Archiv des Autors: Redaktion verdichtet.at

Sesselgedichte: Adolf Loos: „Smokers Bow“ für die Wohnung Stössler, 1899

Loos, der große Non-Stilist
sagt, die Secession sei Mist:
Denn seit der jungen Steinzeit schon
sorgt der Mensch sich, wie man wohn’!

Von Ägypten bis Great Britain,
du findest alle Möbeltypen!
Die längste Testreihe der Welt –
nimm davon, was dir gefällt!

Ein Esstischsessel? Ja, wieso
nimmst du nicht den Smokers Bow?
Er hat alles, was du brauchst,
auch wenn du drauf nicht Pfeife rauchst.

Grafik: Jannis Edelsbacher

Grafik: Jannis Edelsbacher

Bernd Remsing
http://fm4.orf.at/stories/1704846/

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www.verdichtet.at | Kategorie: möbliert | Inventarnummer: 24058

Sesselgedichte: Adolf Loos: Roter Bugholzsessel für das Café Museum, 1899

Als ob der Sessel lebte
und sich aufwärts drehte
Ganz als sei das Ganze
eine Bugholzpflanze.

Der Querschnitt im Ovale
spricht von Mal zu Male,
spricht recht philosophisch:
„Ich bin morpho-logisch!“

Grafik: Jannis Edelsbacher

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Bernd Remsing
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www.verdichtet.at | Kategorie: möbliert | Inventarnummer: 24056

Sesselgedichte: Thonet: Kindersessel, 1885

Ein Kind will wahrgenommen sein,
sonst fühlt es sich besonders klein.
Mitunter fängt es an zu toben,
sitzt unsereins am Esstisch oben.

Schon damals aber ging die Kunde,
auch Kinder seien Teil der Runde.
Und Thonet ist hier sehr zu loben,
hat sie billig hochgehoben.

Grafik: Jannis Edelsbacher

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Bernd Remsing
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www.verdichtet.at | Kategorie: möbliert | Inventarnummer: 24055

Sesselgedichte: Thonet: „4er“, 1849

Als einst die Jeunesse dorée
Französisch sprach und näselte,
verkehrte sie im Café Daum
vom Abend bis zum Morgengraun

Dass man bequemer konsumier’,
diente Thonets Nummer Vier.
Der, als ihn Daum platzierte,
Thonet grundsanierte.

Grafik: Jannis Edelsbacher

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Bernd Remsing
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www.verdichtet.at | Kategorie: möbliert | Inventarnummer: 24053

Sesselgedichte: Schreibtischsessel von Joseph II

Dem aufgeklärten Joseph Zwei
fällt es beim Studieren bei,
dass ein Sessel besser sei,
ließ’ er vorn die Füße frei.

Der volksverbund’ne Kaiser geht,
nimmt den Tischler ins Gebet,
der die Sesselbeine dreht,
so, dass Fußfreiheit entsteht.

„Freiheit für die untenrum?“
Das nimmt man dem Kaiser krumm
und verweigert drum enorm
jede weitere Reform.

Grafik: Jannis Edelsbacher

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Bernd Remsing
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www.verdichtet.at | Kategorie: möbliert | Inventarnummer: 24046

 

Unverhofft kommt der Tod

Ich war nicht darauf vorbereitet, dass du gehst, glaube fast,
dass man niemals wirklich vorbereitet ist.
Und während ich in einer schalldichten Blase schweb
und verzweifelt an deinem Leben kleb,
rechne ich jeden Moment damit, dass du gleich vor mir stehst,
dich zu mir drehst, und mir – wie immer – erzählst, worüber du gerade nachgedacht hast.

Doch es bleibt still. Kein Laut von dir.
Nur trockene Luft, in die ich mich hüll, an der ich erstick
und meterdick Eis unter mir.
Und der Wind singt mit geneigtem Haupt dein ewiges Lied.
Zelebriert ehrfurchtsvoll deinen Abschied.
Erlaubt dann der Welt, sich weiterzudrehen, und flüstert mir Tor
im Fortgehen noch leise ins Ohr,
dass er das laute Toben in mir,
das mehr und mehr anschwillt,
und mich schon bald bis zum Rand füllt,
nach und nach besänftigen will.

Claudia Lüer

www.verdichtet.at | Kategorie: hardly secret diary | Inventarnummer: 24049

Ein einziger hundert Jahre andauernder Sonntag

Begrüßenswerterweise hat er heute die Verwaltung der Bibliothek übernommen. Nicht so, dass er es ungern getan hätte, aber es war damals im Oktober noch sehr warm draußen und die Sonne schien und er hätte sich auch in anderen Teilen der Stadt aufhalten können. Es war der Sommer im Jahre 2008. Es waren Olympische Spiele in Peking und der Krieg um Südossetien. Wärmere Gedanken, als ich noch über die Dächer blicken konnte. Haus und Chaos sind ein Minimalpaar, oder etwa nicht?

Außenpolitisch ist Erdogan längst

Es gibt von Zeit zu Zeit Vorkommnisse, die sind nicht einfach nur im Vorübergehen zu erklären, schon gar nicht, wenn man versucht, nur die einfachste Alltagssprache zu verwenden.

in anderen Sphären. Von der EU

Was damals gewesen ist: In einigen Tagen kann es anders werden.

hat sich der Autokrat verabschiedet.

Manchmal geht es ganz schnell. Eine Person, ein Gegenstand, an den man sich noch erinnern konnte, ist einfach weg. Von einem Tag auf den anderen.

Sie hat ihre Schuldigkeit getan, als ihr

Er fragte sich neuerlich, warum gerade er die letzten Tage nicht so zugebracht hat, wie er es eigentlich vorher geplant hatte.

der einstige Annäherungsprozess die

Nicht, dass er es wirklich gewollt hatte, aber das gewünschte Ergebnis seiner Planungen hatte sich nicht im Geringsten als tragfähig erwiesen, schlimmer noch: Die Unerfüllbarkeit seiner Vorstellungen hätte ihm von Anfang an bewusst sein sollen.

Ausrede dafür lieferte, seinen größten

In einer lauschigen Nacht traf ich damals eine junge Frau mit langen, lockigen Haaren. Sie trug eine Jeans mit Ledergürtel. Auch sie ist sehr schnell verschwunden.

Gegner, die Armee, zu entmachten.

Worin man sich doch auch noch getäuscht haben könnte. Vor allem dann, noch, auch wenn man gesehen hat, dass die Jahre anders verlaufen sind, damals. Und du sagtest doch, damals, ich könnte jederzeit zurückkehren.

Schon sind die Ziele größer, der Wunsch

Fünfzehn Jahre danach erinnerte ich mich an sie und machte eine Zeichnung, die ich ihr widmete.
Aber das ist zu wenig. Ich erinnerte mich, aber konnte mir nicht vorstellen, wer sie war.

nach Ausweitung seiner islamisch-konservativen

Leider kannte ich diese Person nicht. Ich hätte diese Person gerne kennengelernt. Oder ich hätte wenigstens ein Wort mit ihr gewechselt. Von woher das Wohlgefühl stammt, das ich von ihr bekommen habe, weiß ich nicht.

Herrschaft stärker.

Auch sie ist eine Verschwundene.

(News  38, 6.6.2015, S.19)

Es vergeht ein Tag wie der andere.
Nur das hat der eine Tag mit dem anderen gemeinsam.

Schnell hat man gemerkt, dass für diesen Traum
nicht war Raum, nicht war Zeit.

Es zerrinnen mir die Tage
meines geliebten Lebens
wie Sand.

Michael Bauer

www.verdichtet.at | Kategorie: think it over | Inventarnummer: 24048

 

 

 

 

Wenn’s einmal aus wird sein. Selbstmord auf Wienerisch

Frühling ist, wenn der Tichy aufsperrt! Egal, wie das Wetter ist, wenn die Türen des (zu Recht) bekanntesten/beliebtesten/größten Eissalons in Wien offen stehen, dann gibt’s trotz Eis keinen Winter mehr. Und die größte Affenhitze lässt sich aushalten, wenn man, genüsslich von einer Tüte Erdbeer-Zitrone (o.Ä.) schleckend, auf einer schattigen Bank vor dem urbaneren Eissalon am Schwedenplatz sitzt. Da schrumpfen alle Sorgen, und man kann so herrlich die Seele baumeln lassen, während beachtenswerte Mädchenbeine wie im Film vorüberziehen und etliche Gesprächsfetzen von der Nebenbank ans Ohr dringen. Und weil – ebenfalls zu Recht – den Wienern ein eher gemütliches Naheverhältnis auch zum Tod nachgesagt wird (wo sonst nennt man ihn harmlos verkleinernd „Gangkerl“?), fing der Verfasser einmal ein in leichtem Plauderton gehaltenes Gespräch über gleich drei Selbstmorde und deren nähere Umstände ein:

Auf der Nebenbank saßen, gemächlich aus ihren Bechern löffelnd, zwei ältere Damen, von denen die dickere, dominante das Gespräch führte, während die schmächtigere, einfacher gekleidete (vermutlich eine entferntere Bekannte) kaum mehr als gelegentlich erstaunte, beipflichtende oder erschrockene Bemerkungen in den Satzpausen (während ein Löfferl Erdbeereis geschaufelt wurde) einfügte.

Zuerst wurde der mittels Schlaftabletten durchgeführte Suizid einer Nichte abgehandelt: Diese hätte nach ihrer Scheidung zwar ein Jahr später ihren Mann wieder zurückbekommen, es aber nicht verwunden, dass dieser sein schlampertes Verhältnis zum Scheidungsgrund noch aufrecht hielt. Ja, und so hätte sie das Leben nicht mehr gefreut und sie hätte beschlossen, nach Einnahme von zwölf Schlaftabletten nicht mehr aufzuwachen. Und nun zu den Details: Da besagte Nichte gelesen hatte, dass manche Menschen den giftigen Abschiedstrunk nicht vertragen und ihn wieder erbrechen, war ihr die Idee gekommen, vorher eine Haferschleimsuppe einzunehmen, damit der Magen beruhigt sei. Die Polizei hätte vorerst nicht an Suizid gedacht, weil die Nichte ja auch Kreislaufprobleme gehabt hätte. Aber der Hausmeisterin, welche die Tür geöffnet habe, wäre der Topf mit der restlichen Suppe aufgefallen und deshalb habe sie die Polizei informiert, dass da was nicht stimmen könne, weil der Nichte doch nachweislich seit ihrer Kindheit vor Haferschleimsuppe gegraust hätte. Und so sei das eben herausgekommen.

„Entsetzlich, gelln’s, so ein junger Mensch, das ist doch so ein teppert’s Mannsbild gar net wert, net?“, so die Monolog-Partnerin.

Die Erzählerin schwieg eine halbe Minute, weil sie in ihrem Nocciolone-Eis eine Haselnuss gefunden und daran gekaut hatte, dann kam sie zum Teil zwei:

Es sei dann kaum ein halbes Jahr vergangen, bis sich ein Cousin wegen seiner enormen Spielschulden nicht mehr aus noch ein gesehen hätte, und der zwielichtige Geldverleiher, an den er sich zuletzt in seiner Not gewandt habe, hätte ihm bei Terminverlust eine Schlägertruppe in Aussicht gestellt. Das sei alles in einem flüchtig hingekritzelten Abschiedsbrief gestanden. Und als es dann an seiner Türe stark geklopft habe, da hätte er das Fenster aufgerissen und sich aus dem fünften Stock in die Tiefe gestürzt. Er sei sofort tot und damit schuldenfrei gewesen. Dabei war es doch nur der Hausmeister, weil eine Partei Gasgeruch gemeldet hätte. „Und jetzt stellen S’ Ihnen vor, wenn der Cousin noch eine letzte Zigarette geraucht hätte, dann hätte das ganze Haus in die Luft fliegen können. Das wär ja gar nicht auszudenken!“

„Da hätt er ja dann gar nimmer Selbstmord machen brauchen, gelln’s?“ gab da die entzückend naive Gefährtin zu Protokoll, worauf die Erzählerin einen Lachkrampf bekam und beinahe den Eisbecher fallen ließ.

Dann setzte sie fort, dass es immer die Falschen träfe, er sei so ein harmloser und gutgläubiger Mensch gewesen, alles hätte man von ihm haben können, er wäre wirklich zu gut für diese Welt gewesen. Und dass dafür den größten Gfrastern ein langes Leben beschert sei.

Die Monologpartnerin widersprach zaghaft, dass aber der Wiener Kardinal König, der wohl unbestritten ein sehr wertvoller Mensch war, doch schon fast 100 Jahre alt geworden wäre.

Jaja, das sei natürlich die Ausnahme, welche die Regel bestätige, stimmte die Erzählerin zu, aber eben eine seltene. Da wäre zum Beispiel ein Schwager zweiten Grades, der knapp zwei Jahre später auch nicht mehr leben wollte. Dieser habe nämlich mit seiner mühsam aufgebauten Firma Konkurs anmelden müssen und hatte nicht den Mut, es seinen Angestellten zu sagen, und außerdem fürchtete er die Ächtung durch seine Geschäftsfreunde und seine Familie, weil er sich entgegen dem Rat seines Schwiegervaters selbständig gemacht hätte. Und so habe er sich – weil er vom Freitod des Cousins wusste – ebenfalls aus dem Fenster gestürzt, aber weil er nur im dritten Stock gewohnt hätte, habe er mit geknickter Wirbelsäule und mehreren Beinbrüchen überlebt. Noch ein Jahr sei er im Rollstuhl gesessen, bis ihn ein Schleimschlag erlöst habe.

„Gelln’s, da sieht man, was zwei Stockwerke ausmachen“, war die erschütterte Reaktion der Zuhörerin.

„Wie ich schon g’sagt hab, es trifft immer die Guten“, setzte die Erzählerin fort, und dass sich ihr Seliger darüber auch sehr gekränkt habe. Außerdem sei der zuletzt Verblichene sein ständiger Tarockpartner gewesen, und nun sei die Partie zerfallen, weil kein Ersatz aufzutreiben gewesen sei.

„Also da tun S’ mir aber schon leid“, bemerkte nun die Zuhörerin, „Haben S’ da überhaupt noch wem, wenn sich Ihre Verwandten so schnell hintereinander verabschieden? Das muss ja furchtbar sein, da kommen S’ ja gar nicht aus dem schwarzen G’wand ausse!“

„Nein, nein, die waren ja alle von seiner Seit’n“, beruhigte die Erzählerin, und sie selber hätte noch genug Verwandte, weil in ihrer Linie fast alle drei, vier Kinder hätten. Da würde ihr die nächsten Jahre bestimmt nicht fad!

Tja, die besten Geschichten schreibt immer das Leben. Oder dessen Ende.

Robert Müller

www.verdichtet.at | Kategorie: ärgstens | Inventarnummer: 24047

Sesselgedichte: Thonet: „14er“, 1859

Produkt der Thonet’schen Fabrik,
doch klassizistisch, fast antik,
die Lehnenform ist Biedermeier:
Eine kopfgestellte Leier.

Ein Meisterwerk der Industrie,
ökonomisch wie noch nie
und doch so lyrisch, gar nicht kantig –
dampfgebogene Romantik.

Grafik: Jannis Edelsbacher

Grafik: Jannis Edelsbacher

Bernd Remsing
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www.verdichtet.at | Kategorie: möbliert | Inventarnummer: 24054

 

Sesselgedichte: Hoffmann: Sessel für die Staatsdruckerei, 1907

Hoffmans Hände schufen
zwei passgenaue Kufen.

Die ordnet er trapezisch
und darauf streng ästhetisch

einen Stuhl aus Rahmen,
die grundgespreizt zu stehen kamen.

Ausgestellte Leere,
die man nicht beschwere.

Sag nicht, der steht ja nackt rum!
Er ist ein Stuhlabstraktum!

Grafik: Jannis Edelsbacher

Grafik: Jannis Edelsbacher

Bernd Remsing
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www.verdichtet.at | Kategorie: möbliert | Inventarnummer: 24062