt beäugend,
den funkelnden Rücken vor Hingabe beugend,
sodass seinem Blick kein Kummer entkommt,
und hat er sich noch so krumm gemacht.
Und während er schon mit viel Geschick
die schmale Sichel mit Perlen bestickt, in Silbergrau,
da rollt die Strahlenfrau ihr Abendrot ein
und lacht, weil die Arbeit vollbracht.

Nun ist es perfekt, das Glitzermeer,
zufrieden und stolz blickt er umher.
Schnell fegt er noch den schimmernden Hof,
bevor er sich auf das Silberlicht schwingt,
zur Erde hinabschießt, das Mondlicht bringt
für alle, die ihn schon wimmernd erwarten,
die rastlos irren, in leeren, vernarbten
Hüllen jagen, nach dem einen Körper, in den sie passen,
wie die Hand in den Handschuh. Und erst dann gibt die liebe Seele Ruh.

Claudia Lüer

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www.verdichtet.at | Kategorie: fantastiques und unerHÖRT!| Inventarnummer: 22145

Wieder Kind sein

Manchmal, wenn ein Schmerzpfeil mitten ins Herz schießt und mein Leuchten dimmt,
zu viel negative Ladung in meinem Blut fließt und mir die positive Sicht nimmt,
nichts mehr stimmt, ich jede Veränderung beanstande, weil ich nur noch aus Angst handle,
anstatt aus dem Mut des Herzens. Dann mach ich besser einen cut.
Seh mich lieber an euch satt und nehm die Ladung raus, zieh meinen Bleimantel aus,
tauch in eure Leichtigkeit ein und will genauso begeistert sein wie ihr,
wenn ich mit ungebremster Leidenschaft ganz kreativ neue Welten schaff,
will im Agieren die Zeit verlieren und häng mich voll in den Moment hinein, um wieder
Kind zu sein.

Dann bin ich wieder echt und gerecht, denk nicht von allen andern schlecht,
schau nicht ins Gestern, nicht ins Morgen und vergesse alle Sorgen.
Steh voll für das ein, was ich seh und fühl, wenn ich mich beim Höhenflug im Sinnesrausch
auf Wattewolken abkühl, und Berechnung gegen Ehrlichkeit eintausch.
Und hör dabei auf mein Herz. In dem das Lebensfeuer Flammen schlägt,
das meine Seele trägt und Lebendigkeit raucht, die ich so dringend brauch,
bis es wieder so schön kribbelt im Bauch, weil wir im Himmel einen Looping drehn
und die Wolken von oben sehn, wenn wir nach den Sternen greifen uns mit Dopamin
einseifen.

Vielleicht lohnt es sich auch für dich, die Welt mal wieder aus der Sicht
eines Kindes zu erfassen, ganz gelassen und unbefangen zu tun, was dein Herz dir sagt,
Verpflichtungen zu lassen und mit Vertrauen in dich selbst und auf sanften Sohlen neue
Wege zu entdecken, um ganz unverhohlen deine Neugier zu wecken, mit Achtsamkeit und
Geschick den Blick auf Kleinigkeiten lenken, dem Sinnescocktail Natur pur Gehör schenken,
einfach nichts denken und von ganzem Herzen lachen, deinen Nachbarn eine Freude
machen. Und mal wieder ehrlich zu dir selbst zu sein, um wach und mit Lust in dieser Welt
zu sein. Sie mit den Augen eines Kindes zu begutachten und danach zu trachten, vieles
anders zu machen.

Claudia Lüer

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www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt und unerHÖRT!| Inventarnummer: 22143

 

Ich will, dass alles so bleibt, wie es ist

„Kinderlachen ist wichtiger als Geld“,
sagst du, also hab ich mir neue Laufschuhe bestellt,
damit ich schneller rennen kann.
So hetz ich hinterher, will es einfangen, festhalten,
einfrieren, zweifrieren, will die Schallwellen und Gefühle pausenlos verwalten.
Neulich habe ich sogar die Wände damit beklebt,
sodass mir auch ja kein einzigartiger Moment entgeht,
denn nur so können sich die Schmerzen in meinem Herzen nicht entfalten.

Ich will einfach nicht verstehen, dass Momente vergänglich sind.
Dass sie schneller sind als der Wind und in einem Sprint
immer auf der Überholspur und dabei längst nicht mehr die alten sind.
Denn wenn ich was Schönes erleb, dann sag ich:
„Lass es uns wieder tun!“ Doch noch im selben Moment ist mir klar,
dass nichts so bleibt, wie es war.
Dass jeder Moment wie ein funkelnder Diamant ein Unikat ist und
im Zeitstrom unseres Lebens nicht wiederkehrt. Verrinnt.

Und du sagst, dass die Momente wie Sterne sind, die verglühn
und nur in unseren Herzen weiterblühn.

Dann will ich ein Sternendieb sein! Und ich schultre mein Gewehr,
bin auf der Jagd und hetz hinterher,
will sie einfangen, festhalten und glatt polieren,
will mich verausgaben, alles tun, um ihren Glanz zu konservieren.
Will sie in meine Seele brennen, damit sie für immer bleiben.
Und du siehst dabei zu, wie ich die ganze Farbpalette meines Herzens
verbrauche, um sie wieder bunt anzupinseln,
weil ich es nicht ertrage, wie sie in mir gefrieren und ihr Strahlen verlieren.

Und du sagst, dass die Momente wie Sterne sind, die verglühn,
und nur in unseren Herzen weiterblühn,
wenn ich sie lasse, wie sie sind. Sie loslasse,
weiterziehe, meinen Weg damit schmücke
mich ab und an nach ihnen bücke, aber dann wieder nach vorne blicke,
weil ich sonst den Moment, in dem ich gerade bin, verpasse,
an den ich mich irgendwann erinnern könnte, wenn ich wollte,
mit dem ich Spuren hinterlasse.

Und wenn ich eines Tages stehen bleibe, dann hab ich großes Glück,
wenn du noch bei mir bist. Und wir denken gemeinsam an all das zurück,
was schön war, können das Lachen der Kinder mit Zeit begießen.
Denn wenn es bunt und üppig weiterblüht, wird es auch in ihre Herzen fließen,
und wir beide, wir sind im großen Universum ja auch nur ein Moment,
der verglüht … Aber das ist gar nicht mehr so schlimm,
denn du hältst meine Hand, lachst mich an und sagst,
dass ich nicht vergänglich bin.

Claudia Lüer

erschienen in: Christoph-Maria Liegener (Hrsg.):
8. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2022, Tredition-Verlag

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www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt und unerHÖRT!| Inventarnummer: 22136

Liebeshymne an meine Kinder

Noch traute ich mich nicht, mit euch zu rechnen, da hab ich schon von euch geträumt,
ließ euer Lachen gegen meine Wände krachen, hab in meinem Leben aufgeräumt,
damit ich bereit war für euch. Hab eure Hände gefühlt
und an euren Haaren gerochen, mich mit euren Worten durchspült,
wollte von eurem Übermut trinken und in euren Augen versinken,
denn mir war schon immer absolut klar, ich hätte das Beste versäumt,
wenn ich am Ende ohne euch wär. – Weil ihr mein Wunder seid,
mir neues Leben schenkt und mich mitnehmt in eine Zeit, in der ohne euch nichts von mir bleibt.

Dann wart ihr da, und nichts blieb so, wie es war.
Ihr habt mich neu programmiert, meine Saiten gestimmt und meine Fehler studiert,
habt mein Herz vertieft, seid in längst vergessene Höhlen getaucht, habt mich analysiert,
mich mit Schwächen konfrontiert, die ich offenbar bisher nicht sah.
So konnte ich wachsen mit euch, mir an euch die Zähne ausbeißen,
all meine Pläne über Bord schmeißen, jeden Tag tanzen,
mich im Sprudelbad eurer Leichtigkeit verschanzen. Und ihr habt mir die Welt neu erklärt,
mir den Mut beschert, das Undenkbare zu denken, habt meinen Blickwinkel umgekehrt.

Ihr seid die Zündschnur für meine Glücksraketen
und die Quelle für meine Tränen,
habt große Träume in mir losgetreten,
seid das Pflaster für mein Sehnen.
Ich seh mich in euren Augen wohnen und hefte meinen Blick
tagtäglich voller Stolz auf euch, bin fassungslos vor Glück.

Für euch mach ich täglich zehntausend Schritte und bin auch ohne Yoga in meiner Mitte,
denn ihr zieht an meinen Zügeln, sodass ich innehalten muss
und dann nicht anders kann, als im Moment zu verweilen, ihn zu genießen,
in euch zu fließen, Sternenfunkeln zu teilen und Lachtränen zu vergießen.
Ängste zu dämmen, Sorgen zu hemmen, eure Verzweiflung und euren Verdruss
anzunehmen und zu verstehen. Euch den Rücken zu stärken und ein mutiges Herz zu formen,
dabei nicht zu vergessen, auch mal eigene Wege zu gehen.
Und Hilfe anzubieten, bei der Lösung dessen, was ich für mich bis heute nicht gelöst habe.

Und wenn ich ab und an mal meine Fühler nach innen strecke,
mich kurz besinne und die Fäden rückwärts spinne, dann krieg ich Angst und erschrecke,
weil mein Herz so schnell schlägt, die Zeit an meinem Leben sägt,
und ich mich frage, wo sind die Jahre geblieben, seh euch noch auf dem Wickeltisch liegen,
beginne zu philosophieren wie die Alten, die einst prophezeiten,
ihr werdet schneller groß, als ich denke, und muss mir traurig eingestehen, dass sie recht hatten.
Dann will ich alle Uhren abschalten, die Momente mit euch auseinanderfalten, glatt streichen
und in Marmor meißeln. Und die ganze Welt soll den Atem anhalten.

Denn ihr seid der Leuchtturm in meinem Herzen,
und der Nährboden für meine Falten.
Mit euch geh ich durch die schlimmsten Schmerzen,
kann mein Fühlen auf Höchststufen schalten,
bin um ein Grad wärmer getunt und richte meinen Blick
tagtäglich voller Stolz auf euch, bin fassungslos vor Glück.

Doch ihr lauft lachend vor mir her, taucht mich in ein Farbenmeer,
hüllt meine Seele in goldenes Licht und bestickt ihr Gesicht mit Perlen,
die funkeln und schimmern und mich daran erinnern, nicht so viel zu denken,
sondern zu leben, euch Halt zu geben, da seh ich, wie unsere Seelen tanzen vor Glück,
sonne mich in ihrem Schein und mach mir gleichzeitig bewusst, dass ich euch ziehen lassen muss, jeden Tag ein Stück.
Doch ihr schreibt mit blauer Tinte in den Himmel, dass wir trotzdem zusammen weitergehen, auch wenn wir uns nicht immer sehen.
Dass unsere Seelen sich nacheinander sehnen, sich suchen und finden, miteinander verbinden.
Und in meinem Herzen bleibt für immer für euch ein Zimmer.

Kommt, lasst uns die Zeit genießen, die wir haben, uns in den Schlaf lachen und ein wunderbares Leben machen.
Zusammen weinen, verzeihen, staunen und fragen, uns gegenseitig tragen.
Und wenn ich alt bin, dann geht ihr euren Weg. Und ich werde ganz still,
weil ich den Nachhall eures Lachens hören will, mit dem ich meine Seele befüll.
Und es wird mir eine Gänsehaut machen, die Zeit überbrücken, bis wir uns wiedersehen.
Dann streich ich über euer Haar und bin voller Glück und Staunen, strahle im Herzen,
weil es das Beste in meinem Leben war, mit euch zu sein, und freu mich schon jetzt auf unseren nächsten Tanz, halt euch ganz fest und versprech bis dahin über euch zu wachen.

Ihr seid das Konfettibad für meine Seele
und in meinem Herzen die Wunderkerzen,
der Garantieschein dafür, dass ich mein Glück nicht verfehle,
doch den gibt es nicht ohne Sorgen und Schmerzen.
Ich lieb euch mehr als mich selbst und hefte meinen Blick
tagtäglich voller Stolz auf euch, bin fassungslos vor Glück.

Claudia Lüer

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www.verdichtet.at | Kategorie: let it grow und unerHÖRT!| Inventarnummer: 22112

Gegenwind

Es gibt Dinge, die ich nicht ändern kann, doch es dauert lang,
bis die Rebellin in mir schweigt, und solang
lass ich nichts unversucht, wenn ich, das Herz in der Hand,
mit wachem Verstand und Bärenkraft den Wind einfang,
um ihn zu drehn, auch wenn’s sein kann, dass ich ihn dann gegen mich hab.
Doch ich gebe nicht auf, fließe bergauf, tune meinen Gang, maskier meine Hände
und gehe durch Wände. Lass die Luft aus den Wolken und lebe das Leben
von hinten nach vorn, will es durchschaun, in Momente zersägen,
bis ich den einen erwische, die einzige Lücke, in die ich flieh, und mit Macht und Tücke
die Kraft, die mir bleibt, verschwende und alles zum Besten wende.

Doch manchmal reicht das alles nicht aus, weil ich als Sklavin des Systems
längst Teil des Problems bin, die Wildheit in mir dämpfen muss,
das Aufbäumen bekämpfen muss, besser stumpf ertrage, bevor ich mir selbst schade,
mich verliere und mit überhöhter Geschwindigkeit in eine Sackgasse manövriere.
Das zu erkennen, ist nicht leicht und ein bisschen wie Sterben inmitten von Scherben
einer Illusion. Lebendigkeit weicht, anstelle der Rebellion tritt Resignation,
danach eine wachsende Gelassenheit, denn meine eigenen Grenzen sind erreicht.
Doch die fühl ich nur, weil ich nicht stehen geblieben bin, dann aber rechtzeitig erkannte,
dass der Sturm zu stark war, um an ihm zu wachsen, lass in Liebe los, mach meinen Frieden und kann mit offenen Händen und weiten Flügeln schwingend neue Blüten anfliegen.

Claudia Lüer

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www.verdichtet.at | Kategorie: es menschelt und unerHÖRT!| Inventarnummer: 22111

Abschied

Wieder einmal geht was Schönes vorbei, und obwohl ich genau wusste, dass es so kommen musste, bin ich nicht frei,
hänge in einer Zeitschleife, noch eh ich begreife, dass ich mit meiner Seele um die Wette schrei,
spüre, wie ich im Nacken versteife, weil sich alle Muskeln und Sehnen dagegen wehren
im Hier und Jetzt zu sein und mit allen Sinnen neu zu beginnen, weiterzuspinnen
und eine Zeitblase zu schließen, fall wider alle Vernunft ins Begehren,
das Glitzern im Gestern mit Goldstaub zu verzieren, einzufolieren und binnen
kurzer Zeit mich darin zu verlieren. Weil es so verdammt schwer ist,
da weiterzumachen, wo es aufgehört hat. Auch wenn’s noch nicht so lang her ist.

Jeder Tag ist ein Abschied, jede Stunde, jede Minute verlässt mein Leben, kommt nicht wieder, denn nichts bleibt, wie es war.
Und meistens hab ich gar nicht die Zeit, darüber nachzudenken, weil das Vergehen so schnell geschah,
und ich, ins Leben vertieft, kann nur noch die Staubwolken sehen von all den Ereignissen,
die schwinden, sich zu meiner Vergangenheit verbinden, und nur, wenn ich mal innehalte, so wie jetzt, kann ich sie wirklich vermissen.
Dann werd ich traurig, wenn der Baum vor meinem Fenster seine Blätter verliert,
weil wieder einmal ein Sommer vergeht und in meiner Erinnerung steht,
dass er so, wie er war, nie wieder passiert. Und mit ihm im Schlepptau zieht die Illusion dahin,
dass ich noch mittendrin im Beginn meines Lebens bin, dass alles noch vor mir liegt und ich resistent gegen das Altern bin.

Jeder Abschied ist ein bisschen wie Sterben, sagt man
und egal, ob er groß ist oder klein, wird er nie ohne Schmerz und Wehmut sein,
zieht ungeschminkt in deinem Herzen ein, ob du es willst oder nicht,
um es zu stempeln und dich für dein Leben zu prägen.

Es gibt viel mehr Abschiede im Leben, als ich denke, und mir war nicht bewusst,
dass ich mich nicht nur von Herzensmenschen, sondern auch von Träumen, Hoffnungen und Glaubenssätzen verabschieden muss,
von einer Blüte, die mich bis zum November erfreute, von einer Prüfung, die ich scheute,
von Gedanken, die man mir als Kind einbläute, dass eine Liebe ein Leben lang hält,
dass das, was ich tue, mir jeden Tag gefällt, ein Schiff niemals an den Klippen zerschellt
und eine Freundschaft jede Belastung aushält, dass mein Lieblingskäse irgendwann verfällt
und von der Vorstellung, man bräuchte kein Geld, um glücklich zu sein.
Von dem Glauben daran, dass es keine Kriege mehr gibt auf der Welt, von meinem Papa als Held, und dass auch die Zeit nicht immer
alle Wunden heilt, und manchmal macht auch ein Sonnenstrahl alles nur noch schlimmer.

Und ich ertapp mich dabei, wie ich mich in meinen Zimmern einschließe
mit meinem Erinnern, es nicht rauslassen will, meine Zeitschleife genieße
darin döse, in Selbstmitleid zerfließe und so tue, als ob es das Jetzt wäre.
Versuche, in diesem Schein, es mit aller Kraft zu halten, den Lauf der Zeit aufzuhalten,
alle Uhren abzuschalten, es an den Wänden festzunageln, vor den Türen aufzustapeln
und sehe, wie ich die Fähre, die in meinen Adern zirkuliert, damit beschwere,
die mein Herz befüllt, bis es überquillt, weil ich alles aufbewahren will, damit der Abschied bloß nicht endgültig wird.
Sehe, wie das Erinnern wie ein Flimmern durch meine Zellen schwirrt.
Und mein Herz dann, völlig überfüllt, sich in Schweigen hüllt, still steht,
ich an der Erinnerung kleb, und mein Leben kopfnickend an mir vorübergeht.

Jeder Abschied ist ein bisschen wie Sterben, sagt man
und egal, ob er groß ist oder klein, wird er nie ohne Schmerz und Wehmut sein,
zieht ungeschminkt in deinem Herzen ein, ob du es willst oder nicht,
um es zu stempeln und dich für dein Leben zu prägen,
der dich neu formt und zu dem macht, der du bist, sich durch deine Gänge frisst,
um dich dann von Scherben umrahmt zurückzulassen, Narben zu hinterlassen,
die dich, tief in deinem Innern, für immer an ihn erinnern.
Und vielleicht wird ein Teil von dir in seinen Trümmern niemals ruhen,
weil er in längst verschlissenen Schuhen in dir umherirrt.
Und du setzt deine Scheuklappen auf, obwohl er nicht aufgibt, dir nicht gut zu tun,
bist ein Gewohnheitstier, durch und durch, geblendet von dem Schimmern
der unstillbaren Sehnsucht danach, wie es einmal war.

Wissenschaftlich betrachtet, müssen wir ein schlechtes Gefühl nur 90 Sekunden aushalten, bevor es ganz von allein wieder abfällt.

Wenn ich also meinen Abschiedsschmerz für eine Weile ertrage, ihn nicht blockiere und mit giftigen Pfeilen torpediere,
mich nicht ständig frage und studiere, wie es vorher war, mich darin verliere und nicht kapiere,
dass ich loslassen muss, damit ich den Schmerz überwinde, auch wenn der sichere Boden wackelt,
weil die Veränderung an meinen Toren rackelt und rumpelt, verzweifelt um Einlass fleht
und mir nur die Kraft ausgeht, weil ich so lange gegen sie angekämpft habe,
anstatt mit dem Herzen den neuen Weg zu fühlen, den alten dankbar zu verlassen,
ohne Ungewolltes auszusortieren und die Edelsteine, die ich dort fand, zu verlieren und als besondere Gabe
zu verstehen, als Geschenk des Lebens, das ich mir bewahre, um es dann
in das Neue zu flechten …
Dann geht es voran, weil mein Herz endlich tanzen kann.

Jeder Abschied ist ein bisschen wie Sterben, sagt man
und egal, ob er groß ist oder klein, wird er nie ohne Schmerz und Wehmut sein,
zieht ungeschminkt in deinem Herzen ein, ob du es willst oder nicht,
um es zu stempeln und dich für dein Leben zu prägen.
Doch wenn Schmerz und Trauer verblassen, offenbart die Liebe
ihre eigene Tiefe, die sie bis dahin nicht kannte und unentdeckt bliebe.
Die dir die Kraft gibt, weiterzugehen, Samen im Neuen zu säen und den Segen
der Blüte weiterzugeben, in neuen Farben zu strahlen und für das Leben ein funkelndes Fest zu geben.

Claudia Lüer

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www.verdichtet.at | Kategorie: think it over und unerHÖRT!| Inventarnummer: 22098

Immer am Meer

Immer am Meer wird mein Herz so schwer.
Dann fühlt es sich an, als ob darin nur Ballast wär,
der sich aufgetürmt hat und an den Wänden drückt,
es in die Tiefe zieht und auf den Narben zwickt,
und ich lauf gebückt und mit gesenktem Blick rastlos umher,
kann mein Herz kaum noch tragen, weil sich der Kummer
in jeder Kammer durch die Täler frisst, in die Schluchten gräbt,
will an mir nagen, bis mein Herz vergisst zu schlagen.

Dann hilft mir das Meer und schlägt mit den Wellen
meinen Takt, so horche ich auf und sehe es an,
atme den Wind und fühle dann, wie es aufschäumt in mir,
sich in mir verströmt, und wie die Wellen durch mein Blut schnellen, meine Adern
anschwellen, und das Leben in mich schießt, alles fließt, Gefühle erwachen,
weil die Wellen mein Herz neu entfachen, es am Zipfel packen, daran rütteln,
es ausschütteln, bis mein Kummer weicht, klammheimlich
zu den Wolken schleicht, und ich atme auf.

Und bin federleicht.

Claudia Lüer

Diesen Text können Sie hier auch hören, gelesen von der Autorin.

www.verdichtet.at | Kategorie: hin & weg und unerHÖRT!| Inventarnummer: 22096

Moskauer Musikgeschichten 1

Die Rache der Philharmoniker

Mein Chef, Botschafter Dr. Franz Cede, pflegte mich als seine Stellvertreterin zu Veranstaltungen zu entsenden, bei denen er verhindert war oder die ihm aus irgendeinem Grund nicht zusagten. Seinem eigentlichen Stellvertreter, dem jungen, unbedarften Botschaftsrat K., traute er das offenbar nicht zu; er nannte ihn nach dem alten Diplomatenwitz einen „Geschickten, nicht Gesandten“.

Dass K. sich nur gebeugt und im Rückwärtsschritt aus dem Botschafterkabinett entfernte, imponierte dem geradlinigen Cede nicht. Dabei unterließ er jeden Tadel, sondern seufzte nur einmal vor sich hin: „Wo hat der K. diese Unsitte gelernt? Hat der schon am Kaiserhof gedient?“ Ich bemerkte, wahrscheinlich habe er zu viele Sisi-Filme gesehen.

Der Botschafter bekam natürlich immer die interessantesten Einladungen, wollte doch jeder den obersten Repräsentanten der Republik bei sich haben und nicht unbedingt das dritte Glied. Außerdem war mein Allround-Service für ihn sehr bequem: Ich brauchte keinen Dolmetsch und keinen Chauffeur, ich kaufte das Blumenbouquet selbst ein, ich hielt Reden und überreichte Grußbotschaften, machte Taxi-Dienste und ging zur Not noch mit einem einsamen Besucher auf einen Absacker ins Kempinski oder National. Meine Tage schienen 48 Stunden zu haben.

Warum mich der Botschafter damals zum Konzert der Wiener Philharmoniker ins Tschaikowski-Konservatorium geordert hat, weiß ich heute nicht mehr. Aber es war mir „eine große Freude und besondere Ehre“ – mit diesen Worten begannen üblicherweise die Botschafterreden, die er nach zwei Jahren schon auf Russisch vom Zettel ablesen konnte –, die Philharmoniker begrüßen und anhören zu dürfen. Beim Dirigenten Valerij Gergijew hatte ich so meine Zweifel, bzw. wohlgenährten Vorurteile. Der Putin-Protégé hatte zwar schon Gastauftritte in Wien absolviert, aber noch nie mit den Philharmonikern.

Als ich vom Gartenring in die Alexander-Herzen-Straße – neuerdings in Bolschaja Dmitrowka umbenannt – einbog, geriet ich in eine Demonstration: Eine Menschenmasse schob sich auf beiden Seiten die Straße hinunter, auf der Fahrbahn stand der Autoverkehr. Je näher ich dem Konservatorium kam, desto klarer wurde mir, dass es sich um keine Demonstration handelte, sondern um Menschenmassen, die alle dem Konzert zustrebten. Ich konnte mich nur mit Mühe und mit Hilfe von zwei Milizionären zum Eingang durchkämpfen, das Riesenbouquet über meinem Kopf balancierend. Die Moskauer hätten ihre Großmutter verkauft, um an eine Karte der Wenskije Filgarmonisti zu kommen. Ich beobachtete tumultartige Szenen rund um die Türen. Unter Polizeischutz gelangte ich zur Künstlergarderobe, wo ich die Blumen endlich ablegen konnte, rote Rosen und weiße Lilien in einem Nest aus Philodendrenblättern, staatstragende Farben.

Als Staatsgast hatte ich einen Platz in der sechsten Reihe fußfrei, reserviert für die Prominenz. Er befand sich direkt unter dem Dirigentenpult. Die Philharmoniker marschierten unter dem frenetischen Applaus des Moskauer Publikums ein, gefolgt von Valerij Gergijew. Ohne einen Ton gehört zu haben, waren die Menschen schon außer Rand und Band, klatschten stehend und stampften mit den Füßen, dass es klang wie eine heranrückende Panzerarmee, unter der der Boden bebte. Die erste Hälfte war der Strauß-Dynastie gewidmet, die bekanntesten Ohrwürmer von der Blauen Donau, über Radetzki-Marsch, Kaiser-Walzer bis zu Polka schnell, Prater, Wienerwald, Champagner-Serenade und einigen Stücken, die Johann Strauß Sohn in Zarskoje Selo geschrieben hat.

In Moskau war es damals üblich, in Ermangelung eines Programmheftes, eine Ansagerin auftreten zu lassen, die in der übelsten Pathetik des Staatsfernsehens die Nummern ansagte, meiner Meinung nach eine unsäglich barbarische Sitte. Als der Vorschuss-Applaus endlich verstummt und Ruhe eingekehrt war, nach unzähligen Verbeugungen der 72 Männer (es gab damals noch keine Musikerinnen bei den Philharmonikern) alle Platz genommen hatten, erklangen die Walzermelodien.
Eine zweite Unsitte hatte in russischen Konzertsälen und Opern Einzug gehalten: Bei besonders bekannten Stücken mit hohem Erkennungswert auf offener Bühne zu klatschen und durch anhaltenden Applaus eine Wiederholung zu erzwingen. Aber die Wenskije verweigerten dies, da konnte Gergijew noch so sehr fuchteln und strampeln. Sie blieben ruhig sitzen und schauten in Pokerface-Manier ungerührt vor sich hin.

Ach, Gergijew, wie konnte man ihn nur den Philharmonikern vorsetzen? Wer hatte diese unsägliche Idee? Die Manager von Gazprom, die das Konzert gesponsert hatten? Aber von den Wienern wusste man, dass sie nicht nur sehr gut spielten, sondern auch gut rechnen konnten. Gergijew mochte noch so sehr rudern, die Philharmoniker spielten, wie sie immer und überall spielen. Sie brauchten auch überhaupt keinen Dirigenten, sie bildeten immer den gleichen genialen Klangkörper. Sie hätten auch im finstersten Verlies genauso gespielt. Gergijew, ein ossetischer Hüne von Gestalt, mühte sich redlich ab mit ausladenden Gesten und kam so sehr ins Schwitzen, dass die Schweißtropfen aus seiner langen Mähne und dem Gesicht bis in die sechste Reihe spritzten.
Ich hatte den Eindruck, dass die Musiker sich sogar den Spaß machten, ihm davonzugaloppieren wie eine Reitertruppe des Tschingis Khan oder in Ton und Tempo zurückzufallen zum zartesten Pianissimo, unabhängig davon, welche Anstrengungen und Verrenkungen er unternahm.

Aber, um Gottes willen, welcher Teufel hatte Gergijew geritten, sich nicht an die Kleidungstradition der Philharmoniker anzupassen, sondern in einem violetten Langhemd aufzutreten, in dem silbrige Lurex-Fäden glitzerten? Schon bald war es schweißdurchtränkt und zeigte dunkle Flecken auf dem Rücken und unter den Achseln. Er streckte sich oft so sehr in die Höhe, dass es hochrutschte, oder er ging so heftig in die Knie, dass die Mittelnaht der Hose zu platzen drohte. Sein Dirigat beschränkte sich nicht nur auf die Arme, sondern er setzte auch seine Füße ein, stampfte auf, schlenkerte sie so heftig vor und zurück, dass ich fürchtete, seine Hose würde gleich herunterrutschen, und er würde sich wie ein Riesen- Rumpelstilzchen in der Mitte auseinanderreißen und im Podium versinken.

Auch ich als unbeteiligte Zuhörerin war von dieser atemberaubenden Akrobatik schon schweißgebadet. Vielleicht nahm das alles nur mein böser Blick wahr, das Publikum jedenfalls war außer Rand und Band. Von den Gesichtern der Musiker konnte ich keine Gefühle ablesen, sie schauten stoisch vor sich hin, eine Phalanx aus gepflegter Langeweile – fadesse oblige. Nur ab und zu meinte ich, Anzeichen von unterirdischen Blitzen wahrzunehmen, ein lautloses Zucken wie in einer von weitem heranrollenden Gewitterfront. Welche Nervenstärke! Vielleicht standen sie das einzig beim Gedanken ans Konto durch, so wie eine fromme Ehefrau beim Beischlaf an die Jungfrau Maria.

Vielleicht ging ihnen gar nicht mal dieser Clown am Dirigentenpult am meisten auf die Nerven, sondern das noch kulturferne Gazprom-Publikum der Neureichen, das dem Gebrauch der gerade aufkommenden Handy-Kultur frönte. Geklingel, Gepiepse, Gespräche, kleine Blitze und blau leuchtende Bildchen zwischen den Reihen. Wer zahlt, schafft an. Ich habe vor Jahren einmal im Musikverein erlebt, wie sich das Orchester beim ersten Huster wie ein Mann erhob und abzog. Leicht benommen überstand ich die erste Hälfte und konnte in der Pause mit weichen Knien den Blumenstrauß an den Kapellmeister loswerden, zusammen mit den Grüßen des Botschafters, im Namen der Republik. Maestro Gergijew bekam von Gazprom ein noch dreimal größeres Bouquet, überreicht von einer wunderschönen jungen Frau, hart an der Grenze zur Edelnutte, wie man sie neuerdings in den Moskauer Hotel-Lobbys herumsitzen sieht.

Die größte Sünde haben aber meiner Meinung nach die Programmgestalter begangen – nach den Strauß-Melodien ein Tschaikowski-Potpourri anzusetzen. Und wieder erlaubten sich die Philharmoniker einen musikalischen Scherz: Wenn sie zeitweise den Strauß wie Tschaikowski gespielt hatten, schlugen sie bei Tschaikowski Strauß-Töne an. Gegen den Strich. So schaut die Rache der Philharmoniker aus, eleganter, lustiger und genialer geht es nicht. Auch nicht bösartiger und schräger, Strauß wie Tschaikowski und Tschaikowski wie Strauß klingen zu lassen!

Wieder einmal nur mein lange gepflegtes Vorurteil, dass ein einziger Strauß-Walzer mehr musikalische Einfälle enthält als eine ganze Tschaikowski-Symphonie? Er hat eine nette, eingängige Idee, die er dann vier Sätze hindurch variiert und auswalzt. Ich sehe immer den jungen Tschaikowski mit glühenden Ohren im Musikpavillon von Zarskoje Selo stehen, seine ersten Werke in den Händen drehend und auf einen Moment wartend, sie dem Maestro aus Wien übergeben zu dürfen.

Die Russen liebten und verehrten natürlich ihren Tschaikowski grenzenlos, sahen aber auch in Strauß einen Fast-Russen mit seinen 13 Saisonen in St. Petersburg und seiner angebeteten Fast-Verlobten Olga Smirnitzkaja. Da macht es nichts aus, dass deren Offiziers-Vater im weltberühmten Konzertmeister und Kompositeur Strauß einen dahergelaufenen ausländischen und ungläubigen Zigeuner sah und als Ehemann ablehnte. Einmal fiel das Gastspiel fast aus, weil die russischen Zöllner die Strauß-Truppe als zwielichtiges Gesindel, vermeintliche Landstreicher festhielten und nicht in dieses kultivierte Land lassen wollten. Nur durch die Intervention aus dem Sommerpalast trafen sie doch noch rechtzeitig zur 10. Saison in Zarskoje Selo ein.

Was sollte ich machen gegen meine in Wien trainierten Ohren, angefangen von der Familienmusik über die ungezählten Konzerte der Jeunesse musicale bis zu den Abonnementkonzerten das ganze Leben hindurch, ganz zu schweigen von allen Neujahrskonzerten seither. Man kann das Gehör, das genealogisch tiefste und älteste Organ, nun mal nicht ummodeln, das ist eine physiologische Tatsache, Vorurteile hin oder her. Das ist wie eine DNA.

Erinnert und aufgeschrieben nach dem Neujahrskonzert 22 mit den Wiener Philharmonikern unter Daniel Barenboim und am 2.1. unter der 9. Beethoven auf Ö1.

1./2.1.2022

Veronika Seyr
www.veronikaseyr.at
http://veronikaseyr.blogspot.co.at/

www.verdichtet.at | Kategorie: unerHÖRT! | Inventarnummer: 22014

 

Das Anstrengendste auf der Welt ist Happiness

Der alten Frau im Park
sind nur die Tauben geblieben
und wenn die Krumen aus sind
werden sie wegfliegen.

Der Clown im Zirkus lässt sich
mit Popcorn beschmeißen,
ungeschminkt fehlt ihm das Geld
für etwas zum Beißen.

Das Anstrengendste auf der Welt ist
Happiness.
Das Anstrengendste auf der Welt ist
Happiness.

Die Lehrerin steht in der
Schule im Mittelpunkt,
doch zuhause wartet nur
Schnaps und der Hund.

Und der fliegende Fisch will
sich in die Lüfte erheben,
doch die Schwerkraft zwingt ihn
zurück ins Meeresleben.

Das Anstrengendste auf der Welt ist
Happiness.
Das Anstrengendste auf der Welt ist
Happiness,

besonders wenn du
zu den unhappy People zählst,
besonders wenn du
zu den unhappy Fischen zählst.

Der Bademeister ruft
zur Ordnung im Hallenbad,
die Kinder geben ihm zur Auskunft.
„Sei doch nicht so fad!“

Die Kassiererin in der Drogerie
HASST es zu sagen:
„Heute gibt’s Aktionsklopapier,
sogar mit drei Lagen!“

Das Anstrengendste auf der Welt ist
Happiness.
Das Anstrengendste auf der Welt ist
Happiness.

Zombie Cash

Dieser Text ist auch als Song zu hören.
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Der abwesende Gott

Wo war er,
als all das Böse, Schlechte und Gemeine auf die Erde niederkam?
Er war nicht hier.

Gott hat mich verlassen.
War er denn überhaupt jemals bei mir?
Nie spürte ich doch seine Anwesenheit.

Der Heiland über der Eingangstür

Der Heiland über der Eingangstür

Johannes Tosin
(Text und Bild)

www.verdichtet.at | Kategorie: unerHÖRT! | Inventarnummer: 21010