Gericht

Mein Name ist Michael Timoschek, ich bin dreiundvierzig Jahre alt und ich bin Koch. Allerdings koche ich nicht in der Küche eines gewöhnlichen Wirtshauses, sondern in der eines vielfach ausgezeichneten Restaurants in Wien. Ich verdiene eine Masse Geld, bin dreimal geschieden, davon zweimal glücklich und einmal heilfroh, habe stets genug zu essen, und natürlich auch zu trinken, und besitze eine große Eigentumswohnung.

Ich wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, somit ist es kein Wunder, dass ich ein sehr sparsamer Mensch bin. Wir waren fünf Kinder und hatten kein Geld. Mein Vater arbeitete auf dem Bau und meine Mutter in einer Fabrik, die Ziegelsteine produzierte. Trotz der Not, die wir litten, und trotz des unablässigen Zwanges zu sparen, hatten wir eine schöne Kindheit, in der sich bereits in frühen, ungewöhnlich frühen, wie ich feststellen muss, Jahren das Talent jedes einzelnen Kindes bemerkbar gemacht hatte.

Manfred, der Älteste von uns, hatte bereits im zarten Alter von vier Jahren sein Talent für die unrechtmäßige Verbringung von Gegenständen in seinen Besitz erkennen lassen. Keine Socke, keine Haarspange war vor ihm sicher. In der Pubertät versuchte er es mit Ladendiebstahl. Einmal wurde er ertappt, doch die Sache ging glimpflich, also ohne Strafanzeige, für ihn aus. Daraufhin legte er seine Diebeskarriere vorerst auf Eis, jedoch tat er dies schweren Herzens. Es war ihm in dieser Zeit deutlich anzusehen, dass die Flamme der Diebeslust heiß in ihm loderte. Ich bin froh sagen zu dürfen, dass er diesen Wesenszug in gesellschaftlich akzeptierte Bahnen zu lenken in der Lage war. Heute ist Manfred Parlamentarier.

Daniela, meine älteste Schwester, hatte sich schon immer gut mit den Buben verstanden. Ich erinnere mich noch gut an Hugo, ihren ersten Freund, sie war damals elf Jahre alt. Die beiden hatten eine besondere Art des Versteckspiels erfunden, die als überaus körperbetont bezeichnet werden kann. Daniela hatte einen Tag nach ihrem achtzehnten Geburtstag in der Bar zu verkehren begonnen, die am äußersten Rand unseres Dorfes gelegen war, dort liegt sie übrigens immer noch, und sich im Laufe der Jahre bis zu deren Besitzerin hochgearbeitet, was unseren Eltern bis heute keine Freude bereitet, aber Mädchen sind nun mal Mädchen.

Alois, mein jüngerer Bruder, war in seiner Kindheit ein sehr unauffälliger Junge, was wir, also seine Geschwister, uns nicht erklären konnten. Er hatte stets einen verträumten, leicht sedierten Eindruck erweckt. Eines Tages warf meine Mutter meinem Vater lautstark übermäßigen Alkoholkonsum vor, was dieser ebenso lautstark bestritt. Nun, es fehlten immerhin achtundvierzig Flaschen Schnaps im Keller unseres bescheidenen Eigenheims. Wir legten uns auf die Lauer, und alsbald war Alois als die Schnapsdrossel entlarvt. Unsere Eltern durchsuchten sein Zimmer und fanden etliche leere Flaschen sowie ein recht ansehnliches Stück Haschisch. Wir stellten Alois zur Rede, und es kam heraus, dass er ein Drogenfreak war. Dennoch hat er, trotz seiner Suchtprobleme, seinen Weg gemacht. Er hat Medizin studiert und arbeitet heute als Unfallchirurg.

Julia, meine jüngere Schwester, hatte schon immer eine Inklination zum Nudismus. Bereits in der Volksschule hatte ihre Klassenlehrerin etliche Male bei uns angerufen, um sich zu beklagen, dass Julia nach der Leibeserziehung direkt aus der Dusche in das Klassenzimmer gelaufen war, ohne sich vorher anzuziehen. Nach dem Gymnasium studierte sie an der Kunstuniversität und wurde eine gefeierte Nacktkünstlerin. Sie erfand das ‘One-Minute-Menue’. Dabei liegt sie nackt auf einem Tisch, ein Assistent bedeckt sie mit Feigen und der, natürlich viel Geld zahlende, Kunstliebhaber hat eine Minute Zeit, so viele Feigen wie es ihm möglich ist von ihrem Körper zu naschen. Ein amerikanischer Millionär war so begeistert von Julias Feigengeschmack, dass er sie kurzerhand vor den Traualtar trug. Ich darf erwähnen, dass meine jüngere Schwester bei dieser Gelegenheit bekleidet war.

Unsere Eltern genießen ihren hochverdienten Ruhestand in ihrem Haus, welches wir Kinder haben renovieren lassen. Einen Hund und zwei Laufenten haben wir unseren Eltern auch geschenkt.

Dann bin da noch ich, Michael. Nach dem Gymnasium hatte ich schlicht keine Lust mehr zu lernen, also kam ein Studium für mich nicht infrage. Nach dem Ableisten meines Zivildienstes absolvierte ich eine Lehre zum Koch und begann in einem Gasthaus in Wien zu arbeiten.

Dieses Gasthaus, es hieß ‘Zum fettn Bratl’, war bekannt für seine üppigen Portionen und wurde gerne als Lokalität für Hochzeitstafeln gebucht. Drei Jahre lang lief alles glatt. Der Chefkoch und ich standen in der Küche, eine Kellnerin, und ab und zu auch eine Aushilfskellnerin, servierten, und die Besitzerin des Gasthauses, die die Geliebte des Chefkochs in Personalunion war, kassierte.

Eines Tages trug es sich zu, dass eine Braut, sie hieß Martina, sich bemüßigt fühlte, Kritik an der Dimension ihrer Mahlzeit zu äußern. Sie kam sogar in meine Küche gestürmt, um ihrem Unmut über die angeblich zu große Portion Luft zu machen. Ich stand gerade vor einem großen Schneidebrett und zerlegte ein Spanferkel. Sie fuhr mich an, dass ich sie wohl übergewichtig machen wollte, und dann begann sie zu weinen. Ich nahm sie in den Arm, um sie zu trösten, und bald hatte sie sich wieder beruhigt. Wir unterhielten uns über Kalorien und Cholesterin, als sie plötzlich vor mir niederkniete und meinen Hosenstall öffnete. Ich wollte sie abwehren, doch sie begann einfach, mich zu fellationieren. Ich muss zugeben, das hatte schon was. Nun, ich verspürte den Drang, auch ihr etwas Gutes zu tun, also hob ich sie hoch und setzte sie auf eine lauwarme Herdplatte, um sie ordnungsgemäß durchzunudeln. Ich halte diesen Ausdruck für keineswegs überzogen, schließlich befanden wir uns in einer Küche. Nachdem ich sie ordentlich durchgerührt hatte, setzte sie sich wieder neben ihren frisch Angetrauten an die Tafel. Es hätte für alle ein schöner Abend werden können, wäre nicht die Aushilfskellnerin in die Küche gekommen und hätte sie nicht das Höschen der Braut auf dem Boden vor dem Herd entdeckt. Schnell bückte sie sich, hob das Höschen auf und lief zur Tafel, wo sie es der Braut mit dem Hinweis überreichte, dass diese es dem Koch wohl selbstlos überlassen hätte, damit er sich damit den Schweiß abwischen konnte. Was soll ich sagen, ich war meinen Job los.

Als ich meiner Kurtisanenschwester von diesem Vorfall erzählte, lachte sie schallend und meinte, ich hätte das Richtige getan.

Die Besitzerin des Gasthauses ‘Zum fettn Bratl’ stellte mir dennoch ein hervorragendes Zeugnis aus, und so war es nicht schwer für mich, eine Stelle in einem angesagten Restaurant zu bekommen.

Dieses Restaurant, es hieß ‘Norberts Fine Asian Dining’, hatte sich, wie der Name schon sagt, auf asiatische Küche spezialisiert. Norbert, der Chef, er war auch als Chefkoch tätig, hatte schon an meinem ersten Tag in der Küche keinen guten, soll heißen allzu gesunden Eindruck auf mich gemacht. Und in der Tat, nachdem er mich zwei Wochen lang in die Rudimente der wienerischen Zubereitung asiatischer Speisen eingeführt hatte, verabschiedete er sich für vier Monate in eine Klinik, denn sein äußerst verantwortungsvoller Job, den ich dann übernehmen durfte, hatte ihm ein schlimmes Burnout eingebracht.

Nun war ich der Küchenchef. Asiatisch zu kochen lag mir damals nicht, und es liegt mir auch heute noch nicht. Da ich sozusagen der Chef war, stellte ich kurzerhand die Speisekarte um und änderte darüber hinaus gleich die ganze Linie des Lokals. Ich ließ alle asiatisch aussehenden Einrichtungsgegenstände entfernen und an deren Stelle Sessel und Tische aus bestem Zirbenholz in das Restaurant stellen, dessen Namen ich auch änderte. Aus ‘Norberts Fine Asian Dining’ wurde so ‘Norberts Bratlhaus’. Die Auswahl an Speisen bestand nun aus einer Vielzahl verschiedener Braten, es gab aber auch Schnitzel, Gulasch und Kuttelflecksuppe. Die Gäste rannten mir die Türe ein, alle waren von der Qualität meiner Braten begeistert. Der Zufall wollte es, dass Willibald das Lokal besuchte. Willibald war der Testesser, Chefredakteur und Herausgeber von ‘Willibald aus Tirols Schweinsbratenguide’. Er war hingerissen von der Qualität meines Schweinsbratens und stellte mir eine phänomenale Kritik aus. Irgendwie jedoch hatte Norbert in seinem Psychotempel davon Wind bekommen, dass sein Sojasprossenimbiss zu einem Palast des Bratens mutiert war, was ihm gar nicht schmeckte. Er rief mich mitten in der Nacht an, um mir zu kündigen. Im Hintergrund konnte ich zwei Pfleger hören, die beschwichtigend auf ihn einredeten, jedoch mit wenig Erfolg.

Mit dem Wissen ausgestattet, dass ich das selbe wäre wie die Grundzutat meines berühmten Schweinsbratens, verließ ich Norberts Restaurant.

Dank der überaus guten Kritik in ‘Willibalds Schweinsbratenguide’ kam ich im ersten Haus am Platz unter, und zwar als zweiter Küchenchef, wo ich heute noch immer tätig bin, allerdings als Küchenchef. Es handelt sich um das Restaurant ‘Zur grauen Krähe’ im ersten Wiener Gemeindebezirk, ein über alle Maßen gediegenes Restaurant, sowohl was die Einrichtung als auch die Klientel anlangt. Letztere besteht zu einem großen Teil aus sogenannten Hofratswitwen, deren antiquiertem Geschmack in Form von karierten englischen Kostümen und Perlenketten noch ein Sahnehäubchen aufgesetzt wird.

Nachdem die feinen Damen, nun ja, eher unausgelastet sind, was die Befriedigung eines gewissen und bestimmten Notstandes betrifft, machen sie sich gerne den Spaß, mich an ihre Tische holen zu lassen, um mich dort aus großen Augen hinter dioptrieschweren Brillengläsern zu mustern und mich auf einigermaßen anlassige Art und Weise zu fragen, ob ich beim Braten generell gut wäre. Für gewöhnlich wende ich in derartigen Situationen das probateste Instrument der Hochdiplomatie an, nämlich die Lüge. Ich sage dann, dass mich mein Lebensgefährte bloß aus dem Grund erwählt hat, dass ich so gut braten kann.

Letzte Woche allerdings ging eine dieser Damen eindeutig zu weit. Sie fragte mich direkt heraus, ob ich für fünfhundert Euro die Nacht mir ihr verbringen würde. Als ich sie über die Tatsache in Kenntnis setzte, dass für die Erfüllung ihres Begehrens selbst fünfhunderttausend Euro eine bei Weitem zu geringe Summe wären, stand sie entrüstet auf und verließ das Restaurant. Tags darauf saß sie wieder an ihrem angestammten Tisch und ließ mich, noch bevor sie bestellt hatte, an diesen kommen. Sie orderte bei mir persönlich ein Hauptgericht, das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen sollte. Ich lief in meine Küche und bereitete ein Hauptgericht zu, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte. In die Mitte des Tellers legte ich ein Frankfurter Würstchen, dessen oberes Fünftel ich gehäutet und dessen Spitze ich eingekerbt hatte. Vor die Kerbe goss ich ein wenig schmackhafte Sauce Hollandaise. Am anderen Ende der Wurst platzierte ich links und rechts je einen Grießknödel, welche ich mit in Butter karamellisierten hauchdünnen Zwiebelstiften so bedeckte, dass der Eindruck des Wildwuchses entstehen konnte. Diesen Teller brachte ich höchstselbst an den Tisch der Dame. Diese erschrak und wollte meiner Aufforderung, die Wurst doch ohne Scheu anzufassen und die Sauce zu kosten, keineswegs folgen. Vielmehr sprang sie auf, verabreichte mir eine Ohrfeige und verließ das Restaurant mit dem Versprechen, es nie wieder zu betreten. Ich ging zurück in meine Küche und lachte, bis mir die Tränen über die Wangen liefen.

Michael Timoschek

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