Moritura te salutat

Begrabt mich auf einem Hügel, der sein Gesicht der Sonne entgegenstreckt. Nach meinem Tod will ich soviel Sonne wie möglich haben. Merkt euch das gut! Der letzte Wille ist heilig. Vergesst es nicht, ihr Vergesslichen! Sonne brauche ich, um ruhen zu können. Sonne, die mich wärmt tief unter der Erde. Ich werde mich räkeln in meinem schönen Kleid, das ihr mir anziehen werdet, wenn es so weit ist.
Vergesst auch nicht die Strümpfe und die Schuhe. Die Schuhe sind besonders wichtig. Dicke Sohlen müssen sie haben. Ich habe verschiedene, die sich eignen: Stiefel, Halbschuhe, hochhackige Sommerschuhe. Ich glaube, die mag ich am liebsten. Ich will mich wohlfühlen, wenn ich vor das Angesicht meines Schöpfers trete. Er soll seine Freude an mir haben. Er soll sehen, dass ich glücklich bin, ihm zu begegnen. Ja, ich weiß, dass es nicht so einfach sein wird. Der Weg ins Paradies führt über Dornen. Vielleicht sollte ich doch lieber die schwarzen Stiefel mit den Plateausohlen anziehen, die ich in Salzburg gekauft habe. Mann, war das eine verrückte Zeit. Zieht sie mir an, wenn ich meinen letzten Weg antreten werde. Sie sind praktisch, und ich werde mir auf  meinem Weg durch die Dornen nicht die teuren Strümpfe zerreißen, obwohl das dann auch schon egal wäre, aber solche Gedanken habe ich verinnerlicht. Außerdem kann ich Gott nicht mit Laufmaschen begegnen, das geht gar nicht. Was soll er sich denn von mir denken. Aber später möchte ich doch gern die Stiefel ausziehen und die hochhackigen italienischen Sommerschuhe tragen, die mit der roten Lederblume am Riemen, die sind elegant und werden Gott gefallen. Ich bin gespannt, wie es sich damit auf den Wolken gehen lässt. Aber vielleicht führt mein Weg ja auch über den feinpulvrigen Sternenstaub. Dann brauche ich ein Taschentuch, um mir den Staub von den Schuhen zu wischen, wenn ich die Wohnung Gottes, die fünfzigste Halle, betreten werde. Vergesst also nicht, mir ein Taschentuch mitzugeben. Das zweite Paar Schuhe brauche ich auch. Vielleicht führt mein Weg über den Rücken des Leviathan. Darüber ist bestimmt gut zu schreiten. Er wird Acht haben, dass ich nicht strauchle. Sicher wird er mich geleiten.

Ich möchte, dass ihr mir das graublaue Spitzenkleid anzieht, das mit den kurzen Ärmeln und der Schleife am Dekolleté. Eine Jacke werde ich nicht brauchen. Bestimmt ist es warm. Ich verlasse mich auf die Sonne. Die Nägel lackiert ihr mir mit meinem Lieblingsrot. Sie sollen richtig leuchten, genauso wie meine Lippen. Und die Augen schminkt ihr mir auch. Ich möchte, dass ihr Blau strahlt. Ja, mit strahlenden Augen will ich meinen Schöpfer anschauen. Nehmt bitte meine Worte ernst. Sie sind nicht bloß dahingesagt. Ich will mich auf euch verlassen können. Ihr seid meine engsten Vertrauten. Auch ich habe für euch immer gut gesorgt. Versagt mir also diesen Wunsch nicht, sondern trachtet, ihn zu erfüllen. Ich bitte euch recht herzlich darum. Seid so gut.

Und auf mein Grab legt einen schönen großen Flusskiesel. Ihr werdet schon einen finden, der zu mir passt. Schön geschliffen vom Wasser. Da müsst ihr euch ein paar Tage Zeit nehmen und etwas herumfahren, bis ihr einen passenden ausmacht. Das wird dann ein kleiner Urlaub sein, den ihr in Gedanken bei mir verbringt. Wir werden uns ganz nahe sein, so nahe wie schon lange nicht mehr, glaubt mir. Ja, das ist verrückt. Wenn man sich in derselben Stube gegenübersitzt, ist man oft meilenweit voneinander entfernt, und wenn man weit voneinander ist, vielleicht sogar in anderen Sphären, dann ist man sich ganz nah. Ist das nicht außerordentlich wunderbar? Erinnert ihr euch noch an die Geschichte meiner Mutter, die die Todesstunde ihres Verlobten im fernen Stalingrad zu nachtschlafender Zeit in ihrem Bett im Bayrischen Wald miterlebt hat. Das sind die wirklich wichtigen Dinge, auf die wir achten müssen im Leben. Das gebe ich euch mit auf den Weg und sonst nichts. Versucht glücklich zu sein, lauscht auf die leisen Worte hinter den lauten und bewahrt euch den Blick für die wahre Schönheit der Dinge.

In den Flusskiesel lasst ihr meinen Namen gravieren und vergolden, nur den Vornamen, der genügt. Und das Todesdatum und mein Alter. Falls ich über neunzig werde, werde ich stolz darauf sein, so lange durchgehalten zu haben, und ich möchte, dass es die zufälligen Besucher mit gewissem Erstaunen und Respekt zur Kenntnis nehmen. Alles andere ist ohne Bedeutung. Ich möchte nicht auf einem Friedhof liegen, auf dem sonntagnachmittags alte Frauen spazieren gehen und ihren Enkelinnen Geschichten zu den einzelnen Gräbern erzählen, die sie erschrecken und ihnen die Lust auf das Leben nehmen. Ich werde meine Ruhe finden auf dem sonnenbeschienenen Hügel und hoffentlich Frieden haben von all dem Geschwätz, das ich selbst auch oft gesucht und gemehrt habe in den Zeiten meiner inneren Unruhe.

So, nun wisst ihr Bescheid, wie ich mir das vorstelle am Ende meiner Tage. Es ist eigentlich ganz einfach, und wenn ich jetzt nach dieser Beschreibung innehalte, beschleicht mich ein seltenes Glücksgefühl. Ich habe die wichtigen Dinge geregelt und kann mich nun dem Leben hingeben. So Gott will, schenkt er mir noch ein paar Jahre, und ich will sie dankbar aus seiner Hand annehmen.

Ach ja, ich habe noch vergessen euch zu sagen, dass ihr auch einen Baum pflanzen müsst ans Kopfende meines Hauses für die Ewigkeit. Zuerst dachte ich an eine Birke, weil ich ihre weiße Rinde so liebe. Silbrig leuchtet ihr Laub in der Sonne, doch sie braucht soviel Wasser und wird nicht glücklich werden an meiner Seite. Dann dachte ich an eine Platane. Sie ist so vornehm. In alten Schlossparks habe ich sie zum ersten Mal gesehen und lieb gewonnen. In ihrem Schatten ist so gut zu ruh’n. Sie beflügelt den Geist zu großen Gedanken. Doch sie hat auch so etwas Altes an sich, das mich schwermütig macht.
Eine Weide wäre auch schön. Seit meiner Kindheit liebe ich sie. Vom Flussufer kenne ich sie und ihre tiefhängenden Äste mit den länglichen Blättern. Beim Schwimmen zog ich mich gern an ihnen hoch und ließ mich anschließend ins Wasser plumpsen. Zu dieser Erinnerung gesellt sich eine ausgesprochene Leichtigkeit, die selten in meinem Leben zu finden ist.
Aber an meinem Grab möchte ich doch lieber einen exotischen Baum haben. Vor einigen Jahren führte mich eine Sommerreise nach Slowenien. Mein Mann und mein jüngster Sohn, der damals noch ein Kind war, begleiteten mich, sowie ein befreundetes Paar. Wir suchten ein kleines Dorf, das den Namen Jerusalem trägt und seine Existenz einem erfolgreichen Feldzug gegen die Türken  verdankt. Inmitten von malerischen Weinbergen liegt es. Stundenlang sind wir im Frühsommer durch sie spaziert. An jenes Jerusalem erinnert mich nichts mehr als das Dorfschild, vor dem wir uns gegenseitig fotografiert haben, und eine Malerei mit säbelschwingenden türkischen Reitern, die alle das Fürchten lehrten. Aber ein ausladender mächtiger Baum taucht noch vor meiner Erinnerung auf. Er stand auf einem Hügel und steht bestimmt immer noch dort. Wer würde die Dreistigkeit besitzen, einen derart majestätischen Baum umzuschneiden. Jahrhunderte wird er gebraucht haben, um so groß zu werden und sein Blätterdach zu entfalten. Wir näherten uns vom Tal kommend auf der Landstraße und hatten jenen Baum als Ziel. Keiner von uns hatte jemals so einen Baum gesehen, und wir rätselten, was es für einer sein könnte. Erst als wir unter der mächtigen Krone standen und den dicken Stamm vor Augen hatten, die Blätter und die wunderschönen Blüten bestaunen konnten, erkannten wir die Esskastanie, den Maroni-Baum.
Ich glaube, so einen Baum solltet ihr an mein Grab pflanzen. Der passt zu mir. Das heißt aber auch, ihr müsst  mich an einem Ort bestatten, an dem dieser Baum wachsen kann. Das wird sich natürlich etwas schwierig gestalten, aber euch wird schon etwas einfallen. Da vertraue ich nun ganz auf euren Einfallsreichtum. Ich gebe zu, das wird ein Gescherr geben, aber das kann ich euch nicht ersparen. Dafür habt ihr dann auch eure Ruhe von mir. Wenigstens für einige Zeit, bis wir uns dereinst wiedersehen werden in der anderen Welt.

Da fällt mir aber nun noch etwas ein. Rote Rosen solltet ihr auch pflanzen, die sich am Stamm hochranken. Ein Rubinrot stelle ich mir vor. Wenn sich die Sonne darin bricht, wird es wie Blut leuchten, und ich werde meine Augen vom ewigen Licht losreißen und mich an dem samtenen Licht der Endlichkeit erfreuen und in Gedanken bei euch sein. Wir werden uns begegnen können, und darauf freue ich mich. Also pflanzt auch noch den Rosenstock und dann lasst mir meine Ruhe. Ich sehe euch schon in einem Weinkeller einkehren und über mich schimpfen, weil ich euch soviel Mühe gemacht habe. Aber das sehe ich gerne. Glaubt mir, ich werde von meiner neuen Wohnung aus über euch schmunzeln. Bestellt euch reichlich Wein, seid fröhlich und lacht. Ich labe mich jetzt schon an dem Bild. Die fröhlichen Tage können im Leben nicht zahlreich genug sein, darum nehmt sie so, wie sie euch begegnen. Nehmt sie aus der Hand eures Schöpfers und genießt sie. Hinterfragt sie nicht. Sie sind das Beste, was euch passieren kann.

Jetzt habe ich aber in der Tat mehr als genug über die letzten Dinge gesprochen. Es wird Zeit, dass ich mich dem Leben zuwende.

Claudia Kellnhofer
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