Die Küche liegt auf der Straße

An einem warmen Nachmittag im Mai des Jahres 2014 ging Peter Gruber den Wiener Donaukanal entlang, um sich die Kunstwerke dort anzusehen. Er hielt zwar nicht viel von Graffiti, doch die Unermüdlichkeit, mit welcher die Sprayer alte Werke übermalten, um neue auf der dann einfarbigen Grundierung zu erschaffen, faszinierte ihn.
‘Was ist ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank’, las er auf einem Plakat, das jemand achtlos auf ein Graffito geklebt hatte. Peter schmunzelte, hatte er doch mit der Unersättlichkeit der Banken seine Erfahrungen machen müssen. Selbst als er kein Geld mehr besessen hatte, war er von ihnen verfolgt worden, sowohl gerichtlich als auch persönlich, hatte ihm doch eine Bank tatsächlich einen Geldeintreiber nach Hause geschickt.

Gruber genoss diesen Tag. Er saß auf einer Bank und sah den Schiffen beim Vorbeifahren zu, er beobachtete die Möwen und Kormorane, die sich auf der Wasseroberfläche niederließen, sobald sich diese wieder beruhigt hatte, und auch die Menschen, die in großer Zahl an ihm vorbeischlenderten.
Da er nichts Besseres zu tun hatte, tat er es ihnen gleich und spazierte den Kanal entlang. Die Graffiti wurden weniger, und schließlich gab es keine mehr zu bewundern, also richtete Peter seine Aufmerksamkeit auf den sandigen Streifen neben dem asphaltierten Weg.

Es dauerte nicht lange, und er entdeckte eine Gabel, die jemand achtlos weggeworfen hatte. Sie war zwar aus Metall gefertigt, doch äußerst unsauber gearbeitet. Die Zinken waren stumpf und ihre Kanten nicht abgerundet, doch war sie des Weggeworfenwerdens nicht wert. Peter legte die Gabel in seinen Rucksack, den er beim Spazierengehen stets auf dem Rücken trug.
Er fragte sich, was wohl in Menschen vorgehen mochte, die Gabeln auf Wege warfen, die auch von Kindern und Hunden begangen wurden. Eine alte Frau hatte ihn beobachtet und lobte ihn dafür, dass er die Gabel an sich genommen hatte. Er gehörte offenbar nicht der modernen Wegwerfgesellschaft an.

Peter schlenderte weiter und wurde zum ersten Mal in seinem Leben Zeuge eines erbitterten Luftkampfes. Zwei Nebelkrähen, die wohl auf einem der Bäume neben dem Kanal nisteten, hatten offenbar eine gut genährte Taube als ihre Abendmahlzeit auserkoren und machten Jagd auf den kleineren Vogel. Sie stießen immer wieder auf die Taube herab, die ihre Rettung in der Flucht suchte, denn Gelegenheiten in Deckung zu gehen gab es an dieser Stelle keine. Das Ende der Taube schrieb Peter eher einem Unfall zu denn der gewieften Jagdtechnik der Krähen. In offenbar großer Panik schätzte die Taube nämlich sowohl ihre eigene Fluggeschwindigkeit als auch die Distanz zu einem Brückenpfeiler falsch ein und flog gegen diesen.
Peter eilte zu dem verletzten Vogel, hob ihn hoch und wollte gerade ein paar beruhigende Worte sprechen, als dieser sein Leben aushauchte. Er blickte um sich, und da ihn niemand beobachtete, legte er die Taube in seinen Rucksack.

Peter Grubers Jagdfieber war erwacht. Er hatte eine Gabel und eine fette Taube. In Gedanken fertigte er eine Liste von Dingen an, die er nun noch brauchte. Ein Grillrost stand auf dieser Liste an erster Stelle.
Da das Grillen am Donaukanal verboten war, war er gezwungen, sich zur Donauinsel zu begeben. Auf dem Weg dorthin war er ein weiteres Mal vom Glück begünstigt. In einem verrufenen Viertel fand er eine Geldbörse auf dem Gehsteig. Er öffnete sie, und da er in ihrem Inneren keinen Hinweis auf den Besitzer finden konnte, nahm er die einhundertzwanzig Euro, die darin waren, an sich.

Auf der Donauinsel bot sich Peter ein ähnliches Bild wie beim Donaukanal. Viele Menschen spazierten, ließen ihre Hunde frei laufen und einige spielten sogar Fußball. Es gab etliche Grillplätze, die gut besucht waren, und noch mehr Grillende, die ihre zumeist runden Grills selbst mitgebracht hatten. Auf den Rost eines solchen Kugelgrills hatte er es abgesehen. Ein Blick zum Himmel machte ihn sicher, dass das Glück an diesem Tag auf seiner Seite war. Dunkle Wolken am Horizont verhießen Regen, was bedeutete, dass die grillenden Menschen die Insel bald fluchtartig verlassen würden. Er brauchte also bloß abzuwarten, um zu seinem Rost zu kommen.

Den zweiten Posten auf seiner Liste, Grillkohle, würden sie vermutlich ebenfalls zurücklassen, und zwar in einem Papiersack, was bedeutete, dass er genug Material, nämlich Papier, zum Anzünden haben würde.
Nun brauchte er noch ein Messer, um die Taube ausnehmen zu können, ein Feuerzeug oder Streichhölzer und ein paar Gewürze.
Peter Gruber ging zu den Daubeln, fest mit dem Ufer verbundene schwimmende Fischerhütten, und suchte in deren Umgebung das Unterholz nach den noch benötigten Dingen ab. Ein oranges Stanleymesser, das er in der Nähe der dritten Daubel fand, erschien ihm für seine Zwecke ausreichend, zumal die Klinge beinahe neuwertig war. Er entfernte den von Rost befallenen ersten Teil der Abbrechklinge ab und steckte das Messer in die Seitentasche seines Rucksacks.

Kurz dachte er daran, in eine der Hütten einzusteigen, um sich Gewürze zu beschaffen, doch verwarf der diesen Gedanken rasch wieder. Er war zwar arm, aber kein Dieb, und schon gar kein Einbrecher. Er beschloss, mit den Gewürzen bis zum Schluss zu warten. Er hatte zwar das Geld aus der gefundenen Börse bei sich, doch wollte er nicht in einen Supermarkt gehen und Gewürze kaufen – dies hätte Peters Sammlungsergebnis für diesen Tag zu stark beeinflusst.
Er wanderte eine Stunde auf der Donauinsel umher, fand ein Feuerzeug, das zwar wenig Gas in sich hatte, aber noch brauchbar war. Dann setzte ein starker Platzregen ein, und wie von ihm vorausgesehen, verließen die Grillenden die Insel.
Peter fand einen Sack Grillkohle, der noch genügend Brennmaterial für das Grillen der Taube beinhaltete, und einen runden Rost, der auf einigen aufgeschichteten Ziegelsteinen lag.
Zufrieden mit diesem Tag machte er sich auf den Weg in sein Zuhause. Den Rost trug er in seiner linken Hand, den Rest im Rucksack.

Zu Hause erwartete ihn seine Frau, bei und von der er lebte, bereits. Sie stand im Vorzimmer ihrer geräumigen Wohnung und hielt einen großen schwarzen Müllsack geöffnet in ihren Händen.
Seufzend leerte Peter Gruber den Inhalt seines Rucksacks in den Müllsack und warf den Grillrost ebenfalls hinein.
Mit der Information ausgestattet, dass es sich bei ihm um einen unverbesserlichen Geizkragen handelte und er endlich sowohl seinen Therapeuten als auch das Arbeitsamt aufsuchen sollte, folgte er seiner Frau ins Esszimmer, auf dessen Tisch bereits ein dampfender Kalbsbraten stand.

Michael Timoschek

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