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Wirtschaftstheorie

Immer, sagst du, sei der Markt gerecht
Das ist nicht schlecht, das ist nicht schlecht
Sieh da, dein Geld, es mehret sich von selber
Also sind die Armen Kälber, in Verfehlung dieser Gelder
Dass sie arm sind um der Mehrung solchen Geldes
Wem gefällt es? Wem gefällt es?
Zu dumm, die Welt, sie geht dabei in Stücke?
Dann, fürcht' ich, ist da eine Lücke
In deiner Wirtschaftstheorie
Ich gebe zu, das dacht ich nie!

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

www.verdichtet.at | Kategorie: Perfidee | Inventarnummer: 19004

Der poetische Funke

Blöder Funke, wird‘s gelingen?
Wirst du endlich überspringen?
Ich mein, von mir auf die da unten
Das ist doch eure Pflicht als Funken! 

Man sieht doch ständig dich bespringen
Die Publika bei Tanz und Singen
Selbst in der übelsten Spelunke
Funkelst du, elender Funke

Ja, und das tut richtig weh
Du sprangst sogar für Gabalier!
Nur bei mir willst du dich weigern?
Wohin denn soll ich mich noch steigern?

Ich schlag die Verse hart auf hart
Ich fleh dich an, ich lock dich zart
Bemüh mich redlich jeden Tag
Auch nächtens muh ich meine Plag

Bemih und mäh mich fürchterlich
Sturer Funke, rühre dich!
Doch du bleibst reserviert und kalt
So brauch ich, Schurke, denn Gewalt

Ich werde deine Trägheit reimen
Mir ein Gedicht zusammenleimen
Ein Gedicht, das Klage führt
Darüber, dass du ungerührt

Das Feuer wahrer Lyrik schmähst
Doch wenn wo wer den Bockssang bläst
Dich glitzernd über Häuptern sprengst
Dich an jedes Sternchen hängst

Dich an jeden Hengst randrängst
Wenn nur, gesteh‘s der Umsatz stimmt
Wenn nur, du Schuft, die Münze klingt
Oh, Trauer, tiefgesunk‘ner Funke
Du springst nur noch für Frosch und Unke

Ich klage, Winzling, dich gesetzlich
Die Strafe, Gauner, wird entsetzlich
Du wirst zum Schuldienst degradiert
Und wenn, was ja sehr oft passiert

Die sogenannte Einheit stockt
Das Kindsvolk rebelliert und bockt
Funke, wirst du zwangsgelockt
Und hast, ohne dich zu weigern
Die Lernlust radikal zu steigern

Und mit dir als Unt‘rrichtsmittel
Spart der Staat ein gutes Drittel

Solch Dasein wird dich bald ersticken
Kaum jemand wird dich mehr erblicken
Erstirbst du dann vor deiner Zeit
Herrscht finsterste Gerechtigkeit

Du zitterst, Funke? Du erblasst?
Mir scheint, dich hat die Angst erfasst?
Mir deucht, wir werden handelseins
Und springst zum Lied, und sei‘s auch meins?

Arg, du hast mich ausgelacht!
Um mich wird es dunkel, Nacht!
Dass du tatsächlich sitzt und harrst
Damit du mich nur länger narrst!

Warte nur, ich kriege dich!
Ich kriege und besiege dich!
Ich jag dich mit Moskitonetzen!
Ich werd dich mit Magneten hetzen!

Ich stell dir Fallen noch und nöcher
Und schieß an deiner Stelle Löcher
Mit Leuchtpistolen in den Bauch
Des Saals –
Funkelt auch!

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

www.verdichtet.at | Kategorie: Perfidee | Inventarnummer: 18145

 

Big brother is watching you

Von Jerewan nach Tbilisi

Wann ich studiert haben soll, ist mir rätselhaft. Ich war ständig auf Reisen. Aber sicher erinnere ich mich: Ich hatte ein Zimmer in der MGU, im 17. Stock des Westturmes, vorbehalten den imperialistischen Ausländern. Die Dissertation konnte warten. Ich konnte ja nicht wissen, ob ich jemals noch ins Reich des Bösen gelassen werden würde.
Reisejahre sind Lehrjahre, sagt man, auch, Reisen bildet.
Auf der Reise von Jerewan nach Tbilisi habe ich jedenfalls etwas gelernt, was auf keiner Universität der Welt unterrichtet wird, sofern sie nicht eine Uni des KGB ist. Ich bekam die erste Lektion im Erkennen von KGB-Agenten. Eine sehr praktische Lektion, eine Anwendung in natura sozusagen.

Ich hatte meine erste Rundreise durch das schöne Armenien mit einigen Tagen in der Hauptstadt Jerewan abgeschlossen. Ein paar Kollegen von der MGU habe ich zu Hause besucht, die grenzenlose Gastfreundschaft dieses Volkes kennengelernt, natürlich auch unter dem Nimbus eines raren Exemplars von westlichem Ausländer. Manche Gastgeber riefen die ganze Familie und die Nachbarschaft zusammen, um das Mondschaf zu bestaunen. Zugegeben, es war nicht allzu schwer mit mir: Ich war nicht unansehnlich, dreiundzwanzig Jahre alt mit blonder Mähne und Minirock, konnte Russisch, war neugierig und nicht schüchtern. Alles war freundlich und angenehm, nie zudringlich oder unhöflich. Höchstens das endlose Essen und Trinken, zu dem ich genötigt wurde, konnte zur Qual werden. Man wollte vor mir die Reichtümer des Landes mit seiner ältesten christlichen Kultur ausbreiten. Irgendjemand hatte immer einen Moskwitsch oder Lada, der mich zu Kirchen, Klöstern, auf Berge und zu Seen führte.

Und noch ein Kreuz oder Grabstele auf einem hohen Kaukasus-Berg mit den fantastischsten Aussichten, noch eine Schlucht, noch ein Wasserfall, noch ein einsamer Schäfer mit seiner Herde und dem besten Käse und Kefir. Schau, so wird man in Gesundheit 120. Bei einem solchen Hirten kaufte ich meinen ersten Teppich und begann damit einer lebenslangen Leidenschaft zu frönen. Ich schleppte ihn viele Jahre von Wohnung zu Wohnung, von Land zu Land, bis er einmal als von Motten zerfressener Staublappen von der Wand fiel. Das Sammeln habe ich deswegen nicht aufgeben, hasse diese Tiere aber aus tiefstem Herzen und will noch immer 120 werden, auch wenn ich keinen Zugang zu armenischem Käse und Kefir habe. Man kann nie alles sehen, auch in dem kleinsten Land nicht. Aber nach einer Woche kaufte ich eine Bahnfahrkarte nach Tbilisi und nahm Abschied. Es war der Nachtzug, das weiß ich mit Sicherheit, um Zeit zu sparen.

Bei der Abfahrt war es noch hell genug, dass ich die Landschaft bewundern konnte. Zuerst durch die Fenster des Abteils, später vom Gang aus. Im Coupé nahm ich flüchtig zwei Männer wahr, denen ich keine Beachtung schenkte, mit zu kleinen Hüten auf dem Kopf. Ich grüßte kurz mit dobri vetscher und stellte meinen Rucksack ab. Sie saßen stumm in zwei Ecken und verbarrikadierten sich hinter der Pravda und Izvestja. Ich wollte vor allem den Ararat nicht verpassen, an dem die Strecke vorbeigehen sollte. Vorerst fuhren wir aber durch eine üppig grüne Ebene, auf der weiße Pferde grasten, dazwischen hineingestreut die Jurten aus weißem Leder, eine Symphonie in Weiß und Grün, rosig angestrahlt von der untergehenden Sonne. Ich stehe am Gangfenster und es geht klick-klick-klick. Ich fotografiere, was das Zeug hält. Es ist meine erste Kamera, eine begehrte Leica aus der GDR, erstanden in Moskau auf dem Arbat.

Dann Hirten mit ihren ausladenden schwarzen Filzumhängen, die sie wie Zelte aussehen ließen, gestützt auf ihre gekrümmten Stäbe. Wieder klick-klick-klick. Später tauchten auch noch Schaf- und Ziegenherden auf, wieder alles in Weiß vor den grünen Weiden in der niedrigstehenden Sonne goldüberflutet. Ich bekam mein ultimatives Kaukasus-Erlebnis, von dem ich seit meiner Kindheit geträumt hatte. Herrlich, da tauchte rechts in der Ecke des Fensters schon der hohe Gipfel des biblischen Berges auf, links daneben sein kleiner Bruder. Ich werde die Saga umschreiben, die Arche Noah ist nicht auf dem Ararat gestrandet, sondern genau im Sattel zwischen den beiden Gipfeln zum Sitzen gekommen. Idealer geht’s nicht für so ein unlenkbares Schinakl. Sie hätte nie und nimmer auf der Spitze landen können.

Gerade als die Westsonne den Großen Ararat beginnt mit Gold zu bewerfen, spüre oder sehe ich aus dem Augenwinkel links neben mir eine Bewegung und höre ein schnarrendes Geräusch wie rrrrtttsch oder krrrtsch. Die zwei Männer aus meinem Abteil begrenzen mich ganz eng. Der linke hat meinen Fotoapparat geschnappt, geöffnet und den Film herausgezogen. Mit einer solchen Affengeschwindigkeit, dass ich es erst beim Schnarren bemerkte. Belichtet, alles weg. Der rechte hielt mir das braune, sich einrollende Filmband vor die Nase, es baumelte wie eine große Spirallocke. Und die Bemerkung: Wir haben Sie gewarnt, Towarischtsch inostranka, Genossin Ausländerin, aber Sie wollten ja nicht hören und nicht sehen. In Tbilisi werden wir Sie überprüfen, ob Sie eine Spionin sind.

Danach weiß ich nur noch, dass ich geheult habe und den heiligen Ararat - groß und klein, hoch oder niedrig, mit Gipfel oder Sattel, mit oder ohne Abendsonne - nicht genau gesehen habe.
Die südliche Grenze der sowjetischen Republiken Armenien und Georgien stößt fast zur Gänze an die Türkei, ein NATO-Land. Außengrenze zum imperialistischen Westen.
Ich naive Trottelin hatte in meiner Begeisterung für grüne Wiesen, weiße Pferde, Schafe und Ziegen, knorrige Hirten und romantische Lagerfeuer nebenbei natürlich jede Menge Telegrafenmasten, Schienen, Brücken, Bahnhöfe, Schranken, Übergänge, Wärterhäuschen, Wartebänke, Brunnen, Futterkrippen, Misthaufen, Heuschober, Sauställe und was weiß ich noch alles fotografiert.

Aber woran ich in meiner Naivität gar nicht gedacht hatte, war das, was man nicht sah: Die Grenzanlagen an einer Grenze, die noch schwerer bewacht war als die zwischen Nord- und Südkorea. Die Grenze zum absoluten Feind, der NATO. Auf der anderen Seite lag die Türkei. Was war da nicht alles unsichtbar aufeinander gerichtet? Unterirdische Raketenabschussrampen, Raketensilos, Truppenbunker, Minenfelder, Selbstschussanlagen, Horch- und Spähposten. Davon sollte wirklich nicht der Schatten eines Bildes überleben und in den Westen geraten, wenn auch nur in ein privates Fotoalbum.

Spionka. Das klang nicht gut, das war kein Spaß. Außerdem war an meinem Pass abzulesen, dass ich mich länger in Amerika und England aufgehalten hatte. Andererseits hatte ich meterlange Ausweise des Ausländerreferats der MGU, des Ovir, das nichts anbrennen lässt, einen sechsmal überprüft, ob man die 40-Kilometer-Sperre um Moskau überschreiten darf. Idiotisch, dass ich mir vor meiner ersten Reise ins Land des Arbeiter- und Bauernparadieses keinen neuen Pass ausstellen habe lassen. Späte Reue, aber wer kannte sich damals schon gut aus? Noch größere Idioten in der Wiener Uni und den Ministerien, die einem dazu nicht geraten hatten. Zum Glück hatte ich damals noch keinen israelischen Stempel.

Vor allem grübelte ich über die angebliche Warnung der Agenten nach. Was konnte das gewesen sein? Wir hatten doch nichts miteinander als meinem dobri vetscher- Guten Abend-Gruß und ihrem stummen Halb-Nicken. Was hatte ich übersehen? Das waren in etwa meine Gedanken die restliche Nacht hindurch in meinem unbequemen Sitz-Coupé, allein und in großer Hitze mit versiegelten Fenstern. Feindesgrenze.

Wie unbemerkt sie an mich herangetreten waren, okay, das lässt sich erklären mit meiner Kaukasus- und Ararat- Versunkenheit in die Bilder vor den Zugfenstern.
Warum hatte mich niemand von meinen russischen und armenischen Freunden gewarnt? Weil sie hier aufwuchsen und diese Verhältnisse für selbstverständlich hielten. Außerdem würde nie jemand ein politisches oder militärisches Thema anschneiden. Vieles Private sogar wurde nur bei laufendem Radio oder auf einer leeren Straße besprochen.

Das brutale Herausreißen des Films hatten sie wahrscheinlich auf ihrer KGB-Uni bis zum Umfallen trainiert. Vieles andere auch noch. So wie Oliver Twist angeleitet von Uriah Heep, die Diebstähle von Geldbörsen, Scheckbüchern, Monokeln, Tintenfüllern, Seidentaschentüchern und sogar von ganzen Regenschirmen, geübt an Puppen mit Glöckchen zur Perfektion, bis gar nichts mehr klingelte. Zauberer, Illusionisten. Im Zirkus und im Varieté zahlen wir Eintritt und glotzen auf sie in endlosem Vergnügen und Schaudern.
Den vernichteten Film konnte ich am leichtesten verschmerzen, wusste ich doch damals schon, dass ich mit einem eidetischen, das heißt, Bildgedächtnis ausgestattet war. Meine Augen sind Kameras mit großer und genauer Speicherkapazität im Hirn.

Wenn ich das heute aufschreibe, so wie jetzt, sind seit damals genau 46 Jahre vergangen. Ich habe nie wieder an diese Reise gedacht, bin nie wieder auf dieser Bahnlinie gefahren, und sehe trotzdem noch immer jedes grüne Gräschen, jedes weiße Pferd, Schaf, Ziege, Jurte, Schäfer mit dem mehrfach gekrümmtem Hirtenstab – ah, jetzt hab ich’s, wie Widderhörner – und die einzeln über die Kanten des Ararat kriechenden Strahlen, scharf gegen die untergehende Sonne abgezeichnet, auf der Hinterplatte gespeichert, sodass ich diese Bilder mit Worten auffinde.

Ich kann alles ablesen wie von einer laufenden Filmleinwand. Sogar vorwärts und rückwärts, stoppen bei einem Pferd oder einem Sonnenstrahl. Nur das Geräusch tut mir noch weh, nein, es ist ordinär, es beschämt und lässt Übelkeit aufsteigen.  Ich war doch keine Feindin, keine Spionin, sondern nur eine, … ja was denn? Eine Russisch-Studentin, die nur das Land kennenlernen und genießen wollte. Schwer, dieses Land zu lieben. Ich hielt lange daran fest und bekam viele Gründe dafür.

Die KGB-ler mit ihren Zeitungen, karierten Hemden, zu kurzen Hosen, braunen Socken, schlechten Schuhen und zu kleinen Hüten verschwanden ins Nirgendwo des Nachtzuges. Sie tauchten auch am nächsten Morgen in Tbilisi nicht mehr auf. Ich wartete eine Zeitlang in der Ankunftshalle und machte mich dann auf den Weg zu meinem Studienkollegen Gigi in der Altstadt. Eine wunderbare Woche in Georgien. Der Kaukasus hat mich erobert.

Die sogenannten Warnungen blieben mir lange noch ein Rätsel, bis ich mich einem Moskauer Freund anvertraute. Er klärte mich auf. Die Zeitungen, karierten Hemden, die lächerlichen, zu kleinen Hüte, vorgeschoben in einem bestimmten Winkel auf die Halbglatzen und alle anderen Attribute waren Codes von KGB-Agenten.
Jeder Russe wusste das, sah es, roch es. Aber man sprach nicht darüber. So lernt man auch ohne Uni. Auf Reisen.
Seit Putin ein bekanntes Gesicht wurde, erinnere ich mich wieder an den Zwischenfall im Zug zwischen Jerewan und Tbilisi, als könnte er in seiner KGB-Jugend dort geübt haben.

15.7.17

Veronika Seyr
www.veronikaseyr.at
http://veronikaseyr.blogspot.co.at/

www.verdichtet.at | Kategorie: Perfidee | Inventarnummer: 17153

Die Trampler

Dies ist das Jahrhundert der Checker und Fälscher
Doch ist das erst seit heute so?
Die Trampler, die Brenner, die Henker und Selcher
Die gab‘s auch schon vor Waterloo
Genauer gesagt, gibt es sie länger
Und ehrlich gesagt, wird mir banger und bänger
Denn ihr Durchsetzungsgeschick
Bricht jeder Hoffnung das Genick

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

www.verdichtet.at | Kategorie: Perfidee | Inventarnummer: 17088

Der Poltergeister-Rap

Es ist tiefste Nacht und irgendwann hoffst du,
mit der Nacht kommt endlich die verdiente Ruh’.
Doch im Stockwerk vier, quasi über dir,
geht was ab nach strenger Marschmanier.
Um ein Uhr Früh, da kommt Herr Polterer erst heim,
und knallt die Tür so zu, die geht fast aus dem Leim.
Dann trampelt er die vielen Stiegen hoch
vergeblich sucht der Schlüssel nach dem Schlüsselloch.
Doch irgendwann geht auch die dümmste Türe auf,
dann nimmt das Schicksal seinen grausamen Verlauf.
Er nimmt die Zimmerflucht in schwerem Nagelschuh,
das ist das Ende deiner Nacht und ihrer wohlverdienten Ruh.
Auf seinen Hacken latscht er lautstark über das Parkett,
das regt mich furchtbar auf, ich find das überhaupt nicht nett.
Von den Erschütterungen wackeln Tisch und Licht,
doch einen Polterer, den stört das alles nicht.
Sogar die Gläser in dem Schrank vor mir die klirr’n,
davon lässt sich der Herr da oben nicht beirr’n.

Und nach so ‘ner ganz und gar beschiss’nen Nacht,
da bist du armes Schwein auf einmal aufgewacht.
Dich hat ein Wasserrauschen früh am Morgen aufgeweckt,
von diesem ist man völlig unerwartet hochgeschreckt,
der Wasserhahn knapp über dir im Badezimmer braust
und die Brotmaschine oben völlig losgelassen saust.
Schon sieben Stück, dann acht, nein neun, gar zehn,
wieviel Brot braucht ein Mensch denn schon zum Frühstücken?

Zwei drei vier… Ich will so sein wie du, ganz dubidu,
so rücksichtslos gemein wie du,
du siehst nur dich allein juhu
und alle andern sind dir scheißegal.
Ich will so sein wie du, ganz dubidu,
so rücksichtslos gemein wie du
du bist ja nicht allein juhu,
ich schwör’s, so werd ich auch bestimmt einmal!

Doch wenn du glaubst, der Typ wohnt da allein,
dann irrst du, denn die wohnen dort zu zwei’n.
Wenn man am Vormittag doch noch ein wenig schlafen könnt’,
ein frommer Wunsch, den dir dein Nachbar nicht vergönnt.
Vor Müdigkeit zittern die Hände,
dröhnen über dir die Wände
wenn Miss Polterer behende
Stühle schiebt schier ohne Ende.
Da wirst du selber ganz verrückt bei diesem Lärm dort oben!
Es werden quietschend Tisch und Sessel hin- und hergeschoben,
dort saugt der Stauber stundenlang ganz ungehemmt dahin,
so lange bis ich schließlich munter bin.

An manch so einem wunderschönen Sonn- und Feiertag,
wo ich nach wochenlanger Arbeit nur noch schlafen mag,
such ich in Panik rasch nach dicken Wattepfropfen,
die will ich mir in die geplagten Ohren stopfen,
seit sechs Uhr früh hört man von oben nichts als Schnitzelklopfen,
so an die vierzig Stück und manchmal mehr,
warum? Die Polterkinder kommen heut zum Essen her.

Hey, zwo drei vier… Ich will so sein wie du, ganz dubidu
so freundlich nur zum Schein wie du,
ich möcht’ so geh’n wie du, wie ein Elefant,
so schubidu, wirklich allerhand.
Du siehst sonst niemanden nur dich allein, juhu,
bist nicht auf dieser Welt allein, schuhu,
und alle andern sind dir scheißegal!
Passt auf, genauso werd’ ich auch einmal!

Punkt zwölf Uhr dreißig sind die Kinder endlich alle da,
und auch der Nachwuchs ist dabei, juhu und tralala,
so an die vierunddreißig ruhelose Beine,
ihr könnt euch sicher vorstell’n, was ich damit meine.
Denn diese Biester sind so zwischen sechs und elf,
da kann man nur noch beten, dass der liebe Gott dir helf.
Möge der Spuk da oben rasch zu Ende sein und dann
gewöhn dich dran, dass sicher keiner dort vernünftig gehen kann.
Die trampeln durch die Zimmer, rennen auf und ab,
wenn ich doch schlafen will. Das alles hält mich ordentlich auf Trab.
Das treiben sie so lange, bis bei dir die Decke bebt,
und wenn du meinst, dass etwas über deinem Bette schwebt
und zwar ganz dreist,
dann hast du Recht, es ist ein Geist, der Polter heißt.

Drum ist es für dich besser, du fährst lieber fort,
zum Schlafen such dir eben einen and’ren Ort,
denn wenn du dich beschwerst, dann kriegst du bloß zu hör’n
wir wollten dich beim besten Willen ganz gewiss nicht stör’n, (höhöhö)
oder hast du neulich gar etwas bemerkt? No na!
Weil gestern war’n seit langem wieder alle da.

Wirklich sehr witzig! Drum: Zwo drei vier.

Ich will so sein wie du, ganz dubidu
so freundlich nur zum Schein wie du,
ich möcht so geh’n wie du wie ein Elefant,
so unverschämt,
es ist allerhand!
Du siehst nur dich allein, juhu,
bist nicht auf dieser Welt allein, schuhu,
und alle andern sind dir scheißegal!
Und so, genauso werd’ ich auch einmal.

Einmal geht’s noch…

Ich möchte geh’n wie du, so schubidu,
und Türen schlagen so wie du,
so deppert und so laut wie du. Ein Nachbar kann
beinah so sein als wie ein ganzer Mann.
Ich schau im Almanach
der süßen Rache nach,
und mach mich schlau.
Knall euch ‘ne irre Soundmaschin‘
vom Boden bis zur Decke hin,
mit tausend Dezibel, so wie beim Festival
hol ich euch sicher schnell aus eurem Bau.
Ein Rolling-Stones-Konzert, das eure Ruhe stört,
um vieles lauter, als wenn eins von euren Enkeln plärrt.
Ich dreh die Boxen auf, und das so furchtbar laut,
dass es euch hoffentlich aus euren Socken haut.
Dann warte ich voll Sehnsucht bis zum Schluss,
aufs Ende des Getrampels mit Genuss.

Lasst mich so sein wie du, so schubidu,
so rücksichtslos gemein wie duuuh,
ich mach mit meiner Soundmaschin‘
von jetzt an jeden Sonntag hin
und blas euch damit gnadenlos aus eurem Schuh.
Und dann, verdammt noch mal, ist endlich Ruh!

Norbert Johannes Prenner

www.verdichtet.at | Kategorie: Perfidee | Inventarnummer: 17046

Vom Löschen des Brandes

Ich weiß nicht, ob mein Entschluss, der Freiwilligen Feuerwehr meines Heimatortes beizutreten, der Einsamkeit geschuldet war, unter welcher ich zu dieser Zeit sehr gelitten habe. Ich hatte damals nicht viele Freunde, also im Alter von siebzehn Jahren, und was Mädchen anlangte, herrschte ohnehin stets Ebbe bei mir. Ich vermute, dass dieser Umstand etwas mit der Tatsache zu tun hatte, dass meine Familie arm war, heute ist sie das übrigens immer noch, und ich der schlechteste Schüler meiner Klasse war.

Die anderen Jugendlichen in meinem Alter entstammten wenigstens einigermaßen wohlhabenden Familien, welche es sich leisten konnten, ihren Sprösslingen teure Nachhilfestunden zu finanzieren. So kam es, dass etliche meiner Schulkameraden deutlich bessere Noten auf Schularbeiten erhielten als ich, obwohl sie mir, was die Intelligenz betrifft, weit unterlegen waren, und das sind sie immer noch.
Sie verspotteten mich, weil ich keine teure Kleidung tragen konnte, und die Mädchen lachten mich aus, weil ich oft gezwungen war, das selbe Paar Socken, leicht erkennbar an den farbigen Ringen auf weißem Untergrund, zwei Tage lang zu tragen, wenn die billige Waschmaschine meiner Mutter wieder einmal den Geist aufgegeben hatte. Ein Mädchen jedoch war anders, sie hat mich nicht verspottet, sondern sogar ihr Pausenbrot mit mir geteilt, wenn ich wieder einmal nur einen Apfel von zuhause mitbekommen hatte, welcher mit schwarzen Punkten übersät war. Christina, so hieß das Mädchen, besuchte meine Klasse allerdings bloß zwei Jahre, dann nahm ihr Vater eine Stelle in der Stadt an und sie verließ den Ort.

Ich war sehr einsam und wusste nicht, was ich dagegen machen sollte. Meine Eltern konnten mir nicht helfen, sie waren zu sehr damit beschäftigt, sich selbst und mir mit ihren kärglichen Löhnen, die sie durch eine Vielzahl an Überstunden aufzufetten versuchten, eine einigermaßen menschenwürdige Existenz zu ermöglichen.
Eines Tages, am Rande eines Dorffestes, nahm mich mein Onkel, der von meiner schlimmen Lage wusste, zur Seite und stellte mich dem Hauptmann der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr vor. Dieser war mir auf Anhieb sympathisch, und so fiel es mir leicht, der Feuerwehr beizutreten, zumal sich keiner meiner Mitschüler dort engagierte.
Die jüngeren Mitglieder befanden sich in meinem Alter und hatten den selben sozialen Hintergrund wie ich. Sie hatten die Hauptschule abgeschlossen und standen in der Ausbildung zu verschiedenen Berufen. Niemals jedoch kam es vor, dass meine gymnasiale Ausbildung, in welcher ich zu dieser Zeit stand, ein Thema geworden wäre, weder in positiver noch in negativer Hinsicht. Es war einfach eine von allen akzeptierte Tatsache, dass ich das Gymnasium besuchte.

Die Ausbildung zum Feuerwehrmann machte mir von Anfang an großen Spaß. Ich traf mich auch privat mit meinen Kameraden, und bald verbesserten sich auch meine schulischen Leistungen. Ich weiß es nicht gesichert, aber ich vermute, dass mir die Kameradschaft bei der Feuerwehr und die Freundschaft zu einigen Gleichaltrigen dort den Halt gegeben haben, der nötig war, um ein gewisses Maß an Selbstvertrauen zu erlangen. Meine Eltern stellten erfreut fest, dass ich nicht mehr mürrisch war und mich auch nicht mehr zurückzog, auch meine nunmehr erbrachten Leistungen in der Schule fanden lobende Erwähnungen.

Gleich der erste Einsatz, an welchem ich beteiligt sein durfte, führte mir vor Augen, was Feuer anzurichten in der Lage ist. Es handelte sich um einen Brand im Schweinestall des größten Bauern im Ort. Als wir an den Ort des Geschehens kamen, roch es stark nach verbranntem Fleisch. Der Stall brannte lichterloh, meterhohe Flammen schlugen züngelnd aus dem Dachstuhl, und im Stall hörten wir die noch lebenden Schweine schreien. Sie waren in einem von heißer Luft und beißendem Rauch erfüllten Raum eingeschlossen und ahnten wohl, was ihnen bevorstand. Wie gesagt, sie schrien. Es waren panische Schreie der Todesangst, die mich tief rührten. Wir brachen das Tor des Stalls auf und gaben unser Bestes. Von insgesamt zweihundertdreizehn Schweinen konnten wir immerhin einhundertdrei vor dem Tod in den Flammen bewahren.
Nach diesem Einsatz war ich mir sicher, dass es meine Berufung ist, Feuerwehrmann zu sein. Der Großbauer spendierte uns drei Tage später ein opulentes Mittagsmahl auf seinem Hof, und der Hauptmann lobte uns für unsere Tapferkeit und außerdem dafür, dass wir alles, was wir in oftmaligen Übungen trainiert hatten, in diesem Ernstfall lehrbuchmäßig umgesetzt hatten.

Das Schreien der Schweine ließ mich wochenlang nicht los. Jede Nacht hörte ich die Schreie, und einmal träumte ich sogar davon, eines dieser Schweine zu sein, eingeschlossen und den Tod vor Augen. Ich beschrieb dieses Erlebnis in einer Schularbeit und erhielt zum ersten Mal die Bestnote im Unterrichtsfach Deutsch.
Die Polizei untersuchte den Stall des Großbauern, es hätte schließlich auch Brandstiftung vorliegen können. Doch die Ursache des Brandes war ein Schaden an einem Kabel, das die Fütterungsanlage mit Strom versorgt hatte.

Ich legte meine Matura ab, dies sogar mit gutem Erfolg. Niemand in meiner Klasse wusste von meinen Aktivitäten bei der Feuerwehr, denn ich hatte dieses Thema stets geheimgehalten.
In dem kleinen Ort passierte nicht allzu viel, was das Eingreifen von Feuerwehrmännern erfordert hätte. Einmal rief eine uns allen bekannte alte Frau an und erläuterte uns mit tränenerstickter Stimme, dass sich ihre geliebte Katze vor dem allwöchentlichen Bad auf einen hohen Baum geflüchtet hätte und von uns gerettet werden müsste. Die schelmische Frage, die ein Kamerad daraufhin in die Runde warf, nämlich ob diese Rettung auch vermittels einer Schrotflinte vollzogen werden könnte, rief allgemeines Gelächter hervor, doch verzichteten wir darauf, die Katze abzuschießen. Stattdessen fuhren wir zum Haus der alten Frau und ich barg das arme Tier, auf dass es nicht des Erlebnisses des wöchentlichen Bades verlustig gehen sollte.

Eines Abends, ich war gerade dabei einzuschlafen, ertönte die Sirene auf dem Haus des örtlichen Notars, was für meine Kameraden und mich das Signal war, so schnell wie möglich zum Rüsthaus zu kommen. Ich dachte erst an eine nächtliche Übung, doch bald erfuhren wir, dass im Gymnasium des Ortes ein Brand ausgebrochen war. Wir fuhren mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn vor die Schule und verschafften uns Zutritt. Der Brandherd befand sich im Biologiesaal und hatte bereits auf das dem Saal angeschlossene Kabinett übergegriffen, was eine besonders gefährliche Situation darstellte, denn dort lagerten unter anderem in Alkohol eingelegte Präparate, wie Schlangen, Fische und verschiedene Arten von Lurchen.

Ich wurde aufgefordert, voranzugehen, denn als Abgänger dieses Gymnasiums kannte ich mich dort am besten aus. Ich brach die Tür des Kabinetts auf und musste unwillkürlich lachen. Die Bälge, also die ausgestopften Vögel, standen in Flammen. Ein Gänsegeier mit ausgebreiteten Schwingen brannte hell, ein Uhu hatte diesen Prozess bereits hinter sich, er war verkohlt und schwarz. Dieser Uhu war der Grund, warum ich lachen musste. So müsste wohl ein Uhu nach einem Waldbrand aussehen, dachte ich und lachte, während ich den Schlauch auf die Vögel richtete und sie löschte.
Wenige Wochen nach diesem Einsatz stellte sich heraus, dass einer der Biologielehrer des Gymnasiums den Brand gelegt hatte, denn er war mit den Arbeitsbedingungen in der Schule unzufrieden gewesen.

Ich nahm eine Stelle in der Tischlerei an, da ich schlicht keine Lust auf ein Studium an der Universität hatte. Ich tat mir bei der Arbeit leicht, denn ich bin handwerklich begabt, doch hatte ich von Beginn an Probleme mit meinem Arbeitgeber. Er triezte mich und ließ mich bei jeder Gelegenheit wissen, dass ich für das Tischlerhandwerk ungeeignet wäre, denn schließlich hätte ich maturiert, anstatt den mühevollen Weg durch etliche Lehrjahre zu gehen.
Es begab sich, dass ein Feuer in der Tischlerei ausbrach. Pflichtschuldig half ich, den Brand zu löschen, doch mein Arbeitgeber, anstatt mir zu danken, wie er es bei meinen Kameraden gemacht hatte, machte mir Vorwürfe. Ich wäre schuld, meinte er aufgebracht, dass ein großer Teil seines Betriebes abgebrannt sei, denn ich, der dort arbeitete, hätte verhindern müssen, notfalls unter Einsatz meines Lebens, dass auch nur ein Quadratzentimeter mehr als nötig abbrennen konnte.

Da reichte es mir endgültig. Noch in meinem Schutzanzug kündigte ich. Dem Hauptmann sagte ich, dass ich die Woche darauf nicht zur Verfügung stehen könnte, denn ich müsste mir eine neue Arbeitsstelle suchen.
Der Zufall wollte es, dass just in dieser Woche die Tischlerei vollständig ausbrannte. Mein Mitleid mit dem Besitzer hielt sich in Grenzen. Ich schrieb ihm einen Brief, in welchem ich ihn bat, mir doch einen schönen Tisch aus Raucheiche anzufertigen. Er beantwortete diesen Brief jedoch nicht mit Worten. Stattdessen sandte er mir einen Umschlag, in welchem sich bloß ein Blatt Papier befand, das eine zur Faust geballte Hand erkennen ließ, deren Mittelfinger ausgestreckt dargestellt war.

Ich meldete mich arbeitslos, was mir natürlich weniger Geld einbrachte als die Arbeit in der Tischlerei, doch so hatte ich es nicht mit einem bösartigen Chef zu tun. Da ich nunmehr über viel Zeit verfügte, hatte ich die Möglichkeit, mich voll und ganz meiner Bestimmung als Feuerwehrmann zu widmen. Ich bildete den Nachwuchs aus, welcher sich aus drei jungen Männern und auch zwei Mädchen aus dem Ort rekrutierte. Ich brachte ihnen die Tricks und Kniffe bei, die bei der Brandbekämpfung von Vorteil sind. In den Nächten ging ich oft durch den Ort, immer auf der Suche nach etwaigen Stellen, an welchen ein Brand ausbrechen könnte.
Entdeckte ich solche Stellen, informierte ich die Besitzer des Hauses oder Stalls über die mögliche Gefahrenquelle auf ihrem Grund und Boden. Doch erwiesen sich diese keineswegs als dankbar für meine Mühe. Sie reagierten enerviert, einige wiesen mich sogar schroff ab.

Doch ich sollte Recht behalten. An sämtlichen dieser Stellen brachen Brände aus, mal kleine, mal große. Für den Nachwuchs meiner Freiwilligen Feuerwehr waren dies natürlich willkommene Anlässe, sein Können unter Beweis zu stellen. Die Jungen agierten in der Tat professionell, alles, was ich ihnen beigebracht hatte, setzten sie in hoher Perfektion um. Sie gewannen sogar den Nachwuchswettbewerb der Freiwilligen Feuerwehren des Bezirks Graz-Umgebung.

Der am öftesten ausgezeichnete Kaninchenzüchter des Ortes hatte meine Warnungen stets ignoriert. Gut und gerne dreißigmal hatte ich ihn auf die Gefahr eines Stallbrandes aufmerksam gemacht, doch er schlug jede einzelne dieser Warnungen in den Wind und droht mir sogar mit einer Anzeige, sollte ich es nicht unterlassen, ihm weiterhin, wie er sich ausdrückte, auf die Nerven zu gehen.
Kurze Zeit nach seiner Drohung mich anzuzeigen stand sein Kaninchenstall tatsächlich in Flammen. Wie durch ein Wunder kam kein einziges Tier zu Schaden, denn die Türe des Stalls war unversehrt geblieben. Die Kaninchen hatten so die Möglichkeit gehabt, die Türe mit ihren Körpern zu öffnen, also sie aufzudrücken, und in das dem Stall angeschlossene Freigehege zu gelangen, wohin weder Feuer noch Rauch dringen konnten.

Eine Untersuchung der Brandruine ergab, dass die Türe nicht hätte offenstehen dürfen, denn das Schloss war so beschaffen, dass es stets einschnappte, darüber hinaus hatte die Türe einen mechanischen Schließmechanismus, der vermittels zweier Arme aus Metall, in welchen sich gespannte Federn befanden, garantierte, dass die Türe zufiel, wurde sie nicht arretiert. Und doch hatten es die Kaninchen fertiggebracht, die Türe zu öffnen.
Der Züchter war erfreut, dass seinen Tieren nichts geschehen war, und bedachte die Feuerwehr mit einer großzügigen Spende.
Mit einem Teil dieser Summe richteten wir ein internes Fest im Rüsthaus aus. Einer unserer jungen Feuerwehrmänner, der aufgeweckteste von allen, nahm mich zur Seite und drückte mir, schelmisch und wissend grinsend, ein verkohltes Sturmfeuerzeug amerikanischer Provenienz in die Hand, in welches meine Initialen eingraviert sind.

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: Perfidee |Inventarnummer: 17005

Biological Solutions

Als ich noch ein Mensch war, war ich nicht frei. Jetzt, als Gehirn in einer Nährlösung schwimmend, bin ich es. Der Körper war eine Fessel, die ich abgestreift habe. Ich war Matt Brunner, offiziell starb ich und wurde unter diesem Namen beerdigt. Matt Brunner steht auf dem Namensschild des Glasquaders, der mich beherbergt, den wichtigsten Teil von mir. Ich denke, und ich kombiniere, und ich erinnere mich, also bin ich am Leben. So sehe ich es. Daher bin ich Matt Brunner, immer noch.

Ich verunfallte mit dem Auto. Es war im Herbst. Die vom Nebel feuchten zu Boden gefallenen Blätter waren ein glitschiger Belag auf der Straße. Es war dunkel, ich achtete nur auf das, was vor mir war. Da kam ein Auto auf mich zu. Das Licht seiner Scheinwerfer war hell, es kam rasch näher, die Straße war schmal. Ich wollte mein Auto zum Stehen bringen und auf der äußerst rechten Seite warten, bis das entgegenkommende Auto vorbei wäre, also bremste ich, automatisch. Das Auto rutschte weiter, das Heck brach aus, es drehte sich nach rechts. Es kam von der Straße ab und prallte frontal gegen einen Baum.
In meinen letzten Minuten sah ich noch den Fahrer des anderen Autos, der es stehen gelassen hatte, auf mich zulaufen, die Fahrertür öffnen. Er sprach mit mir, aber ich hörte nicht mehr. Mein Brustkorb war eingedrückt, Arterien waren gerissen, das Herz schlug nicht mehr, meine Lunge war zusammengefallen, die Beine gebrochen, die Arme blutend und gekrümmt. Hätte ich doch lieber ein wenig mehr ausgegeben und mir einen Volvo gekauft, dachte ich in den Sekunden nach dem Aufprall, zwischen hier und dort, im Sterben. Nur mein Gesicht, mein Kopf war gänzlich unverletzt.

Um mich wurde es schwarz. Da war kein helles Licht, da war kein Tunnel, da war gar nichts. Und dieses Nichts zeigte sich durch Schwärze. Plötzlich sah ich wieder. Ich sah mein zerstörtes Auto, ich sah den Fahrer des Autos, der mir entgegengekommen war, das Auto stand auf der Gegenfahrbahn, ich sah einen Arzt und einen Sanitäter, ich sah den Rettungswagen, nein, es war kein richtiger Rettungswagen, er war nicht weiß, sondern orange, und statt dem roten Kreuz war da ein blaues Kreuz in einem blauen Kreis, und ich sah mich selbst – meinen kopflosen Torso, denn mein Kopf befand sich in einer Tasche mit einer Flüssigkeit. Die Tasche war transparent, und meine Augen erfüllten noch ihre Funktion.
Man brachte das, worauf ich nun reduziert war, zu einer Firma, die sowohl über Krankenhausräume, vor allem Operationssäle, als auch über Laborräume verfügte. Die Firma heißt „Biological Solutions“. Dort nahmen sie mein Gehirn aus dem Kopf und legten es in ein Reagenzgefäß, wo es in künstlichem Blut schwebte und bis heute schwebt. Warum sie nicht meinen ganzen Kopf einlegten? Ich weiß nicht, vielleicht ist es medizinisch nicht möglich, oder es erschien ihnen als gruselig.

Mein Körper schied dahin, mein Geist war noch am Leben, könnte man vereinfacht sagen, außer Acht lassend, dass das Gehirn auch ein Teil des Körpers ist.
Ich war nun aller Sinne beraubt. Das Einzige, was ich konnte, war denken. Ich vermutete, dass ich träumte. Es war ein Traum, der kein Ende nahm. Dann mischten sich Bilder von dem Unfall hinein. Sie wirkten real, weil ich mich an Schmerz erinnerte. Dieser Unfall schien sich wirklich ereignet zu haben, und ich wurde schwer bei ihm verletzt. Demnach wäre es wahrscheinlich gewesen, dass ich jetzt im Koma läge, meinte ich, oder dass ich locked-in sei. Welche andere Erklärung hätte es denn gegeben, wenn nichts in mich eindränge, und ich mich nicht äußern konnte? Wer zieht denn in Erwägung, dass er nur noch ein Gehirn ist?

Jedenfalls war es jetzt so, dass ich keine Aufgaben mehr erfüllen musste. Wer krank ist, braucht nicht zur Arbeit zu gehen. Die Abläufe funktionieren auch ohne ihn – vielleicht anfangs auch nicht, weil man sich zu sehr auf ihn verlassen hat, aber mit der Zeit findet man neue Wege, baut andere Zahnräder statt seinem ein, und das Uhrwerk läuft wieder. Was hatte ich mich doch immer abgestrampelt!, Arbeit, Frau und zwei Kinder und zudem, nicht zu vergessen, das Haus, bei dem ständig Reparaturen anstanden, die ich entweder selbst erledigen konnte, was mir Zeit und Mühe abverlangte, oder Fachleute rufen musste, was Geld kostete und oft genug auch Ärger nach sich zog, weil sie schlampig arbeiteten. Stets war ich beschäftigt, und stets war ich bemüht gewesen, aber so gut wie nie kam ein „Das hast du aber gut gemacht“, auch nur ein „Danke“ war selten. Am ehesten hätte noch der Kater etwas Derartiges gesagt, nachdem ich ihm besonders feines Fressen gegeben hätte, aber er kann ja nicht reden.

Alles hatte ich als junger Mann getan, um Abwechslung zu haben, einige Zeit lang jeden Jahreswechsel in einem anderen Land gefeiert, neue Jobs in unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen angenommen, dabei oft umgezogen, neue Bekanntschaften geschlossen und gelernt, ständig dazugelernt.
Nun war ich für einen Jobwechsel eher zu alt, mit meiner Frau war ich finanziell und emotional engmaschig verknüpft, für die Kinder war ich der zweite, notwendige Elternteil. Ich war eine lebende Brieftasche geworden, Mr. Alltag.
Das war jetzt schwarzseherisch, die hellsichtige Perspektive war die, dass ich meine Frau und die Kinder liebe, an dem Haus Freude habe, und meine Arbeit – nein, ich machte sie nicht besonders gerne, weil ich sie schon zu genau kannte, aber sie war recht gut bezahlt.

Aus all dem war ich herausgefallen. Es fühlte sich sehr ungewohnt und seltsam an. Wie? Nun ja, da ich nichts konnte, hatte ich keine Verpflichtungen mehr und war somit völlig frei. Allerdings nach einer Art der Freiheit wie die einer in der Luft schwebenden Kugel, die sich in jede Richtung bewegen kann, es aber nicht vermag.
Denken ist masselos, also ist es nicht der Schwerkraft unterworfen. Denken war meine einzige Beschäftigung. Ich konnte auch die Ergebnisse nicht ausdrücken. Natürlich ging ich auch durch mein altes Leben, überlegte, wie ich es hätte besser machen können oder reagierte im Geist anders, wodurch mein Weg ein anderer geworden wäre. Das war dann doch quälend und wurde mit Fortdauer zwanghaft. Ich schaffte es, das zu verringern. Es abzustellen war nicht möglich, aber ich kam damit klar, es kleinzuhalten.

Wo ich gelandet war, war das Nirgendwo. Ich begann, mir Landschaften auszudenken, in denen ich mich bewegte, Frauen, die an meiner Seite waren, ich spielte in Gedanken mit meinen Kindern, die ich erst erschaffen hatte. Mir standen alle Möglichkeiten zur Verfügung. Mochte ich eine Person plötzlich nicht mehr, war sie weg.
Klingt das anmaßend? Ich war der Gott in meinem eigenen Universum. Auch wenn es das nicht tut, ist die Aussage nicht ganz schlüssig, denn Gott erschuf tatsächlich – falls man an ihn glaubt, ich aber nur mit Gedankenmörtel und Gedankenband.
Ich war das Kind mit Schaufel, Kübel und Rechen, das eine Unmenge an Geistessand zur Verfügung hatte und damit baute, was immer es wollte. Mutter, Vater und Geschwisterchen waren jenseits meiner Sicht, niemand beaufsichtigte mich, ich spielte dort am Ufer des stillen Sees.

Und dann passierte es.
Ich sah ein Gehirn in einem Reagenzgefäß, das in einem Laborraum stand. In einer Seitenwand des Gefäßes war ein Loch, durch das zwei Kabel gezogen waren, die an das Gehirn angeschlossen waren. Dadurch, dass eine Biene flog, erkannte ich, dass es ein Video war. An der Unterseite der bewegten Bilder war ein Insert: „Dies ist das Gehirn von Matt Brunner, der am 3. November 2017 starb. Sein Gehirn hingegen ist lebensfähig und wird hier aufbewahrt.“ Auch stand mein Name auf einem Schildchen, das an dem Reagenzgefäß befestigt war.
Das waren meine künstlichen Augen, zwei Kameras für räumliches Sehen, die optische Signale zu meinem Gehirn transportierten, in diesem Fall über Kabel, die sozusagen als Sehnerven fungierten, es wäre aber auch über Funk möglich gewesen, wobei meine künstliche Augen an jedem beliebigen Ort positioniert gewesen sein könnten. Die Leistung bestand darin, dass mein Gehirn diese Signale in Bilder umwandelte. Dafür musste „Biological Solutions“ an meinem Gehirn herumexperimentiert haben.
Das war die Lage, in der ich mich befand. Körperlos. Schock war es keiner, dazu war zu viel Zeit vergangen, aber ein angenehmes Gefühl war es auch nicht. Ich hatte ja gar nicht gewusst, dass es möglich ist, ein Gehirn alleine am Leben zu halten. Jetzt wusste ich es.

Ich bin nun am Anfang meiner Erzählung. Jetzt geht es weiter. Sofort nachdem ich mich selbst und die roten Kabel sah, dämmerte mir: Die wollen doch etwas von mir! Wie weit ist der Weg von der Freiheit bis zur Sklaverei?
Sie hatten mir eine Digitaluhr mit Datumsanzeige in mein Blickfeld gestellt. Es war 11:37 am 7. Februar 2018. Mein zeitloser Zustand war damit zu Ende.
Meine künstlichen Augen hatten Lider. Das war eine wichtige Funktion, ich konnte mich somit von der Wirklichkeit zurückziehen. Ich machte häufig davon Gebrauch. Forscher, die in weißen Mänteln umhergingen und sich an Apparaten zu schaffen machten, das war es, was geschah. Manchmal winkten sie mir zu. Ich kam mir vor wie ein Idiot.

Eines Vormittags schlug ich die Augen auf, das heißt, ich klappte die metallenen Lider hoch, da hörte ich. Ich hörte Schritte, ich hörte, wie hantiert wurde, ich hörte Stimmen – die der Forscher. Was ich sah lief synchron mit dem, was ich hörte. Und was ich sonst noch sah, waren zwei weitere Kabel, diesmal blaue, die von zwei ohrmuschelähnlich geformten Mikrophonen über eine Öffnung auf der anderen Seite des Reagenzgefäßes wie bei den Augen-Kabeln in mein Gehirn ragten. Akustische Impulse, künstliche Ohren, und die Fähigkeit meines Gehirns, hören zu können, worin das Know-how von „Biological Solutions“ gesteckt haben musste. Die künstlichen Ohren konnte ich nicht mehr nach Belieben verschließen, leider nicht.
Mein Leben wurde nun naturgemäß sehr viel stressbehafteter. Ich war wieder Reizen ausgesetzt. Sie hatten inzwischen meine künstlichen Augen auf Kalottenlagern befestigt. Hörte ich ein Geräusch, konnte ich ihm mit meinen Augen folgen. Ich kam wieder zurück. Ich bewegte mich von innen nach außen. Ruhig war es jetzt nur noch, wenn nachts im Labor nicht gearbeitet wurde, dann war das künstliche Licht gelöscht, und es war relativ still – wobei die relative Stille immer noch laut gegenüber der völligen ist. Aber auch wenn ich es gewollt hätte, ich konnte nicht beeinflussen, was sie mit mir taten.
Ich ahnte schon, was als Nächstes kommen würde.

Ein Forscher redete mit mir. Er zeigte mir Musterfarben aus einem Katalog. Er blätterte ihn vor mir durch und assoziierte die Farben mit eigenen Erlebnissen. „In diesem Blau waren die Augen meiner Freundin in der 8. Klasse.“ Die letzte Farbe war Schwarz. Da fragte mich der Forscher: „Sagen Sie, Matt, was ist denn Ihre Lieblingsfarbe?“ Ich dachte nach und sagte: „Rosarot.“ Ich sagte es wirklich. Das Wort „Rosarot“ hallte durch den Laborraum.
Der Forscher plauderte weiter mit mir. Er erzählte, dass er fünf Jahre auf Malta gewesen und dort sehr viel gesurft sei, einmal mit ein paar Freunden rund um die Hauptinsel, Delfine habe es dort gegeben, die ihn auf seinem Brett begleitet hätten. Der Forscher wusste, dass ich auch gesurft war. Ich stellte Fragen, in ganzen Sätzen, schließlich erzählte ich auch.
Und ich lauschte meiner künstlichen Stimme. Sie war meiner eigenen nachempfunden – sie hatten wohl über Tonaufzeichnungen von ihr verfügt. Sie schwang weniger, doch sonst war sie ihr wirklich ähnlich.
Da ich nun kommunikationsbereit war, wurde von mir auch verlangt, dass ich Gespräche führte. Immer wieder fragten mich Forscher etwas, Nebensächlichkeiten fast immer, und ich antwortete ihnen.

Die Sinne des Riechens und Schmeckens stellten sie nicht wieder her. Die Gerüche im Labor waren wahrscheinlich eher unangenehm, und zu essen brauchte ich nicht mehr.
Um das Fühlen zu simulieren, stellten sie einen Drucksensor auf. Dessen Kabel zu meinem Gehirn, zu mir, war gelb. Wenn jemand ihn berührte, spürte ich das. Dann war das, als ob ich berührt wurde, ich wusste aber nicht wo, das war nicht definiert. Ich teilte das einem Forscher mit, und der sagte: „Okay, wir werden es so einstellen, dass es die Innenfläche Ihrer rechten Hand ist.“ Und das taten sie dann auch. Ich spürte über meine rechte Phantomhand.
Eine Pistolenkugel, die einmal abgefeuert wurde, kann man so leicht nicht stoppen. Ich war diese Kugel. Ich war unterwegs.

So stehen schließlich meine Frau und die Kinder vor mir. Schlimm genug, dass meine Frau „Daphne“ heißt, die Buben heißen auch noch „Max“ und „Moritz“, klingt nach Lehrer Lämpel oder nach Vollkornweckerln – was mag uns da wohl eingefallen sein? Aber natürlich sind das Oberflächlichkeiten, sie sind die Menschen, die mir am meisten wert sind, und sie sind jetzt hier. Ich blinzle heftig. Meine Frau erzählt, dass sie ganz gut klargekommen sei. „Hallo Papa, wie geht´s dir?“, fragt mich Max und „Ist dir nicht langweilig, Papa?“, Moritz, der Jüngere.
„Du hast tolle Fortschritte gemacht“, sagt Daphne nun. „Dr. Feldmann ist sehr zufrieden mit dir.“ Dr. Feldmann?, denke ich, ich kenne den gar nicht. „Er sagt“, fährt Daphne fort, „dass wir dich bald nach Hause nehmen können. Er hat einen künstlichen Körper für dich konstruiert.“

Jetzt weiß ich, was es ist, woran die Forscher in letzter Zeit so emsig arbeiteten, dieses Gestell aus Magnesium und Kunststoff: Es ist mein künstlicher Körper.
Ich werde zu einem Cyborg.

Johannes Tosin

www.verdichtet.at | Kategorie: Perfidee |Inventarnummer: 16164

Meine beste Freundin

Morgen besucht mich Katharina, meine beste Freundin. Um präzise zu sein, ist sie meine einzige Freundin. Freund habe ich gar keinen mehr.

Ich bin vierundfünfzig Jahre alt und verbringe den Großteil meiner Zeit in meiner Wohnung, die stets abgedunkelt ist. Ich gab meine Arbeit, ich war freiberuflich sehr erfolgreich tätig, vor acht Jahren auf, und nun sitze ich, wie erwähnt, in meiner Wohnung herum und erhöhe den Grad meiner Bildung durch den Konsum unzähliger Fernsehsendungen. Einmal in der Woche, in der Regel montags, gehe ich in den Supermarkt, um Fertiggerichte und Bier zu erwerben, vom Bier stets eine große Menge. Ich trinke nämlich gerne Bier.

Wie bereits erwähnt, habe ich keine männlichen Freunde mehr. Ich hatte ohnehin bloß fünf. Drei von ihnen sind auf natürlichem Weg gestorben, zwei haben sich suizidiert.

Mit Frauen habe ich nie Glück gehabt, aus diesem Grund habe ich keine Freundinnen - außer eben Katharina.
Sie ist dreiundzwanzig Jahre alt und studiert. Um ihr Studium finanzieren zu können, ihre Familie ist finanziell schmal gestellt, arbeitet sie für eine Agentur. Diese verpflichtet junge Menschen, ihnen fremde Personen auf der Straße anzusprechen, um ihnen Geld abzuluchsen, angeblich für eine ‘gute Sache’.

Ich habe Katharina im Supermarkt kennengelernt. Sie hat bemerkt, dass ich mehr Bier gekauft hatte, als ich hätte tragen können, und einen Teil meiner Konsumgüter in meine Wohnung getragen. Dort haben wir Bier getrunken, geredet und uns angefreundet.
Katharina war gerade in der guten Sache ‘Rettet die Wale!’ auf der Straße unterwegs. Ich habe ihr dargelegt, dass ich diese Walschützer nicht verstehe. Da begeben sie sich in Lebensgefahr, um Flaschen voll Buttersäure auf eben erlegte Wale zu werfen. So machen sie deren Fleisch ungenießbar. Ich glaube aber, dass die Walfänger den nunmehr ungenießbaren Meeressäuger einfach über Bord werfen und einen neuen Wal fangen, um ihre Quote zu erfüllen. Katharina wusste nicht allzu viel dazu zu sagen, dennoch haben wir die Angelegenheit ‘Rettet die Wale!’ zu einem guten Abschluss gebracht.

Eine Woche später hat sie mich besucht, und wir haben über Pelztiere gesprochen. Ich persönlich liebe Pelz. Ich habe eine schöne Nerzdecke auf meinem Bett liegen. Katharina fand diese erst abstoßend, doch nachdem ich ihr den Rücken mit meinem Handschuh aus Zobel gestreichelt hatte, dachte sie anders über Pelz, und wir sind uns einig geworden.

Sie besucht mich jede Woche einmal. Wir haben bereits über verschiedene Themen gesprochen.
Über Elfenbein zum Beispiel, und über die Waidmänner, die angeblich sehr böse sind. Ich habe sie auf meinem Flügel klimpern lassen und ihr ein ausgezeichnetes Frischlingsgulasch serviert.
Und stets werden wir uns einig.

Die Freundschaft zu Katharina beflügelt mich. Und jeder ihrer Besuche kostet mich bloß eine weitere Unterschrift.

Michael Timoschek

www.verdichtet.at | Kategorie: Perfidee |Inventarnummer: 16162

Lama und Eisbär

Die beiden Männer, die im großen Besprechungsraum ihres Unternehmens beisammensaßen, kamen ohne Umschweife zur Sache.
„Du weißt, dass diese Strategiesitzung streng vertraulich ist?““, sagte Walter Schmied.
„Natürlich weiß ich das, Walter“, gab Paul Schuster zurück. „Wenn das, was wir heute zu besprechen haben, an die Öffentlichkeit dringt, werden wir von allen Medien an den Pranger gestellt.“
„Das stimmt leider. Also, den Deal haben wir abgeschlossen. Die Süßwarenfabrik gehört uns.“
„Sehr gut!“, freute sich Paul. „Was hat sie uns gekostet?“
„Einen Pappenstiel, verglichen mit der Summe, die die neuen Produkte dieser Firma in unsere Konzernkasse spülen werden.“
„Und was ist mit den Produkten, die sie bisher produziert hat? Behalten wir die Bonbons in unserem Sortiment?“
„Nein, kein Hahn kräht mehr nach Bonbons!“
„Wann stellen wir die Produktion um?“
„In zwei Wochen ist alles bereit für die neuen Süßigkeiten.“
Paul lachte.

„Wie sieht es mit der Eigentümerstruktur aus? Werden wir verschleiern können, wem die Fabrik gehört?“
„Nein, wenigstens nicht lange. Doch das stellt kein Problem dar.“
„Warum nicht?“, fragte Schuster.
„Weil wir immerhin eine gesündere Alternative zu unseren bisherigen Produkten anbieten.“
„Na ja, gesünder? Die Anti-Fett-Lobby wird sich auf uns einschießen.“
„Natürlich wird sie das. Die Veganer übrigens auch, und auch die Diabetiker werden ihren zuckerfreien Senf dazugeben.“
„Wie werden wir auf die Kritik reagieren?“
„Gar nicht. Es ist schließlich nicht verboten, Süßigkeiten herzustellen.“
„Natürlich nicht“, pflichtete Schuster seinem Vorstandskollegen Schmied bei. „Ich frage mich, wie viel wir mit dem neuen Produkt einnehmen werden.“
„Es wird unseren Konzern auf jeden Fall profitabler machen. Wir holen unsere zukünftigen Kunden bereits in jungen Jahren ab und nehmen sie mit auf eine Reise, die ihr ganzes Leben dauern wird und die von uns begleitet wird.“
„An sich ist der Plan gut. Doch in einer Zeit, in der immer mehr Menschen gegen uns sind, wird es schwer werden, ein positives Image zu generieren.“
„So schwer wird es auch wieder nicht. Wir verkaufen den Kindern Süßigkeiten, und die Älteren, die von unserem Premiumprodukt loskommen möchten, haben die Möglichkeit, auf Süßes umzusteigen. Natürlich mit der gebotenen Vorsicht im Umgang damit.“
Den letzten Satz sagte Schmied in einem Tonfall, der beide zum Lachen brachte.

Er legte zwei Blätter Papier auf den Tisch.
„Sieh dir die Entwürfe an, Paul.“
Paul Schuster betrachtete die Skizzen und grinste.
„Die Markennamen ‘Lama’ und ‘Nord’ sind gut gewählt“, sagte er.
„Das denke ich auch. Ist die die Ähnlichkeit der Schrift aufgefallen?“
„Ja, die ist unverkennbar. Wie wird das Produkt denn aussehen?“
„Das ist der Clou an der Sache!“, rief Walter. „Wie unser Produkt für Erwachsene, nur unschuldiger.“
Er zog zwei Packungen Süßigkeiten hervor und reichte sie Paul.
Dieser öffnete sie und nahm zwei Kaugummizigaretten heraus.
„Es stimmt, sie sehen unschuldig aus.“

Er machte Anstalten, eine der beiden Zigaretten aus dem reinweißen Papier, in das sie gewickelt war, zu schälen, doch sein Kollege hielt ihn davon ab.
„Lass das!“, sagte er.
„Ich werde wohl noch kosten dürfen! Immerhin bin ich im Vorstand.“
„Natürlich darfst du das, doch rate ich dir davon ab. Die Regel, dass wir den Mist, den wir produzieren und verkaufen, nicht selbst konsumieren, gilt auch für unser neuestes Produkt.“
Schuster legte sie Süßigkeiten weg.
„Ich verstehe“, sagte er. „Werden wir das Zuckerzeug denn durch die Kontrollen bringen?“
„Wenn du die Zulassung meinst: selbstverständlich. Alle Auflagen werden peinlich genau eingehalten. Das wäre ein gefundenes Fressen für unsere Gegner und Mitbewerber: Kinderzigaretten herstellen und durch den Zulassungstest fallen!“
„Das Lama sieht niedlich aus“, meinte Schuster. „Der Entwurf der Sorte ‘Nord’ aber gefällt mir nicht. Eine Windrose auf der Packung einer Süßigkeit? Ich glaube nicht, dass Kinder viel damit anfangen können.“
„Was wäre denn besser?“
„Hm, das Produkt heißt ‘Nord’. Ein Eskimo vielleicht? Meine Kinder lieben Eskimos.“
„Ich weiß nicht recht. Ich halte es für problematisch, Menschen abzubilden.“
„Dann einen Eisbären. Alle Kinder mögen Bären.“
„Und was macht der Bär?“
„Er sitzt vor seinem Iglu und blickt glücklich auf die halbvolle Packung ‘Nord’ in seiner Tatze.“
„An dir ist ein Werbefachmann verlorengegangen, Paul“, sagte Walter Schmied anerkennend.
„‘Nord’ sollte Menthol beinhalten, Walter“, fuhr Schuster fort. „Der Absatz unserer Mentholzigaretten ist rückläufig. Da kann es nicht schaden, wenn sich unsere zukünftigen Raucher schon in jungen Jahren an den Geschmack gewöhnen.“
Schmied machte sich ein paar Notizen.

„Und das Lama sollte in der Wüste stehen, vor einer Pyramide.“
„Aber Lamas leben doch - ich verstehe! Ein kleines Kamel vor einer Pyramide. Du bist ein Genie!“
„Nein, das bin ich nicht. Ich denke bloß logisch.“
„Dann kannst du vielleicht auch folgende Frage beantworten: Wie kriegen wir die Kinder, die unsere Kaugummizigaretten konsumieren, dazu, ab ihrem, sagen wir, vierzehnten Lebensjahr, unsere Zigaretten zu rauchen?“
„Wir müssen sie eben begleiten, Walter. Erst mit Maskottchen, dem Lama und dem Bären, die bei Partys auftauchen und Kinderzigaretten verteilen, dann mit Geschenken wie Rucksäcken für die Schule, T-Shirts und coolen Computerspielen.“
„Das ist schön und gut, Paul, und auch teuer. Aber wie machen wir sie zu Rauchern?“
„Werden Kinder nicht von selbst zu solchen?“
„In der heutigen Zeit leider nicht mehr. Die Eltern, die Lehrer, die Medien - alle sind mittlerweile gegen das Rauchen.“
„Das ist mir klar. Lass mich einen Augenblick nachdenken. Es ist doch so: Süßigkeiten machen dick, oder?“
„Ja, und weiter?“
„Rauchen hingegen macht schlank, weil es den Appetit zügelt.“
„Das stimmt. Worauf willst du hinaus, Paul?“
„Wir brauchen ein Vorbild für die Kinder, einen Star. Einen Jungen, der durch den Konsum unserer Kaugummizigaretten immer fetter wird, jedoch ohne allzu hässlich zu werden, es aber trotzdem schafft, berühmt zu werden. Er spielt in einer Fernsehserie mit, und als er in die Pubertät kommt und sich für Mädchen interessiert, will ihn keine haben. Dann verschwindet er für ein paar Monate von der Bildfläche und kehrt schlank zurück, mit einer unserer Zigaretten in der Hand. Er findet eine hübsche Freundin, wird glücklich und bleibt, weil er raucht, schlank.“

Walter Schmied sprang auf.
„Das ist genial, Paul!“, rief er.
„Und das Beste ist: Ich habe einen solchen Jungen bei der Hand!“
„Wer ist er?“
„Mein Neffe. Seine Mutter macht sich nicht viel aus ihm, und mein Bruder braucht ständig Geld.“
„Wie aber machen wir aus deinem fetten Neffen einen Star?“
„Ist diese Frage ernst gemeint, Walter?“
„Ja.“
„Sieh dir einmal unseren Gewinn aus dem letzten Jahr an! Mit den Millionen und Abermillionen wird es uns ein Leichtes, den Bengel zu einem Star zu formen, glaube mir.“
„Dennoch hat dein Plan einen Haken, Paul.“
„Welchen denn?“
„Wir werden von allen möglichen Seiten angegriffen werden. Von der Politik, den Medien, den militanten Nichtrauchern - einfach allen!“
„Das mag sein, Walter. Es ist aber auch so, dass uns all diese Anfeindungen nicht tangieren müssen.“
„Ach ja? Und warum?“
Paul Schuster lachte.
„Das wirst du erkennen, wenn du dir unsere Gewinne anschauen wirst.“

Michael Timoschek

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